Humboldt und die Schweiz

Johann Wolfgang von Goethe, Höhen der alten und neuen Welt
Von Goethe entworfen mit Bezug auf Humboldts Tableau physique. Auf der rechten Bildseite ist Humboldt als kleine Figur auf dem Chimborazo eingezeichnet.

Oliver Lubrich, „Andine Alpen. Alexander von Humboldt und die Schweiz“, in: Abhandlungen der Humboldt-Gesellschaft 41 (2018), S. 99–123.

Alexander von Humboldt hatte eine besondere Beziehung zur Schweiz. Er bereiste das Land mehrmals (im September und Oktober 1795, im Oktober 1805, im September 1822) und hielt sich als junger Wissenschaftler wiederholt in Bern auf. Im Herbst 1795 erwog er sogar eine Auswanderung. An Christiane von Waldenfels schrieb er (über den Sarner- und den Vierwaldstättersee):

Es bleibt die lieblichste Gegend der ganzen Schweiz, und wenn wir nicht zusammen nach Amerika wandern, so müssen wir dahin, um, abgesondert von den sogenannten gebildeten Menschen, ein stilles glückliches Leben zu führen.1

Mit zahlreichen Schweizern stand Humboldt in Kontakt: mit Agassiz, De Candolle, Desor, Gallatin, Gaudin, Plantamour, La Rive, de Saussure, Tschudi und Ziegler. Von seinen Schweiz-Reisen hinterließ der Verfasser des Kosmos biographische und wissenschaftliche Zeugnisse, die bisher wenig erforscht worden sind. Immer wieder bezieht er sich auf Schweizer Autoren, z. B. Albrecht von Haller oder Marc-Auguste Pictet. Er interessiert sich für Erforschung, Mythologie und Ästhetik der Alpen, die als Vergleichsfolie für die Anden und andere Hochgebirge dienen.
Humboldts private Bibliothek enthielt rund 400 Helvetica.2
Und die Schweizer Medien interessierten sich für ihn bereits zu Lebzeiten: So berichtete die NZZ bis 1859 rund 60 Mal über ihn.3 

Wie gestaltete sich der Austausch mit Schweizer Wissenschaftlern konkret? An welchen Stationen seiner Reisen und in welchen Disziplinen und Diskursen verweist Humboldt besonders häufig auf die Schweiz? Wie bezieht Humboldt die Alpen auf die Anden? Wie viele und welche Schweizer Geographika nennt er, und in welchem Verhältnis stehen sie zu anderen Orten? Wie intensiv sich Humboldt mit der Schweiz beschäftigte, lässt sich in seinem Gesamtwerk sowie anhand der Aufsätze, Artikel und Essays der Berner Ausgabe dokumentieren. Deren Corpus kann mit computerphilologischen Mitteln durchsucht werden, um Helvetica (z. B. Orts- und Personennamen) systematisch zu identifizieren und auszuwerten.


1. [Alexander von Humboldt, Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse, herausgegeben von Kurt-R. Bier­mann, München: C. H. Beck 1987, S. 152–153, hier: S. 153.]
2. [Vgl. Henry Stevens, The Humboldt Library, London: Henry Stevens 1863; nach Sichtung durch Markus Breuning, Bern.]
3. [Vgl. Markus Breuning, Alexander von Humboldt in der Neuen Zürcher Zeitung vom Beginn der Notierungen bis zu Humboldts 100. Todestag 1959. Eine Quellensamlung, Berlin: Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle 2011, S. 7–23.]


Alexander von Humboldt als Helvetologe


Reise durch Venezuela. Auswahl aus den amerikanischen Reisetagebüchern, herausgegeben von Margot Faak, Berlin: Akademie 2000, S. 46:

„Bei Tische ein Bruder des General Marceau [...]. Einer seiner Freunde, der viel Verstand verrieth, und den weißhaarigen Leipziger in die Bordells geführt, sagte: Die Deutschen reisten umher und ruhten nicht eher, als bis sie alles beschnüffelt hätten. Sie wollten überall eingeführt sein, wenn sie aber einmal wo gewesen wären, würden sie gewöhnlich nicht genugsam geehrt, und dann schrieben sie Bücher gegen Frankreich. Der hätte den Berner Bären kennen müssen!“

Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, Band 2, Stuttgart/Tübingen: Cotta 1847, S. 68–69:

„In unserm deutschen Vaterlande hat sich das Naturgefühl wie in der italiänischen und spanischen Litteratur nur zu lange in der Kunstform des Idylls, des Schäferromans und des Lehrgedichts offenbart. Auf diesem Wege wandelten oft der persische Reisende Paul Flemming, Brockes, der gefühlvolle Ewald von Kleist, Hagedorn, Salomon Geßner und einer der größten Naturforscher aller Zeiten, Haller, dessen locale Schilderungen wenigstens bestimmtere Umrisse und eine mehr objective Wahrheit des Colorits darbieten. Das elegisch-idyllische Element beherrschte damals eine schwermüthige Landschaftspoesie, und die Dürftigkeit des Inhalts konnte, selbst in Voß, dem edeln und tiefen Kenner des classischen Alterthums, nicht durch eine höhere und glückliche Ausbildung der Sprache verhüllt werden. Erst als das Studium der Erdräume an Tiefe und Mannigfaltigkeit gewann, als die Naturwissenschaften sich nicht mehr auf tabellarische Aufzählungen seltsamer Erzeugnisse beschränkten, sondern sich zu den großartigen Ansichten einer vergleichenden Länderkunde erhoben, konnte jene Ausbildung der Sprache zu lebensfrischen Bildern ferner Zonen benutzt werden.“