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Alexander von Humboldt: „Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1806-Fragment_aus_der-06-neu> [abgerufen am 16.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1806-Fragment_aus_der-06-neu
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Titel Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse
Jahr 1830
Ort London
Nachweis
in: Ludwig von Mühlenfels, A Manual of German Literature, Containing Classical Specimens of German Prose and Poetry, Systematically Arranged, 2 Bände, London: J. Taylor 1830, Band 1, S. 181–203.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Auszeichnung: Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: II.42
Dateiname: 1806-Fragment_aus_der-06-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 23
Zeichenanzahl: 37185

Weitere Fassungen
Fragment aus der am 30sten Jan. 1806 in der öffentlichen Sitzung der Königl. Akademie gehaltenen Vorlesung: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Berlin, 1806, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse, von Alexander von Humboldt. Vorgelesen in der öffentlichen Sitzung der königl. preuss. Akademie der Wissenschaften am 30 Januar 1806. 29 S. 8. (Jena, 1806, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Weimar, 1806, Deutsch)
Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen von Alexander von Humboldt. Zwey Bände. Zweyte verbesserte und vermehrte Ausgabe. Stuttgart und Tübingen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1826. 12. (Stuttgart; Tübingen, 1827, Deutsch)
Die Fülle des Lebens in der Natur (Wien, 1828, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (London, 1830, Deutsch)
Ueber die Verbreitung und den verschiedenen Charakter des organischen Lebens, besonders der Pflanzen (Frankfurt am Main, 1831, Deutsch)
Ueber die Verbreitung und Mannigfaltigkeit des organischen Lebens, besonders der Pflanzen (Paris; Strasbourg, 1831, Deutsch)
О растенiяхъ [O rastenijach] (Sankt Petersburg, 1834, Russisch)
О повсемѣстномъ разлитiи жизни [O povseměstnom razlitii žizni] (Sankt Petersburg, 1834, Russisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Berlin, 1837, Deutsch)
Alexander von Humboldt (London, 1843, Deutsch)
Alexander von Humboldt (Stuttgart, 1843, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Darmstadt, 1843, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Breda, 1843, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Berlin, 1843, Deutsch)
Alexander von Humboldt (Berlin, 1844, Deutsch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Leipzig, 1843, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (München, 1845, Deutsch)
Beauties of Tropical Vegetation (Bradford, 1849, Englisch)
Beautiful Flowering Trees (Manchester, 1850, Englisch)
Beautiful Flowering Trees (Canterbury, 1850, Englisch)
Universal Diffusion of Life (Boston, Massachusetts, 1850, Englisch)
Vext-Fysiognomik (Helsinki, 1850, Schwedisch)
Beautiful Flowering Trees (Racine, Wisconsin, 1850, Englisch)
Der Pflanzenwuchs in den Tropen (London, 1850, Deutsch)
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Stuttgart; Tübingen, 1850, Deutsch)
Beautiful Flowering Trees (Boston, Massachusetts, 1851, Englisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Frankfurt am Main, 1851, Deutsch)
Histoire de la couche végétale du globe (Paris, 1852, Französisch)
La physionomie des plantes (Liège, 1852, Französisch)
Allgemeines Bild der Flora auf der Erde (Wien, 1853, Deutsch)
Das Leben in der Schöpfung (Leipzig, 1853, Deutsch)
Physiognomik der Pflanzenformen (Berlin, 1853, Deutsch)
Die Physiognomik der Gewächse (Hildburghausen; New York City, New York, 1853, Deutsch)
Physiognomik der Gewächse (Stuttgart, 1854, Deutsch)
Physiognomik der Pflanzenformen (Stuttgart, 1855, Deutsch)
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Ideen zu einer Physiognomik der Gewächſe.


Wenn der Menſch mit regſamem Sinne die Naturdurchforſcht, oder in ſeiner Phantaſie die weitenRäume der organiſchen Schöpfung mißt, ſo wirktunter den vielfachen Eindrücken, die er empfängt,keiner ſo tief und mächtig als der, welchen die allver-breitete Fülle des Lebens erzeugt. Ueberall, ſelbſtam beeiſten Pol, ertönt die Luft von dem Geſangeder Vögel, wie von dem Sumſen ſchwirrender Inſec-ten. Nicht die unteren Schichten allein, in welchendie verdichteten Dünſte ſchweben, auch die oberenätheriſch-reinen, ſind belebt. Denn ſo oft man denRücken der peruaniſchen Cordilleren, oder, ſüdlichvom Leman See, den Gipfel des Weiſſen-Bergesbeſtieg, hat man ſelbſt in dieſen Einöden noch Thiereentdeckt. Am Chimborazo, faſt zweimal höher alsder Aetna, ſahen wir Schmetterlinge und anderegeflügelte Inſecten. Wenn auch, von ſenkrechten |182| Luftſtrömen getrieben, ſie ſich dahin, als Fremdlinge,verirrten, wohin unruhige Forſchbegier des Menſchenſorgſame Schritte leitet; ſo beweiſet ihr Daſeyndoch, daß die biegſamere animaliſche Schöpfungausdauert, wo die vegetabiliſche längſt ihre Gränzeerreicht hat. Höher, als der Kegelberg von Teneriffaauf den ſchneebedeckten Rücken der Pyrenäen ge-thürmt; höher, als alle Gipfel der Andeskette,ſchwebte oft über uns der Cundur, der Rieſe unterden Geiern. Raubſucht und Nachſtellung der zart-wolligen Vikunnas, welche gemſenartig und heerden-weiſe in den beſchneiten Grasebenen ſchwärmen, lok-ken den mächtigen Vogel in dieſe Region. Zeigt nun ſchon das unbewaffnete Auge den ganzenLuftkreis belebt, ſo enthüllt noch gröſſere Wunder dasbewaffnete Auge. Räderthiere, Brachionen, undeine Schaar mikroſkopiſcher Geſchöpfe heben dieWinde aus den trocknenden Gewäſſern empor. Unbe-weglich und in Scheintod verſenkt, ſchweben ſie in denLüften, bis der Thau ſie zur nährenden Erde zurück-führt, die Hülle löſt, die ihren durchſichtigen wir-belnden Körper einſchließt, und (wahrſcheinlich durchden Lebensſtoff, den alles Waſſer enthält) den Organenneue Erregbarkeit einhaucht. Neben den entwickelten Geſchöpfen trägt der Luft-kreis auch zahlloſe Keime künftiger Bildungen, In-ſecten-Eier und Eier der Pflanzen, die durch Haar-und Feder-Kronen zur langen Herbſtreiſe geſchicktſind. Selbſt den belebenden Staub, den, bei ge-trennten Geſchlechtern, die männlichen Blüthen aus-ſtreuen, tragen Winde und geflügelte Inſecten, überMeer und Land den einſamen weiblichen zu. Wohinder Blick des Naturforſchers dringt, iſt Leben, oderKeim zum Leben, verbreitet. |183| Dient aber auch das bewegliche Luftmeer, in daswir getaucht ſind, und über deſſen Oberfläche wir unsnicht zu erheben vermögen, vielen organiſchen Ge-ſchöpfen zur nothwendigſten Nahrung; ſo bedürfendieſelben dabei doch noch einer gröberen Speiſe, welchenur der Boden dieſes gasförmigen Ozeans darbietet.Dieſer Boden iſt zwiefacher Art. Den Kleineren Theilbildet die trockene Erde, unmittelbar von Luft um-floſſen; den gröſſeren Theil bildet das Waſſer, viel-leicht einſt vor Jahrtauſenden durch elektriſches Feueraus luftförmigen Stoffen zuſammengeronnen, undjetzt unaufhörlich in der Werkſtatt der Wolken, wiein den pulſirenden Gefäſſen der Thiere und Pflanzen,zerſezt. Unentſchieden iſt es, wo gröſſere Lebensfülle ver-breitet ſey; ob auf dem Continent, oder in dem uner-gründeten Meere. In dieſem erſcheinen gallertartigeSeegewürme, bald lebendig, bald abgeſtorben, alsleuchtende Sterne. Ihr Phosphorlicht wandelt diegrünliche Fläche des unermeßlichen Ozeans in einFeuermeer um. Unauslöſchlich wird mir der Eindruckjener ſtillen Tropen-Nächte der Südſee bleiben, woauß der duftigen Himmelsbläue das hohe Sternbilddes Schiffes und das geſenkt untergehende Kreuz ihrmildes planetariſches Licht ausgoſſen, und wo zugleichin der ſchäumenden Meeresfluth die Delphine ihreleuchtenden Furchen zogen. Aber nicht der Ozean allein, auch die Sumpfwaſſerverbergen zahlloſe Gewürme von wunderbarer Geſtalt.Unſerem Auge faſt unerkennbar ſind die Cyclidien,die gefranzten Trichoden und das Heer der Naiden,theilbar durch Aeſte, wie die Lemna, deren Schattenſie ſuchen. Von mannigfaltigen Luftgemengen umge- |184| ben, und mit dem Lichte unbekannt, athmen die ge-fleckte Aſkaris, welche die Haut des Regenwurms, dieſilberglänzende Leukophra, welches das Innere derUfer-Naide, und ein Pentaſtoma, welche die weit-zellige Lunge der tropiſchen Klapperſchlange bewohnt.So ſind auch die verborgenſten Räume der Schöpfungmit Leben erfüllt. Wir wollen hier beſcheiden bei denGeſchlechtern der Pflanzen verweilen; denn auf ihremDaſeyn beruht das Daſeyn der thieriſchen Schöpfung.Unabläſſig ſind ſie bemüht, den rohen Stoff der Erdeorganiſch an einander zu reihen, und vorbereitend,durch lebendige Kraft, zu miſchen, was nach tauſendUmwandlungen zur regſamen Nervenfaſer veredeltwird. Derſelbe Blick, den wir auf die Verbreitungder Pflanzendecke heften, enthüllt uns die Fülle desthieriſchen Lebens, das von jener genährt und erhaltenwird. Ungleich iſt der Teppich gewebt, den die blüthen-reiche Flora über den nackten Erdkörper ausbreitet;dichter, wo die Sonne höher an dem nie bewölktenHimmel emporſteigt; lockerer gegen die trägen Polehin, wo der wiederkehrende Froſt bald die entwickelteKnospe tödtet, bald die reifende Frucht erhaſcht.Doch überall darf der Menſch ſich der nährendenPflanzen erfreuen. Trennt im Meeresboden einVulkan die kochende Fluth, und ſchiebt plötzlich (wieeinſt zwiſchen den griechiſchen Inſeln) einen ſchlackigenFels empor; oder erheben (um an eine friedlichereNaturerſcheinung zu erinnern) die einträchtigen Litho-phyten ihre zelligen Wohnungen, bis ſie nach Jahr-tauſenden über den Waſſerſpiegel hervorragend,abſterben, und ein flaches Corallen-Eiland bilden: ſoſind die organiſchen Kräfte ſogleich bereit, den todten |185| Fels zu beleben. Was den Saamen ſo plötzlich her-beiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde, oderdie Wogen des Meeres; iſt bei der großen Entfer-nung der Küſten ſchwer zu entſcheiden. Aber aufdem nackten Steine, ſobald ihn zuerſt die Luft be-rührt, bildet ſich in den nordiſchen Ländern einGewebe ſamtartiger Faſern, die dem unbewaffnetenAuge als farbige Flecken erſcheinen. Einige ſinddurch hervorragende Linien bald einfach, bald doppeltbegränzt; andere ſind in Furchen durchſchnitten undin Fächer getheilt. Mit zunehmendem Alter verdun-kelt ſich ihre lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelbwird braun, und das bläuliche Grau der Leprarienverwandelt ſich nach und nach in ein ſtaubartigesSchwarz. Die Gränzen der alternden Decke fließenin einander, und auf dem dunkeln Grunde bilden ſichneue zirkelrunde Flechten von blendender Weiſſe. Solagert ſich ſchichtenweiſe ein organiſches Gewebe aufdas andere; und wie das ſich anſiedelnde Menſchenge-ſchlecht beſtimmte Stufen der ſittlichen Kultur durch-laufen muß, ſo iſt die allmählige Verbreitung derPflanzen an beſtimmte phyſiſche Geſetze gebunden.Wo jetzt hohe Waldbäume ihre Gipfel luftig erheben,da überzogen einſt zarte Flechten das erdenloſeGeſtein. Laubmooſe, Gräſer, krautartige Gewächſeund Sträucher, füllen die Kluft der langen, aberungemeſſenen Zwiſchenzeit aus. Was im NordenFlechten und Mooſe, das bewirken in den TropenPortulaca, Gomphrenen und andere niedrige Ufer-pflanzen. Die Geſchichte der Pflanzendecke, und ihreallmählige Ausbreitung über die öde Erdrinde, hatihre Epochen, wie die Geſchichte des ſpätern Men-ſchengeſchlechts. |186| Iſt aber auch Fülle des Lebens überall verbreitet;iſt der Organismus auch unabläſſig bemüht, die durchden Tod entfeſſelten Elemente zu neuen Geſtalten zuverbinden: ſo iſt dieſe Lebensfülle und ihre Erneue-rung doch nach Verſchiendenheit der Himmelsſtricheverſchieden. Periodiſch erſtarrt die Natur in derkalten Zone; denn Flüſſigkeit iſt Bedingniß zumLeben. Thiere und Pflanzen (Laubmooſe und andereCryptogamen abgerechnet) liegen hier viele Monatehindurch im Winterſchlaf vergraben. In einemgroſſen Theile der Erde haben daher nur ſolche orga-niſche Weſen ſich entwickeln können, welche einerbeträchtlichen Entziehung von Wärmeſtoff wider-ſtehen, oder einer langen Unterbrechung der Lebens-functionen fähig ſind. Je näher dagegen den Tropen,deſto mehr nimmt Mannigfaltigkeit der Bildungen,Anmuth der Form und des Farbengemiſches, ewigeJugend und Kraft des organiſchen Lebens zu. Dieſe Zunahme kann leicht von denen bezweifeltwerden, welche nie unſern Welttheil verlaſſen, oderdas Studium der allgemeinen Erdkunde vernachläs-ſigt haben. Wenn man aus unſern dicklaubigenEichenwäldern über die Alpen- oder Pyrenäen-Kettenach Welſchland oder Spanien hinabſteigt; wennman gar ſeinen Blick auf die afrikaniſchen Küſten-länder des Mittelmeeres richtet: ſo wird man leichtzu dem Fehlſchluſſe verleitet, als ſey Baumloſigkeitder Charakter heißer Klimate. Aber man vergißt,daß das ſüdliche Europa eine andere Geſtalt hatte, alspelasgiſche oder carthagiſche Pflanzvölker ſich zuerſtdarin feſtſetzen; man vergißt, daß frühere Bildungdes Menſchengeſchlechts die Waldungen verdrängt,und daß der umſchaffende Geiſt der Nationen der Er- |187| de allmählig den Schmuck raubt, der uns in demNorden erfreut, und der (mehr, als alle Geſchichte)die Jugend unſerer ſittlichen Kultur anzeigt. Diegroße Kataſtrophe, durch welche das Mittelmeer ſichgebildet, indem es, ein anſchwellendes Binnenwaſſer,die Schleuſen der Dardanellen und die Säulen des Herkules durchbrochen, dieſe Kataſtrophe ſcheint dieangränzenden Länder eines groſſen Theils ihrerDammerde beraubt zu haben. Was bei den griechi-ſchen Schriftſtellern von den Samothraciſchen Sagenerwähnt wird, deutet die Neuheit dieſer zerſtörendenNaturveränderung an. Auch iſt in allen Län-dern, welche das Mittelmeer begränzt, und welche dieKalkformation des Jura charakteriſirt, ein großerTheil der Erdoberfläche nackter Fels. Das Mahleri-ſche italieniſcher Gegenden beruht vorzüglich auf die-ſem lieblichen Kontraſte zwiſchen dem unbelebten ödenGeſtein und der üppigen Vegetation, welche inſelför-mig darin aufſproſſt. Wo dieſes Geſtein, minderzerklüftet, die Waſſer auf der Oberfläche zuſammenhält, wo dieſe mit Erde bedeckt iſt, (wie an denreizenden Ufern des Albaner Sees) da hat ſelbſtItalien ſeine Eichenwälder, ſo ſchattig und grün, alsder Bewohner des Nordens ſie wünſcht. Auch die Wüſten jenſeits des Atlas, und die uner-meßlichen Ebenen oder Steppen von Süd-Amerika,ſind als bloße Lokalerſcheinungen zu betrachten. Dieſefindet man, in der Regenzeit wenigſtens, mit Grasund niedrigen, faſt krautartigen Mimoſen bedeckt;jene ſind Sand-Meere im Innern des alten Conti-nents, große pflanzenleere Räume, mit ewiggrünenwaldigen Ufern umgeben. Nur einzeln ſtehendeFächerpalmen erinnern den Wanderer, daß dieſeEinöden Theile einer belebten Schöpfung ſind. Im |188| trügeriſchen Lichtſpiele, das die ſtrahlende Wärmeerregt, ſieht man bald den Fuß dieſer Palmen freiin der Luft ſchweben, bald ihr umgekehrtes Bild inden wogenartig zitternden Luftſchichten wiederholt.Auch weſtlich von der peruaniſchen Andeskette, an denKüſten des Stillen Meeres, haben wir Wochen ge-braucht, um ſolche waſſerleere Wüſten zu durch-ſtreichen. Der Urſprung derſelben, dieſe Pflanzenloſigkeitgroſſer Erdſtrecken, in Gegenden, wo umher diekraftvolleſte Vegetation herrſcht, iſt ein wenig beach-tetes geognoſtiſches Phänomen, welches ſich unſtreitigin alten Naturrevolutionen (in Ueberſchwemmungen,oder vulkaniſchen Umwandelungen der Erdrinde)gründet. Hat eine Gegend einmal ihre Pflanzen-decke verloren, iſt der Sand beweglich und quellenleer,hindert die heiſſe, ſenkrecht aufſteigende Luft denNiederſchlag der Wolken: ſo vergehen Jahrtauſende,ehe von den grünen Ufern aus organiſches Leben indas Innere der Einöde dringt. Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu um-faſſen, und von Lokalphänomenen zu abſtrahirenweiß, der ſieht, wie mit Zunahme der belebendenWärme, von den Polen zum Aequator hin, ſich auchallmählig organiſche Kraft und Lebensfülle vermehren.Aber bei dieſer Vermehrung ſind doch jedem Erdſtrichebeſondere Schönheiten vorbehalten: den Tropen Man-nichfaltigkeit und Größe der Pflanzenformen; demNorden der Anblick der Wieſen, und das periodiſcheWiedererwachen der Natur beim erſten Wehen derFrühlingslüfte. Jede Zone hat auſſer den, ihr eige-nen Vorzügen, auch ihren eigenthümlichen Charakter.So wie man an einzelnen organiſchen Weſen eine be-ſtimmte Phyſiognomie erkennt; wie beſchreibende Bo- |189| tanik und Zoologie, im engern Sinne des Worts,faſt nichts als Zergliederung der Thier- und Pflanzen-formen iſt; ſo giebt es auch eine gewiſſe Naturphy-ſiognomie, welche jedem Himmelsſtriche ausſchließlichzukommt. Was der Mahler mit den Ausdrücken ſchweizerNatur, italieniſcher Himmel, bezeichnet, gründet ſichauf das dunkle Gefühl dieſes lokalen Naturcharakters.Himmelsbläue, Beleuchtung, Duft, der auf der Ferneruht, Geſtalt der Thiere, Saftfülle der Kräuter,Glanz des Laubes, Umriß der Berge — alle dieſeElemente beſtimmen den Totaleindruck einer Gegend.Zwar bilden unter allen Zonen dieſelben GebirgsartenTrachyt, Baſalt, Porphyr-Schiefer und Dolomit,Felsgruppen derſelben Phyſiognomie. Die Grünſtein-klippen in Süd-Amerika und Mexiko gleichendenen des deutſchen Fichtelgebirges, wie unter denThieren, die Form des Alco oder der urſprünglichenHunderace des Neuen Continents, mit der der euro-päiſchen Race übereinſtimmt. Denn die unorganiſcheRinde der Erde iſt gleichſam unabhängig von klimati-ſchen Einflüſſen; ſey es, daß der Unterſchied der Kli-mate neuer als das Geſtein iſt; ſey es, daß die er-härtende, Wärme-entbindende Erdmaſſe ſich ſelbſtihre Temperatur gab, ſtatt ſie von auſſen zu emp-fangen. Alle Formationen ſind daher allen Weltge-genden eigen, und in allen gleichgeſtaltet. Ueberallbildet der Baſalt Zwillings-Berge und abgeſtumpfteKegel; überall erſcheint der Trapporphyr in groteſkenFelsmaſſen, der Granit in ſanftrundlichen Kuppen.Auch ähnliche Pflanzenformen, Tannen und Eichen,bekränzen die Berggehänge in Schweden, wie die desſüdlichſten Theils von Mexiko. Und bei aller dieſerUebereinſtimmung in den Geſtalten, bei dieſer |190| Gleichheit der einzelnen Umriſſe, nimmt die Grup-pirung derſelben zu einem Ganzen doch den verſchie-denſten Character an. So wie die Kenntniß der Foſſilien ſich von derGebirgslehre unterſcheidet; ſo iſt von der individuellenNaturbeſchreibung die allgemeine oder die Phyſiogno-mik der Natur, verſchieden. Georg Forſter in ſeinenReiſen und in ſeinen kleinen Schriften; Göthe in denNaturſchilderungen, welche ſo manche ſeiner unſterb-lichen Werke enthalten; Herder, Büffon, Bernardinde St. Pierre, und Chateaubriand, haben mit un-nachahmlicher Wahrheit den Character einzelner Him-melsſtriche geſchildert. Solche Schilderungen ſindaber nicht blos dazu geeignet, dem Gemüthe einen Ge-nuß der edelſten Art zu verſchaffen; nein, die Kennt-niß von dem Naturcharacter verſchiedener Weltgegen-den iſt mit der Geſchichte des Menſchengeſchlechtes,und mit der ſeiner Kultur, aufs innigſte verknüpft.Denn wenn auch der Anfang dieſer Kultur nicht durchphyſiſche Einflüſſe allein beſtimmt wird; ſo hängtdoch die Richtung derſelben, ſo hängen Volkscharacter,düſtere oder heitere Stimmung der Menſchheit,großentheils von klimatiſchen Verhältniſſen ab. Wiemächtig hat der griechiſche Himmel auf ſeine Bewohnergewirkt! Wie ſind nicht in dem ſchönen und glücklichenErdſtriche zwiſchen dem Oxus, dem Tigris, und demägeiſchen Meere, die ſich anſiedelnden Völker zuerſtzu ſittlicher Anmuth und zarteren Gefühlen erwacht!Und haben nicht, als Europa in neue Barbarei ver-ſank, und religiöſe Begeiſterung plötzlich den heiligenOrient öffnete, unſere Vorältern aus jenen mildenThälern von neuem mildere Sitten heimgebracht!Die Dichterwerke der Griechen und die rauheren Ge-ſänge der nordiſchen Urvölker verdankten größtentheils |191| ihren eigenthümlichen Character der Geſtalt derPflanzen und Thiere, den Gebirgsthälern, die denDichter umgaben, und der Luft, die ihn umwehte.Wer fühlt ſich nicht, um ſelbſt nur an nahe Gegen-ſtände zu erinnern, anders geſtimmt, in dem dunkelnSchatten der Buchen, oder auf Hügeln, die mit ein-zeln ſtehenden Tannen bekränzt ſind; oder auf derGrasflur, wo der Wind in dem zitternden Laube derBirken ſäuſelt! Melancholiſche, ernſterhebende, oderfröhliche Bilder rufen dieſe vaterländiſche Pflanzenge-ſtalten in uns hervor. Der Einfluß der phyſiſchenWelt auf die moraliſche, dieß geheimnißvolle Ineinan-der-Wirken des Sinnlichen und Auſſerſinnlichen, gibtdem Naturſtudium, wenn man es zu höheren Geſichts-punkten erhebt, einen eigenen, noch zu wenig ge-kannten Reiz. Wenn aber auch der Character verſchiedener Welt-gegenden von allen äuſſeren Erſcheinungen zugleich ab-hängt; wenn Umriß der Gebirge, Phyſiognomie derPflanzen und Thiere, wenn Himmelsbläue, Wolken-geſtalt und Durchſichtigkeit des Luftkreiſes, den To-taleindruck bewirken; ſo iſt doch nicht zu läugnen, daßdas Hauptbeſtimmende dieſes Eindrucks die Pflanzen-decke iſt. Dem thieriſchen Organismus fehlt es anMaſſe, und die Beweglichkeit der Individuen entziehtſie oft unſern Blicken. Die Pflanzenſchöpfung da-gegen wirkt durch ſtetige Größe auf unſere Einbil-dungskraft. Ihre Maſſe bezeichnete ihr Alter, und inden Gewächſen allein iſt Alter und Ausdruck ſtets ſicherneuernder Kraft mit einander gepaart. Der rieſen-förmige Drachenbaum, den ich auf den kanariſchenInſeln ſah, und der 16 Schuh im Durchmeſſer hat,trägt noch immerdar (gleichſam in ewiger Jugend)Blüthe und Frucht. Als franzöſiſche Abentheurer, die |192| Bethencourts, im Anfang des funfzehnten Jahrhun-derts, die Glücklichen Inſeln eroberten, war derDrachenbaum von Oratava (den Eingebornen heiligwie der Oelbaum in der Burg zu Athen, oder dieUlme zu Epheſus) von eben der koloſſalen Stärke alsjetzt. In den Tropen iſt ein Wald von Hymeneen undCaeſalpinien vielleicht das Denkmal von einem Jahr-tauſend. Umfaßt man mit Einem Blick die verſchiedenenPflanzenarten, welche bereits auf dem Erdboden ent-deckt ſind, und deren Zahl nach Decandolle’s Schäzungüber 56,000 beträgt; ſo erkennt man in dieſer wun-dervollen Menge wenige Hauptformen, auf welche ſichalle andere zurückführen laſſen. Zur Beſtimmung die-ſer Formen, von deren individueller Schönheit, Ver-theilung und Gruppirung die Phyſiognomie der Ve-getation eines Landes abhangt, muß man nicht (wie inden botaniſchen Syſtemen aus andern Beweggründengeſchieht) auf die kleinſten Theile der Blüthen undFrüchte, ſondern nur auf das Rückſicht nehmen, wasdurch Maſſe den Totaleindruck einer Gegend indivi-dualiſirt. Unter den Hauptformen der Vegetationgibt es allerdings ganze Familien der ſogenannten na-türlichen Syſteme. Bananengewächſe und Palmenwerden auch in dieſen einzeln aufgeführt. Aber derbotaniſche Syſtematiker trennt eine Menge vonPflanzengruppen, welche der Phyſiognomiker ſich ge-zwungen ſieht, mit einander zu verbinden. Wo dieGewächſe ſich als Maſſen darſtellen, fließen Umriſſeund Vertheilung der Blätter, Geſtalt der Stämmeund Zweige, in einander. Der Maler (und geradedem feinen Naturgefühle des Künſtlers kommt hier derAusſpruch zu!) unterſcheidet in dem Mittel- und Hin-tergrunde einer Landſchaft Tannen- oder Palmen- |193| gebüſche von Buchen, nicht aber dieſe von andernLaubholzwäldern! Sechzehn Pflanzenformen beſtimmen hauptſächlichdie Phyſiognomie der Natur. Ich zähle nur diejenigenauf, welche ich bei meinen Reiſen durch beide Welt-theile, und bei einer vieljährigen Aufmerkſamkeit aufdie Vegetation der verſchiedenen Himmelsſtrichezwiſchen dem 55ſten Grade nördlicher und dem 12tenGrade ſüdlicher Breite, beobachtet habe. Die Zahldieſer Formen wird gewiß anſehnlich vermehrt werden;wenn man einſt in das Innere der Continente tiefereindringt, und neue Pflanzengattungen entdeckt. Imſüdöſtlichen Aſien, im Innern vonAfrikaund Neu-holland, in Süd-Amerika vom Amazonenſtrome bis zuder Provinz Chiquitos hin, iſt uns die Vegetationnoch völlig unbekannt. Wie, wenn man einmal einLand entdeckte, in dem holzige Schwämme, z. B. Cla-varien oder Mooſe, hohe Bäume bildeten? Neckeradendroïdes, ein deutſches Laubmoos, iſt in der Thatbaumartig, und die tropiſchen Farrenkräuter, ofthöher als unſere Linden und Erlen, ſind für den Eu-ropäer noch jetzt ein eben ſo überraſchender Anblick,als dem erſten Entdecker ein Wald hoher Laubmooſeſeyn würde! Größe und Entwickelung der Organehängt von der Begünſtigung klimatiſcher Verhältniſſeab. Die kleine, aber ſchlanke Form unſerer Eidechſedehnt ſich im Süden zu dem koloſſalen und gepanzertenKörper furchtbarer Crocodyle aus. In den unge-heuern Katzen vonAfrikaund Amerika, im Tiger, imLöwen und Jaguar, iſt die Geſtalt eines unſererkleinſten Hausthiere nach einem größeren Maasſtabewiederholt. Dringen wir gar in das Innere derErde, durchwühlen wir die Grabſtätte der Pflanzenund Thiere, ſo verkündigen uns die Verſteinerungen |194| nicht blos eine Vertheilung der Formen, die mit denjetzigen Klimaten in Widerſpruch ſteht; nein, ſie zeigenuns auch koloſſale Geſtalten, welche mit den kleinlichen,die uns gegenwärtig umgeben, nicht minder contraſti-ren, als die einfache Heldennatur der Griechen gegendie Charactergröße neuerer Zeit. Hat die Tempera-tur des Erdkörpers beträchtliche, vielleicht periodiſchwiederkehrende Veränderungen erlitten; iſt das Ver-hältniß zwiſchen Meer und Land, ja ſelbſt die Höhedes Luftozeans und ſein Druck nicht immer derſelbegeweſen: ſo muß die Phyſiognomie der Natur, ſomüſſen Größe und Geſtalt des Organismus, ebenfallsſchon manchem Wechſel unterworfen geweſen ſeyn.Unfähig, dieſe Phyſiognomie des alternden Planetennach ihren gegenwärtigen Zügen vollſtändig zu ſchil-dern, wage ich nur diejenigen Charaktere auszuheben,welche jeder Pflanzengruppe vorzüglich zukommen.Bei allem Reichthum und aller Biegſamkeit unſerervaterländiſchen Sprache, iſt es ein ſchwieriges Unter-nehmen, mit Worten zu bezeichnen, was eigentlichnur der nachahmenden Kunſt des Malers darzuſtellengeziemt. Auch wünſchte ich, das Ermüdende des Ein-drucks zu vermeiden, das jede Aufzählung einzelnerFormen unausbleiblich erregen muß. Wir beginnen mit den Palmen, der höchſten undedelſten aller Pflanzengeſtalten. Denn ihr habenſtets die Völker (und die früheſte Menſchenbildung warin der aſiatiſchen Palmenwelt, oder in dem Erdſtriche,der zunächſt an die Palmenwelt gränzt) den Preis derSchönheit zuerkannt. Hohe, ſchlanke, geringelte, bis-weilen ſtachlichte Schäfte mit anſtrebendem, glänzen-dem, bald gefächertem, bald gefiedertem Laube. DieBlätter ſind oft grasartig gekräuſelt. Der glatteStamm erreicht bis 180 Fuß Höhe. Die Palmenform |195| nimmt an Pracht und Größe ab, vom Aequator gegendie gemäßigte Zone hin. Europa hat unter ſeinen ein-heimiſchen Gewächſen nur einen Repräſentanten dieſerForm, die zwergartige Küſtenpalme, den Chamae-rops, der in Spanien und Italien ſich nördlich biszum 44ſten Breitengrade erſtreckt. Das eigentlichePalmenklima der Erde hat zwiſchen 19° und 22° Reaum. mittlerer jährlichen Wärme. Aber die aus Afrika zu uns gebrachte Dattelpalme, welche minderſchön als andere Arten dieſer Gruppen iſt, vegetirtnoch im ſüdlichen Europa in Gegenden, deren mittlereTemperatur 13° bis 14° iſt. Palmenſtämme und Ele-phantengerippe liegen im nördlichen Europa im In-nern der Erde vergraben, und ihre Lage macht eswahrſcheinlich, daß ſie nicht von den Tropen her gegenNorden geſchwemmt wurden; ſondern, daß in dengroßen Revolutionen unſeres Planeten die Klimate,wie die durch ſie beſtimmte Phyſiognomie der Natur,vielfach verändert worden ſind. Zu den Palmen geſellt ſich in allen Welttheilen diePiſang- oder Bananenform, die Scitamineen undMuſaceen der Botaniker, Heliconia, Amomum,Strelitzia. Ein niedriger aber ſaftreicher, faſtkrautartiger Stamm, an deſſen Spitze ſich dünn- undlockergewebte, zartgeſtreifte, ſeidenartig-glänzendeBlätter erheben. Piſanggebüſche ſind der Schmuckfeuchter Gegenden. Auf ihrer Frucht beruht die Nah-rung aller Bewohner des heißen Erdgürtels. Wie diemehlreichen Cerealien oder Getreidearten des Nor-dens, ſo begleiten Piſangſtämme den Menſchen ſeitder früheſten Kindheit ſeiner Kultur. Aſiatiſche My-then ſetzen die urſprüngliche Heimath dieſer nährendenTropenpflanze an den Euphrat, oder an den Fuß desHimalaya-Gebirges in Indien. Griechiſche Sagen |196| nennen die Gefilde von Enna als das glückliche Vater-land der Cerealien. Wenn dieſe, durch die Kulturüber die nördliche Erde verbreitet, und einförmigeweitgedehnte Grasfluren bildend, wenig den Anblickder Natur verſchönern, ſo vervielfacht dagegen der ſichanſiedelnde Tropenbewohner durch Piſangpflanzungeneine der herrlichſten und edelſten Geſtalten. Die Malvenform, iſt dargeſtellt durch Stercu-lia, Hibiscus, Lavatera, Ochroma. Kurze,aber koloſſaliſch dicke Stämme mit zartwolligen,großen, herzförmigen, oder eingeſchnittenen Blättern,und prachtvollen, oft purpurrothen Blüthen. Zudieſer Pflanzengruppe gehört der Affenbrodbaum, Adanſonia digitata, der, bei 12 Fuß Höhe, 30 FußDurchmeſſer hat, und der wahrſcheinlich das größteund älteſte organiſche Denkmal auf unſerm Planeteniſt. In Italien fängt die Malvenform bereits an,der Vegetation einen eigenthümlichen ſüdlichen Cha-racter zu geben. Dagegen entbehret unſere gemäßigte Zone im altenContinent leider ganz die zartgefiederten Blätter, die Form der Mimoſen, Gleditſia, Porleria,Tamarindus. Den Vereinigten Staaten vonNord-Amerika, in denen unter gleicher Breite dieVegetation mannichfaltiger und üppiger als in Eu-ropa iſt, fehlt dieſe ſchöne Form nicht. Bei den Mi-moſen iſt eine ſchirmartige Verbreitung der Zweige,faſt wie bei den italieniſchen Pinien, gewöhnlich. Dietiefe Himmelsbläue des Tropenklima’s, durch diezartgefiederten Blätter ſchimmernd, iſt von überausmaleriſchem Effekte. Eine meiſt afrikaniſche Pflanzengruppe ſind dieHeidekräuter; dahin gehören auch die Paſſe-rinen und Guidien, Diosma, Staavia |197| und die Epacrideen, eine Gruppe, die mit derder Nadelhölzer einige Aehnlichkeit hat, und eben des-halb mit dieſer, durch die Fülle glockenförmiger Blü-then, deſto reizender contraſtirt. Die baumartigenHeidekräuter, wie einige andere afrikaniſche Gewächſe,erreichen das nördliche Ufer des Mittelmeers. Sieſchmücken Welſchland und die Ciſtus-Gebüſche desſüdlichen Spaniens. Am üppigſten wachſend habe ichſie auf Teneriffa, am Abhange des Pics von Teyde geſehen. In den baltiſchen Ländern, undweiter nach Norden hin iſt dieſe Pflanzenform gefürch-tet, Dürre und Unfruchtbarkeit verkündigend. UnſereHeidekräuter, Erica- vulgaris und E. te-tralix ſind geſellſchaftlich lebende Gewächſe, gegenderen fortſchreitenden Zug die ackerbauenden Völkerſeit Jahrhunderten mit wenigem Glücke ankämpfen.Sonderbar, daß der Hauptrepräſentant dieſer Formblos einer Seite unſers Planeten eigen iſt. Von den300 jetzt bekannten Arten von Erica findet ſichauch nicht eine einzige im neuen Continent von Pen-ſylvanien und Labrador bis gegen Nootka und Alaſchka hin. Dagegen iſt blos dem Neuen Continent eigenthüm-lich die Cactusform, bald kugelförmig, baldgegliedert, bald in hohen, vieleckigen Säulen, wieOrgelpfeifen, aufrechtſtehend. Dieſe Gruppe bildetden auffallendſten Contraſt mit der Geſtalt der Lilien-gewächſe und der Bananen. Sie gehört zu denPflanzen, welche Bernardin de St. Pierre ſehr glücklich vegetabiliſche Quellen der Wüſte nennt.In den waſſerleeren Ebenen von Südamerika ſuchendie von Durſt geängſtigten Thiere den Melonen-Cactus, eine kugelförmige, halb im dürren Sande |198| verborgene Pflanze, deren ſaftreiches Innere unterfurchtbaren Stacheln verſteckt iſt. Die ſäulenförmigenCactus-Stämme erreichen bis 30 Fuß Höhe, und can-delaberartig getheilt, erinnern ſie, durch Aehnlichkeitder Phyſiognomie, an einige afrikaniſche Euphorbien. Wie dieſe grüne Oaſen in den pflanzenleerenWüſten bilden, ſo beleben die Orchideen den vomLicht verkohlten Stamm der Tropenbäume und dieödeſten Felſenritzen. Die Vanillenform zeichnet ſichaus durch hellgrüne ſaftvolle Blätter wie durch viel-farbige Blüthen von wunderbarem Baue. Dieſe Blü-then gleichen bald geflügelten Inſekten, bald denVögeln, welche der Duft der Honiggefäße anlockt.Das Leben eines Malers wäre nicht hinlänglich, umalle die prachtvollen Orchideen abzubilden, welche dietiefausgefurchten Gebirgsthäler der peruaniſchen An-deskette zieren. Blattlos, wie faſt alle Cactusarten, iſt die Formder Caſuarinen, einer Pflanzengeſtalt, blos derSüdſee und Oſtindien eigen. Bäume mit ſchachtel-halmähnlichen Zweigen. Doch finden ſich auch in an-dern Weltgegenden Spuren dieſes mehr ſonderbarenals ſchönen Typus. Plumier’s Equiſetumaltiſſimum, die Ephedra aus Nord-Afrika, dieperuaniſchen Colletien und das ſibiriſche CalligonumPallaſia, ſind der Caſuarinenform nahe verwandt. So wie in den Piſanggewächſen die höchſte Aus-dehnung, ſo iſt in den Caſuarinen und in den Nadel-hölzern die höchſte Zuſammenziehung der Blatt-gefäße. Tannen, Thuja und Cypreſſen bilden einenordiſche Form, die in den Tropen ſelten iſt. Ihrewig-friſches Grün erheitert die öde Winter-Landſchaft.Es verkündigt gleichſam den Polarvölkern, daß, wenn |199| Schnee und Eis den Boden bedecken, das innere Le-ben der Pflanzen, wie das Prometheiſche Feuer, nieauf unſerm Planeten erliſcht. Paraſitiſch, wie bei uns Mooſe und Flechten, über-ziehen in der Tropenwelt außer den Orchideen auch die Pothosgewächſe den alternden Stamm derWaldbäume. Saftige, krautartige Stengel mitgroßen, bald pfeilförmigen, bald gefingerten, baldlänglichen, aber ſtets dick-adrigen Blättern. Blumenin Scheiden. Pothos, Dracontium, Arum, letzteres bis zu den Küſten des Mittelmeeres fort-ſchreitend, in Spanien und Italien mit ſaftvollemHuflattig, hohen Diſtelſtauden und Acanthus, dieUeppigkeit des ſüdlichen Pflanzenwuchſes bezeichnend. Zu dieſer Arumform geſellt ſich die Form der Lianen, beide in heiſſen Erdſtrichen von Süd-Ame-rika in vorzüglicher Kraft der Vegetation. Paulli-nia, Baniſteria, Bignonien. Unſer ran-kender Hopfen und unſere Weinreben erinnern andieſe Pflanzengeſtalt der Tropenwelt. Am Orinocohaben die blattloſen Zweige der Bauhinien oft40 Fuß Länge. Sie fallen theils ſenkrecht aus demGipfel hoher Swietenien herab; theils ſind ſie ſchrägwie Maſttaue ausgeſpannt, und die Tigerkatze hateine bewundernswürdige Geſchicklichkeit, daran auf-und abzuklettern. Mit den biegſamen ſich rankenden Lianen, mitihrem friſchen und leichten Grün, contraſtirt dieſelbſtſtändige Form der bläulichen Aloegewächſe; Stämme, wenn ſie vorhanden ſind, faſt ungetheilt,enggeringelt und ſchlangenartig gewunden. An demGipfel ſind ſaftreiche, fleiſchige, langzugeſpizte Blät-ter ſtrahlenartig zuſammengehäuft. Die hochſtäm-migen Aloegewächſe bilden nicht Gebüſche, wie andere |200| geſellſchaftlich lebende Pflanzen. Sie ſtehen einzelnin dürren Ebenen, und geben der Tropengegend da-durch oft einen eigenen melancholiſchen (man mögteſagen afrikaniſchen) Character. Wie die Aloeform ſich durch ernſte Ruhe und Feſtig-keit, ſo characteriſirt ſich die Grasform, beſondersdie Phyſiognomie der baumartigen Gräſer, durch denAusdruck fröhlicher Leichtigkeit und beweglicherSchlankheit. Bambusgebüſche bilden ſchattige Bo-gengänge in beiden Indien. Der glatte, oft geneigt-hinſchwebende Stamm der Tropen-Gräſer übertrifftdie Höhe unſerer Erlen und Eichen. Schon in Ita-lien fängt im Arundo Donax dieſe Form an,ſich vom Boden zu erheben, und durch Höhe undMaſſe den Naturcharacter des Landes zu beſtimmen. Mit der Geſtalt der Gräſer iſt auch die der Farren-kräuter in den heiſſen Erdſtrichen veredelt.Baumartige, oft 35 Fuß hohe Farrenkräuter habenein palmenartiges Anſehen; aber ihr Stamm iſtminder ſchlank, kürzer, ſchuppig-rauher als der derPalmen. Das Laub iſt zarter, locker gewebt, durch-ſcheinend, und an den Rändern ſauber ausgezackt.Dieſe koloſſalen Farrenkräuter ſind faſt ausſchließ-lich den Tropen eigen, aber in dieſen ziehen ſie eingemäßigtes Klima dem ganz heiſſen vor. Da nun dieMilderung der Hitze blos eine Folge der Höhe iſt;ſo darf man Gebirge, die zwei bis drei tauſend Fußüber dem Meere erhaben ſind, als den Hauptſitz dieſerForm nennen. Hochſtämmige Farrenkräuter begleitenin Süd-Amerika den wohlthätigen Baum, der dieheilende Fieberrinde darbietet. Beide bezeichnen dieglückliche Region der Erde, in der ewige Milde desFrühlings herrſcht. Noch nenne ich die Form der Liliengewächſe, |201| (Amaryllis, Ixia, Gladiolus, Pancra-tium) mit ſchilfartigen Blättern und prachtvollenBlüthen, eine Form, deren Hauptvaterland das ſüd-licheAfrikaiſt; ferner die Weidenform, in allenWelttheilen einheimiſch; und wo Salix fehlt, inden Neu-Holländiſchen Mimoſen mit einfachen Blät-tern und einigen Capiſchen Proteen wiederholt; Myrthengewächſe, (Metroſideros, Euca-lyptus, Escallonia) Melaſtomen- und Lorbeerform. Es wäre ein Unternehmen, eines groſſen Künſtlerswerth, den Character aller dieſer Pflanzengruppennicht in Treibhäuſern oder in den Beſchreibungen derBotaniker, ſondern in der großen Tropen-Naturſelbſt, zu ſtudiren. Wie intereſſant und lehrreich fürden Landſchaftsmaler wäre ein Werk, welches demAuge die aufgezählten ſechzehn Hauptformen, erſt ein-zeln, und dann in ihrem Contraſte gegen einander,darſtellte. Was iſt maleriſcher, als baumartige Far-renkräuter, die ihre zartgewebten Blätter über dieMexikaniſchen Lorbeereichen ausbreiten! Was reizen-der, als Piſanggebüſche von hohen Bambusgräſernumſchattet! Dem Künſtler iſt es gegeben, die Grup-pen zu zergliedern, und unter ſeiner Hand löſt ſich(wenn ich den Ausdruck wagen darf) das große Zau-berbild der Natur, gleich den geſchriebenen Werkender Menſchen, in wenige einfache Züge auf! Am glühenden Sonnenſtrahl des tropiſchen Him-mels gedeihen die herrlichſten Geſtalten der Pflanzen.Wie im kalten Norden die Baumrinde mit dürrenFlechten und Laubmooſen bedeckt iſt, ſo beleben dortCymbidium und duftende Vanille den Stamm derAnacardien und der rieſenmäßigen Feigenbäume.Das friſche Grün der Pothosblätter und der Dracon- |202| tien contraſtirt mit den vielfarbigen Blüthen der Or-chideen. Rankende Bauhinien, Paſſifloren und gelb-blühende Baniſterien umſchlingen den Stamm derWaldbäume. Zarte Blumen entfalten ſich aus denWurzeln der Theobroma, wie aus der dichtenund rauhen Rinde der Creſcentien und der Guſta-via. Bei dieſer Fülle von Blüthen und Blättern,bei dieſem üppigen Wuchſe und der Verwirrung ran-kender Gewächſe, wird es oft dem Naturforſcherſchwer zu erkennen, welchem Stamme Blüthen undBlätter zugehören. Ein einziger Baum mit Paulli-nien, Bignonien und Deudrobium geſchmückt, bildeteine Gruppe von Pflanzen, welche, von einandergetrennt, einen beträchtlichen Erdraum bedeckenwürden. In den Tropen ſind die Gewächſe ſaftſtrozender,von friſcherem Grün, mit größeren und glänzenderenBlättern geziert, als in den nördlichern Erdſtrichen.Geſellſchaftlich lebende Pflanzen, welche die euro-päiſche Vegetation ſo einförmig machen, fehlen am Aequator beinah gänzlich. Bäume, faſt zweimal ſohoch als unſere Eichen, prangen dort mit Blüthen,welche groß und prachtvoll wie unſere Lilien ſind. Anden ſchattigen Ufern des Magdalenenfluſſes in Süd-Amerika wächſt eine rankende Ariſtolochia, derenBlume, von vier Fuß Umfang, ſich die indiſchenKnaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen.Im ſüdindiſchen Archipel hat die Blüthe der Raffleſiafaſt drei Fuß Durchmeſſer und wiegt 14 Pfund. Die außerordentliche Höhe, zu welcher ſich unterden Wendekreiſen nicht blos einzelne Berge, ſondernganze Länder erheben, und die Kälte, welche Folgedieſer Höhe iſt, gewähren dem Tropen-Bewohnereinen ſeltſamen Anblick. Auſſer den Palmen und |203| Piſanggebüſchen umgeben ihn auch die Pflanzenfor-men, welche nur den nordiſchen Ländern anzugehörenſcheinen. Cypreſſen, Tannen und Eichen, Berbe-risſträucher und Erlen (nahe mit den unſrigen ver-wandt) bedecken die Gebirgsebenen im ſüdlichenMexiko, wie die Andeskette unter dem Aequator.So hat die Natur dem Menſchen in der heiſſen Zoneverliehen, ohne ſeine Heimath zu verlaſſen, allePflanzengeſtalten der Erde zu ſehen; wie das Him-melsgewölbe von Pol zu Pol ihm keine ſeiner leuch-tenden Welten verbirgt. Dieſen und ſo manchen andern Naturgenuß entbeh-ren die nordiſchen Völker. Viele Geſtirne und vielePflanzenformen, von dieſen gerade die ſchönſten,(Palmen und Piſanggewächſe, baumartige Gräſerund feingefiederte Mimoſen) bleiben ihnen ewig unbe-kannt. Die krankenden Gewächſe, welche unſereTreibhäuſer einſchlieſſen, gewähren nur ein ſchwachesBild von der Majeſtät der Tropenvegetation. Aberin der Ausbildung unſerer Sprache, in der glühendenPhantaſie des Dichters, in der darſtellenden Kunſtder Maler, iſt eine reiche Quelle des Erſatzes geöffnet.Aus ihr ſchöpft unſere Einbildungſkraft die lebendigenBilder einer exotiſchen Natur. Im kalten Norden,in der öden Heide, kann der einſame Menſch ſichaneignen, was in den fernſten Erdſtrichen erforſchtwird, und ſo in ſeinem Innern eine Welt ſich ſchaf-fen, welche das Werk ſeines Geiſtes, frei und unver-gänglich, wie dieſer, iſt.

A. v. Humboldt.