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Alexander von Humboldt: „Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1806-Fragment_aus_der-27-neu> [abgerufen am 26.04.2024].

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Titel Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse
Jahr 1850
Ort Stuttgart; Tübingen
Nachweis
in: Karl Mager, Deutsches Elementarwerk. Lese- und Lehrbuch für Gymnasien und h. Bürger- (Real-) Schulen, Cadettenhäuser, Institute und Privatunterricht, 3. Auflage, 3 Bände, Stuttgart/Tübingen: Cotta 1850, Band 3, S. 764–777.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: II.42
Dateiname: 1806-Fragment_aus_der-27-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 14
Zeichenanzahl: 39538

Weitere Fassungen
Fragment aus der am 30sten Jan. 1806 in der öffentlichen Sitzung der Königl. Akademie gehaltenen Vorlesung: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Berlin, 1806, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse, von Alexander von Humboldt. Vorgelesen in der öffentlichen Sitzung der königl. preuss. Akademie der Wissenschaften am 30 Januar 1806. 29 S. 8. (Jena, 1806, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Weimar, 1806, Deutsch)
Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen von Alexander von Humboldt. Zwey Bände. Zweyte verbesserte und vermehrte Ausgabe. Stuttgart und Tübingen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1826. 12. (Stuttgart; Tübingen, 1827, Deutsch)
Die Fülle des Lebens in der Natur (Wien, 1828, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (London, 1830, Deutsch)
Ueber die Verbreitung und den verschiedenen Charakter des organischen Lebens, besonders der Pflanzen (Frankfurt am Main, 1831, Deutsch)
Ueber die Verbreitung und Mannigfaltigkeit des organischen Lebens, besonders der Pflanzen (Paris; Strasbourg, 1831, Deutsch)
О растенiяхъ [O rastenijach] (Sankt Petersburg, 1834, Russisch)
О повсемѣстномъ разлитiи жизни [O povseměstnom razlitii žizni] (Sankt Petersburg, 1834, Russisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Berlin, 1837, Deutsch)
Alexander von Humboldt (London, 1843, Deutsch)
Alexander von Humboldt (Stuttgart, 1843, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Darmstadt, 1843, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Breda, 1843, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Berlin, 1843, Deutsch)
Alexander von Humboldt (Berlin, 1844, Deutsch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Leipzig, 1843, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (München, 1845, Deutsch)
Beauties of Tropical Vegetation (Bradford, 1849, Englisch)
Beautiful Flowering Trees (Manchester, 1850, Englisch)
Beautiful Flowering Trees (Canterbury, 1850, Englisch)
Universal Diffusion of Life (Boston, Massachusetts, 1850, Englisch)
Vext-Fysiognomik (Helsinki, 1850, Schwedisch)
Beautiful Flowering Trees (Racine, Wisconsin, 1850, Englisch)
Der Pflanzenwuchs in den Tropen (London, 1850, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Stuttgart; Tübingen, 1850, Deutsch)
Beautiful Flowering Trees (Boston, Massachusetts, 1851, Englisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Frankfurt am Main, 1851, Deutsch)
Histoire de la couche végétale du globe (Paris, 1852, Französisch)
La physionomie des plantes (Liège, 1852, Französisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Wien, 1853, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Leipzig, 1853, Deutsch)
Physiognomik der Pflanzenformen (Berlin, 1853, Deutsch)
Die Physiognomik der Gewächse (Hildburghausen; New York City, New York, 1853, Deutsch)
Physiognomik der Gewächse (Stuttgart, 1854, Deutsch)
Physiognomik der Pflanzenformen (Stuttgart, 1855, Deutsch)
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Ideen zu einer Phyſiognomik der Gewächſe. *

Wenn der Menſch mit regſamem Sinne die Natur durch-forſcht oder in ſeiner Phantaſie die weiten Räume der organiſchenSchöpfung mißt, ſo wirkt unter den vielfachen Eindrücken, die erempfängt, keiner ſo tief und mächtig als der, welchen die allver-breitete Fülle des Lebens erzeugt. Ueberall, ſelbſt nahe an denbeeiſten Polen, ertönt die Luft von dem Geſange der Vögel, wievon dem Summen ſchwirrender Inſecten. Nicht die unterenSchichten allein, in welchen die verdichteten Dünſte ſchweben,auch die oberen, ätheriſch-reinen ſind belebt. Denn ſo oft manden Rücken der peruaniſchen Cordilleren oder, ſüdlich vom Leman-ſee, den Gipfel des Weißen Berges beſtieg, hat man ſelbſt indieſen Einöden noch Thiere entdeckt. Am Chimborazo, faſt acht-tauſend Fuß höher als der Aetna, ſahen wir Schmetterlinge undandere geflügelte Inſecten. Wenn auch, von ſenkrechten Luft-ſtrömen getrieben, ſie ſich dahin als Fremdlinge verirrten, wohinunruhige Forſchbegier des Menſchen ſorgſame Schritte leitet; ſobeweiſet ihr Daſein doch, daß die biegſame animaliſche Schöpfungausdauert, wo die vegetabiliſche längſt ihre Gränze erreicht hat.Höher als der Kegelberg von Teneriffa auf den ſchneebedecktenRücken der Pyrenäen gethürmt, höher als alle Gipfel der Andes-kette, ſchwebte oft über uns der Condor, der Rieſe unter denGeiern. Raubſucht und Nachſtellung der zartwolligen Vicuñas,welche gemſenartig und heerdenweiſe in den beſchneiten Grasebnenſchwärmen, locken den mächtigen Vogel in dieſe Region. Zeigt nun ſchon das unbewaffnete Auge den ganzen Luft-kreis belebt, ſo enthüllt noch größere Wunder das bewaffneteAuge. Räderthiere, Brachionen, und eine Schaar mikroſkopiſcherGeſchöpfe heben die Winde aus den trocknenden Gewäſſern em-por. Unbeweglich und in Scheintod verſenkt, ſchweben ſie inden Lüften, bis der Thau ſie zur nährenden Erde zurückführt, dieHülle löst, die ihren durchſichtigen, wirbelnden Körper einſchließt,und (wahrſcheinlich durch den Lebensſtoff, welchen alles Waſſerenthält) den Organen neue Erregbarkeit einhaucht. Die atlantiſchen
* A. v. Humboldt.
|765| gelblichen Staubmeteore (Staubnebel), welche von dem cap-verdiſchen Inſelmeere von Zeit zu Zeit weit gegen Oſten in Nordafrika, in Italien und Mitteleuropa eindringen, ſind nachEhrenbergs glänzender Entdeckung Anhäufungen von kieſelſchaligenmikroskopiſchen Organismen. Viele ſchweben vielleicht lange Jahrein den oberſten Luftſchichten und kommen bisweilen durch dieoberen Paſſate oder durch ſenkrechte Luftſtröme lebensfähig herab.
Neben den entwickelten Geſchöpfen trägt der Luftkreis auchzahlloſe Keime künftiger Bildungen, Inſecteneier und Eier derPflanzen, die durch Haar- und Federkronen zur langen Herbſt-reiſe geſchickt ſind. Selbſt der belebende Staub, welchen, beigetrennten Geſchlechtern, die männlichen Blüthen ausſtreuen,tragen Winde und geflügelte Inſecten über Meer und Land deneinſamen weiblichen zu. Wohin der Blick des Naturforſchersdringt, iſt Leben, oder Keim zum Leben verbreitet. Dient aber auch das bewegliche Luftmeer, in das wir ge-taucht ſind und über deſſen Oberfläche wir uns nicht zu erhebenvermögen, vielen organiſchen Geſchöpfen zur nothwendigſten Nah-rung; ſo bedürfen dieſelben dabei doch noch einer gröberen Speiſe,welche nur der Boden dieſes gasförmigen Oceans darbietet.Dieſer Boden iſt zwiefacher Art. Den kleineren Theil bildet dietrockene Erde, unmittelbar von Luft umfloſſen; den größeren Theilbildet das Waſſer, vielleicht einſt vor Jahrtauſenden durch elek-triſches Feuer aus luftförmigen Stoffen zuſammengeronnen, undjetzt unaufhörlich in der Werkſtatt der Wolken, wie in den pul-ſirenden Gefäßen der Thiere und Pflanzen zerſetzt. OrganiſcheGebilde ſteigen tief in das Innere der Erde hinab: überall wodie meteoriſchen Tagewaſſer in natürliche Höhlen oder Gruben-arbeiten dringen können. Unentſchieden iſt es, wo größere Lebensfülle verbreitet ſei,ob auf dem Continent, oder in dem unergründeten Meere. DurchEhrenbergs treffliche Arbeit „über das Verhalten des kleinſtenLebens“ im tropiſchen Weltmeere, wie in dem ſchwimmenden undfeſten Eiſe des Südpols, hat ſich vor unſeren Augen die orga-niſche Lebensſphäre, gleichſam der Horizont des Lebens, erweitert.In dem Ocean erſcheinen gallertartige Seegewürme, bald leben-dig, bald abgeſtorben, als leuchtende Sterne. Ihr Phosphorlichtwandelt die grünliche Fläche des unermeßlichen Oceans in einFeuermeer um. Unauslöſchlich wird mir der Eindruck jener ſtillenTropennächte der Südſee bleiben, wo aus der duftigen Himmels-bläue das hohe Sternenbild des Schiffes und das geſenkt unter-gehende Kreuz ihr mildes planetariſches Licht ausgoſſen, und wozugleich in der ſchäumenden Meeresfluth die Delphine ihre leuch-tenden Furchen zogen. Aber nicht der Ocean allein, auch die Sumpfwaſſer verbergenzahlloſe Gewürme von wunderbarer Geſtalt. Unſerem Auge faſtunerkennbar ſind die Cyklidien, die Euglenen und das Heer derNaiden: theilbar durch Aeſte, wie die Lemna, deren Schatten ſieſuchen. Von mannigfaltigen Luftgemengen umgeben, und mit |766| dem Lichte unbekannt, athmen die gefleckte Aſkaris, welche dieHaut des Regenwurms, die ſilberglänzende Leukophra, welche dasInnere der Ufernaide, und ein Pentaſtoma, welches die weitzelligeLunge der tropiſchen Klapperſchlange bewohnt ... So ſind auchdie verborgenſten Räume der Schöpfung mit Leben erfüllt. Wirwollen hier bei den Geſchlechtern der Pflanzen verweilen; dennauf ihrem Daſein beruht das Daſein der thieriſchen Schöpfung.Unabläſſig ſind ſie bemüht, den rohen Stoff der Erde organiſchan einander zu reihen, und vorbereitend, durch lebendige Kraft,zu miſchen, was nach tauſend Umwandlungen zur regſamenNervenfaſer veredelt wird. Derſelbe Blick, den wir auf die Ver-breitung der Pflanzendecke heften, enthüllt uns die Fülle desthieriſchen Lebens, das von jener genährt und erhalten wird. Ungleich iſt der Teppich gewebt, den die blüthenreiche Floraüber den nackten Erdkörper ausbreitet: dichter, wo die Sonnehöher an dem nie bewölkten Himmel emporſteigt; lockerer gegendie trägen Pole hin, wo der wiederkehrende Froſt bald die ent-wickelte Knoſpe tödtet, bald die reifende Frucht erhaſcht. Dochüberall darf der Menſch ſich der nährenden Pflanzen erfreuen.Trennt im Meeresboden ein Vulcan die kochende Fluth und ſchiebtplötzlich (wie einſt zwiſchen den griechiſchen Inſeln) einen ſchlacki-gen Fels empor; oder erheben (um an eine friedlichere Natur-erſcheinung zu erinnern) auf einem unterſeeiſchen Gebirgsrückendie einträchtigen Lithophyten ihre zelligen Wohnungen, bis ſie,nach Jahrtauſenden über den Waſſerſpiegel hervorragend, abſter-ben und ein flaches Koralleneiland bilden: ſo ſind die organiſchenKräfte ſogleich bereit den todten Fels zu beleben. Was denSamen ſo plötzlich herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde,oder die Wogen des Meeres, iſt bei den großen Entfernungender Küſten ſchwer zu entſcheiden. Aber auf dem nackten Steine,ſobald ihn zuerſt die Luft berührt, bildet ſich in den nordiſchenLändern ein Gewebe ſammetartiger Faſern, welche dem unbewaff-neten Auge als farbige Flecken erſcheinen. Einige ſind durchhervorragende Linien bald einfach, bald doppelt begränzt; andereſind in Furchen durchſchnitten und in Fächer getheilt. Mit zu-nehmendem Alter verdunkelt ſich ihre lichte Farbe. Das fern-leuchtende Gelb wird braun, und das bläuliche Grau der Lepra-rien verwandelt ſich nach und nach in ein ſtaubartiges Schwarz.Die Gränzen der alternden Decke fließen in einander, und aufdem dunkeln Grunde bilden ſich neue, cirkelrunde Flechten vonblendender Weiße. So lagert ſich ſchichtenweiſe ein organiſchesGewebe auf das andere; und wie das ſich anſiedelnde Menſchen-geſchlecht beſtimmte Stufen der ſittlichen Cultur durchlaufen muß,ſo iſt die allmählige Verbreitung der Pflanzen an beſtimmtephyſiſche Geſetze gebunden. Wo jetzt hohe Waldbäume ihre Gipfelluftig erheben, da überzogen einſt zarte Flechten das erdenloſeGeſtein. Laubmooſe, Gräſer, krautartige Gewächſe und Sträucherfüllen die Kluft der langen, aber ungemeſſenen Zwiſchenzeit aus.Was im Norden Flechten und Mooſe, das bewirken in den Tropen |767| Portulaca, Gomphrenen und andere fette niedrige Uferpflanzen.Die Geſchichte der Pflanzendecke und ihre allmählige Ausbreitungüber die öde Erdrinde hat ihre Epochen, wie die Geſchichte derwandernden Thierwelt. Iſt aber auch die Fülle des Lebens überall verbreitet, iſt derOrganismus auch unabläſſig bemüht, die durch den Tod ent-feſſelten Elemente zu neuen Geſtalten zu verbinden: ſo iſt dieſeLebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Verſchiedenheit derHimmelsſtriche verſchieden. Periodiſch erſtarrt die Natur in derkalten Zone; denn Flüſſigkeit iſt Bedingniß zum Leben. Thiereund Pflanzen (Laubmooſe und andere Kryptogamen abgerechnet)liegen hier viele Monate hindurch im Winterſchlaf vergraben.In einem großen Theile der Erde haben daher nur ſolche orga-niſche Weſen ſich entwickeln können, welche einer beträchtlichenEntziehung von Wärmeſtoff widerſtehen und ohne Blattorganeeiner langen Unterbrechung der Lebensfunctionen fähig ſind. Jenäher dagegen den Tropen, deſto mehr nimmt Mannigfaltigkeitder Geſtaltung, Anmuth der Form und des Farbengemiſches,ewige Jugend und Kraft des organiſchen Lebens zu. Dieſe Zunahme kann leicht von denen bezweifelt werden,welche nie unſern Welttheil verlaſſen oder das Studium der all-gemeinen Erdkunde vernachläſſigt haben. Wenn man aus unſerndicklaubigen Eichenwäldern über die Alpen- oder Pyrenäenkettenach Wälſchland oder Spanien hinabſteigt; wenn man gar ſeinenBlick auf einige afrikaniſche Küſtenländer des Mittelmeers richtet:ſo wird man leicht zu dem Fehlſchluſſe verleitet, als ſei Baum-loſigkeit der Charakter heißer Klimate. Aber man vergißt, daßdas ſüdliche Europa eine andere Geſtalt hatte, als pelasgiſcheoder karthagiſche Pflanzvölker ſich zuerſt darin feſtſetzten; manvergißt, daß frühere Bildung des Menſchengeſchlechts die Wal-dungen verdrängt, und daß der umſchaffende Geiſt der Nationender Erde allmählig den Schmuck raubt, welcher uns in demNorden erfreut, und welcher (mehr, als alle Geſchichte) die Ju-gend unſerer ſittlichen Cultur anzeigt. Die große Kataſtrophe,durch welche das Mittelmeer ſich gebildet, indem es, ein anſchwel-lendes Binnenwaſſer, die Schleuſen der Dardanellen und dieSäulen des Hercules durchbrochen, dieſe Kataſtrophe ſcheint dieangränzenden Länder eines großen Theils ihrer Dammerde be-raubt zu haben. Was bei den griechiſchen Schriftſtellern von denſamothraciſchen Sagen erwähnt wird, deutet die Neuheit dieſerzerſtörenden Naturveränderung an. Auch iſt in allen Ländern,welche das Mittelmeer beſpült, und welche Tertiärkalk und untereKreide (Nummuliten und Neokomien) charakteriſiren, ein großerTheil der Erdoberfläche nackter Fels. Das Maleriſche italiäni-ſcher Gegenden beruht vorzüglich auf dieſem lieblichen Contraſtezwiſchen dem unbelebten öden Geſtein und der üppigen Vegetation,welche inſelförmig darin aufſproßt. Wo dieſes Geſtein, minderzerklüftet, die Waſſer auf der Oberfläche zuſammenhält, wo dieſemit Erde bedeckt iſt (wie an den reizenden Ufern des Albaner |768| Sees), da hat ſelbſt Italien ſeine Eichenwälder, ſo ſchattig undgrün, als der Bewohner des Nordens ſie wünſcht. Auch die Wüſten jenſeits des Atlas und die unermeßlichenEbnen oder Steppen von Südamerika ſind als bloße Localerſchei-nungen zu betrachten. Dieſe findet man, in der Regenzeit we-nigſtens, mit Gras und niedrigen, faſt krautartigen Mimoſenbedeckt; jene ſind Sandmeere im Innern des alten Continents,große pflanzenleere Räume, mit ewig grünen waldigen Ufern um-geben. Nur einzeln ſtehende Fächerpalmen erinnern den Wanderer,daß dieſe Einöden Theile einer belebten Schöpfung ſind. Imtrügeriſchen Lichtſpiele, das die ſtrahlende Wärme erregt, ſiehtman bald den Fuß dieſer Palmen frei in der Luft ſchweben, baldihr umgekehrtes Bild in den wogenartig zitternden Luftſchichtenwiederholt. Auch weſtlich von der peruaniſchen Andeskette, anden Küſten des Stillen Meeres, haben wir Wochen gebraucht,um ſolche waſſerleere Wüſten zu durchſtreichen. Der Urſprung derſelben, dieſe Pflanzenloſigkeit großer Erd-ſtrecken, in Gegenden, wo umher die kraftvollſte Vegetation herrſcht,iſt ein wenig beachtetes geognoſtiſches Phänomen, welches ſichunſtreitig auf alte Naturrevolutionen (auf Ueberſchwemmungenoder vulcaniſche Umwandlungen der Erdrinde) gründet. Hat eineGegend einmal ihre Pflanzendecke verloren, iſt der Sand beweg-lich und quellenleer, hindert die heiße, ſenkrecht aufſteigende Luftden Niederſchlag der Wolken; ſo vergehen Jahrtauſende, ehe vonden grünen Ufern aus organiſches Leben in das Innere derEinöde dringt. Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu umfaſſen, undvon Localphänomenen zu abſtrahiren weiß, der ſieht, wie mit Zu-nahme der belebenden Wärme, von den Polen zum Aequator hin,ſich auch allmählig organiſche Kraft und Lebensfülle vermehren.Aber bei dieſer Vermehrung ſind doch jedem Erdſtriche beſondereSchönheiten vorbehalten: den Tropen Mannichfaltigkeit und Größeder Pflanzenformen; dem Norden der Anblick der Wieſen unddas periodiſche Wiedererwachen der Natur beim erſten Wehen derFrühlingslüfte. Jede Zone hat außer den ihr eigenen Vorzügenauch ihren eigenthümlichen Charakter. Die urtiefe Kraft der Or-ganiſation feſſelt, trotz einer gewiſſen Freiwilligkeit im abnormenEntfalten einzelner Theile, alle thieriſche und vegetabiliſche Ge-ſtaltung an feſte, ewig wiederkehrende Typen. So wie man aneinzelnen organiſchen Weſen eine beſtimmte Phyſiognomie erkennt;wie beſchreibende Botanik und Zoologie, im engern Sinne desWorts, faſt nichts als Zergliederung der Thier- und Pflanzen-formen ſind: ſo gibt es auch eine gewiſſe Naturphyſiognomie,welche jedem Himmelsſtriche ausſchließlich zukommt. Was der Maler mit den Ausdrücken Schweizer Natur, ita-liäniſcher Himmel, bezeichnet, gründet ſich auf das dunkle Gefühldieſes localen Naturcharakters. Luftbläue, Beleuchtung, Duft,der auf der Ferne ruht, Geſtalt der Thiere, Saftfülle der Kräuter,Glanz des Laubes, Umriß der Berge — alle dieſe Elemente |769| beſtimmen den Totaleindruck einer Gegend. Zwar bilden unterallen Zonen dieſelben Gebirgsarten: Trachyt, Baſalt, Porphyr-ſchiefer und Dolomit, Felsgruppen von einerlei Phyſiognomie.Die Grünſteinklippen in Südamerika und Mexico gleichen denendes deutſchen Fichtelgebirges, wie unter den Thieren die Formdes Allco oder der urſprünglichen Hunderace des neuen Conti-nents mit der der europäiſchen Race übereinſtimmt. Denn dieunorganiſche Rinde der Erde iſt gleichſam unabhängig von klima-tiſchen Einflüſſen: ſei es, daß der Unterſchied der Klimate, ſoweiter von der geographiſchen Breite abhängt, neuer als das Geſteiniſt; ſei es, daß die erhärtende, Wärme leitende und Wärme ent-bindende Erdmaſſe ſich ſelbſt ihre Temperatur gab, ſtatt ſie vonaußen zu empfangen. Alle Formationen ſind daher allen Welt-gegenden eigen, und in allen gleichgeſtaltet. Ueberall bildet derBaſalt Zwillingsberge und abgeſtumpfte Kegel; überall erſcheintder Trapporphyr in grotesken Felsmaſſen, der Granit in ſanft-rundlichen Kuppen. Auch ähnliche Pflanzenformen, Tannen undEichen, bekränzen die Berggehänge in Schweden wie die des ſüd-lichſten Theils von Mexico. Und bei aller dieſer Uebereinſtim-mung in den Geſtalten, bei dieſer Gleichheit der einzelnen Um-riſſe, nimmt die Gruppirung derſelben zu einem Ganzen doch denverſchiedenſten Charakter an. So wie die oryktognoſtiſche Kenntniß der Geſteinarten ſichvon der Gebirgslehre unterſcheidet, ſo iſt von der individuellenNaturbeſchreibung die allgemeine, oder die Phyſiognomik der Natur,verſchieden. Georg Forſter in ſeinen Reiſen und in ſeinenkleinen Schriften; Goethe in den Naturſchilderungen, welche ſomanche ſeiner unſterblichen Werke enthalten; Buffon, Bernar-din de St. Pierre und Chateaubriand haben mit unnach-ahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner Himmelsſtriche ge-ſchildert. Solche Schilderungen ſind aber nicht bloß dazu geeignet,dem Gemüthe einen Genuß der edelſten Art zu verſchaffen; nein,die Kenntniß von dem Naturcharakter verſchiedener Weltgegendeniſt mit der Geſchichte des Menſchengeſchlechts und mit der ſeinerCultur aufs innigſte verknüpft. Denn wenn auch der Anfangdieſer Cultur nicht durch phyſiſche Einflüſſe allein beſtimmt wird,ſo hängt doch die Richtung derſelben, ſo hangen Volkscharakter,düſtere oder heitere Stimmung der Menſchheit großentheils vonklimatiſchen Verhältniſſen ab. Wie mächtig hat der griechiſcheHimmel auf ſeine Bewohner gewirkt! Wie ſind nicht in demſchönen und glücklichen Erdſtriche zwiſchen dem Euphrat, demHalis und dem ägäiſchen Meere die ſich anſiedelnden Völker zu-erſt zu ſittlicher Anmuth und zarteren Gefühlen erwacht! Undhaben nicht, als Europa in neue Barbarei verſank, und religiöſeBegeiſterung plötzlich den heiligen Orient öffnete, unſere Vor-ältern aus jenen milden Thälern von neuem mildere Sitten heim-gebracht? Die Dichterwerke der Griechen und die rauheren Ge-ſänge der nordiſchen Urvölker verdankten größtentheils ihren eigen-thümlichen Charakter der Geſtalt der Pflanzen und Thiere, den |770| Gebirgsthälern, die den Dichter umgaben, und der Luft, die ihnumwehte. Wer fühlt ſich nicht, um ſelbſt nur an nahe Gegen-ſtände zu erinnern, anders geſtimmt in dem dunkeln Schatten derBuchen, oder auf Hügeln, die mit einzeln ſtehenden Tannen be-kränzt ſind, oder auf der Grasflur, wo der Wind in dem zittern-den Laube der Birke ſäuſelt! Melancholiſche, ernſt erhebende,oder fröhliche Bilder rufen dieſe vaterländiſchen Pflanzengeſtaltenin uns hervor. Der Einfluß der phyſiſchen Welt auf die mora-liſche, dies geheimnißvolle Ineinanderwirken des Sinnlichen undAußerſinnlichen gibt dem Naturſtudium, wenn man es zu höherenGeſichtspunkten erhebt, einen eigenen, noch zu wenig erkann-ten Reiz. Wenn aber auch der Charakter verſchiedener Weltgegendenvon allen äußern Erſcheinungen zugleich abhängt; wenn Umrißder Gebirge, Phyſiognomie der Pflanzen und Thiere, wenn Him-melsbläue, Wolkengeſtalt und Durchſichtigkeit des Luftkreiſes denTotaleindruck bewirken: ſo iſt doch nicht zu läugnen, daß dasHauptbeſtimmende dieſes Eindruckes die Pflanzendecke iſt. Demthieriſchen Organismus fehlt es an Maſſe, die Beweglichkeit derIndividuen und oft ihre Kleinheit entziehen ſie unſern Blicken.Die Pflanzenſchöpfung dagegen wirkt durch die ſtetige Größe aufunſere Einbildungskraft. Ihre Maſſe bezeichnet ihr Alter, undin den Gewächſen allein ſind Alter und Ausdruck ſtets ſich er-neuernder Kraft mit einander gepaart. Der rieſenförmige Drachen-baum, den ich auf den canariſchen Inſeln ſah, und der 16 Schuhim Durchmeſſer hat, trägt noch immerdar (gleichſam in ewigerJugend) Blüthe und Frucht. Als franzöſiſche Abenteurer, die Bethencourts, im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts, dieglücklichen Inſeln eroberten, war der Drachenbaum von Orotava(den Eingebornen heilig wie der Oelbaum in der Burg zu Athen,oder die Ulme zu Epheſus) von eben der koloſſalen Stärke alsjetzt. In den Tropen iſt ein Wald von Hymeneen und Cäſal-pinien vielleicht das Denkmal von mehr als einem Jahrtauſend. Umfaßt man mit Einem Blick die verſchiedenen Pflanzenarten,welche bereits den Herbarien einverleibt ſind, und deren Zahljetzt auf weit mehr denn 80000 geſchätzt wird, ſo erkennt manin dieſer wundervollen Menge gewiſſe Hauptformen, auf welche ſichviele andere zurückführen laſſen. Zur Beſtimmung dieſer Typen, vonderen individueller Schönheit, Vertheilung und Gruppirung diePhyſiognomie der Vegetation eines Landes abhängt, muß mannicht (wie in den botaniſchen Syſtemen aus andern Beweggrün-den geſchieht) auf die kleinſten Theile der Blüthen und Früchte,ſondern nur auf das Rückſicht nehmen, was durch Maſſe denTotaleindruck einer Gegend individualiſirt. Unter den Haupt-formen der Vegetation gibt es allerdings ganze Familien der ſo-genannten natürlichen Syſteme. Bananengewächſe und Palmen,Caſuarineen und Coniferen werden auch in dieſen einzeln auf-geführt. Aber der botaniſche Syſtematiker trennt eine Menge vonPflanzengruppen, welche der Phyſiognomiker ſich gezwungen ſieht |771| mit einander zu verbinden. Wo die Gewächſe ſich als Maſſendarſtellen, fließen Umriſſe und Vertheilung der Blätter, Geſtaltder Stämme und Zweige in einander. Der Maler (und geradedem feinen Naturgefühle des Künſtlers kommt hier der Ausſpruchzu!) unterſcheidet in dem Mittel- und Hintergrunde einer Land-ſchaft Tannen- oder Palmengebüſche von Buchen-, nicht aberdieſe von andern Laubholzwäldern. Sechszehn Pflanzenformen beſtimmen hauptſächlich die Phy-ſiognomie der Natur. Ich zähle nur diejenigen auf, welche ichbei meinen Reiſen durch beide Welttheile, und bei einer viel-jährigen Aufmerkſamkeit auf die Vegetation der verſchiedenenHimmelsſtriche zwiſchen dem 60ten Grade nördlicher und dem12ten Grade ſüdlicher Breite beobachtet habe. Gewiß wird dieZahl dieſer Formen anſehnlich vermehrt werden, wenn man einſtin das Innere der Continente tiefer eindringt und neue Pflanzen-gattungen entdeckt. Im ſüdöſtlichen Aſien, im Innern von Afrika und Neuholland, in Südamerika vom Amazonenſtrome bis zu derProvinz Chiquitos hin, iſt uns die Vegetation noch völlig un-bekannt. Wie, wenn man einmal ein Land entdeckte, in demholzige Schwämme oder Mooſe hohe Bäume bildeten? Neckeradendroïdes, ein deutſches Laubmoos, iſt in der That baumartig,und die Bambuſaceen (baumartige Gräſer), tropiſchen Farren-kräuter, oft höher als unſere Linden und Erlen, ſind für denEuropäer noch jetzt ein ebenſo überraſchender Anblick, als demerſten Entdecker ein Wald hoher Laubmooſe ſein würde! Dieabſolute Größe und der Grad der Entwicklung, welche die Orga-nismen erreichen, die zu einer Familie gehören, werden durchnoch unerkannte Geſetze bedingt .... Bei den Landthieren ſcheinenvorzüglich Temperaturverhältniſſe, von den Breitengraden abhängig,die organiſche Entwicklung genetiſch begünſtigt zu haben. Diekleine und ſchlanke Form unſerer Eidechſe dehnt ſich im Südenzu dem koloſſalen, ſchwerfälligen, gepanzerten Körper furchtbarerKrokodile aus. In den ungeheuren Katzen vonAfrikaund Ame-rika, im Tiger, im Löwen und Jaguar, iſt die Geſtalt einesunſerer kleinſten Hausthiere nach einem größern Maßſtabe wieder-holt. Dringen wir gar in das Innere der Erde, durchwühlenwir die Grabſtätte der Pflanzen und Thiere, ſo verkündigen unsdie Verſteinerungen nicht bloß eine Vertheilung der Formen, diemit den jetzigen Klimaten in Widerſpruch ſteht; nein, ſie zeigenuns auch koloſſale Geſtalten, welche mit denen, die uns gegen-wärtig umgeben, nicht minder contraſtiren als die erhabenen,einfachen Heldennaturen der Hellenen mit dem, was unſre Zeitmit dem Worte Charaktergröße bezeichnet. Hat die Temperaturdes Erdkörpers beträchtliche, vielleicht periodiſch wiederkehrendeVeränderungen erlitten; iſt das Verhältniß zwiſchen Meer undLand, ja ſelbſt die Höhe des Luftoceans und ſein Druck nichtimmer derſelbe geweſen: ſo muß die Phyſiognomie der Natur, ſomüſſen Größe und Geſtalt des Organismus ebenfalls ſchon manchemWechſel unterworfen geweſen ſein. Mächtige Pachydermen (Dick- |772| häuter), elephantenartige Maſtodonten, Owen’s mylodon robustus, und die Koloſſochelys, eine Landſchildkröte von ſechs Fuß Höhe,bevölkerten vormals die Waldung, welche aus rieſenartigen Lepi-dodendren, cactusähnlichen Stigmarien und zahlreichen Geſchlech-tern der Cycadeen beſtand. Unfähig dieſe Phyſiognomie desalternden Planeten nach ihren gegenwärtigen Zügen vollſtändigzu ſchildern, wage ich nur diejenigen Charaktere auszuheben, welchejeder Pflanzengruppe vorzüglich zukommen. Bei allem Reichthumund aller Biegſamkeit unſerer vaterländiſchen Sprache iſt es dochein ſchwieriges Unternehmen, mit Worten zu bezeichnen, was eigent-lich nur der nachahmenden Kunſt des Malers darzuſtellen geziemt.Auch wünſchte ich, das Ermüdende des Eindrucks zu vermeiden, dasjede Aufzählung einzelner Formen unausbleiblich erregen muß. Wir beginnen mit den Palmen, der höchſten und edelſtenaller Pflanzengeſtalten; denn ihr haben ſtets die Völker (und diefrüheſte Menſchenbildung war in der aſiatiſchen Palmenwelt, wiein dem Erdſtriche, der zunächſt an die Palmenwelt gränzt) denPreis der Schönheit zuerkannt. Hohe, ſchlanke, geringelte, bis-weilen ſtachlige Schäfte mit anſtrebendem, glänzendem, bald ge-fächertem, bald gefiedertem Laube. Die Blätter ſind oft grasartiggekräuſelt. Der glatte Stamm erreicht bis 180 Fuß Höhe. DiePalmenform nimmt an Pracht und Größe ab vom Aequator gegen die gemäßigte Zone hin. Europa hat unter ſeinen ein-heimiſchen Gewächſen nur Einen Repräſentanten dieſer Form,die zwergartige Küſtenpalme, den Chamärops, der in Spanienund Italien ſich nördlich bis zum 44ſten Breitengrade erſtreckt.Das eigentliche Palmenklima der Erde hat zwiſchen 20½° und22° Reaum. mittlerer jährlicher Wärme. Aber die aus Afrika zu uns gebrachte Dattelpalme, welche minder ſchön als andereArten dieſer Gruppe iſt, vegetirt noch im ſüdlichen Europa inGegenden, deren mittlere Temperatur 12° bis 13½° beträgt.Palmenſtämme und Elephantengerippe liegen im nördlichen Europaim Innern der Erde vergraben, und ihre Lage macht es wahr-ſcheinlich, daß ſie nicht von den Tropen her gegen Norden ge-ſchwemmt wurden, ſondern daß in den großen Revolutionen unſeresPlaneten die Klimate, wie die durch ſie beſtimmte Phyſiognomieder Natur, vielfach verändert worden ſind. Zu den Palmen geſellt ſich in allen Welttheilen die Piſang-oder Bananenform, die Scitamineen und Muſaceen der Bo-taniker, Heliconia, Amomum, Strelitzia; ein niedrigeraber ſaftreicher, faſt krautartiger Stamm, an deſſen Spitze ſichdünn- und lockergewebte, zartgeſtreifte, ſeidenartig glänzendeBlätter erheben. Piſanggebüſche ſind der Schmuck feuchter Ge-genden. Auf ihrer Frucht beruht die Nahrung aller Bewohnerdes heißen Erdgürtels. Wie die mehlreichen Cerealien oder Ge-treidearten des Nordens, ſo begleiten Piſangſtämme den Menſchenſeit der früheſten Kindheit ſeiner Cultur. Semitiſche Sagen ſetzendie urſprüngliche Heimath dieſer nährenden Tropenpflanze an denEuphrat, andere mit mehr Wahrſcheinlichkeit an den Fuß des |773| Himalayagebirges in Indien. Griechiſche Sagen nennen die Ge-filde von Enna als das glückliche Vaterland der Cerealien. Wenndie ſiculiſchen Früchte der Ceres, durch die Cultur über die nörd-liche Erde verbreitet, nur einförmige weitgedehnte Grasflurenbildend, wenig den Anblick der Natur verſchönern, ſo vervielfachtdagegen der ſich anſiedelnde Tropenbewohner durch Piſangpflan-zungen eine der herrlichſten und edelſten Geſtalten. Die Form der Malvaceen und Bombaceen iſt dargeſtelltdurch Ceiba, Cavanilleſia und den mexicaniſchen Händebaum, Cheirostemon: koloſſaliſch dicke Stämme mit zartwolligen, großen,herzförmigen, oder eingeſchnittenen Blättern, und prachtvollen,oft purpurrothen Blüthen. Zu dieſer Pflanzengruppe gehört derAffenbrotbaum, Adansonia digitata, welcher bei mäßiger Höhebisweilen 30 Fuß Durchmeſſer hat und wahrſcheinlich das größteund älteſte organiſche Denkmal auf unſerm Planeten iſt. InItalien fängt die Malvenform bereits an, der Vegetation eineneigenthümlichen ſüdlichen Charakter zu geben. Dagegen entbehrt unſere gemäßigte Zone im alten Continent leider ganz die zartgefiederten Blätter, die Form der Mimoſen;ſie herrſcht durch Acacia, Desmanthus, Gleditschia, Por-leria, Tamarindus. Den vereinigten Staaten von Nordame-rika, in denen unter gleicher Breite die Vegetation mannichfaltigerund üppiger als in Europa iſt, fehlt dieſe ſchöne Form nicht.Bei den Mimoſen iſt eine ſchirmartige Verbreitung der Zweige,faſt wie bei den italiäniſchen Pinien, gewöhnlich. Die tiefeHimmelsbläue des Tropenklima’s, durch die zartgefiederten Blätterſchimmernd, iſt von überaus maleriſchem Effecte. Eine meiſt afrikaniſche Pflanzengruppe ſind die Heidekräu-ter; dahin gehören, dem phyſiognomiſchen Charakter oder all-gemeinen Anblick nach, auch die Epacrideen und Diosmeen, vieleProteaceen, und die auſtraliſchen Akacien mit bloßen Blattſtiel-blättern (Phyllodien): eine Gruppe, die mit der der Nadelhölzereinige Aehnlichkeit hat, und eben deshalb oft mit dieſer, durchdie Fülle glockenförmiger Blüthen, deſto reizender contraſtirt. Diebaumartigen Heidekräuter, wie einige andere afrikaniſche Gewächſe,erreichen das nördliche Ufer des Mittelmeers. Sie ſchmückenWälſchland und die Ciſtusgebüſche des ſüdlichen Spaniens. Amüppigſten wachſend habe ich ſie auf Teneriffa, am Abhange des Pics von Teyde, geſehen. In den baltiſchen Ländern undweiter nach Norden hin iſt dieſe Pflanzenform gefürchtet, Dürreund Unfruchtbarkeit verkündigend. Unſere Heidekräuter, Erica (Calluna) vulgaris, E. tetralis, E. carnea und E. cinerea ſind gemeinſchaftlich lebende Gewächſe, gegen deren fortſchreitendenZug die ackerbauenden Völker ſeit Jahrhunderten mit wenigemGlücke ankämpfen. Sonderbar, daß der Hauptrepräſentant derFamilie bloß Einer Seite unſeres Planeten eigen iſt. Von den300 jetzt bekannten Arten von Erica findet ſich eine einzige nurim neuen Continent von Pennſylvanien und Labrador bis gegenNutka und Alaſchka hin. |774| Dagegen iſt bloß dem neuen Continent eigenthümlich die Cactusform: bald kugelförmig, bald gegliedert, bald in hohenvieleckigen Säulen, wie Orgelpfeifen, aufrechtſtehend. DieſeGruppe bildet den auffallendſten Contraſt mit der Geſtalt derLiliengewächſe und der Bananen. Sie gehört zu den Pflanzen,welche Bernardin de St. Pierre ſehr glücklich vegetabiliſcheQuellen der Wüſte nennt. In den waſſerleeren Ebnen von Süd-amerika ſuchen die von Durſt geängſtigten Thiere den Melonen-cactus, eine kugelförmige, halb im dürren Sande verborgenePflanze, deren ſaftreiches Innere unter furchtbaren Stacheln ver-ſteckt iſt. Die ſäulenförmigen Cactusſtämme erreichen bis 30 FußHöhe, und candelaberartig getheilt, erinnern ſie, durch Aehnlich-keit der Phyſiognomie, an einige afrikaniſche Euphorbien. Wie dieſe grüne Oaſen in den pflanzenleeren Wüſten bil-den, ſo beleben die Orchideen den vom Licht verkohlten Stammder Tropenbäume und die ödeſten Felſenritzen. Die Vanillenformzeichnet ſich aus durch hellgrüne ſaftvolle Blätter, wie durch viel-farbige Blüthen von wunderbarem Baue. Die Orchideenblüthengleichen bald geflügelten Inſecten, bald den Vögeln, welche derDuft der Honiggefäße anlockt. Das Leben eines Malers wärenicht hinlänglich, um, auch nur einen beſchränkten Raum durch-muſternd, die prachtvollen Orchideen abzubilden, welche die tiefausgefurchten Gebirgsthäler der peruaniſchen Andeskette zieren. Blattlos, wie faſt alle Cactusarten, iſt die Form der Ca-ſuarinen, einer Pflanzengeſtalt, bloß der Südſee und Oſtindieneigen, Bäume mit ſchachtelhalmähnlichen Zweigen. Doch findenſich auch in andern Erdſtrichen Spuren dieſes mehr ſonderbarenals ſchönen Typus. Plumier’s Equisetum altissimum, Fors-kal’s Ephedra aphylla aus Nordafrika, die peruaniſchen Colletienund das ſibiriſche Calligonum Pallasia, ſind der Caſuarinen-form nahe verwandt. So wie in den Piſanggewächſen die höchſte Ausdehnung,ſo iſt in den Caſuarinen und in den Nadelhölzern die höchſteZuſammenziehung der Blattgefäße. Tannen, Thuja und Cypreſſenbilden eine nordiſche Form, welche in den Tropen ſeltener iſt,und in einigen Coniferen (Dammara, Salisburia) ein breitblätte-riges Nadellaub zeigt. Ihr ewig friſches Grün erheitert die ödeWinterlandſchaft. Es verkündiget gleichſam den Polarvölkern,daß, wenn Schnee und Eis den Boden bedecken, das innere Lebender Pflanzen, wie das Prometheiſche Feuer, nie auf unſrem Pla-neten erliſcht. Paraſitiſch, wie bei uns Mooſe und Flechten, überziehen inder Tropenwelt außer den Orchideen auch die Pothosgewächſe den alternden Stamm der Waldbäume. Saftige, krautartige Stengelerheben große, bald pfeilförmige, bald gefingerte, bald längliche,aber ſtets dick-adrige Blätter. Die Blüthen der Aroideen, ihreLebenswärme erhöhend, ſind in Scheiden eingehüllt; ſtammlostreiben ſie Luftwurzeln. Verwandte Formen ſind: Pothos,Dracontium, Caladium, Arum; das letzte bis zu den Küſten |775| des Mittelmeeres fortſchreitend, in Spanien und Italien mitſaftvollem Huflattig, mit hohen Diſtelſtauden und Acanthus die Ueppigkeit des ſüdlichen Pflanzenwuchſes bezeichnend. Zu dieſer Arumform geſellt ſich die Form der tropiſchen Lianen, in den heißen Erdſtrichen von Südamerika in vorzüg-lichſter Kraft der Vegetation: Paullinia, Banisteria, Big-nonien und Paſſifloren. Unſer rankender Hopfen und unſereWeinreben erinnern an dieſe Pflanzengeſtalt der Tropenwelt. AmOrinoco haben die blattloſen Zweige der Bauhinien oft 40 FußLänge. Sie fallen theils ſenkrecht aus dem Gipfel hoher Swie-tenien herab, theils ſind ſie ſchräg wie Maſttaue ausgeſpannt,und die Tigerkatze hat eine bewunderungswürdige Geſchicklichkeit,daran auf- und abzuklettern. Mit den biegſamen, ſich rankenden Lianen, mit ihrem friſchenund leichten Grün contraſtirt die ſelbſtändige Form der bläu-lichen Aloegewächſe; Stämme, wenn ſie vorhanden ſind, faſtungetheilt, eng geringelt und ſchlangenartig gewunden. An demGipfel ſind ſaftreiche, fleiſchige, langzugeſpitzte Blätter ſtrahlen-artig zuſammengehäuft. Die hochſtämmigen Aloegewächſe bildennicht Gebüſche, wie andere geſellſchaftlich lebende Pflanzen. Sieſtehen einzeln in dürren Ebnen, und geben dadurch der Tropen-gegend oft einen eigenen melancholiſchen (man möchte ſagen afri-kaniſchen) Charakter .... Wie die Aloeform ſich durch ernſte Ruhe und Feſtigkeit, ſocharakteriſirt ſich die Grasform, beſonders die Phyſiognomieder baumartigen Gräſer, durch den Ausdruck fröhlicher Leichtigkeitund beweglicher Schlankheit. Bambusgebüſche bilden ſchattigeBogengänge in beiden Indien. Der glatte, oft geneigt hin-ſchwebende Stamm der Tropengräſer übertrifft die Höhe unſererErlen und Eichen. Schon in Italien fängt im Arundo Donax dieſe Form an ſich vom Boden zu erheben und durch Höhe undMaſſe den Naturcharakter des Landes zu beſtimmen. Mit der Geſtalt der Gräſer iſt auch die der Farren in denheißen Erdſtrichen veredelt. Baumartige, bis 40 Fuß hohe Farrenhaben ein palmenartiges Anſehen; aber ihr Stamm iſt minderſchlank, kürzer, ſchuppig-rauher, als der der Palmen. Das Laubiſt zarter, locker gewebt, durchſcheinend, und an den Rändernſauber ausgezackt. Dieſe koloſſalen Farrenkräuter ſind faſt aus-ſchließlich den Tropen eigen; aber in dieſen ziehen ſie ein ge-mäßigtes Klima dem ganz heißen vor. Da nun die Milderungder Hitze bloß eine Folge der Höhe iſt, ſo darf man Gebirge, diezwei- bis dreitauſend Fuß über dem Meere erhaben ſind, als denHauptſitz dieſer Form nennen. Hochſtämmige Farrenkräuter be-gleiten in Süd-Amerika den wohlthätigen Baum, der die heilendeFieberrinde darbietet. Beide bezeichnen die glückliche Region derErde, in welcher ewige Milde des Frühlings herrſcht. Noch nenne ich die Form der Liliengewächſe (Ama-ryllis, Ixia, Gladiolus, Pancratium) mit ſchilfartigenBlättern und prachtvollen Blüthen, eine Form, deren Hauptvaterland |776| das ſüdlicheAfrikaiſt; ferner die Weidenform, in allenWelttheilen einheimiſch, und in den Hochebenen von Quito, nichtdurch die Geſtalt der Blätter, ſondern durch die der Verzweigung,in Schinus molle wiederholt; Myrtengewächſe (Medro-sideros, Eucalyptus, Escallonia myrtilloides), Mela-ſtomen und Lorbeer-Form. Es wäre ein Unternehmen, eines großen Künſtlers werth,den Charakter aller dieſer Pflanzengruppen nicht in Treibhäuſernoder in den Beſchreibungen der Botaniker, ſondern in der großenTropen-Natur ſelbſt zu ſtudiren. Wie intereſſant und lehrreichfür den Landſchaftsmaler wäre ein Werk, welches dem Auge dieaufgezählten ſechzehn Hauptformen, erſt einzeln und dann in ihremContraſte gegen einander, darſtellte! Was iſt maleriſcher, alsbaumartige Farren, die ihre zartgewebten Blätter über die mexi-caniſchen Lorbeer-Eichen ausbreiten! Was reizender, als Piſang-gebüſche von hohen Guadua- und Bambusgräſern umſchattet! DemKünſtler iſt es gegeben die Gruppen zu zergliedern, und unterſeiner Hand löst ſich (wenn ich den Ausdruck wagen darf) dasgroße Zauberbild der Natur, gleich den geſchriebenen Werken derMenſchen, in wenige einfache Züge auf! Am glühenden Sonnenſtrahl des tropiſchen Himmels gedeihendie herrlichſten Geſtalten der Pflanzen. Wie im kalten Nordendie Baumrinde mit dürren Flechten und Laubmooſen bedeckt iſt,ſo beleben dort Cymbidium und duftende Vanille den Stamm derAnacardien und der rieſenmäßigen Feigenbäume. Das friſcheGrün der Pothosblätter und der Dracontien contraſtirt mit denvielfarbigen Blüthen der Orchideen. Rankende Bauhinien, Paſ-ſifloren und gelbblühende Baniſterien umſchlingen den Stamm derWaldbäume. Zarte Blumen entfalten ſich aus den Wurzeln der Theobroma, wie aus der dichten und rauhen Rinde der Creſ-centien und der Gustavia. Bei dieſer Fülle von Blüthen undBlättern, bei dieſem üppigen Wuchſe und der Verwirrung ran-kender Gewächſe wird es oft dem Naturforſcher ſchwer zu erken-nen, welchem Stamme Blüthen und Blätter zugehören. Eineinziger Baum, mit Paullinien, Bignonien und Dendrobium ge-ſchmückt, bildet eine Gruppe von Pflanzen, welche, von einandergetrennt, einen beträchtlichen Erdraum bedecken würden. In den Tropen ſind die Gewächſe ſaftſtrotzender, von friſcheremGrün, mit größeren und glänzenderen Blättern gezieret als in dennördlichern Erdſtrichen. Geſellſchaftlich lebende Pflanzen, welchedie europäiſche Vegetation ſo einförmig machen, fehlen beim Aequator beinähe gänzlich. Bäume, faſt zweimal ſo hoch alsunſere Eichen, prangen dort mit Blüthen, welche groß und pracht-voll wie unſere Lilien ſind. An den ſchattigen Ufern des Mag-dalenenfluſſes in Süd-Amerika wächst eine rankende Ariſtolochia,deren Blume, von vier Fuß Umfang, ſich die indiſchen Knabenin ihren Spielen über den Scheitel ziehen. Im ſüdindiſchen Archi-pel hat die Blüthe der Rafflesia faſt drei Fuß Durchmeſſer undwiegt über 14 Pfund. |777| Die außerordentliche Höhe, zu welcher ſich unter den Wende-kreiſen nicht bloß einzelne Berge, ſondern ganze Länder erheben,und die Kälte, welche Folge dieſer Höhe iſt, gewähren dem Tro-penbewohner einen ſeltſamen Anblick. Außer den Palmen undPiſanggebüſchen umgeben ihn auch die Pflanzenformen, welchenur den nordiſchen Ländern anzugehören ſcheinen. Cypreſſen,Tannen und Eichen, Berberisſträucher und Erlen (nahe mit denunſrigen verwandt) bedecken die Gebirgsebnen im ſüdlichen Mexico,wie die Andeskette unter dem Aequator. So hat die Natur demMenſchen in der heißen Zone verliehen, ohne ſeine Heimath zuverlaſſen, alle Pflanzengeſtalten der Erde zu ſehen; wie das Him-melsgewölbe von Pol zu Pol ihm keine ſeiner leuchtenden Weltenverbirgt. Dieſen und ſo manchen andern Naturgenuß entbehren dienordiſchen Völker. Viele Geſtirne und viele Pflanzenformen, vondieſen gerade die ſchönſten (Palmen, hochſtämmige Farren undPiſanggewächſe, baumartige Gräſer und feingefiederte Mimoſen),bleiben ihnen ewig unbekannt. Die krankenden Gewächſe, welcheunſere Treibhäuſer einſchließen, gewähren nur ein ſchwaches Bildvon der Majeſtät der Tropenvegetation. Aber in der Ausbildungunſerer Sprache, in der glühenden Phantaſie des Dichters, in derdarſtellenden Kunſt der Maler iſt eine reiche Quelle des Erſatzesgeöffnet. Aus ihr ſchöpft unſere Einbildungskraft die lebendigenBilder einer exotiſchen Natur. Im kalten Norden, in der ödenHeide, kann der einſame Menſch ſich aneignen, was in den fern-ſten Erdſtrichen erforſcht wird, und ſo in ſeinem Innern eineWelt ſich ſchaffen, welche das Werk ſeines Geiſtes, frei und un-vergänglich wie dieſer, iſt.