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Alexander von Humboldt: „Auszug aus einem Briefe des Hrn. Alexander von Humboldt an Hrn. Delambre“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1803-Copie_d_une-02-neu> [abgerufen am 07.12.2024].
Permalink: https://humboldt.unibe.ch/text/1803-Copie_d_une-02-neu |
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Titel | Auszug aus einem Briefe des Hrn. Alexander von Humboldt an Hrn. Delambre | ||||
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Jahr | 1803 | ||||
Ort | Weimar | ||||
Nachweis in: Magazin für den neuesten Zustand der Naturkunde mit Rücksicht auf die dazu gehörigen Hülfswissenschaften 5:6 (Juni 1803), S. 467–483.
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Sprache | Deutsch | ||||
Typografischer Befund | Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen. | ||||
Identifikation |
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Statistiken
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Auszug aus einem Briefe des Hrn. Alexander von Humboldt an Hrn. Delambre.
Lima d. 25. Nov. 1802.
Ich komme, mein verehrter Freund, aus dem In-nern von Laͤndern, wo ich auf einer großen EbeneVerſuche uͤber die geringen ſtuͤndlichen Veraͤnderun-gen der Magnetnadel gemacht habe, und ich verneh-me mit Bedauern, daß die Fregatte Aſtigarraga, die |468| erſt in 14 Tagen abgehen ſollte, ihren Abgang be-ſchleunigt hat, und dieſe Nacht ſchon nach Cadixunter Segel gehen will. Dies iſt ſeit 5 Monatendie erſte Gelegenheit, die wir aus den Einoͤden derSuͤdſee wieder nach Europa haben, und der Mangelan Zeit macht es mir unmoͤglich, an das National-inſtitut zu ſchreiben, wie es meiner Pflicht gemaͤßwaͤre, da mir ſelbiges ſo ruͤhrende Beweiſe von derTheilnahme und Guͤte giebt, womit ich von demſel-ben beehrt werde. Nur wenige Tage vor meinerAbreiſe nach Jaen und dem Amazonenlande erhieltich den Brief vom 2. Pluvioſe des 9. Jahrs, welchenSie im Namen dieſes illuſtren Inſtituts an michgeſchrieben hatten. Dieſer Brief hatte eine Wande-rung von 2 Jahren gemacht, ehe er mich in der Ge-birgskette der Andes fand. Ich erbrach ihn am an-dern Morgen einer zweyten Expedition, die ich amKrater des Vulkans auf dem Pichincha vorgenom-men hatte, wo ich ein Voltaiſches Elektrometer auf-ſtellen und den Durchmeſſer des Schlundes meſſenwollte, den ich 752 Toiſen fand, da der vom Ve-ſuv nur 312 hat. Dieſer Umſtand erinnerte mich,daß auch am Gipfel des Guaguapichincha, wo ichmich oft befand und den ich als einen claſſiſchen Bo-den liebe, Condamine und Bouguer ihre erſtenBriefe von der ehemaligen Akademie erhalten hatten,und ſtellte mir vor, daß der Pichincha den Phyſikern (si magna licet componere parvis) Heil |469| bringe. Wie kann ich Ihnen, Buͤrger, die Freudeausdruͤcken, womit ich dieſen Brief des Inſtitutsund die wiederholten Verſicherungen Ihres Anden-kens geleſen habe! Wie ſuͤß iſt das Bewußtſeyn imGedaͤchtniß derer zu leben, welche durch ihre An-ſtrengungen die Fortſchritte des menſchlichen Gei-ſtes ohne Unterlaß befoͤrdern! In den einſamenEbnen der Apura ſo wie in den dicken Gehoͤlzendes Caſiguiare und des Oronocco, waren mir al-lenthalben Ihre Namen gegenwaͤrtig; und wennich die verſchiedenen Epochen meines herumtreiben-den Lebens durchlaufe, ſo verweile ich immer mitVergnuͤgen bey der, wo ich im 6ten und 7ten Jahrebey Ihnen lebte, und wo die Laplace, Four-croy, Vauquelin, Guyton, Chaptal, Juſ-ſieu, Desfontaines, Halle, Lalande, Prony und beſonders Sie, edle, zaͤrtliche Seele,in den Ebnen von Lieurſaint, mich mit Guͤte uͤber-haͤuften. Nehmen Sie doch alle das Opfer meinerinnigſten Ergebenheit und meiner unveraͤnderlichſtenErkenntlichkeit an. Lange vorher ehe ich den Brief erhielt, den Sieals Secretair des Inſtituts an mich geſchrieben hat-ten, ſchrieb ich nach und nach drey Briefe an diephyſiſch-mathematiſche Claſſe: zwey von Santa-Fe de Bogota, welche ich mit einer Abhandlunguͤber das Chinageſchlecht, (Cinchona quinquina) |470| und verſchiedenen Proben von ſiebnerley Rinden,ſo wie mit ausgemahlten Abbildungen von dieſenPflanzen, nebſt Zergliederung der durch die Laͤngeihrer Staubfaͤden ſo verſchiedenen Bluͤte, und ſorgfaͤl-tig getrockneten Skeletten, begleitet hatte. DerDoctor Mutis, der mir tauſenderley Gefaͤlligkeitenerwieſen, und welchem zu Liebe ich 40 Tage an demFluſſe wieder hinauf reiſte, machte mir ein Geſchenkmit beynahe 100 praͤchtigen Abbildungen in großFolio, welche neue Geſchlechter ſeiner Flora vonBogota im Manuſcript enthielten. Ich glaubte,daß dieſe Sammlung, welche eben ſo merkwuͤrdig we-gen ihrer ſchoͤnen Malerey, als intereſſant fuͤr dieBotanik iſt, in keine beſſern Haͤnde, als in die von Juſſieu, Lamark und Desfontaines gelegtwerden koͤnne, und habe ſie deshalb dem National-inſtitut als ein ſchwaches Merkmal meiner Anhaͤng-lichkeit angeboten. Dieſe Sammlung mit den Chi-naarten ſind gegen den Junius dieſes Jahres nachdem indiſchen Carthagena abgegangen, und Herr Mutis ſelbſt wollte die weitere Beſorgung nachParis uͤbernehmen. Ein dritter Brief fuͤr das In-ſtitut iſt von Quito mit einer geologiſchen Samm-lung von Produkten des Pichincha, Cotopaxa undChimborazo abgegangen. Wie niederſchlagend iſtes fuͤr mich, daß ich in einer ſo traurigen Ungewiß-heit wegen der Ankunft dieſer Gegenſtaͤnde, ſo wieuͤber die von der Sammlung ſeltener Saͤmereyen, |471| welche wir bereits vor 3 Jahren an den Pflanzen-garten zu Paris uͤbermacht haben, ſchweben muß! Die wenige Muße, welche mir fuͤr heute nochuͤbrig iſt, verſtattet mir nicht Ihnen einen Abrißvon meinen Reiſen und Beſchaͤftigungen ſeit unſererZuruͤckkunft von Rio Negro zu geben. Sie wiſſen,daß wir zu Havanna die falſche Neuigkeit von derAbreiſe des Capitaͤn Baudin nach Buenos-Ayreserfuhren. Getreu meinem Verſprechen, mich mitdemſelben zu vereinigen, wo ich koͤnnte, und uͤber-zeugt, daß ich den Wiſſenſchaften nuͤtzlicher werdenkoͤnne, wenn ich meine Arbeiten mit denen der Na-turforſcher, welche den Capitaͤn Baudin begleiten,vereinigte, habe ich mich nie einen Augenblick bedacht,den kleinen Ruhm, meine Arbeiten ſelbſt zu beendigen,aufzuopfern, und habe deshalb ſogleich ein kleinesFahrzeug zu Bataban gemiethet, um mich nach demindiſchen Carthagena zu begeben. Die Stuͤrme ha-ben aber dieſe kurze Ueberfahrt um mehr als einenMonat verlaͤngert. Die wechſelnden Land- undSeewinde (brises) hatten auf dem Suͤdmeere, woich den Capitaͤn Baudin ſuchen wollte, nachge-laſſen, und ich hatte mich ſchon fuͤr die beſchwerlicheReiſe nach Honda, Ibague, die Gebirgsſtraße vonQuindin, Popayen, Paſtos, nach Quito eingerich-tet. Meine Geſundheit hat immer noch fortgefah-ren, den Veraͤnderungen der Temperatur, welchen |472| man auf dieſer Reiſe ausgeſetzt iſt, auf eine wun-derbare Art zu widerſtehen. Es giebt hier Berge,wo man auf 2460 Toiſen durch Schnee wadet, undwieder brennende Thaͤler, wo Reaumurs Thermome-ter nicht unter 26 bis 24° faͤllt. Mein Reiſege-faͤhrte Herr Bompland, deſſen Einſichten, Muth,graͤnzenloſe Thaͤtigkeit mir zur groͤßten Unterſtuͤtzungbey meinen Unterſuchungen uͤber die Botanik undvergleichende Anatomie gereichten, hat 2 Monatelang mit dreytaͤgigen Fiebern zu kaͤmpfen gehabt.Die Zeit der groͤßten Regenguͤſſe traf uns auf dembedenklichſten Uebergange, auf der hohen Ebne vonPaſtos, und nach einer Reiſe von 8 Monaten ka-men wir nach Quito, um daſelbſt die Nachricht zuhoͤren, daß der Capitaͤn Baudin ſeinen Weg vonWeſten nach Oſten uͤber das Vorgebirge der gutenHoffnung genommen habe. Schon laͤngſt ans Um-kehren gewoͤhnt, troͤſteten wir uns mit dem Gedan-ken, ſo große Aufopferungen um etwas Gutes zuſtiften, gemacht zu haben. Indem wir unſereAugen auf unſere Herbarien, auf unſere barome-triſchen und geodaͤtiſchen Meſſungen, auf unſereZeichnungen, auf unſere Verſuche uͤber die Luft derCordilleras richteten, bedauerten wir es keinenAugenblick, Gegenden durchſtrichen zu haben, diegroͤßtentheils noch von keinem Naturforſcher warenbeſucht worden. Wir haben bemerkt, daß derMenſch ſchlechterdings auf nichts zu rechnen hat, |473| als was er durch ſeine eigne Energie zuwege bringt.Die Provinz Quito dieſer hoͤchſte Platz auf der gan-zen Erde iſt durch die große Kataſtrophe vom 4tenFebruar 1797 ganz zerriſſen worden, und hat unseinen weiten Schauplatz fuͤr phyſiſche Beobachtun-gen dargeboten. So ungeheure Vulcane, deren Flam-men ſich oft auf 500 Toiſen erheben, konnten nieeinen Tropfen fluͤßige Lava zum Vorſchein bringen;ſie ſpeyen blos Waſſer und geſchwefeltes Hydrogen-gas, Schlamm und kohlenhaltigen Thon. Seit1797 iſt dieſer ganze Erdtheil in Bewegung: jedenAugenblick empfanden wir ſchreckliche Stoͤße unddas unterirdiſche Getoͤſe in den Ebnen von Rio-bamba war voͤllig ſo wie in einem Gebirge, welchesſich unter unſern Fuͤßen zertruͤmmerte. Die at-moſphaͤriſche Luft und die benetzten Erdarten ſchei-nen die großen Wirkungsmittel dieſer Verbrennungenund unterirdiſchen Gaͤhrungen zu ſeyn. Alle dieſeVulcane finden ſich in einem zerſetzten Porphyr. Man hat bisher zu Quito geglaubt, daß 2470Toiſen die groͤßte Hoͤhe waͤre, in welcher die Men-ſchen der Feinheit der Luft noch widerſtehen koͤnn-ten. Im Maͤrz 1802 reiſeten wir einige Tage inden großen Ebnen, welche den Vulkan Antiſana von2107 Toiſen umgeben, und wo ſelbſt die Ochſen,wenn man ſie jagt, oft Blut ſpeyen. Am 16. Maͤrzentdeckten wir einen Weg auf dem Schnee, der ei- |474| nen ſanften Abhang bildete, auf welchem wir bey2773 Toiſen in die Hoͤhe ſtiegen. Die Luft ent-hielt daſelbſt 0,008 Kohlenſaures Gas, 0,218 Oxy-gen-Gas und 0,774 azotiſches Gas. ReaumursThermometer war nicht tiefer als 15°, und wir fan-den es uͤberhaupt nicht kalt; aber das Blut dranguns aus den Lippen und Augen. Das Local ver-ſtattete uns nicht, hier Verſuche mit der Bordai-ſchen Bouſſole anzuſtellen, nur erſt in einer tiefernGrotte von 2467 Toiſen Hoͤhe konnte es geſchehen.Die Intenſitaͤt der magnetiſchen Kraͤfte war hierviel groͤßer als zu Quito, und zwar in dem Ver-haͤltniß von 230 zu 218; man muß aber nicht ver-geſſen, daß die Zahl der horizontalen Oſcillationender Nadel *) oft vermehrt wird, wenn ſich die Incli-nation der Nadel vermindert, und daß ſich dieſeIntenſitaͤt auch durch die Gebirgsmaſſe, wo die Na-del vom Porphyr afficirt wird, vergroͤßert. Beyder Expedition, die ich am 23. Junius 1802 aufdem Chimborazo machte, haben wir bewieſen, daßman bey gehoͤriger Gedult eine große Luftverduͤnnungaushalten kann. Wir kamen auf 500 Toiſen hoͤherals La-Condamine am Carazon, und trugen un-Gruß und Reſpekt. Humboldt.
Ich werde im Februar zu Mexico und im Ju-nius in der Havanna ſeyn, und es liegt mir nichtsmehr am Herzen, als die Handſchriften, die ich be-ſitze, zu bewahren und ſie herauszugeben. — Wieſehr verlangt mich, in Paris zu ſeyn!!!