Auszug aus einem Briefe des Hrn. Alexander von Humboldt an Hrn. Delambre. Lima d. 25. Nov. 1802. Ich komme, mein verehrter Freund, aus dem Innern von Laͤndern, wo ich auf einer großen Ebene Verſuche uͤber die geringen ſtuͤndlichen Veraͤnderungen der Magnetnadel gemacht habe, und ich vernehme mit Bedauern, daß die Fregatte Aſtigarraga, die erſt in 14 Tagen abgehen ſollte, ihren Abgang beſchleunigt hat, und dieſe Nacht ſchon nach Cadix unter Segel gehen will. Dies iſt ſeit 5 Monaten die erſte Gelegenheit, die wir aus den Einoͤden der Suͤdſee wieder nach Europa haben, und der Mangel an Zeit macht es mir unmoͤglich, an das Nationalinſtitut zu ſchreiben, wie es meiner Pflicht gemaͤß waͤre, da mir ſelbiges ſo ruͤhrende Beweiſe von der Theilnahme und Guͤte giebt, womit ich von demſelben beehrt werde. Nur wenige Tage vor meiner Abreiſe nach Jaen und dem Amazonenlande erhielt ich den Brief vom 2. Pluvioſe des 9. Jahrs, welchen Sie im Namen dieſes illuſtren Inſtituts an mich geſchrieben hatten. Dieſer Brief hatte eine Wanderung von 2 Jahren gemacht, ehe er mich in der Gebirgskette der Andes fand. Ich erbrach ihn am andern Morgen einer zweyten Expedition, die ich am Krater des Vulkans auf dem Pichincha vorgenommen hatte, wo ich ein Voltaiſches Elektrometer aufſtellen und den Durchmeſſer des Schlundes meſſen wollte, den ich 752 Toiſen fand, da der vom Veſuv nur 312 hat. Dieſer Umſtand erinnerte mich, daß auch am Gipfel des Guaguapichincha, wo ich mich oft befand und den ich als einen claſſiſchen Boden liebe, Condamine und Bouguer ihre erſten Briefe von der ehemaligen Akademie erhalten hatten, und ſtellte mir vor, daß der Pichincha den Phyſikern (si magna licet componere parvis) Heil bringe. Wie kann ich Ihnen, Buͤrger, die Freude ausdruͤcken, womit ich dieſen Brief des Inſtituts und die wiederholten Verſicherungen Ihres Andenkens geleſen habe! Wie ſuͤß iſt das Bewußtſeyn im Gedaͤchtniß derer zu leben, welche durch ihre Anſtrengungen die Fortſchritte des menſchlichen Geiſtes ohne Unterlaß befoͤrdern! In den einſamen Ebnen der Apura ſo wie in den dicken Gehoͤlzen des Caſiguiare und des Oronocco, waren mir allenthalben Ihre Namen gegenwaͤrtig; und wenn ich die verſchiedenen Epochen meines herumtreibenden Lebens durchlaufe, ſo verweile ich immer mit Vergnuͤgen bey der, wo ich im 6ten und 7ten Jahre bey Ihnen lebte, und wo die Laplace, Fourcroy, Vauquelin, Guyton, Chaptal, Juſſieu, Desfontaines, Halle, Lalande, Prony und beſonders Sie, edle, zaͤrtliche Seele, in den Ebnen von Lieurſaint, mich mit Guͤte uͤberhaͤuften. Nehmen Sie doch alle das Opfer meiner innigſten Ergebenheit und meiner unveraͤnderlichſten Erkenntlichkeit an. Lange vorher ehe ich den Brief erhielt, den Sie als Secretair des Inſtituts an mich geſchrieben hatten, ſchrieb ich nach und nach drey Briefe an die phyſiſch-mathematiſche Claſſe: zwey von Santa- Fe de Bogota, welche ich mit einer Abhandlung uͤber das Chinageſchlecht, (Cinchona quinquina) und verſchiedenen Proben von ſiebnerley Rinden, ſo wie mit ausgemahlten Abbildungen von dieſen Pflanzen, nebſt Zergliederung der durch die Laͤnge ihrer Staubfaͤden ſo verſchiedenen Bluͤte, und ſorgfaͤltig getrockneten Skeletten, begleitet hatte. Der Doctor Mutis, der mir tauſenderley Gefaͤlligkeiten erwieſen, und welchem zu Liebe ich 40 Tage an dem Fluſſe wieder hinauf reiſte, machte mir ein Geſchenk mit beynahe 100 praͤchtigen Abbildungen in groß Folio, welche neue Geſchlechter ſeiner Flora von Bogota im Manuſcript enthielten. Ich glaubte, daß dieſe Sammlung, welche eben ſo merkwuͤrdig wegen ihrer ſchoͤnen Malerey, als intereſſant fuͤr die Botanik iſt, in keine beſſern Haͤnde, als in die von Juſſieu, Lamark und Desfontaines gelegt werden koͤnne, und habe ſie deshalb dem Nationalinſtitut als ein ſchwaches Merkmal meiner Anhaͤnglichkeit angeboten. Dieſe Sammlung mit den Chinaarten ſind gegen den Junius dieſes Jahres nach dem indiſchen Carthagena abgegangen, und Herr Mutis ſelbſt wollte die weitere Beſorgung nach Paris uͤbernehmen. Ein dritter Brief fuͤr das Inſtitut iſt von Quito mit einer geologiſchen Sammlung von Produkten des Pichincha, Cotopaxa und Chimborazo abgegangen. Wie niederſchlagend iſt es fuͤr mich, daß ich in einer ſo traurigen Ungewißheit wegen der Ankunft dieſer Gegenſtaͤnde, ſo wie uͤber die von der Sammlung ſeltener Saͤmereyen, welche wir bereits vor 3 Jahren an den Pflanzengarten zu Paris uͤbermacht haben, ſchweben muß! Die wenige Muße, welche mir fuͤr heute noch uͤbrig iſt, verſtattet mir nicht Ihnen einen Abriß von meinen Reiſen und Beſchaͤftigungen ſeit unſerer Zuruͤckkunft von Rio Negro zu geben. Sie wiſſen, daß wir zu Havanna die falſche Neuigkeit von der Abreiſe des Capitaͤn Baudin nach Buenos-Ayres erfuhren. Getreu meinem Verſprechen, mich mit demſelben zu vereinigen, wo ich koͤnnte, und uͤberzeugt, daß ich den Wiſſenſchaften nuͤtzlicher werden koͤnne, wenn ich meine Arbeiten mit denen der Naturforſcher, welche den Capitaͤn Baudin begleiten, vereinigte, habe ich mich nie einen Augenblick bedacht, den kleinen Ruhm, meine Arbeiten ſelbſt zu beendigen, aufzuopfern, und habe deshalb ſogleich ein kleines Fahrzeug zu Bataban gemiethet, um mich nach dem indiſchen Carthagena zu begeben. Die Stuͤrme haben aber dieſe kurze Ueberfahrt um mehr als einen Monat verlaͤngert. Die wechſelnden Land- und Seewinde (brises) hatten auf dem Suͤdmeere, wo ich den Capitaͤn Baudin ſuchen wollte, nachgelaſſen, und ich hatte mich ſchon fuͤr die beſchwerliche Reiſe nach Honda, Ibague, die Gebirgsſtraße von Quindin, Popayen, Paſtos, nach Quito eingerichtet. Meine Geſundheit hat immer noch fortgefahren, den Veraͤnderungen der Temperatur, welchen man auf dieſer Reiſe ausgeſetzt iſt, auf eine wunderbare Art zu widerſtehen. Es giebt hier Berge, wo man auf 2460 Toiſen durch Schnee wadet, und wieder brennende Thaͤler, wo Reaumurs Thermometer nicht unter 26 bis 24° faͤllt. Mein Reiſegefaͤhrte Herr Bompland, deſſen Einſichten, Muth, graͤnzenloſe Thaͤtigkeit mir zur groͤßten Unterſtuͤtzung bey meinen Unterſuchungen uͤber die Botanik und vergleichende Anatomie gereichten, hat 2 Monate lang mit dreytaͤgigen Fiebern zu kaͤmpfen gehabt. Die Zeit der groͤßten Regenguͤſſe traf uns auf dem bedenklichſten Uebergange, auf der hohen Ebne von Paſtos, und nach einer Reiſe von 8 Monaten kamen wir nach Quito, um daſelbſt die Nachricht zu hoͤren, daß der Capitaͤn Baudin ſeinen Weg von Weſten nach Oſten uͤber das Vorgebirge der guten Hoffnung genommen habe. Schon laͤngſt ans Umkehren gewoͤhnt, troͤſteten wir uns mit dem Gedanken, ſo große Aufopferungen um etwas Gutes zu ſtiften, gemacht zu haben. Indem wir unſere Augen auf unſere Herbarien, auf unſere barometriſchen und geodaͤtiſchen Meſſungen, auf unſere Zeichnungen, auf unſere Verſuche uͤber die Luft der Cordilleras richteten, bedauerten wir es keinen Augenblick, Gegenden durchſtrichen zu haben, die groͤßtentheils noch von keinem Naturforſcher waren beſucht worden. Wir haben bemerkt, daß der Menſch ſchlechterdings auf nichts zu rechnen hat, als was er durch ſeine eigne Energie zuwege bringt. Die Provinz Quito dieſer hoͤchſte Platz auf der ganzen Erde iſt durch die große Kataſtrophe vom 4ten Februar 1797 ganz zerriſſen worden, und hat uns einen weiten Schauplatz fuͤr phyſiſche Beobachtungen dargeboten. So ungeheure Vulcane, deren Flammen ſich oft auf 500 Toiſen erheben, konnten nie einen Tropfen fluͤßige Lava zum Vorſchein bringen; ſie ſpeyen blos Waſſer und geſchwefeltes Hydrogengas, Schlamm und kohlenhaltigen Thon. Seit 1797 iſt dieſer ganze Erdtheil in Bewegung: jeden Augenblick empfanden wir ſchreckliche Stoͤße und das unterirdiſche Getoͤſe in den Ebnen von Riobamba war voͤllig ſo wie in einem Gebirge, welches ſich unter unſern Fuͤßen zertruͤmmerte. Die atmoſphaͤriſche Luft und die benetzten Erdarten ſcheinen die großen Wirkungsmittel dieſer Verbrennungen und unterirdiſchen Gaͤhrungen zu ſeyn. Alle dieſe Vulcane finden ſich in einem zerſetzten Porphyr. Man hat bisher zu Quito geglaubt, daß 2470 Toiſen die groͤßte Hoͤhe waͤre, in welcher die Menſchen der Feinheit der Luft noch widerſtehen koͤnnten. Im Maͤrz 1802 reiſeten wir einige Tage in den großen Ebnen, welche den Vulkan Antiſana von 2107 Toiſen umgeben, und wo ſelbſt die Ochſen, wenn man ſie jagt, oft Blut ſpeyen. Am 16. Maͤrz entdeckten wir einen Weg auf dem Schnee, der einen ſanften Abhang bildete, auf welchem wir bey 2773 Toiſen in die Hoͤhe ſtiegen. Die Luft enthielt daſelbſt 0,008 Kohlenſaures Gas, 0,218 Oxygen-Gas und 0,774 azotiſches Gas. Reaumurs Thermometer war nicht tiefer als 15°, und wir fanden es uͤberhaupt nicht kalt; aber das Blut drang uns aus den Lippen und Augen. Das Local verſtattete uns nicht, hier Verſuche mit der Bordaiſchen Bouſſole anzuſtellen, nur erſt in einer tiefern Grotte von 2467 Toiſen Hoͤhe konnte es geſchehen. Die Intenſitaͤt der magnetiſchen Kraͤfte war hier viel groͤßer als zu Quito, und zwar in dem Verhaͤltniß von 230 zu 218; man muß aber nicht vergeſſen, daß die Zahl der horizontalen Oſcillationen der Nadel oft vermehrt wird, wenn ſich die Inclination der Nadel vermindert, und daß ſich dieſe Intenſitaͤt auch durch die Gebirgsmaſſe, wo die Nadel vom Porphyr afficirt wird, vergroͤßert. Bey der Expedition, die ich am 23. Junius 1802 auf dem Chimborazo machte, haben wir bewieſen, daß man bey gehoͤriger Gedult eine große Luftverduͤnnung aushalten kann. Wir kamen auf 500 Toiſen hoͤher als La-Condamine am Carazon, und trugen unſere Inſtrumente auf den Chimborazo 3031 Toiſen hoch, wo wir die Queckſilberhoͤhe im Barometer auf 13 Zoll 11,2 Linien herabſinken ſahen. Das Thermometer ſtand 1°,3 unter 0. Auch hier drang uns das Blut aus den Lippen und unſere Indianer verlieſſen uns nach ihrer Gewohnheit . Der B. Bompland und Herr Montufar, Sohn des Marquis von Selvalegre zu Quito waren die einzigen, welche widerſtehen konnten. Wir verſpuͤrten ſaͤmmtlich ein Uebelbefinden, eine Schwaͤche und eine Neigung zum Erbrechen, welche ohnſtreitig eben ſo ſehr vom Mangel an Oxygene in dieſen Gegenden, als von der Duͤnne der Luft herruͤhrte. Ich fand nicht mehr als 0,20 Oxygene in dieſer unermeßlichen Hoͤhe. Eine fuͤrchterliche Aushoͤhlung hinderte uns, auf den Gipfel des Chimborazo ſelbſt zu kommen, wohin wir nur noch 236 Toiſen hatten. Sie wiſſen, daß man noch ſehr wenig uͤber die eigentliche Hoͤhe dieſes Coloſſes einig iſt. La Condamine maß ihn bloß in einer großen Entfernung, und gab ihm eine Hoͤhe von ohngefaͤhr 3220 Toiſen, waͤhrend Don George Juan ſelbige auf 3380 Toiſen ſetzt, ohne daß der Unterſchied zwiſchen beyden Hoͤhen von der verſchiedenen Hoͤhe, welche dieſe Aſtronomen bey dem Signal von Carabura annehmen, herzuleiten iſt. Ich habe in der Ebene von Tapia eine Standlinie von 1702 Metern gemeſſen. (Verzeihen Sie daß ich, nach der Eintheilung meiner Werkzeuge, bald von Toiſen, bald von Metern rede; Sie werden ſelbſt ermeſſen, daß ich einſt bey der Herausgabe meiner Reiſebemerkungen alles auf den Meter und den hunderttheiligen Waͤrmemeſſer reduciren werde) Zwey geodaͤſiſche Operationen gaben mir die Hoͤhe des Chimborazo 3267 Toiſen uͤber der Meeresflaͤche. Man muß aber die Rechnungen noch durch die Diſtanzen des Sextanten mit dem kuͤnſtlichen Horizont, und andere Umſtaͤnde verbeſſern. Der Vulcan des Tunguragua hat ſich ſeit La Condamine’s Zeiten ſehr vermindert. Statt 2620 Toiſen fand ich nicht mehr als 2531, und ich getraue mir zu behaupten, daß dieſe Verſchiedenheit nicht von einem Irrthum in der Meſſung herruͤhrt, weil bey meinen Meſſungen des Cayamba, des Antiſana, des Cotopaxi, des Iliniza die Reſultate kaum 10 bis 15 Toiſen von denen, welche La Condamine und Bouguer gefunden hatten, verſchieden waren. Auch ſagen alle Einwohner dieſer ungluͤcklichen Gegenden, daß der Tunguragua ſchon nach dem bloßen Auge ſich geſenkt habe. Im Gegentheil finde ich den Cotopaxi, der ſo unermeßliche Auswuͤrfe gehabt hat, noch von der naͤmlichen Hoͤhe wie 1744, ja vielmehr noch etwas hoͤher, welches aber einem Irrthum von meiner Seite zuzuſchreiben ſeyn mag. Es zeigt aber auch der ſteinigte Gipfel des Cotopaxi, daß er eine wahre Feuereſſe vorſtellt, die dem Einſturze widerſteht, und ihre Geſtalt beybehaͤlt. Die Operationen, welche wir vom Januar bis zum Julius in den Andes von Quito machten, haben den Einwohnern die traurige Neuigkeit zur Kenntniß gebracht, daß der Krater des Pichincha, welchen La Condamine voll Schnee ſah, von Neuem brannte, und daß der Chimborazo, den man fuͤr ſo ruhig und unſchuldig hielt, ehedem ein Vulcan war, und es wahrſcheinlich in der Folge aufs Neue ſeyn wird. Wir fanden darin verbrannte Felſen und Bimsſteine in einer Hoͤhe von 3031 Toiſen. Wehe dem Menſchengeſchlechte, wenn das vulcaniſche Feuer (denn man kann behaupten, daß die ganze Landhoͤhe von Quito ein einziger Vulcan von mehreren Gipfeln iſt) ſich einſt Luft durch den Chimborazo macht! Man hat es mehrmals gedruckt geleſen, daß dieſer Berg aus Granit beſteht, aber man findet kein Atom darin: es zeigt ſich hie und da ein Saͤulenfoͤrmiger Porphyr, mit eingeſprengtem glaͤſigten Feldſpath, Hornſtein und Olivin. Die Porphyrſchicht hat eine Maͤchtigkeit von 1900 Toiſen. Ich koͤnnte Ihnen bey dieſer Gelegenheit auch von einem polariſirenden Porphyr etwas melden, den wir zu Voiſaco bey Paſto entdeckten, welcher eben ſo wie der im Journal der Phyſique von mir beſchriebene magnetiſche Serpentinſtein aus der Oberpfalz, eine Polaritaͤt zeigt, ohne Eiſenſpaͤne anzuziehen. Ich koͤnnte Ihnen noch andere Thatſachen anfuͤhren, welche ſich auf das große Geſetz des Parallelismus der Schichten und ihrer enormen Dicke in der Naͤhe des Aequators beziehen; es waͤre aber zu viel fuͤr einen Brief, der vielleicht verloren geht, und ich werde deshalb ein andermal wieder darauf kommen. Ich bemerke jetzt nur noch, daß außer den Elephantenzaͤhnen, die wir aus der Landhoͤhe von Santa- Fee, die 1350 Toiſen uͤber dein Meere liegt an B. Cuvier geſchickt haben, davon einige dem fleiſchfreſſenden Elephanten, und andere einer Species zugehoͤren, welche wenig von dem Afrikaniſchen unterſchieden iſt, und die im Thal Timana, in der Gegend von Ibarra und in Chili gefunden werden. Sonach iſt es beſtaͤtigt, daß dieſes fleiſchfreſſende Ungeheuer vom Ohio oder dem 50ſten Grad noͤrdlicher, bis zum 35° ſuͤdlicher Breite zu Hauſe iſt. Zu Quito habe ich meine Zeit aͤußerſt angenehm zugebracht. Der Gerichtspraͤſident Freyherr von Corondelet hat uns mit Guͤte uͤberhaͤuft, und ſeit 3 Jahren habe ich mich nie uͤber die Beamten der ſpaniſchen Regierung zu beſchweren, ſondern ſie haben mich durchaus mit einer ſolchen Feinheit und Auszeichnung behandelt, daß ich ihnen zu einem immerwaͤhrenden Danke verpflichtet bin. Wie ſich doch die Zeiten und die Sitten geaͤndert haben! Ich habe mich viel mit den Pyramiden und ihren Grundlagen beſchaͤftigt, die ich nicht fuͤr ſo ganz zerſtoͤrt halte. Ein freygebiger Privatmann, der ein Freund der Wiſſenſchaften und der um ſie verdienten Maͤnner eines La Condamine, Godin und Bouguer iſt, der Marquis von Selvalegre zu Quito, gedenkt ſie wieder herzuſtellen; aber dieſes fuͤhrt mich zu weit. Die Staͤrke der magnetiſchen Kraft wird am beſten durch die Anzahl der Schwingungen gemeſſen welche eine aus dem magnetiſchen Meridian gebrachte Nadel in einer gewiſſen Zeit macht. D. H. Nachdem ich Aſſonay und Cuenca, wo man uns Schauſpiele von Stiergefechten gab, zuruͤckgelegt hatte, nahmen wir den Weg nach Loxa , um unſere Unterſuchungen uͤber die China zu vollenden. Von da reiſeten wir einen Monat lang in die Provinz Jaen, Bracamorros und in die Pongos des Amazonenfluſſes, deſſen Ufer mit der Andiva und Bugainvillaͤa (Jussieu) geziert ſind. Es ſchien mir intereſſant, die Laͤnge von Tomependa und Chuchungat, wo ſich die Charte von La Condamine anfaͤngt, zu beſtimmen, und dieſe Oerter mit der Kuͤſte zu verbinden. La Condamine konnte blos die Laͤnge von der Muͤndung der Napa beſtimmen, indem es damals noch keine Chronometer gab. Es iſt deshalb auch fuͤr die Laͤngen der uͤbrigen hieſigen Oerter eine Berichtigung noͤthig. Mein Chronometer von Louis Berthoud that Wunder, indem ich ſeinen Gang von Zeit zu Zeit durch den erſten Jupiterstrabanten pruͤfte, und Punkt fuͤr Punkt meine Meridiandifferenzen mit denen verglich, welche bey der Expedition des Herrn Fidalgo gefunden wurden, der auf Befehl des Koͤnigs trigonometriſche Vermeſſungen von Cumana zu Carthagena vorgenommen hat. Vom Amazonenfluſſe gingen wir uͤber die Andes durch die Bergwerke von Hualgayoc, welche jaͤhrlich eine Million Piaſter Ausbeute geben, und wo ſich das graue ſilberhaltige Kupferwerk in einer Tiefe von 2065 Toiſen findet. Wir ſtiegen durch Caſcamaſca, wo ich in dem Pallaſte von Atahualpa die Boͤgen der Peruvianiſchen Gewoͤlbe zeichnete, wieder niederwaͤrts nach Truxilla, und wandten uns nun durch Wuͤſteneyen an der Kuͤſte des Suͤdmeers nach Lima, wo der Himmel ein halbes Jahr lang mit dicken Duͤnſten bedeckt iſt. Ich eilte, nach Lima zu kommen, um daſelbſt am 9. Nov. Merkurs Sonnendurchgang zu beobachten. Unſere Sammlungen von Pflanzen und Zeichnungen, die ich uͤber die Anatomie der Geſchlechter nach den Ideen machte, die mir Herr Juſſieu in den Verſammlungen der Naturhiſtoriſchen Societaͤt mitgetheilt hatte, waren durch die Reichthuͤmer ſehr vermehrt worden, die wir in der Provinz Quito, zu Loxa, am Amazonenfluſſe und in den Cordilleren von Peru gefunden hatten. Wir fanden eine Menge Pflanzen wieder, welche Joſeph Juſſieu geſehen hatte, z. B. die Lloqua affinis, Quillajae und andere. Wir haben eine neue Species der Jussiaea, die allerliebſt iſt, der Colletia, mehrere Paſſionsblumen und den baumartigen Loranthus von 60 Fuß Hoͤhe gefunden. Ueberhaupt ſind wir ſehr reich an Palmen und Graͤſern, woruͤber der B. Bompland eine ſehr ausfuͤhrliche Schrift ausgearbeitet hat. Wir ſind gegenwaͤrtig im Beſitz von 3784 ſehr vollſtaͤndigen Beſchreibungen in lateiniſcher Sprache, und uͤberdies noch von einem Drittel ſo viel Pflanzen in den Herbarien, die wir aus Mangel an Zeit noch nicht beſchreiben konnten. Es giebt gewiß keine Pflanze, von welcher wir den Felſen nicht anzeigen koͤnnen, worauf ſie waͤchſt, und die Hoͤhe in Toiſen, bis auf welche ſie ſich erhebt, ſo daß die Geographie der Pflanzen in unſern Manuſcripten ſehr genaue Materialien auffinden wird. Um es noch beſſer zu machen, iſt oft eine und dieſelbe Pflanze von Bompland und von mir beſonders beſchrieben worden. Aber zwey Drittel und mehr von den Beſchreibungen gehoͤren der Beharrlichkeit des B. Bompland ausſchließlich zu, deſſen Eifer und Ergebenheit fuͤr die Fortſchritte der Wiſſenſchaften man nicht genug bewundern kann. Denn Juſſieu, des Fontaines und Lamarck haben an ihm einen Schuͤler gebildet, der noch viel weiter gehen wird. Wir haben unſere Herbarien mit denen des Herrn Mutis verglichen; wir haben viele Buͤcher aus der unermeßlichen Bibliothek dieſes großen Mannes nachgeſchlagen, und uns dadurch uͤberzeugt, daß wir viel neue Genera und Species haben; aber es wird noch viel Zeit und Arbeit dazu gehoͤren, um zu entſcheiden, was wirklich neu iſt. Wir werden auch eine neue kieſelartige Subſtanz mitbringen, welche mit dem oſtindiſchen Tabaſcher Aehnlichkeit hat und die vom Herrn Macee analyſirt worden iſt. Dieſe findet ſich in den Knoten einer gigantiſchen Grasart, welche mit dem Bambusrohre verwechſelt wird, wo aber die Bluͤthe von Schrebers Bambuſa verſchieden iſt. Ich weiß nicht, ob der B. Fourcroy die Milch von der Pflanzenkuh (ſo nennen die Indianer einen gewiſſen Baum) erhalten hat. Es iſt dies eine Milch, welche, mit Salpeterſaͤure behandelt, mir ein Federharz von balſamiſchem Geruch gegeben hat, die aber, weit entfernt, daß ſie nach Art einer jeden andern Pflanzenmilch aͤtzend oder ſchaͤdlich ſeyn ſollte, naͤhrend und angenehm zu trinken iſt. Wir haben ſie auf dem Wege nach dem Oronocco in einer Pflanzung entdeckt, wo ſie von den Negern ſehr haͤufig getrunken wird. Ich habe auch dem B. Fourcroy, ſo wie Sir Joſeph Banks, unſer Dapiche oder weißes oxygenirtes Federharz geſchickt, welches aus den Wurzeln eines Baums in den Pimichiniſchen Waldungen in einem ganz abgelegenen Winkel der Erde bey den Quellen des Rio Negro herausſchwitzt. Ich werde nicht nach den Philippinen gehen, ſondern meinen Weg uͤber Acapulco, Mexico und Havanna nach Europa nehmen, und ich hoffe Sie im September oder Oktober 1803 in Paris zu umarmen. Gruß und Reſpekt. Humboldt. Ich werde im Februar zu Mexico und im Junius in der Havanna ſeyn, und es liegt mir nichts mehr am Herzen, als die Handſchriften, die ich beſitze, zu bewahren und ſie herauszugeben. — Wie ſehr verlangt mich, in Paris zu ſeyn!!!