Digitale Ausgabe

Download
TEI-XML (Ansicht)
Text (Ansicht)
Text normalisiert (Ansicht)
Ansicht
Textgröße
Originalzeilenfall ein/aus
Zeichen original/normiert
Zitierempfehlung

Alexander von Humboldt: „Allgemeines Bild der Flora auf der Erde“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1806-Fragment_aus_der-11-neu> [abgerufen am 29.03.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1806-Fragment_aus_der-11-neu
Die Versionsgeschichte zu diesem Text finden Sie auf github.
Titel Allgemeines Bild der Flora auf der Erde
Jahr 1837
Ort Berlin
Nachweis
in: Friedrich Schubart, Deutsche Styl- und Redeschule zu einem leichteren und wirksameren Styl-Unterricht in höheren Lehranstalten beiderlei Geschlechts, Berlin: Gustav Crantz 1837, S. [130]–134.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Schmuck: Initialen; Besonderes: Paragraphenzählung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: II.42
Dateiname: 1806-Fragment_aus_der-11-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 5
Zeichenanzahl: 7766

Weitere Fassungen
Fragment aus der am 30sten Jan. 1806 in der öffentlichen Sitzung der Königl. Akademie gehaltenen Vorlesung: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Berlin, 1806, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse, von Alexander von Humboldt. Vorgelesen in der öffentlichen Sitzung der königl. preuss. Akademie der Wissenschaften am 30 Januar 1806. 29 S. 8. (Jena, 1806, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Weimar, 1806, Deutsch)
Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen von Alexander von Humboldt. Zwey Bände. Zweyte verbesserte und vermehrte Ausgabe. Stuttgart und Tübingen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1826. 12. (Stuttgart; Tübingen, 1827, Deutsch)
Die Fülle des Lebens in der Natur (Wien, 1828, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (London, 1830, Deutsch)
Ueber die Verbreitung und den verschiedenen Charakter des organischen Lebens, besonders der Pflanzen (Frankfurt am Main, 1831, Deutsch)
Ueber die Verbreitung und Mannigfaltigkeit des organischen Lebens, besonders der Pflanzen (Paris; Strasbourg, 1831, Deutsch)
О растенiяхъ [O rastenijach] (Sankt Petersburg, 1834, Russisch)
О повсемѣстномъ разлитiи жизни [O povseměstnom razlitii žizni] (Sankt Petersburg, 1834, Russisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Berlin, 1837, Deutsch)
Alexander von Humboldt (London, 1843, Deutsch)
Alexander von Humboldt (Stuttgart, 1843, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Darmstadt, 1843, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Breda, 1843, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Berlin, 1843, Deutsch)
Alexander von Humboldt (Berlin, 1844, Deutsch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Leipzig, 1843, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (München, 1845, Deutsch)
Beauties of Tropical Vegetation (Bradford, 1849, Englisch)
Beautiful Flowering Trees (Manchester, 1850, Englisch)
Beautiful Flowering Trees (Canterbury, 1850, Englisch)
Universal Diffusion of Life (Boston, Massachusetts, 1850, Englisch)
Vext-Fysiognomik (Helsinki, 1850, Schwedisch)
Beautiful Flowering Trees (Racine, Wisconsin, 1850, Englisch)
Der Pflanzenwuchs in den Tropen (London, 1850, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Stuttgart; Tübingen, 1850, Deutsch)
Beautiful Flowering Trees (Boston, Massachusetts, 1851, Englisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Frankfurt am Main, 1851, Deutsch)
Histoire de la couche végétale du globe (Paris, 1852, Französisch)
La physionomie des plantes (Liège, 1852, Französisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Wien, 1853, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Leipzig, 1853, Deutsch)
Physiognomik der Pflanzenformen (Berlin, 1853, Deutsch)
Die Physiognomik der Gewächse (Hildburghausen; New York City, New York, 1853, Deutsch)
Physiognomik der Gewächse (Stuttgart, 1854, Deutsch)
Physiognomik der Pflanzenformen (Stuttgart, 1855, Deutsch)
|130|

Allgemeines Bild der Flora auf der Erde.

§. 1. Ungleich iſt der Teppich gewebt, den die blüthenreicheFlora über den nackten Erdkörper ausbreitet, dichter, wo dieSonne höher an dem nie bewölkten Himmel emporſteigt, locke-rer gegen die trägen Pole hin, wo der wiederkehrende Froſt balddie entwickelte Knospe tödtet, bald die reifende Frucht erhaſcht.Doch überall darf der Menſch ſich der nährenden Pflanzen er-freun. Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende Fluth,und ſchiebt plötzlich, wie einſt zwiſchen den griechiſchen Inſeln,einen ſchlackigen Fels hervor, oder erheben, um an eine fried-lichere Naturerſcheinung zu erinnern, die einträchtigen Nereidenihre zelligen Wohnungen, bis ſie nach Jahrtauſenden, über denWaſſerſpiegel hervorragend, abſterben, und ein flaches Korallen-Eiland bilden, ſo ſind die organiſchen Kräfte ſogleich bereit, dentodten Fels zu beleben. Was den Saamen ſo plötzlich herbei-führt, ob wandernde Vögel, oder Winde, oder die Wogen desMeeres, iſt bei der großen Entfernung der Küſten ſchwer zuunterſcheiden. |131| §. 2. Aber auf dem nackten Steine, ſobald ihn zuerſt dieLuft berührt, bildet ſich in den nordiſchen Ländern ein Gewebeſammetartiger Faſern, die dem unbewaffneten Auge als farbigeFlecken erſcheinen. Einige ſind durch hervorragende Linien baldeinfach, bald doppelt begrenzt; andere ſind in Furchen durch-ſchnitten, und in Fächer getheilt. Mit zunehmendem Alter ver-dunkelt ſich ihre lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wirdbraun, und das bläuliche Grau der Leprarien verwandelt ſichnach und nach in ein ſtaubartiges Schwarz. Die Grenzen deralternden Decke fließen in einander, und auf dem dunklenGrunde bilden ſich neue zirkelrunde Flechten von blendenderWeiße. §. 3. So lagert ſich ſchichtenweiſe ein organiſches Gewebeauf das andere, und wie das ſich anſiedelnde Menſchengeſchlechtbeſtimmte Stufen der ſittlichen Kultur durchlaufen muß, ſo iſtdie allmälige Verbreitung der Pflanzen an beſtimmte phyſiſcheGeſetze gebunden. Wo jetzt hohe Waldbäume ihre Gipfel luftigerheben, da überzogen einſt zarte Flechten das erdenloſe Geſtein.Laubmooſe, Gräſer, krautartige Gewächſe und Sträucher füllendie Kluft der langen, aber ungemeſſenen Zwiſchenzeit aus. Wasim Norden Flechten und Mooſe, das bewirken in den TropenPortulaceen, Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen.Die Geſchichte der Pflanzendecke, und ihrer allmäligen Ausbrei-tung über die öde Erdrinde, hat ihre Epochen, wie die Ge-ſchichte des ſpäteren Menſchengeſchlechtes. §. 4. Iſt aber auch Fülle des Lebens überall verbreitet,iſt der Organismus auch unabläſſig bemüht, die durch den Todentfeſſelten Elemente zu neuen Geſtalten zu verbinden, ſo iſt dieſeLebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Verſchiedenheit derHimmelsſtriche verſchieden. Periodiſch erſtarrt die Natur in derkalten Zone, denn Flüſſigkeit iſt Bedingniß zum Leben. Thiereund Pflanzen, Laubmoos und andere Cryptogamen abgerechnet,liegen hier viele Monate hindurch im Winterſchlaf vergraben. |132| In einem großen Theile der Erde haben daher nur ſolche orga-niſche Weſen ſich entwickeln können, welche einer beträchtlichenEntziehung von Wärmeſtoff widerſtehen können, oder einer lan-gen Unterbrechung der Lebensſunctionen fähig ſind. Je näherdagegen den Tropen, deſto mehr nimmt Mannigfaltigkeit derBildungen, Anmuth der Form und des Farbengemiſches, ewigeJugend und Kraft des organiſchen Lebens zu. §. 5. Dieſe Zunahme kann leicht von denen bezweifeltwerden, welche nie unſern Welttheil verlaſſen, oder das Stu-dium der allgemeinen Erdkunde vernachläſſigt haben. Wennman aus unſeren dicklaubigen Eichenwäldern über die Alpen-oder Pyrenäen-Kette nach Welſchland oder Spanien hinabſteigt,wenn man gar ſeinen Blick auf die afrikaniſchen Küſtenländerdes Mittelmeeres richtet, ſo wird man leicht zu dem Fehlſchluſſeverleitet, als ſei Baumloſigkeit der Charakter heißer Klimate.Aber man vergißt, daß das ſüdliche Europa eine andere Geſtalthatte, als pelasgiſche oder carthagiſche Pflanzvölker ſich zuerſtdarin feſtſetzten; man vergißt, daß die frühere Bildung desMenſchengeſchlechts die Waldungen verdrängt, und daß derumſchaffende Geiſt der Nationen der Erde allmälig den Schmuckraubt der uns in dem Norden erfreut, und der mehr als alleGeſchichte die Jugend unſerer ſittlichen Kultur anzeigt. Diegroße Kataſtrophe, durch welche das Mittelmeer ſich gebildet,indem es, ein anſchwellendes Binnenwaſſer, die Schleuſen derDardanellen und die Säulen des Herkules durchbrochen, dieſeKataſtrophe ſcheint die angrenzenden Länder eines großen Theilsihrer Dammerde beraubt zu haben. Was bei den griechiſchenSchriftſtellern von den Samothraciſchen Sagen erwähnt wird,deutet die Neuheit dieſer zerſtörenden Naturveränderung an. §. 6. Auch iſt in allen Ländern, welche das Mittelmeerbegrenzt, und welche die Kalkformation des Jura charakteriſirt,ein großer Theil der Erdoberfläche nackter Fels. Das Male-riſche italieniſcher Gegenden beruht vorzüglich auf dieſem lieb- |133| lichen Kontraſte zwiſchen dem unbelebten öden Geſtein und derüppigen Vegetation, welche inſelförmig darin aufſproßt. Wodieſes Geſtein, minder zerklüftet, die Waſſer auf der Oberflächezuſammen hält, wo dieſe mit Erde bedeckt iſt, wie an den rei-zenden Ufern des Albaner Sees, da hat ſelbſt Italien ſeineEichenwälder, ſo ſchattig und grün, als der Bewohner des Nor-dens ſie wünſcht. §. 7. Auch die Wüſten jenſeits des Atlas, und die uner-meßlichen Ebenen oder Steppen von Südamerika ſind als bloßeLokalerſcheinungen zu betrachten. Dieſe findet man, in der Re-genzeit wenigſtens, mit Gras und niedrigen, faſt krautartigenMimoſen bedeckt; jene ſind Sandmeere im Innern des altenContinents, große pflanzenleere Räume, mit ewiggrünenden wal-digen Ufern umgeben. Nur einzeln ſtehende Fächerpalmen erin-nern den Wanderer, daß dieſe Einöden Theile einer belebtenSchöpfung ſind. Im trügeriſchen Lichtſpiele, das die ſtrahlendeWärme erregt, ſieht man bald den Fuß dieſer Palmen frei inder Luft ſchweben, bald ihr umgekehrtes Bild in den wogen-artigzitternden Luftſchichten wiederholt. Auch weſtlich von derperuaniſchen Andeskette, an den Küſten des ſtillen Meeres habenwir Wochen gebraucht, um ſolche waſſerleere Wüſten zu durch-ſtreichen. §. 8. Der Urſprung derſelben, dieſe Pflanzenloſigkeit gro-ßer Erdſtrecken in Gegenden, wo umher die kraftvollſte Vege-tation herrſcht, iſt ein wenig beachtetes geognoſtiſches Phänomen,welches ſich unſtreitig in allen Naturrevolutionen, in Ueber-ſchwemmungen oder vulkaniſchen Umwandlungen der Erdrindegründet. Hat eine Gegend einmal ihre Pflanzendecke verloren,iſt der Sand beweglich und quellenleer, hindert die heiße, ſenk-recht aufſteigende Luft den Niederſchlag der Wolken, ſo vergehenJahrtauſende, ehe von den grünen Ufern aus organiſches Lebenin das Innere der Einöde dringt. §. 9. Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu um- |134| faſſen, und von Lokalphänomenen zu abſtrahiren weiß, der ſiehtmit Zunahme der belebenden Wärme, von den Polen zum Ae-quator hin, ſich auch allmälig organiſche Kraft und Lebensfüllevermehren. Aber bei dieſer Vermehrung ſind jedem Erdſtrichebeſondere Schönheiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltig-keit und Größe der Pflanzenformen, dem Norden der Anblickder Wieſen, und das periodiſche Wiedererwachen der Natur beimerſten Wehen der Frühlingslüfte. Jede Zone hat außer den ihreigenen Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter. Sowie man an einzelnen organiſchen Weſen eine beſtimmte Phy-ſiognomie erkennt, wie beſchreibende Botanik und Zoologie, imengeren Sinne des Wortes faſt nichts als Zergliederung derThier- und Pflanzenformen iſt: ſo giebt es auch eine gewiſſeNaturphyſiognomie, welche jedem Himmelsſtriche ausſchließlichzukommt.

Alexander von Humboldt.