Digitale Ausgabe

Download
TEI-XML (Ansicht)
Text (Ansicht)
Text normalisiert (Ansicht)
Ansicht
Textgröße
Originalzeilenfall ein/aus
Zeichen original/normiert
Zitierempfehlung

Alexander von Humboldt: „Ueber die Verbreitung und den verschiedenen Charakter des organischen Lebens, besonders der Pflanzen“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1806-Fragment_aus_der-07-neu> [abgerufen am 19.04.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1806-Fragment_aus_der-07-neu
Die Versionsgeschichte zu diesem Text finden Sie auf github.
Titel Ueber die Verbreitung und den verschiedenen Charakter des organischen Lebens, besonders der Pflanzen
Jahr 1831
Ort Frankfurt am Main
Nachweis
in: Georg Ludwig Kriegk, Belehrende Darstellungen für das höhere Jugendalter, Frankfurt a. M.: Brönner 1831, S. 697–719.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken und Kreuzen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: II.42
Dateiname: 1806-Fragment_aus_der-07-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 23
Zeichenanzahl: 49236

Weitere Fassungen
Fragment aus der am 30sten Jan. 1806 in der öffentlichen Sitzung der Königl. Akademie gehaltenen Vorlesung: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Berlin, 1806, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse, von Alexander von Humboldt. Vorgelesen in der öffentlichen Sitzung der königl. preuss. Akademie der Wissenschaften am 30 Januar 1806. 29 S. 8. (Jena, 1806, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Weimar, 1806, Deutsch)
Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen von Alexander von Humboldt. Zwey Bände. Zweyte verbesserte und vermehrte Ausgabe. Stuttgart und Tübingen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1826. 12. (Stuttgart; Tübingen, 1827, Deutsch)
Die Fülle des Lebens in der Natur (Wien, 1828, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (London, 1830, Deutsch)
Ueber die Verbreitung und den verschiedenen Charakter des organischen Lebens, besonders der Pflanzen (Frankfurt am Main, 1831, Deutsch)
Ueber die Verbreitung und Mannigfaltigkeit des organischen Lebens, besonders der Pflanzen (Paris; Strasbourg, 1831, Deutsch)
О растенiяхъ [O rastenijach] (Sankt Petersburg, 1834, Russisch)
О повсемѣстномъ разлитiи жизни [O povseměstnom razlitii žizni] (Sankt Petersburg, 1834, Russisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Berlin, 1837, Deutsch)
Alexander von Humboldt (London, 1843, Deutsch)
Alexander von Humboldt (Stuttgart, 1843, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Darmstadt, 1843, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Breda, 1843, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Berlin, 1843, Deutsch)
Alexander von Humboldt (Berlin, 1844, Deutsch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Leipzig, 1843, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (München, 1845, Deutsch)
Beauties of Tropical Vegetation (Bradford, 1849, Englisch)
Beautiful Flowering Trees (Manchester, 1850, Englisch)
Beautiful Flowering Trees (Canterbury, 1850, Englisch)
Universal Diffusion of Life (Boston, Massachusetts, 1850, Englisch)
Vext-Fysiognomik (Helsinki, 1850, Schwedisch)
Beautiful Flowering Trees (Racine, Wisconsin, 1850, Englisch)
Der Pflanzenwuchs in den Tropen (London, 1850, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Stuttgart; Tübingen, 1850, Deutsch)
Beautiful Flowering Trees (Boston, Massachusetts, 1851, Englisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Frankfurt am Main, 1851, Deutsch)
Histoire de la couche végétale du globe (Paris, 1852, Französisch)
La physionomie des plantes (Liège, 1852, Französisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Wien, 1853, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Leipzig, 1853, Deutsch)
Physiognomik der Pflanzenformen (Berlin, 1853, Deutsch)
Die Physiognomik der Gewächse (Hildburghausen; New York City, New York, 1853, Deutsch)
Physiognomik der Gewächse (Stuttgart, 1854, Deutsch)
Physiognomik der Pflanzenformen (Stuttgart, 1855, Deutsch)
|697|

Ueber die Verbreitung und den verſchiede-nen Charakter des organiſchen Lebens, beſon-ders der Pflanzen.

Wenn der Menſch mit regſamem Sinne die Natur durch-forſcht, oder in ſeiner Phantaſie die weiten Raͤume der organi-ſchen Schoͤpfung miſſ’t, ſo wirkt unter den vielfachen Eindruͤcken |698| die er empfaͤngt, keiner ſo tief und maͤchtig, als der, welchendie allverbreitete Fuͤlle des Lebens erzeugt. Ueberall, ſelbſt ambeeiſ’ten Pol, ertoͤnt die Luft von dem Geſange der Voͤgel, wievon dem Sumſen ſchwirrender Inſecten. Nicht die unteren Schich-ten allein, in welchen die verdichteten Duͤnſte ſchweben, auch dieoberen aͤtheriſch-reinen ſind belebt. Denn ſo oft man den Ruͤckender peruaniſchen Cordilleren, oder, ſuͤdlich vom Leman-See, denGipfel des Weißen-Berges beſtieg, hat man ſelbſt in dieſen Ein-oͤden noch Thiere entdeckt. Am Chimborazo, faſt zweimal hoͤherals der Aetna, ſahen wir Schmetterlinge und andere gefluͤgelteInſecten *). Wenn auch, von ſenkrechten Luftſtroͤmen getrieben,ſie ſich dahin, als Fremdlinge, verirrten, wohin unruhige Forſchbe-gier des Menſchen ſorgſame Schritte leitet; ſo beweiſet ihr Da-ſein doch, daß die biegſamere animaliſche Schoͤpfung ausdauert,wo die vegetabiliſche laͤngſt ihre Grenze erreicht hat. Hoͤher, alsder Kegelberg von Teneriffa auf den ſchneebedeckten Ruͤcken derPyrenaͤen gethuͤrmt; hoͤher, als alle Gipfel der Andeskette, ſchwebteoft uͤber uns der Cundur, der Rieſe unter den Geiern **). Raub-
*) Wie kleine Singvögel und ſelbſt Schmetterlinge zuweilen beiStürmen, die vom Lande her blaſen, mitten auf dem Meere, in großenEntfernungen von den Küſten, angetroffen werden: ebenſo unwill-kürlich gelangen Inſecten 15,000 bis 18,000 Fuß hoch uͤber die Ebe-nen in die höchſte Luftregion. Die erwärmte Erdrinde veranlaßt näm-lich eine ſenkrechte Strömung, durch welche leichte Körper aufwärts ge-trieben werden. Als der Verfaſſer und Bonpland am 23ſten Junius1802 am öſtlichen Abfall des Chimborazo bis zu einer Höhe von 3016Toiſen gelangten, ſahen ſie geflügelte Inſecten um ſich ſchwirren. DieſeThierchen ſchwirrten etwa in 2850 Toiſen Höhe, 2400 Fuß höher alsder Gipfel des weißen Bergs (Montblanc). Auf Letzterem fand Sauſ-ſüre Schmetterlinge. — Die ſenkrechte Höhe des Chimborazo beträgt3350 Toiſen. (N. d. V.) Der Aetna hat 10,600 Fuß Höhe.**) Der bekannte Cundur oder Condor (Vultur gryphus) iſt dergrößte fliegende Vogel. Die größten Individuen, welche man in der Andeskette um Quito fand, maßen mit ausgeſpannten Flügeln 14, diekleinern 8 Fuß. Der Cundur iſt unter allen lebendigen Geſchöpfenwahrſcheinlich, das jenige, welches ſich willkürlich — denn kleine In-
|699| ſucht und Nachſtellung der zartwolligen Vicunna’s *), welche gem-ſenartig und heerdenweiſe in den beſchneiten Grasebenen ſchwaͤr-men, locken den maͤchtigen Vogel in dieſe Region.
Zeigt nun ſchon das unbewaffnete Auge den ganzen Luft-kreis belebt, ſo enthuͤllt noch groͤßere Wunder das bewaffnete Auge.Raͤderthiere, Brachionen, und eine Schaar mikroſkopiſcher Ge-ſchoͤpfe heben die Winde aus den trocknenden Gewaͤſſern empor.Unbeweglich und in Scheintod verſenkt, ſchweben ſie in den Luͤf-ten, bis der Thau ſie zur naͤhrenden Erde zuruͤckfuͤhrt, die Huͤlleloͤſ’t, die ihren durchſichtigen wirbelnden Koͤrper einſchließt, und(wahrſcheinlich durch den Lebensſtoff, den alles Waſſer enthaͤlt)den Organen neue Erregbarkeit einhaucht **).
ſecten werden von dem aufſteigenden Luftſtrome noch höher aufwärtsgetrieben — am weiteſten von der Oberfläche unſers Erdballs entfernt.Die Region, welche man als den gewöhnlichen Aufenthalt des Cundurbetrachten kann, fängt in der Höhe des Aetna an. Sie begreift Luft-ſchichten, die zwiſchen 1600 und 3000 Toiſen über dem Meeresſpiegel er-haben ſind. Der Verfaſſer ſah den Cundur oft in einer abſoluten Höhevon 3639 Toiſen, ja noch höher ſchweben. Es iſt eine merkwürdige phy-ſiologiſche Erſcheinung, daß derſelbe Vogel, welcher ſtundenlang in ſoluftdünnen Regionen im Kreiſe umherfliegt, ſich bisweilen plötzlich zumMeeresufer herabſenkt und in einigen Stunden gleichſam alle Klimatedurchfliegt. — Der Pic von Teneriffa hat 11,400 Fuß Höhe, und derhöchſte Gipfel der Pyrenäen, der Pic d’Anethou, (welcher 40 Toiſenhöher iſt als der Montperdu) 10,722 (1787 Toiſen). (N. d. V.)*) S. oben S. 681. Anm. 1.**) Die Räderthiere (Rotifer), kaum ſichtbare Thierchen, haben einenſpindelförmigen Leib und vorn (neben dem Mund) 2 Räder, die ausflimmernden Haaren beſtehen. Das gemeine Räderthier (B. vulgaris,Vorticella rotatoria), durch die Glaslinſe ſichtbar, lebt in ſtehenden Waſ-ſern, ſteht gewöhnlich mit dem Schwanz auf Waſſerpflanzen und kriechtauf denſelben ſpannenmeſſend fort, wie ein Blutegel. Der Schwanz be-ſteht aus mehren Röhren, die ſich wie ein Fernrohr in einander ſchieben;die Räder ſind wie dicke Fühlhörner, deren oberer Rand mit feinen Wim-pern umgeben iſt; dieſe rudern beſtändig, ſo daß es ausſieht, als liefeein Rad um; dazwiſchen iſt ein ſchnauzenähnliches Maul, welches zu einemDarm führt, auch ſind Augenpunkte vorhanden. (Oken). — Fontana er-zählt, daß es ihm glückte, ein Räderthier, welches 2 ½ Jahr getrocknet,
|700| Neben den entwickelten Geſchoͤpfen traͤgt der Luftkreis auchzahlloſe Keime kuͤnftiger Bildungen, Inſecten-Eier und Eier derPflanzen, die durch Haar- und Feder-Kronen zur langen Herbſt-reiſe geſchickt ſind. Selbſt den belebenden Staub, den, bei ge-trennten Geſchlechtern, die maͤnnlichen Bluͤthen ausſtreuen, tragenWinde und gefluͤgelte Inſecten uͤber Meer und Land den einſamenweiblichen zu *). Wohin der Blick des Naturforſchers dringt, iſtLeben oder Keim zum Leben, verbreitet. Dient aber auch das bewegliche Luftmeer, in das wir ge-taucht ſind, und uͤber deſſen Oberflaͤche wir uns nicht zu erhebenvermoͤgen, vielen organiſchen Geſchoͤpfen zur nothwendigſten Nah-rung; ſo beduͤrfen dieſelben dabei doch noch einer groͤberen Speiſe,welche nur der Boden dieſes gasfoͤrmigen Oceans darbietet. Die-ſer Boden iſt zwiefacher Art. Den kleineren Theil bildet die tro-ckene Erde, unmittelbar von Luft umfloſſen; den groͤßeren Theilbildet das Waſſer, vielleicht einſt vor Jahrtauſenden durch elektri-ſches Feuer aus luftfoͤrmigen Stoffen zuſammengeronnen, und jetztunaufhoͤrlich in der Werkſtatt der Wolken, wie in den pulſiren-den Gefaͤßen der Thiere und Pflanzen, zerſetzt. Unentſchieden iſt es, wo groͤßere Lebensfuͤlle verbreitet ſei;ob auf dem Continent, oder in dem unergruͤndeten Meere. Indieſem erſcheinen gallertartige Seegewuͤrme, bald lebendig, bald
und alſo unbeweglich lag, durch einen Waſſertropfen in 2 Stunden wie-der zu beleben. (D. V.) — Brachionus iſt das vorige Thier mit einer pa-pierartigen Schale bedeckt und findet ſich mit dem vorigen (Oken). *) Es iſt bekannt, daß bei manchen Pflanzen, wie z. B. bei denWeiden, die gewöhnlich in eine Blüthe vereinigten verſchiedenartigenBlüthentheile, welche zuſammen den Samen erzeugen, und die man diemännlichen und weiblichen (Staubfäden und Stempel) nennt, ſo getrenntſind, daß ſie nicht zuſammen in einer Blüthe oder auch nur auf einerund derſelben Pflanze wachſen, ſondern auf verſchiedenen, auf dereinen die männlichen, auf der andern die weiblichen. In dieſem Falleſind es Winde und hauptſächlich Bienen, Wespen und eine große Zahlkleiner geflügelter Inſecten, durch welche der Samenſtaub der männlichenBlüthen zu den weiblichen gebracht wird.
|701| abgeſtorben, als leuchtende Sterne *). Ihr Phosphorlicht wan-delt die gruͤnliche Flaͤche des unermeßlichen Oceans in ein Feuer-meer um. Unausloͤſchlich wird mir der Eindruck jener ſtillenTropen-Naͤchte der Suͤdſee bleiben, wo aus der duftigen Him-melsblaͤue das hohe Sternbild des Schiffes und das geſenkt un-tergehende Kreuz ihr mildes planetariſches Licht **) ausgoſſen, undwo zugleich in der ſchaͤumenden Meeresfluth die Delphine ihreleuchtende Furchen zogen ***).
Aber nicht der Ocean allein, auch die Sumpfwaſſer verber-gen zahlloſe Gewuͤrme von wunderbarer Geſtalt. Unſerem Augefaſt unerkennbar ſind die Cyclidien, die gefranzten Trichodenund das Heer der Naiden, theilbar durch Aeſte, wie die Lemna,deren Schatten ſie ſuchen †). Von mannichfaltigen Luftgemengen
*) Das Leuchten des Oceans gehört zu den prachtvollen Naturer-ſcheinungen, die Bewunderung erregen, wenn man ſie auch Monatelang mit jeder Nacht wiederkehren ſieht. Unter allen Zonen phospho-reſcirt das Meer; wer aber das Phänomen nicht unter den Wende-kreiſen (beſonders in der Südſee) geſehen, hat nur eine unvollkom-mene Vorſtellung von der Majeſtät dieſes großen Schauſpiels. Wennein Kriegsſchiff bei friſchem Winde die ſchäumende Fluth durchſchneidet,ſo kann man ſich, auf einer Seitengallerie ſtehend, an dem Anblick nichtſättigen, den der nahe Wellenſchlag gewährt. So oft die entblößteSeite des Schiffs ſich umlegt, ſcheinen röthliche Flammen blitzähnlichvom Kiel aufwärts zu ſchießen. Der Grund dieſer Erſcheinung liegtwahrſcheinlich in faulenden Fäſerchen abgeſtorbener Mollusken (gallert-artiger Meergewürme), die in zahlloſer Menge im Waſſer zerſtreut ſind.Bisweilen wird das Leuchten des Meerwaſſers auch durch mehre leuch-tende Mollusken, welche bei ihrem Leben nach Willkür ein ſchwachesPhosphorlicht verbreiten, bewirkt. (N. d. V.)**) S. oben S. 690. Anm. 1.***) Die Delphine, bekannte Fiſchſäugethiere von verſchiedenerGröße.†) Die Cyclidien und Trichoden gehören zu den Thieren, deren Leibaus bloßer Haut ohne Knochen, Muskeln und Rückenmark beſteht. Die Cyclidien ſind rundliche, etwas gewölbte Blättchen, die beſondersgern als Schmarotzerthierchen, wie Läuſe, leben. Die Trichoden ſindvon verſchiedener Geſtalt, ohne allen Mund und an verſchiedenen Stellen
|702| umgeben und mit dem Lichte unbekannt, athmen die gefleckte As-karis, welche die Haut des Regenwurms, die ſilberglaͤnzende Leu-kophra, welche das Innere der Ufer-Naide, und ein Pentaſtoma,welche die weitzellige Lunge der tropiſchen Klapperſchlange be-wohnt *). So ſind auch die verborgenſten Raͤume der Schoͤpfungmit Leben erfuͤllt. Wir wollen hier beſcheiden bei den Geſchlech-tern der Pflanzen verweilen; denn auf ihrem Daſein beruht dasDaſein der thieriſchen Schoͤpfung. Unablaͤßig ſind ſie bemuͤht,den rohen Stoff der Erde organiſch an einander zu reihen, undvorbereitend, durch lebendige Kraft zu miſchen, was nach tauſendUmwandlungen zur regſamen Nervenfaſer veredelt wird. Der-ſelbe Blick, den wir auf die Verbreitung der Pflanzendecke heften,enthuͤllt uns die Fuͤlle des thieriſchen Lebens, das von jener ge-naͤhrt und erhalten wird.
Ungleich iſt der Teppich gewebt, den die bluͤthenreiche Florauͤber den nackten Erdkoͤrper ausbreitet; dichter, wo die Sonne
behaart; die Trichoda Sol, in ſtehenden Waſſern lebend, iſt rundlichund mit einem Haarkranz wie Strahlen umgeben. Die Naiden, ge-wöhnlich Waſſerſchlängelchen genannt, ſind ſchnurförmige, meiſt ſehrkleine Würmchen und leben im ſüßen und im geſalzenen Waſſer; die er-ſteren ſind ſehr klein und vermehren ſich ſowohl durch Eier, als durchTheilung. Es entſteht nämlich ſonderbarer Weiſe in der Mitte ein Kopf,der gleichſam das vordere Wurmſtück einige Zeit im Mund hält und dannfahren läßt. Entzwei geſchnittene Stücke werden wieder ganze Würmer. (Oken). Sie finden ſich ſehr häufig unter den bekannten Waſſerlinſen (Lemna). *) Ascaris lumbrici, die kleinſte von allen Askaris-Arten (einer Gat-tung von Eingeweidewuͤrmern, zu welcher auch die Kinderwürmer gehören,),wohnt unter der Haut des gemeinen Regenwurms. Leucophra nodulata, in eine Klaſſe mit den Trichoden und Cyclidien gehörend, iſt in demInneren der im nördlichen Europa auf Seepflanzen vorkommenden klei-nen Nais littoralis gefunden worden. Eins von den EingeweidewürmernPentaſtoma, welche vorn 1 Mund in der Mitte und 4 darum haben,bewohnt die Bauchhöhle und die weitzelligen Lungen des Crotalus durissus, welcher (3—4 Fuß lang) in Cumana bisweilen ſelbſt im Innern derHäuſer lebt und den Mäuſen nachſtellt. Wahrſcheinlich werden dieſe mi-kroſkopiſchen Thiere wiederum von andern bewohnt (N. d. V.)
|703| hoͤher an dem nie bewoͤlkten Himmel emporſteigt; lockerer gegendie traͤgen Pole hin, wo der wiederkehrende Froſt bald die ent-wickelte Knospe toͤdtet, bald die reifende Frucht erhaſcht. Dochuͤberall darf der Menſch ſich der naͤhrenden Pflanzen erfreuen.Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende Fluth, und ſchiebtploͤtzlich (wie einſt zwiſchen den griechiſchen Inſeln) einen ſchlak-kigen Fels empor *); oder erheben (um an eine friedlichere Na-turerſcheinung zu erinnern) die eintraͤchtigen Lithophyten **) ihrezelligen Wohnungen, bis ſie nach Jahrtauſenden uͤber den Waſ-ſerſpiegel hervorragend, abſterben, und ein flaches Corallen-Ei-land bilden: ſo ſind die organiſchen Kraͤfte ſogleich bereit, dentodten Fels zu beleben. Was den Samen ſo ploͤtzlich herbeifuͤhrt:ob wandernde Voͤgel, oder Winde, oder die Wogen des Meeres;iſt bei der großen Entfernung der Kuͤſten ſchwer zu entſcheiden.Aber auf dem nackten Steine, ſobald ihn zuerſt die Luft beruͤhrt,bildet ſich in den nordiſchen Laͤndern ein Gewebe ſammtartiger Fa-ſern, die dem unbewaffneten Auge als farbige Flecken erſcheinen.Einige ſind durch hervorragende Linien bald einfach, bald dop-pelt begrenzt; andere ſind in Furchen durchſchnitten und in Faͤchergetheilt. Mit zunehmendem Alter verdunkelt ſich ihre lichte Farbe.Das fernleuchtende Gelb wird braun, und das blaͤuliche Grau derLeprarien ***) verwandelt ſich nach und nach in ein ſtaubartigesSchwarz. Die Grenzen der alternden Decke fließen in einander,und auf dem dunkeln Grunde bilden ſich neue zirkelrunde Flechtenvon blendender Weiße. So lagert ſich ſchichtenweiſe ein organi-ſches Gewebe auf das andere; und wie das ſich anſiedelnde Men-ſchengeſchlecht beſtimmte Stufen der ſittlichen Cultur durchlaufenmuß, ſo iſt die allmaͤhliche Verbreitung der Pflanzen an beſtimmte
*) In der Nähe der griechiſchen Inſel Santorin (der alten Thera)ſind durch einen Vulkan unter dem Meere mehre kleine Inſeln entſtanden,eine derſelben erſt im Jahre 1707.**) Lithovhyten, Steinpflanzen oder richtiger Steinthiere. Es ſinddie bekannten Corallen mit ihren Corallenſtämmen gemeint.***) Lepraria, eine auf Steinen, Holz und Baumrinden häufig vor-kommende Flechtenart.
|704| phyſiſche Geſetze gebunden. Wo jetzt hohe Waldbaͤume ihre Gipfelluftig erheben, da uͤberzogen einſt zarte Flechten das erdenloſeGeſtein. Laubmooſe, Graͤſer, krautartige Gewaͤchſe und Straͤu-cher fuͤllen die Kluft der langen, aber ungemeſſenen Zwiſchenzeitaus. Was im Norden Flechten und Mooſe, das bewirken in denTropen Portulaca, Gomphrenen und andere niedrige Uferpflan-zen *). Die Geſchichte der Pflanzendecke, und ihre allmaͤhlicheAusbreitung uͤber die oͤde Erdrinde, hat ihre Epochen, wie dieGeſchichte des ſpaͤtern Menſchengeſchlechts.
Iſt aber auch Fuͤlle des Lebens uͤberall verbreitet; iſt derOrganismus auch unablaͤßig bemuͤht, die durch den Tod entfeſſel-ten Elemente zu neuen Geſtalten zu verbinden: ſo iſt dieſe Le-bensfuͤlle und ihre Erneuerung doch nach Verſchiedenheit der Him-melsſtriche verſchieden. Periodiſch erſtarrt die Natur in der kal-ten Zone; denn Fluͤſſigkeit iſt Bedingniß zum Leben. Thiere undPflanzen (Laubmooſe und andere Kryptogamen **) abgerechnet)liegen hier viele Monate hindurch im Winterſchlaf vergraben.In einem großen Theile der Erde haben daher nur ſolche organi-ſche Weſen ſich entwickeln koͤnnen, welche einer betraͤchtlichen Ent-ziehung von Waͤrmeſtoff widerſtehen, oder einer langen Unterbre-chung der Lebensfunctionen faͤhig ſind ***). Je naͤher dagegen denTropen, deſto mehr nimmt Mannichfaltigkeit der Bildungen, An-muth der Form und des Farbengemiſches, ewige Jugend und Kraftdes organiſchen Lebens zu.
*) S. oben S. 680. Anm. 2 Portulaca iſt auch bei uns ſehr be-kannt. Die Gomphrenen ſind kleine, trockene Pflanzen, welche dürreBlüthen in runden Köpfen haben; bekannt iſt bei uns der ſchöne Kugel-Amarant (G. globosa). **) Die Kryptogamen (eine eigene Klaſſe im Linne’ſchen Pflanzen-Syſtem) ſind bekanntlich diejenigen Pflanzen, an welchen die Befruch-tungswerkzeuge (ſ. oben S. 700 Anm.) entweder gar nicht, oder dochſehr unvollkommen und nur mit guten Vergrößerungsgläſern geſehenund unterſucht werden können, wie Flechten, Mooſe, Pilze u. dgl.***) S. oben S. 301. „über die Wärme“, beſond. S. 309. ff.
|705| Dieſe Zunahme kann leicht von denen bezweifelt werden,welche nie unſern Welttheil verlaſſen, oder das Studium der all-gemeinen Erdkunde vernachlaͤßigt haben. Wenn man aus unſerndicklaubigen Eichenwaͤldern uͤber die Alpen- oder Pyrenaͤen-Kettenach Welſchland oder Spanien hinabſteigt; wenn man gar ſeinenBlick auf die afrikaniſchen Kuͤſtenlaͤnder des Mittelmeeres richtet:ſo wird man leicht zu dem Fehlſchluſſe verleitet, als ſei Baumlo-ſigkeit der Charakter heißer Klimate. Aber man vergißt, daß dasſuͤdliche Europa eine andere Geſtalt hatte, als pelasgiſche oderkarthagiſche Pflanzvoͤlker ſich zuerſt darin feſtſetzten; man vergißt,daß fruͤhere Bildung des Menſchengeſchlechts die Waldungen ver-draͤngt, und daß der umſchaffende Geiſt der Nationen der Erdeallmaͤhlich den Schmuck raubt, der uns in dem Norden erfreut,und der (mehr, als alle Geſchichte) die Jugend unſerer ſittlichenCultur anzeigt. Die große Kataſtrophe, durch welche das Mit-telmeer ſich gebildet, indem es, ein anſchwellendes Binnenwaſſer,die Schleuſen der Dardanellen und die Saͤulen des Herkules durch-brochen, dieſe Kataſtrophe ſcheint die angrenzenden Laͤnder einesgroßen Theils ihrer Dammerde beraubt zu haben. Was bei dengriechiſchen Schriftſtellern von den Samothraciſchen Sagen er-waͤhnt wird, deutet die Neuheit dieſer zerſtoͤrenden Naturveraͤn-derung an *). Auch iſt in allen Laͤndern, welche das Mittelmeerbegrenzt, und welche die Kalkformation des Jura charakteriſirt,ein großer Theil der Erdoberflaͤche nackter Fels. Das Maleriſcheitaliaͤniſcher Gegenden beruht vorzuͤglich auf dieſem lieblichen
*) Noch zu Plinius Zeit war in der Straße von Gibraltar eineUntiefe, welche Europa undAfrikavereinigte, und die man die Schwelledes Mittelmeers nannte. — Diodor berichtet, daß die Bewohner dernahe bei den Dardanellen gelegenen Inſel Samothrace (heutzutage Sa-mothraki), ein Urvolk, welches eine eigne Sprache hatte, erzählten, dasſchwarze Meer ſei ein abgeſchloſſener See geweſen, der, von den hinein-fließenden Strömen anſchwellend, (lange vor den Ueberſchwemmun-gen, die ſich bei andern Völkern zugetragen), zuerſt den Bosporus undnachher den Hellespont durchbrochen habe. Die Wahrſcheinlichkeit dieſermerkwürdigen Sage wird dem Geognoſten faſt zur hiſtoriſchen Gewiß-heit (D. V.)
|706| Contraſte zwiſchen dem unbelebten oͤden Geſtein und der uͤppigenVegetation, welche inſelfoͤrmig darin aufſproßt. Wo dieſes Ge-ſtein, minder zerkluͤftet, die Waſſer auf der Oberflaͤche zuſammen-haͤlt, wo dieſe mit Erde bedeckt iſt, (wie an den reizenden Uferndes Albauer Sees) da hat ſelbſt Italien ſeine Eichenwaͤlder, ſoſchattig und gruͤn, als der Bewohner des Nordens ſie wuͤnſcht.
Auch die Wuͤſten jenſeits des Atlas, und die unermeßlichenEbenen oder Steppen von Suͤd-Amerika, ſind als bloße Local-erſcheinungen zu betrachten. Dieſe findet man, in der Regenzeitwenigſtens, mit Gras und niedrigen, faſt krautartigen Mimoſenbedeckt; jene ſind Sandmeere im Innern des alten Continents,große pflanzenleere Raͤume, mit ewiggruͤnen waldigen Ufern um-geben. Nur einzeln ſtehende Faͤcherpalmen erinnern den Wande-rer, daß dieſe Einoͤden Theile einer belebten Schoͤpfung ſind. Imtruͤgeriſchen Lichtſpiele, das die ſtrahlende Waͤrme erregt, ſiehtman bald den Fuß dieſer Palmen frei in der Luft ſchweben, baldihr umgekehrtes Bild in den wogenartig zitternden Luftſchichtenwiederholt *). Auch weſtlich von der peruaniſchen Andeskette, anden Kuͤſten des ſtillen Meeres, haben wir Wochen gebraucht,um ſolche waſſerleere Wuͤſten zu durchſtreichen. Der Urſprung derſelben, dieſe Pflanzenloſigkeit großer Erd-ſtrecken, in Gegenden, wo umher die kraftvolleſte Vegetation herrſcht,iſt ein wenig beachtetes geognoſtiſches Phaͤnomen, welches ſichunſtreitig in alten Naturrevolutionen (in Ueberſchwemmungen,oder vulkaniſchen Umwandelungen der Erdrinde) gruͤndet. Hateine Gegend einmal ihre Pflanzendecke verloren, iſt der Sandbeweglich und quellenleer, hindert die heiße, ſenkrecht aufſteigendeLuft den Niederſchlag der Wolken **): ſo vergehen Jahrtauſende,ehe von den gruͤnen Ufern aus organiſches Leben in das Innereder Einoͤde dringt. Wer demnach die Natur mit einem Blicke zu umfaſſen,und von Localphaͤnomenen zu abſtrahiren weiß, der ſieht, wie mitZunahme der belebenden Waͤrme, von den Polen zum Aequator
*) S. oben S. 687. Anm. 2.**) S. oben S. 668 Anm. 2.
|707| hin, ſich auch allmaͤhlich organiſche Kraft und Lebensfuͤlle vermeh-ren. Aber bei dieſer Vermehrung ſind doch jedem Erdſtriche be-ſondere Schoͤnheiten vorbehalten: den Tropen Mannichfaltigkeitund Groͤße der Pflanzenformen; dem Norden der Anblick der Wie-ſen, und das periodiſche Wiedererwachen der Natur beim erſtenWehen der Fruͤhlingsluͤfte. Jede Zone hat außer den, ihr eige-nen Vorzuͤgen auch ihren eigenthuͤmlichen Charakter. So wie manan einzelnen organiſchen Weſen eine beſtimmte Phyſiognomie er-kennt: ſo giebt es auch eine gewiſſe Natur-Phyſiognomie, welchejedem Himmelsſtriche ausſchließlich zukommt.
Was der Maler mit den Ausdruͤcken ſchweizer Natur, ita-liaͤniſcher Himmel, bezeichnet, gruͤndet ſich auf das dunkle Gefuͤhldieſes localen Naturcharakters. Himmelsblaͤue, Beleuchtung, Duft,der auf der Ferne ruht, Geſtalt der Thiere, Saftfuͤlle der Kraͤu-ter, Glanz des Laubes, Umriß der Berge — alle dieſe Elementebeſtimmen den Totaleindruck einer Gegend. Zwar bilden unter al-len Zonen dieſelben Gebirgsarten Trachyt, Baſalt, Porphyr-Schiefer und Dolomit, Felsgruppen derſelben Phyſiognomie. DieGruͤnſteinklippen in Suͤd-Amerika und Mexiko gleichen denen desdeutſchen Fichtelgebirges, wie unter den Thieren die Form desAllco oder der urſpruͤnglichen Hunde-Race des neuen Continents *) mit der der europaͤiſchen Race uͤbereinſtimmt; denn die unorga-niſche Rinde der Erde iſt gleichſam unabhaͤngig von klimatiſchenEinfluͤſſen. Alle Formationen ſind daher allen Weltgegenden eigen,und in allen gleichgeſtaltet. Ueberall bildet der Baſalt Zwillings-Berge und abgeſtumpfte Kegel; uͤberall erſcheint der Trapporphyrin grotesken Felsmaſſen, der Granit in ſanftrundlichen Kuppen.Auch aͤhnliche Pflanzenformen, Tannen und Eichen, bekraͤnzen dieBerggehaͤnge in Schweden, wie die des ſuͤdlichſten Theils von
*) Allco heißt der in Südamerika einheimiſche Hund, oder auch, zurUnterſcheidung von dem europäiſchen, Run-allco, gleichſam indiſcherHund (Hund der Landeseinwohner). Er ſcheint eine bloße Varietätdes Schäferhundes zu ſein. Er iſt kleiner, langhaarig, weiß und braungefleckt, mit aufrecht ſtehenden ſpitzigen Ohren, bellt ſehr viel, beißt aberdeſto ſeltener. (v. Humboldt Anſicht. Th. I, S. 108)
|708| Mexiko. Und bei aller dieſer Uebereinſtimmung in den Geſtalten,bei dieſer Gleichheit der einzelnen Umriſſe, nimmt die Gruppirungderſelben zu einem Ganzen doch den verſchiedenſten Charakter an.
So wie die Kenntniß der Foſſilien ſich von der Gebirgslehreunterſcheidet; ſo iſt von der individuellen Naturbeſchreibung dieallgemeine oder die Phyſiognomik der Natur verſchieden. GeorgForſter in ſeinen Reiſen und in ſeinen kleinen Schriften; Goͤthein den Naturſchilderungen, welche ſo manche ſeiner unſterblichenWerke enthalten; Herder, Buͤffon, Bernardin de St. Pierre,und Chateaubriand *), haben mit unnachahmlicher Wahrheit denCharakter einzelner Himmelsſtriche geſchildert. Solche Schilde-rungen ſind aber nicht bloß dazu geeignet, dem Gemuͤthe einenGenuß der edelſten Art zu verſchaffen; nein, die Kenntniß vondem Naturcharakter verſchiedener Weltgegenden iſt mit der Ge-ſchichte des Menſchengeſchlechtes, und mit der ſeiner Cultur, aufsinnigſte verknuͤpft. Denn wenn auch der Anfang dieſer Culturnicht durch phyſiſche Einfluͤſſe allein beſtimmt wird; ſo haͤngt dochdie Richtung derſelben, ſo haͤngen Volkscharakter, duͤſtere oderheitere Stimmung der Menſchheit, großentheils von klimatiſchenVerhaͤltniſſen ab. Wie maͤchtig hat der griechiſche Himmel aufſeine Bewohner gewirkt! Wie ſind nicht in dem ſchoͤnen und gluͤck-lichen Erdſtriche zwiſchen dem Orus (dem Gihon oder Amu-
*) Bernardin de St Pierre, geboren zu Havre im Jahre 1737,machte eine ſehr wechſelsreiche militäriſche Laufbahn, zog ſich dann zu-rück und lebte lange in einer ſehr kümmerlichen Lage. Die Frucht dieſer,wiſſenſchaftlicher Thätigkeit gewidmeten, Einſamkeit waren mehre ſchrift-ſtelleriſche Arbeiten, von welchen beſonders zwei, die Studien der Na-tur und die Idylle Paul und Virginie, mit außerordentlichem Beifallaufgenommen wurden und ſchnell eine Verbeſſerung der äußeren Lagedes Verfaſſers bewirkten; der König beſchenkte ihn reichlich mit Ehrenund Penſionen. Er ſtarb 1814 als Oberaufſeher des botaniſchen Gartensund des naturhiſtoriſchen Muſeums zu Paris. — Chateaubriand, einnoch lebender franzöſiſcher Staatsmann, verfaßte, außer manchen poli-tiſchen und religiöſen Schriften, auch die Beſchreibung einer nach Jeru-ſalem unternommenen Reiſe; eine ſchöne; doch zu poetiſche Darſtellungs-weiſe iſt der Hauptcharakter ſeiner Schriften.
|709| Darja), dem Tigris, und dem aͤgaͤiſchen Meere, die ſich anſie-delnden Voͤlker zuerſt zu ſittlicher Anmuth und zarteren Gefuͤhlenerwacht! Und haben nicht, als Europa in neue Barbarei ver-ſank, und religioͤſe Begeiſterung ploͤtzlich den heiligen Orient oͤff-nete, unſere Voraͤltern aus jenen milden Thaͤlern von neuemmildere Sitten heimgebracht! Die Dichterwerke der Griechen unddie rauheren Geſaͤnge der nordiſchen Urvoͤlker verdankten groͤßten-theils ihren eigenthuͤmlichen Charakter der Geſtalt der Pflanzenund Thiere, den Gebirgsthaͤlern, die den Dichter umgaben, undder Luft, die ihn umwehte. Wer fuͤhlt ſich nicht, um ſelbſt nuran nahe Gegenſtaͤnde zu erinnern, anders geſtimmt, in dem dun-keln Schatten der Buchen, oder auf Huͤgeln, die mit einzeln ſte-henden Tannen bekraͤnzt ſind; oder auf der Grasflur, wo derWind in dem zitternden Laube der Birken ſaͤuſelt! Melancholi-ſche, ernſterhebende, oder froͤhliche Bilder rufen dieſe vaterlaͤndi-ſche Pflanzengeſtalten in uns hervor. Der Einfluß der phyſiſchenWelt auf die moraliſche, dies geheimnißvolle Ineinander-Wirkendes Sinnlichen und Außerſinnlichen, giebt dem Naturſtudium, wennman es zu hoͤheren Geſichtspunkten erhebt, einen eigenen, nochzu wenig gekannten Reiz.
Wenn aber auch der Charakter verſchiedener Weltgegendenvon allen aͤußeren Erſcheinungen zugleich abhaͤngt; wenn Umrißder Gebirge, Phyſiognomie der Pflanzen und Thiere, wenn Him-melsblaͤue, Wolkengeſtalt und Durchſichtigkeit des Luftkreiſes denTotaleindruck bewirken; ſo iſt doch nicht zu leugnen, daß dasHauptbeſtimmende dieſes Eindrucks die Pflanzendecke iſt. Demthieriſchen Organismus fehlt es an Maſſe, und die Beweglichkeitder Individuen entzieht ſie oft unſern Blicken. Die Pflanzenſchoͤ-pfung dagegen wirkt durch ſtetige Groͤße auf unſere Einbildungs-kraft. Ihre Maſſe bezeichnet ihr Alter, und in den Gewaͤchſenallein iſt Alter und Ausdruck ſtets ſich erneuernder Kraft mit ein-ander gepaart. Der rieſenfoͤrmige Drachenbaum, den ich auf dencanariſchen Inſeln ſah, und der 16 Schuh im Durchmeſſer hat,traͤgt noch immerdar (gleichſam in ewiger Jugend) Bluͤthe undFrucht. Als franzoͤſiſche Abentheurer, die Bethencourts, im An-fang des funfzehnten Jahrhunderts, die gluͤcklichen Inſeln erober- |710| ten, war der Drachenbaum von Orotava (den Eingebornen hei-lig wie der Oelbaum in der Burg zu Athen, oder die Ulme zuEpheſus) von eben der koloſſalen Staͤrke als jetzt *). In den
*) Der Drachenbaum (Dracaena draco) iſt ein ungeheurer Baum mitfleiſchigen Blättern, der auf den canariſchen Inſeln einheimiſch iſt undauch in Oſtindien ſich findet, und deſſen Saft, unter dem Namen Dra-chenblut bekannt, Heilkräfte hat. Der oben erwähnte ſteht in dem Städt-chen Orotava auf Teneriffa und hat, bei einer Höhe von 50 — 60 Fuß,einen Umfang, der, in der Nähe der Wurzeln gemeſſen, 45 Pariſer Fußbeträgt; in 10 Fuß Höhe hat der Stamm noch einen Durchmeſſer von 12Fuß. Schon im funfzehnten Jahrhundert, als der normänniſche Baron Juan de Bethencourt, der erſte Eroberer der canariſchen Inſeln, auf Te-neriffa landete, ſoll der Drachenbaum von Orotava eben ſo koloſſal ge-weſen ſein, als jetzt. (Bethencourt erhielt vom caſtiliſchen Könige dieBelehnung dieſer Inſeln, und ſeine Familie hatte dieſelben eine Zeitlangals ein Lehen der caſtiliſchen Krone in Beſitz). Der Stamm des Dra-chenbaums theilt ſich in eine große Menge von Aeſten, welche ſich inForm von Candelabern erheben und mit Büſcheln von Blättern endigen.Der Baum trägt noch jedes Jahr Blüthen und Früchte. Da die Drachen-bäume überaus langſam wachſen, ſo muß der von Orotava ein ſehr hohesAlter haben. Derſelbe wurde der Sage nach von den Ureinwohnern, denmerkwürdigen Guanchen, verehrt, wie der heilige Oelbaum, welcher aufder Akropolis zu Athen ſtand, und von dem man glaubte, daß Minervaihn gepflanzt habe, oder wie die Ulme zu Epheſus, an deren Stammdie Amazonen einen Tempel der Diana gebaut haben ſollen, und vonwelcher die Stadt ſelbſt auch den Namen Ptelea (d. h. Ulme) hatte. —Dem Drachenbaum von Orotava an Stärke noch überlegen ſind dieBoabab’s (ſ. oben S. 474. Anm. 1.), welche übrigens viel ſchneller wachſen,als die Drachenbäume. Ein jenem an Alter wenigſtens gleichkommen derBaum, gegen welchen die umwohnenden Indianer ebenfalls eine großeVerehrung hegen, iſt der auf der Straße vom Dorfe Tormero nach Ma-racay in Columbia ſtehende Zamang del Guayre, eine Mimoſe,welche weithin durch die ungeheure Ausdehnung ihrer Zweige berühmt iſt.Der Stamm dieſes Baumes hat nur 60 Fuß Höhe und 9 Fuß Durch-meſſer; aber ſein ſchöner Gipfel, deſſen Aeſte ſich wie ein Sonnenſchirmausbreiten und gleichmäßig zum Boden, bis zu 12—15 Fuß von dem-ſelben entfernt, herabneigen, hat einen Umfang von 576 Fuß oder einenDurchmeſſer von 186 und 192 Fuß. Viele Schmarotzerpflanzen bedeckenſeine Zweige und zerſpalten die Rinde. (v Humboldt, Reiſe Th. III,
|711| Tropen iſt ein Wald von Hymeneen und Caͤſalpinien vielleichtdas Denkmal von einem Jahrtauſend *).
Umſaßt man mit einem Blick die verſchiedenen Pflanzenar-ten, welche bereits auf dem Erdboden entdeckt ſind, und derenZahl nach Decandolle’s Schaͤtzung, uͤber 56,000 betraͤgt **); ſoerkennt man in dieſer wundervollen Menge wenige Hauptformen,auf welche ſich alle andere zuruͤckfuͤhren laſſen, und von deren
S. 98 ff.) — Die Gewächſe, welche in verſchiedenen Klimaten zu dergrößten Corpulenz anſchwellen, ſind: der Drachenbaum, der Taxus, dieächte (zahme) Kaſtanie (Fagus Castanea), mehre Arten von Wollbäumen(Bombax, ſ. oben S. 474. Anm. 2,) die Mimoſen, Cäsalpinien, Feigenbäume,Swietenien (eine Art derſelben iſt der Mahagony-Baum, von welchemman auf der Inſel Cuba Bretter von 35 Fuß Länge und 9 Fuß Breitefindet,), die Hymenäa Courbaril, die virginiſche Cypreſſe (Cupressusdisticha), welche 9—15 Fuß Durchmeſſer erreicht, und die, bei uns nichtſelten vorkommende, abendländiſche Platane (Platanus occidentalis; amOhio wurden einige Platanen gefunden, welche noch in 20 Fuß Höhe einenUmfang von 47 Fuß hatten). Auch die Eichen erreichen oft eine ſolcheStärke, daß ſie den größten Bäumen nahe kommen; eine Eiche, welche1809 7 Meilen von Abbeville in den Torfmooren der Somme nebengalliſchen Helmen gefunden wurde, hatte einen Stamm von 14 FußDurchmeſſer. (v. Humboldt, Anſicht. Th. II. S. 107. u. Reiſe Th I. S. 168 ff.) — Die glücklichen Inſeln (Insulae fortunatae) dachten ſichdie Alten zuerſt im Norden, dann im Weſten, und nachdem ſo dieſerName von ihnen lange in unbeſtimmter Bedeutung gebraucht wordenwar, ging er auf die canariſchen Inſeln über.*) Die Cäsalpinien ſind färbende Bäume mit ſchwerem Holze, dop-pelt gefiederten Blättern und ſehr ſchönen Blumenſträußern. Caesalpiniaechinata, ein hoher Strauch mit dunkelrothem Holze in Südamerika, und C. Sappan, (10—15 Fuß hoch) in Oſtindien, ſind für Fabriken und Han-del ſehr wichtig; Erſtere nämlich liefert das Fernambuk-Holz, Letzteredas Sappan- oder oſtindiſche Braſilien-Holz (Oken.). **) Dieſe Zählung des berühmten Genfer Botanikers, welche bloßdie den Gelehrten bekannten Pflanzen begreift, umfaßt, bei unſerer völ-ligen Unbekanntſchaft mit ungeheuren Strecken der Erde, und zwar inden am reichſten ausgeſtatteten Ländern, wahrſcheinlich noch nicht denfünften Theil der auf der Erde exiſtirenden Gewächfe. (N. d. V.).
|712| individueller Schoͤnheit, Vertheilung und Gruppirung die Phyſiog-nomie der Vegetation eines Landes abhaͤngt *).

*) Man zählt 16 Hauptformen, wobei bemerkt werden muß, daß„man zur Beſtimmung dieſer Formen nicht auf die kleinſten Theile derBlüthen und Früchte, ſondern nur auf das Rückſicht nimmt, was durchMaſſe den Totaleindruck einer Gegend individualiſirt.“ Da eineKenntniß derſelben ohne genauere Bekanntſchaft mit vielen einzelnenPflanzenarten nicht erlangt werden kann, ſo wird hier die Aufzählungund Charakteriſtik dieſer Hauptformen nicht gegeben. Um aber einenBegriff dieſer Pflanzen-Phyſiognomie zu geben, ſollen (mit den Wortendes Verfaſſers) einige dieſer Hauptformen aufgeführt werden, welcheentweder überhaupt bekannt ſind, oder von denen Jeder doch wenig-ſtens einen Repräſentanten kennt, ſei es auch nur aus Beſchreibungen.Die Palmen, die höchſte und edelſte aller Pflanzengeſtalten. Denn ihrhaben ſtets die Völker (und die früheſte Menſchenbildung war in deraſiatiſchen Palmenwelt, oder in dem Erdſtriche, der zunächſt an die Pal-menwelt grenzt) den Preis der Schönheit zuerkannt. Hohe, ſchlanke,geringelte, bisweilen ſtachlichte Schäfte mit anſtrebendem, glänzendem,bald gefächertem, bald gefiedertem Laube. Die Blätter ſind oft gras-artig gekräuſelt. Der glatte Stamm erreicht bis 180 Fuß Höhe. DiePalmenform nimmt an Pracht und Größe ab, vom Aequator gegen diegemäßigte Zone hin. Europa hat unter ſeinen einheimiſchen Gewächſennur einen Repräſentanten dieſer Form, die zwergartige Küſtenpalme,den Chamaerops, (Zwergpalme, Palmetto), der in Spanien und Italienſich nördlich bis zum 44ſten Breitengrade erſtreckt. Das eigentliche Pal-men-Klima hat zwiſchen 19 und 20° Reaum. mittlerer jährlichenWärme (ſ. oben S. 310); aber die ausAfrikazu uns gebrachte Dat-telpalme (Phoenix dactylifera), welche minder ſchön als andere Artendieſer Gruppen iſt, vegetirt noch im ſüdlichen Europa in Gegenden, de-ren mittlere Temperatur 13 — 14° iſt. — Zu den Palmen geſellt ſichin allen Welttheilen die Piſang- oder Bananenform, die Scita-mineen und Muſaceen der ſogenannten natürlichen Syſteme in der Bo-tanik (worüber man aus einem Handbuche der Botanik ſich Raths er-holen mag). Ein niedriger, aber ſaftreicher, faſt krautartiger Stamm,an deſſen Spitze ſich dünn- und lockergewebte, zartgeſtreifte, ſeidenartig-glänzende Blätter erheben. Piſang-Gebüſche ſind der Schmuck feuchterGegenden. Auf ihrer Frucht beruht die Nahrung aller Bewohner desheißen Erdgürtels. Wie die mehlreichen Cerealien oder Getraideartendes Nordens, ſo begleiten Piſang-Stämme den Menſchen ſeit der frühe-
|713| Die Zahl dieſer Formen wird gewiß anſehnlich vermehrt wer-den, wenn man einſt in das Innere der Continente tiefer ein-
ſten Kindheit ſeiner Cultur. Wenn jene, durch die Cultur über dienördliche Erde verbreitet, und einförmige, weitgedehnte Grasfluren bil-dend, wenig den Anblick der Natur verſchönern, ſo vervielfacht dagegender ſich anſiedelnde Tropenbewohner durch Piſang-Pflanzungen eine derherrlichſten und edelſten Geſtalten. — Bloß dem neuen Continent ei-genthümlich iſt die Cactusform, bald kugelförmig, bald gegliedert,bald in hohen, vieleckigen Säulen, wie Orgelpfeifen, aufrechtſtehend.Dieſe Gruppe bildet den auffallendſten Contraſt mit der Geſtalt der Ba-nanen. Sie gehört zu den Pflanzen, welche Bernardin de St. Pierreſehr glücklich vegetabiliſche Quellen der Wüſte nennt (ſ. oben S. 688,über den Melonen-Cactus). Die ſäulenförmigen Cactus-Stämme er-reichen bis 30 Fuß Höhe. Wenn man gewohnt iſt, Cactus-Arten bloßin unſern Treibhäuſern zu ſehen, ſo erſtaunt man über die Dichtigkeit, zuder die Holzfaſern in alten Cactus-Stämmen erhärten. Die Indianerwiſſen, daß Cactus-Holz unverweslich, und zu Rudern und Thürſchwel-len vortrefflich zu gebrauchen iſt. Dem neuen Ankömmling macht kaumirgend eine Pflanzen-Phyſiognomie einen ſonderbarern Eindruck, alseine dürre Ebene, welche mit ſäulenförmigen, canderlaberartig-getheil-ten Cactus-Stämmen dicht beſetzt iſt. — So wie in den Piſang-Gewäch-ſen die höchſte Ausdehnung, ſo iſt in den Nadelhölzern die höchſteZuſammenziehung der Blattgefäße. Tannen, Thuja (Lebenspflanze, inunſern Gärten als Zierpflanze) bilden eine nordiſche Form, die in denTropen ſelten iſt. Ihr ewig-friſches Grün erheitert die öde Winter-landſchaft. Es verkündigt gleichſam den Polarländern, daß, wennSchnee und Eis den Boden bedecken, das innere Leben der Pflanzen nieauf unſerm Planeten erliſcht. — Die Grasform, beſonders die Phy-ſiognomie der baumartigen Gräſer (ſ. oben S. 473 Anm. 1.), charakte-riſirt ſich durch den Ausdruck fröhlicher Leichtigkeit und beweglicherSchlankheit. Bambus-Gebüſche bilden ſchattige Bogengänge in beidenIndien. Der glatte, oft geneigt-hinſchwebende Stamm der Tropen-Grä-ſer übertrifft die Höhe unſerer Erlen und Eichen. — Mit der Geſtaltder Gräſer iſt auch die der Farrenkräuter in den heißen Erdſtrichenveredelt. Die baumartigen Farrenkräuter, welche ſich in der nördli-chen Hemiſphäre bis 33° und in der ſüdlichen bis 42° Breite finden,ſind oft 35 Fuß hoch und haben ein palmenartiges Anſehen; aber ihrStamm iſt minder ſchlank, kürzer, ſchuppig-rauher, als der der Palmen.Das Laub iſt zarter, locker gewebt, durchſcheinend und an den Rän-
|714| dringt, und neue Pflanzengattungen entdeckt. Im ſuͤdoͤſtlichen Aſien, im Innern vonAfrikaund Neuholland, in Suͤd-Amerikavom Amazonenſtrome bis zu der Provinz Chiquitos hin, iſt unsdie Vegetation noch voͤllig unbekannt. Wie, wenn man einmalein Land entdeckte, in dem holzige Schwaͤmme, z. B. Clavarien,oder Mooſe, hohe Baͤume bildeten? Neckera dendroïdes, eindeutſches Laubmoos, iſt in der That baumartig *), und die tro-piſchen Farrenkraͤuter, oft hoͤher als unſere Linden und Erlen,ſind fuͤr den Europaͤer noch jetzt ein eben ſo uͤberraſchender An-blick, als dem erſten Entdecker ein Wald hoher Laubmooſe ſeinwuͤrde! Groͤße und Entwickelung der Organe haͤngt von der Be-guͤnſtigung klimatiſcher Verhaͤltniſſe ab. Die kleine, aber ſchlankeForm unſerer Eidechſe dehnt ſich im Suͤden zu dem koloſſalenund gepanzerten Koͤrper furchtbarer Krokodile aus. In den un-geheuern Katzen vonAfrikaund Amerika, im Tiger, im Loͤwenund Jaguar, iſt die Geſtalt eines unſerer kleinſten Hausthierenach einem groͤßeren Maßſtabe wiederholt. Dringen wir gar indas Innere der Erde, durchwuͤhlen wir die Grabſtaͤtte der Pflan-zen und Thiere, ſo verkuͤndigen uns die Verſteinerungen nichtbloß eine Vertheilung der Formen, die mit den jetzigen Klimatenin Widerſpruch ſteht; nein, ſie zeigen uns auch koloſſale Geſtal-
dern ſauber ausgezackt. Dieſe koloſſalen Farrenkräuter ſind faſt aus-ſchließlich den Tropen eigen, aber in dieſen ziehen ſie ein gemäßigtesKlima dem ganz heißen vor. Da nun die Milderung der Hitze bloßeine Folge der Höhe iſt: ſo darf man Gebirge, die 2—3000 Fuß überdem Meere erhaben ſind, den Hauptſitz dieſer Form nennen. Hoch-ſtämmige Farrenkräuter begleiten in Süd-Amerika den wohlthätigenBaum, der die heilende Fieberrinde darbietet (Cinchona). Beide be-zeichnen die glückliche Region der Erde, in der ewige Milde des Früh-lings herrſcht.*) Die Clavarien ſind die bei uns in vielen Arten häufig vorkom-menden und zum Theil eßbaren Keulenſchwämme. — Neckera dendroï-dea, baumartiges Ting- oder Stufenmoos, hat einen kriechenden Stammmit aufrechten Aeſten, büſchelförmige, ſtehende Aeſtchen und ei-lanzett-förmige Blätter. Es findet ſich in ganz Europa und in Nordamerika auf feuchten Wieſen und in Wäldern.
|715| ten, welche mit den kleinlichen, die uns gegenwaͤrtig umgeben,nicht minder contraſtiren, als die einfache Heldennatur der Grie-chen gegen die Charaktergroͤße neuerer Zeit. Hat die Tempera-tur des Erdkoͤrpers betraͤchtliche, vielleicht periodiſch wiederkeh-rende Veraͤnderungen erlitten; iſt das Verhaͤltniß zwiſchen Meerund Land, ja ſelbſt die Hoͤhe des Luftoceans und ſein Druck nichtimmer derſelbe geweſen *): ſo muß die Phyſiognomie der Natur,ſo muͤſſen Groͤße und Geſtalt des Organismus, ebenfalls ſchonmanchem Wechſel unterworfen geweſen ſein. — —
Am gluͤhenden Sonnenſtrahl des tropiſchen Himmels gedei-hen die herrlichſten Geſtalten der Pflanzen. Wie im kalten Nor-den die Baumrinde mit duͤrren Flechten und Laubmooſen bedecktiſt, ſo beleben dort Cymbidium und duftende Vanille **) den Stamm
*) Der Druck der Atmosphäre hat einen auffallenden Einfluß aufdie Geſtalt und das Leben der Gewächſe. Dieſes Leben iſt gleichſam nach Außen gekehrt. Die Pflanzen leben hauptſächlich an der Ober-fläche, daher ihre Abhängigkeit von dem ſie Umgebenden. Thiere folgen inneren Reizen und geben ſich ſelbſt ihre Temperatur. Eine ArtHautreſpiration iſt die wichtigſte Lebensfunction der Gewächſe, und dieſeReſpiration, in ſo fern ſie Verdampfung, Aushauchen von Flüſſigkeiteniſt, hängt vom Druck des Luftkreiſes ab. Daher ſind die Alpenpflan-zen aromatiſcher, daher ſind ſie behaarter, mit zahlreichen Ausdünſtungs-gefäßen bedeckt; denn Organe entſtehen um ſo häufiger und bilden ſichum ſo vollkommener aus, je leichter die Bedingungen zu ihren Functio-nen erfüllt ſind. Alpenpflanzen gedeihen daher ſo ſchwer in der Ebene,weil die Reſpiration ihrer äußeren Bedeckungen durch den vermehrtenLuftdruck geſtört wird. — Ob der Luftocean, welcher unſern Erdkörperumgiebt, ſtets denſelben mittleren Druck ausgeübt hat, iſt völlig un-entſchieden. (D. V.)**) Cymbidium und Vanille gehören der natürlichen Pflanzen-Fa-milie an, welche man die Orchideen nennt, deren Blumen Aehn-lichkeit mit denen der Lilien haben, aber dennoch durch eine Verwach-ſung der Theile unter einander große Verſchiedenheiten davon darſtel-len. Hierher gehört auch die (bei uns in vielen Gattungen vorkom-mende) Stendel oder Ragwurz (Orchis), deren Wurzel den Salep lie-fert. Die oben genannten Gattungen kommen nur in heißen Ländernvor und ſind Schmarotzer auf Bäumen. Die Frucht der Vanilla iſt dasunter gleichem Namen bekannte Gewürz. (*).
|716| der Anacardien *) und der rieſenmaͤßigen Feigenbaͤume **). Dasfriſche Gruͤn der Pothos-Blaͤtter und der Dracontien ***) contraſtirtmit den vielfarbigen Bluͤthen der Orchideen. Rankende Bauhi-nien †), Paſſifloren ††) und gelbbluͤhende Baniſterien †††) um-ſchlingen den Stamm der Waldbaͤume. Zarte Blumen entfalten
*) Das (im heißen Amerika wachſende) Anacardium occidentale iſtein kleiner Baum. Es gehört zu den Terebinthaceen, Pflanzen, welchedem Terebinthin ähnliche Säfte führen, und iſt beſonders dadurch merk-würdig, daß der Fruchtſtiel fleiſchig, ſaftreich und genießbar bis zurGröße einer Birne anſchwillt. Die darauf ſitzende Frucht ſelbſt heißtbei uns Elephantenlaus (Acaju-Apfel) und wird bisweilen als Amuletgegen Augenentzündungen angehängt und getragen. (*).**) Die Feigenbäume heißer Länder werden gewöhnlich ſehr hochund koloſſal-dick und zeichnen ſich dann auch durch eine majeſtätiſcheKrone mit ungeheuren Zweigen aus.***) Die Pothos und Dracontien gehören in die natürliche Familie,welche man Aroiden nennt. Man kann ſich ein Bild von ihnen ma-chen, wenn man die Aronpflanze oder Zehrwurz (Arum maculatum) an-ſieht, welche bei uns in ſchattigen Wäldern wächſ’t. Die Pothos woh-nen auf Bäumen und ſind alſo Schmarotzerpflanzen (*).†) Bauhinien werden nach den großen Botanikern Gebrüdern Bau-hin tropiſche Bäume und Sträuche mit zweilappigen Blättern und wei-ßen Schmetterlingsblumen genannt. Sie gehören zu den Hülſenfrüch-ten. (*). — „Am Orinoco haben die blattloſen Zweige der Bauhinienoft 40 Fuß Länge. Sie fallen theils ſenkrecht aus dem Gipfel hoherSwietenien herab; theils ſind ſie ſchräg wie Maſttaue ausgeſpannt,und die Tigerkatze hat eine bewundernswürdige Geſchicklichkeit, daranauf- und abzuklettern.“ (D. V.)††) Die Paſſifloren oder Paſſionsblumen ſind Schlingpflanzen hei-ßer Länder, welche in unſern Gewächshäuſern ſehr häufig vorkommen.Sie haben ihren Namen davon erhalten, daß man die einzelnen Theileihrer Blumen den Inſtrumenten des Leidens Chriſti ähnlich fand.†††) Die Baniſterien, aufrechte oder ſchlingende Geſträuche mitäußerſt niedlich gebildeten, ſchön gefärbten Blumen, welche man jedochgleisneriſch nennen könnte, weil ſie ihres lieblichen Anſehens ungeach-tet keinen Geruch haben. Sie gleichen Menſchen, die viel verſprechenund wenig halten. (*)
|717| ſich aus den Wurzeln der Theobroma *), wie aus der dichtenund rauhen Rinde der Crescentien und der Guſtavia **). Beidieſer Fuͤlle von Bluͤthen und Blaͤttern, bei dieſem uͤppigen Wuchſeund der Verwirrung rankender Gewaͤchſe, wird es oft dem Na-turforſcher ſchwer zu erkennen, welchem Stamme Bluͤthen undBlaͤtter zugehoͤren. Ein einziger Baum mit Paullinien, Bigno-nien ***) und Deudrobium †) geſchmuͤckt, bildet eine Gruppe vonPflanzen, welche, von einander getrennt, einen betraͤchtlichen Erd-raum bedecken wuͤrden.
In den Tropen ſind die Gewaͤchſe ſaftſtrotzender, von fri-ſcherem Gruͤn, mit groͤßeren und glaͤnzenderen Blaͤttern geziert,als in den noͤrdlichern Erdſtrichen. Geſellſchaftlich lebende Pflan-zen, welche die europaͤiſche Vegetation ſo einfoͤrmig machen, feh-len am Aequator beinah gaͤnzlich. Baͤume, faſt zweimal ſo hochals unſere Eichen, prangen dort mit Bluͤthen, welche groß undprachtvoll wie unſere Lilien ſind. An den ſchattigen Ufern desMagdalenenfluſſes in Suͤd-Amerika waͤchſ’t eine rankende Ariſto-lochia, deren Blume, von vier Fuß Umfang, ſich die indiſchen
*) S. oben S 665. Anm 1.**) Crescentia cujete (der Calebaſſenbaum) iſt ein Baum, der inVeräſtlung am meiſten dem Granatapfelbaum, in der Blume einem Fin-gerhute ähnlich ſieht; die Frucht, von der Größe eines Kopfes, hat,wie der Kürbiß, viele Samen im Breie liegen. Aus ihr werden vonden Indianern die Schalen (Cujas) gemacht, deren ſie ſich ſtatt derTeller bedienen. — Guſtavia ſieht aus wie eine Myrthe, aber die weißeBlume iſt ſo groß, als die einer Paſſionsblume. (*)***) Ueber die Paullinien ſ. oben S. 654. Anm. 2. — Die Bigno-nien ſind, wie die Paullinien, in warmen Ländern einheimiſch; ſie ſindtheils hochſtämmig, theils Schlingpflanzen. Zwei Arten derſelben ſindin ſuͤddeutſchen Gartenanlagen wegen ihrer Schönheit, und weil ſie da-ſelbſt im Freien fortkommen, nicht ſelten: der rankende Strauch Bi-gnonia radicans mit rothen Blumen, und der Catalpa- oder Trom-petenbaum, B. Catalpa, ein durch ſchöne wohlriechende Blüthenund große herzförmige Blätter ausgezeichneter, gegen 20 Fuß hoherBaum.†) Eine auf Bäumen ſchmarotzende Orchidee mit großen Blumen.
|718| Knaben in ihren Spielen uͤber den Scheitel ziehen *). Im ſuͤd-indiſchen Archipel hat die Bluͤthe der Raffleſia **) faſt drei FußDurchmeſſer und wiegt 14 Pfund.
Die außerordentliche Hoͤhe, zu welcher ſich unter den Wen-dekreiſen nicht bloß einzelne Berge, ſondern ganze Laͤnder erhe-ben, und die Kaͤlte, welche Folge dieſer Hoͤhe iſt, gewaͤhren demTropen-Bewohner einen ſeltſamen Anblick. Außer den Palmenund Piſang-Gebuͤſchen umgeben ihn auch die Pflanzenformen, welchenur den nordiſchen Laͤndern anzugehoͤren ſcheinen. Cypreſſen,Tannen und Eichen, Berberisſtraͤucher und Erlen (nahe mit denunſrigen verwandt) bedecken die Gebirgsebenen im ſuͤdlichen Me-xiko, wie die Andeskette unter dem Aequator. So hat die Na-tur dem Menſchen in der heißen Zone verliehen, ohne ſeine Hei-math zu verlaſſen, alle Pflanzengeſtalten der Erde zu ſehen; wiedas Himmelsgewoͤlbe von Pol zu Pol ihm keine ſeiner leuchten-den Welten verbirgt ***). Dieſen und ſo manchen andern Naturgenuß entbehren dienordiſchen Voͤlker. Viele Geſtirne und viele Pflanzenformen, vondieſen gerade die ſchoͤnſten (Palmen und Piſang-Gewaͤchſe, baum-artige Graͤſer und feingefiederte Mimoſen) bleiben ihnen ewigunbekannt. Die krankenden Gewaͤchſe, welche unſere Treibhaͤuſereinſchließen, gewaͤhren nur ein ſchwaches Bild von der Majeſtaͤtder Tropenvegetation. Aber in der Ausbildung unſerer Sprache,
*) Ariſtolochien, aufrechte oder ſich windende Gewächſe, von de-nen eine Gattung die bei uns vorkommende Oſterluzei (AristolochiaClematitis) iſt; ihre Blume hat die Form eines Fühlhornes und iſtmeiſtens von brauner, unangenehmer Färbung. Die Wurzel der mei-ſten dieſer Pflanzen, von ſehr durchdringendem Geruche, iſt ein Schlan-gengift. (*)**) Die Raffleſia, ſo genannt von ihrem Entdecker Hamford Raff-les, trägt die größte aller bekannten Blumen. Ihre Knospe iſt ſogroß, wie ein Krautskopf. Sie hat weder Stamm, noch Blätter, ſon-dern iſt eine Schmarotzerpflanze, welche auf einem wilden Weinſtockeſitzt. (*)***) S. oben S. 222. Anm.
|719| in der gluͤhenden Phantaſie des Dichters, in der darſtellendenKunſt der Maler, iſt eine reiche Quelle des Erſatzes geoͤffnet.Aus ihr ſchoͤpft unſere Einbildungskraft die lebendigen Bilder ei-ner exotiſchen Natur. Im kalten Norden, in der oͤden Haide,kann der einſame Menſch ſich aneignen, was in den fernſten Erd-ſtrichen erforſcht wird, und ſo in ſeinem Innern eine Welt ſichſchaffen, welche das Werk ſeines Geiſtes, frei und unvergaͤnglich,wie dieſer, iſt.

A. v. Humboldt.