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Alexander von Humboldt: „Die Grotte von Caripe oder die Felshöhle von Guacharo“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1818-Cavern_of_Guacharo-12-neu> [abgerufen am 07.12.2024].

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Titel Die Grotte von Caripe oder die Felshöhle von Guacharo
Jahr 1851
Ort Berlin
Nachweis
in: Friedrich August Pischon, Denkmäler der deutschen Sprache von den frühesten Zeiten bis jetzt. Eine vollständige Beispielsammlung zu seinem Leitfaden der Geschichte deutschen Literatur, 6 Bände, Berlin: Duncker und Humblot 1838–1851, Band 6.2 (1851), S. 698–706.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Ziffern.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: III.46
Dateiname: 1818-Cavern_of_Guacharo-12-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 9
Zeichenanzahl: 24965

Weitere Fassungen
Cavern of Guacharo (New York City, New York, 1818, Englisch)
Account of the Great Cavern of the Guacharo (Edinburgh, 1820, Englisch)
[Cavern of Guacharo] (Frankfurt am Main, 1821, Deutsch)
The great cavern of Guacharo, in South America (Hartford, Connecticut, 1822, Englisch)
Cavern of the Guacharo (Edinburgh, 1824, Englisch)
The Great Cavern of Guacharo, in South America (New York City, New York, 1826, Englisch)
The great cavern of Guacharo, in South America (London, 1826, Englisch)
Die Felshöhle von Guacharo (Bamberg; Aschaffenburg, 1827, Deutsch)
The great cavern of Guacharo, in South America (Exeter, 1836, Englisch)
The great cavern of Guacharo in South America (London, 1845, Englisch)
Die Felshöhle von Guacharo (Leipzig, 1843, Deutsch)
Die Grotte von Caripe oder die Felshöhle von Guacharo (Berlin, 1851, Deutsch)
Der Guacharo (Bad Langensalza, 1852, Deutsch)
Die Höhle von Guacharo (Mainz, 1854, Deutsch)
Die Höhle von Guacharo (Stuttgart, 1856, Deutsch)
Die Höhle von Guacharo (Leipzig, 1858, Deutsch)
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Die Grotte von Caripe oder die Felshöhle von Guacharo. (Reiſe in die Aequinoctialgegenden des neuen Continents in den Jahren 1799—1804.Verfaßt von A. v. Humboldt u. A. BonplandtZweiter Theil. Stuttg. u. Tübing. 1818. S. 102.)

Was neben der außerordentlichen Kühle des Klima dem Thal vonCaripe am meiſten Auszeichnung und Ruf verſchafft, iſt die große Cueva oder die Felshöhle von Guacharo. 1) In einem Land, wo man das Wun-derbare liebt, iſt eine Felshöhle, aus der ein Fluß entſpringt und die vonvielen tauſend Nachtvögeln bewohnt wird, deren Fett in den Miſſionen zurZubereitung der Speiſen dient, ein unerſchöpflicher Gegenſtand für Unter-haltung und Geſpräche. Auch ſind die erſten Dinge, von denen ein inCumana eingetroffener Fremder ſprechen hört, der Augenſtein von Araya,der Landbauer von Arenas, welcher ſein Kind ſäugte, und die Felſenhöhlevon Guacharo, deren Länge man auf mehrere Meilen angibt. Ein lebhaftesIntereſſe an Naturerſcheinungen erhält ſich allenthalben, wo keine geſellſchaft-lichen Verhältniſſe vorhanden ſind, und wo eine traurige Einförmigkeit desLebens nur ſehr einfache und die Neugier wenig beſchäftigende Gegenſtändedarbietet. Die Höhle, welche die Eingebornen eine Fettmine nennen, befindet ſichnicht im Thal von Caripe ſelbſt, ſondern in der Entfernung drey kleinerMeilen vom Kloſter, weſt-ſüd-weſtlich. Sie öffnet ſich in ein Seitenthal,das nach der Sierra del Guacharo ausläuft. Am 18. Herbſtmonat mach-ten wir uns auf den Weg nach der Sierra, in Begleit der Alcades oderindianiſchen Magiſtrate und der meiſten Ordensleute des Kloſters. Einſchmaler Fußpfad führte uns anfangs anderthalb Stunden in ſüdlicherRichtung durch eine liebliche mit ſchönem Raſen bekleidete Ebene; nachherlenkten wir weſtlich ein, längs eines Baches, welcher aus der Oeffnung derHöhle hervorkommt. Während drey Viertelſtunden des Emporſteigens unge-fähr, folgt man, bald im untiefen Waſſer, bald zwiſchen dem Waldſtromund einer Felswand, einem ſehr ſchlüpfrigen und kothigen Pfad. DasEinſinken des Erdreichs, die vereinzelten Baumſtämme, über welche dieMaulthiere wegzuſchreiten Mühe haben, die Ranken-Pflanzen, von denen
1) Die Provinz von Guacharucu, welches Delgado mit der Expedition desHieronimo de Ortal im J. 1534 beſucht hatte, ſcheint ſüdlich oder ſüd-öſtlich vonMacarapana zu liegen. Findet zwiſchen ſeinem Namen und denen der Höhle unddes Vogels eine Verbindung ſtatt, oder iſt der letzte Name ſpaniſcher Herkunft?(Laet, Nov. Orb. p. 676.) Guacharo bezeichnet im caſtillaniſchen einen, der ſchreitund jammert: es ſind aber ſowohl der Vogel in der Höhle von Caripe, als derGuacharaca (Phasianus Parraka), gewaltige Schreivögel.
|699|der Boden überdeckt iſt, machen dieſen Theil des Weges ſehr ermüdend.Es überraſchte uns hier, kaum fünfhundert Toiſen über der Meeresflächeeine Pflanze aus der Familie der Kreuzblumen, den Raphanus pinnatus, anzutreffen. Bekanntlich kommen die Gewächſe dieſer Familie in den Tro-penländern ſehr ſelten vor; ſie haben, ſo zu ſagen, eine nördliche Geſtaltung,und deshalb war uns ihre Erſcheinung auf der niedrigen Bergebene vonCaripe unerwartet. Eben dieſe nördlichen Formen ſchienen ſich im Galliumcaripense, in der Valeriana scandens und in einer Sanicula, welche ſichder S. marilandica nähert, zu wiederholen.
Wo man ſich am Fuß des hohen Guacharo-Berges, nur noch vier-hundert Schritte von der Höhle entfernt befindet, erblickt man jedoch ihreOeffnung noch nicht. Der Waldſtrom fließt in einer vom Gewäſſer ausge-höhlten Schlucht, und der Pfad führt unter einem Felsgeſims hin, deſſenvorſtehender Theil die Ausſicht in die Höhe raubt. Wie der Bach, ſoſchlängelt ſich auch der Fußſteig; bey der letzten Krümmung ſteht man plötz-lich vor dem ſehr geräumigen Eingang der Grotte. Dieſer Anblick hatetwas erhabenes, ſelbſt für den, welcher an die maleriſchen Bilder der Hoch-alpen gewöhnt iſt. Ich war damals mit den Berghöhlen des Pic vonDerbyſhire bekannt, wo man, in einem Boote liegend, unter der zwey Fußhohen Wölbung über einen unterirdiſchen Fluß ſetzt. Ich hatte die ſchöneGrotte von Treſhemienſhiz in den Karpathen, und die Berghöhlen auf demHarz beſucht, auch die Höhlen in Franken, dieſe weiten Grabſtätten1) fürKnochengerippe von Tigern, Hyänen und Bären, die an Größe unſernPferden gleichen. Die Natur befolgte unter allen Zonen unwandelbareGeſetze in Anordnung der Felsſchichten, in der äußern Geſtaltung der Berge,und ſelbſt auch in den ſtürmiſchen Veränderungen, die der Rinde unſersPlaneten zu Theil wurden. Eine ſo allgemeine Uebereinſtimmung ließ michvermuthen, es werde das Ausſehen der Höhle von Caripe nur wenigvon dem verſchieden ſeyn, was ich auf meinen früheren Reiſen zu ſehenden Anlaß hatte: ich fand meine Erwartung weit übertroffen. Wenn
1) Das Erdreich, welches ſeit Jahrtauſenden den Grund der Felſenhöhlen vonGaylenreuth und von Muggendorf in Franken deckt, dünſtet jetzt noch, in gewiſſenJahreszeiten, Mofetten oder gasartige Miſchungen von Waſſerſtoff und Stickſtoffaus, die zur Wölbung der Höhle anſteigen. Dieſe Thatſache iſt allen, welche jeneHöhlen den Reiſenden zeigen, wohl bekannt, und zur Zeit, wo ich Aufſeher der Berg-werke des Fichtelgebirges war, hatte ich öfteren Anlaß, ſie im Sommer zu beobach-ten. Herr Laugier fand in dem Erdreich von Muggendorf, außer den phosphor-ſauren Kalken, \( \frac{1}{10} \) thieriſchen Stoff (Cuvier, Recherches sur les ossem. fos-siles, Tom. IV. Ours., p. 14). Der ſtinkende und amoniacaliſche Geruch, welcherſich aus dieſer Erde entwickelt, wenn ſie auf glühendes Eiſen geſtreut wird, war mirwährend meines Aufenthalts in Steeben auffallend.
|700|einerſeits die Geſtaltung der Grotten, der Glanz der Stalactiten und alleErſcheinungen der unorganiſchen Natur auffallende Aehnlichkeit darbieten,ſo ertheilt anderſeits der majeſtätiſche Pflanzenwuchs der Tropenländer demEingang der Höhle einen eigenthümlichen Charakter.
Die Cueva del Guacharo öffnet ſich im ſenkrechten Durchſchnitt einesFelſens. Der Eingang ſteht ſüdwärts; ihr Gewölbe iſt achtzig Fuß breitauf zwey und ſiebenzig Fuß Höhe. Es kommt dieſe Erhöhung bis aufeinen Fünftheil ungefähr derjenigen des Säulengangs in Louvre gleich. DerFels, der über der Grotte ſteht, iſt mit Bäumen von gigantiſchem Wuchſebeſetzt. Der Mamei und der Genipayer1) mit breiten, glänzenden Blättern,ſtrecken ihre Aeſte ſenkrecht zum Himmel, während die des Coubaril undder Erythrina ſich ausbreiten und eine dichte Laubdecke bilden. Pothos-gewächſe mit ſaftigem Stengel, Oxalisarten und Orchideen von ſeltſamerBildung 2) wachſen an den dürreſten Felsritzen hervor, während Ranken-gewächſe, vom Winde gewiegt, vor dem Eingang der Höhle ſich in Feſtonsſchlingen. Wir unterſchieden in dieſen Blumengewinden eine violettblaueBignonia, den purpurfarbigen Dolichos, und zum erſtenmal die prächtigeSolandra 3), deren orangengelbe Blume eine über vier Zoll lange fleiſchigteRöhre hat. Es verhält ſich mit den Grotteneingängen, wie mit der Anſichtder Waſſerfälle; die mehr oder minder ausgezeichnete Umgebung ertheilt denvorzüglichen Reiz, welcher ſo zu ſagen den Charakter der Landſchaft beſtimmt.Welch ein Contraſt findet ſich zwiſchen der Cueva de Caripe und jenennordiſchen von Eichen und finſtern Lerchenbäumen beſchatteten Höhlen! Dieſer üppige Pflanzenwuchs verſchönert jedoch nicht nur die äußereWölbung, er iſt auch noch im Vordertheil der Grotte ſichtbar. Mit Er-ſtaunen bemerkten wir prachtvolle Heliconien mit Piſangblättern, die eineHöhe von achtzehn Fuß erreichen, die Praga-Palme und das Arum arbo-rescens längs dem kleinen Fluß in dieſem unterirdiſchen Standort. DerPflanzenwachsthum dehnt ſich in die Höhle von Caripe aus, wie in jenetiefen Schluchten der Anden, die nur einem halben Tageslicht zugänglichſind, und er hört im Innern der Grotte eher nicht als in der Entfernungvon 30 bis 44 Fuß vom Eingang auf. Wir maßen den Weg vermittelſteines Seils, und hatten vierhundert und dreyßig Fuß zurückgelegt, eheFackeln anzuzünden erforderlich ward. Das Tageslicht dringt ſo weit vor,weil die Grotte einen einzigen Kanal bildet, der ſich in unveränderter Rich-tung von Südoſt nach Nordweſt ausdehnt. Hier, wo das Licht zu erlöſchenanfängt, hört man noch entfernt das widrige Geſchrei der Nachtvögel, von
1) Caruto, genipa americana. Die Blume zeigt in Caripe abwechſelnd fünfbis ſechs Staubfäden.2) Ein Dendrobium mit goldfarbner, ſchwarzgefleckter, drey Zoll langer Blume.3) Solandra scandens. Es iſt der Gouſaticha der Chaymas-Indianer.
|701|denen die Eingebornen glauben, ſie werden ausſchließlich in dieſen unter-irdiſchen Wohnungen angetroffen.
Der Guacharo hat die Größe unſrer Hühner, den Rachen der Nacht-ſchwalbe (des Ziegenmelkers), den Wuchs der Geyer, deren krummerSchnabel von ſteifen Seidepinſeln umgeben iſt. Wenn wir mit HerrnCuvier die Ordnung der Spechte (Pici) eingehen laſſen, ſo muß dieſeraußerordentliche Vogel in’s Geſchlecht der Sperlinge (Passeres) gebrachtwerden, deren Gattungen durch beinahe unmerkliche Uebergänge mit ein-ander verbunden ſind. Ich habe ihn unter dem Namen Steatornis in einerbeſonderen Monographie beſchrieben, die im zweyten Band meiner Obser-vations de Zoologie et d’ Anatomie comparée enthalten iſt: er machteine neue vom Caprimulgus verſchiedene Gattung aus, die ſich durch denUmfang der Stimme ſowol, als durch den außerordentlich ſtarken mit einemDoppelzahn verſehenen Schnabel, und durch Füße, die zwiſchen den Vorder-zehen keine Verbindungshäute haben, unterſcheidet. Er liefert das erſteBeyſpiel eines Nachtvogels unter den Zahnſchnäblern der Singvögel (pas-sereaux dentirostres). Durch ſeine Lebensart iſt er ſowol den Nacht-ſchwalben als den Alpendohlen verwandt. Das Gefieder des Guacharo iſtvon dunkler blau-grauer Farbe, mit kleinen ſchwarzen Streifen und Punk-ten vermengt. Große weiße, herzförmige, ſchwarzgeränderte Flecken kommenam Kopf, auf den Flügeln und am Schwanze vor. Die Augen des Vogelskönnen das Tageslicht nicht vertragen; ſie ſind blau und kleiner, als diedes Ziegenmelkers oder der Nachtſchwalbe. Die Weite der ausgebreitetenFlügel, die aus 17 bis 18 Ruderfedern (remiges) beſtehen, beträgt viert-halb Fuß. Der Guacharao verläßt ſeine Höhle bei Anbruch der Nacht,vorzüglich zur Zeit des Mondſcheins. Er iſt faſt der einzige, bis dahinbekannt gewordene Nachtvogel, der ſich von Körnern nährt; die Bildungſeiner Füße thut ſattſam dar, daß er nicht, gleich unſern Eulen, Jäger iſt.Er nährt ſich mit ſehr harten Kernfrüchten, gleich dem Nußheher und demPyrrhocorax. Der letztere niſtet gleichfalls in Felsſpalten und iſt unter demNamen Nachtrabe bekannt. Die Indianer verſichern, der Guacharo verzehreweder Käfer noch Phalenen, mit denen ſich hingegen die Nachtſchwalbenährt. Man darf nur die Schnäbel des Guacharo und der Nachtſchwalbemiteinander vergleichen, um ſich zu überzeugen, daß ihre Lebensart aller-dings ſehr verſchieden ſeyn muß. Es hält ſchwer, ſich eine richtige Vorſtellung von dem furchtbarenLerm zu machen, welchen viele Tauſende dieſer Vögel in dem finſtern Theilder Höhle verurſachen. Er läßt ſich nur mit dem Gelerm unſrer Krähenvergleichen, die in den nordiſchen Tannenwäldern in Geſellſchaft leben, undihre Neſter auf Bäume bauen, deren Gipfel ſich einander berühren. Dieſcharfe und durchdringende Stimme der Guacharos wird in den Wölbungender Felshöhle zurückgeworfen, und das Echo wiederhallt im Grunde der |702|Grotte. Die Indianer banden Fackeln an das Ende einer langen Stange,um uns die Neſter dieſer Vögel zu zeigen. Sie befanden ſich fünfzig bisſechszig Fuß über unſern Häuptern in trichterförmigen Löchern, welche inMenge an der Decke der Grotte befindlich waren. Das Geräuſch wirdſtärker, ſo wie man tiefer hineinkommt, und die Vögel vor dem Licht ſcheuwerden, das die Copalfackeln verbreiten. Ward es etliche Minuten um unsher ſtille, dann ließen ſich die entfernteren Klagetöne der in den Seiten-gängen der Grotte niſtenden Vögel hören. Es war, als ob ihre Schwärmeſich einander wechſelnd antworteten. Die Indianer begeben ſich jährlich einmal, um das St. Johannesfeſt,mit Stangen bewaffnet in die Grotte, um den größten Theil der Neſter zuzerſtören. Es werden alsdann viele tauſend Vögel getödtet, und die Alten,gleichſam um ihre Brut zu beſchützen, ſchweben, unter fürchterlichem Ge-ſchrey, über den Häuptern der Indianer. Die Jungen, welche zu Bodenfallen, werden ſogleich ausgeweidet. Ihr Bauchfell iſt reich mit Fettbeladen, und eine Schichte von Fett verlängert ſich vom Unterleib bis zurOeffnung des Hintern, und bildet eine Art Knäuel zwiſchen den Schenkelndes Vogels. Dieſer Ueberfluß von Fett bei pflanzenfreſſenden Thieren, dieim Finſtern leben und ſich nur wenig Bewegung geben, erinnert an längſtgemachte Beobachtungen über die Mäſtung von Gänſen und Ochſen. Manweiß, wie ſehr dieſes Geſchäft durch Finſterniß und Ruhe befördert wird.Die europäiſchen Nachtvögel ſind mager, weil, ſtatt ſich mit Früchten zunähren, wie der Guacharo, ſie vom ſpärlichen Ertrag ihrer Jagd leben. Inder Jahreszeit, welche vom Volke in Caripe die Einſammlung des Oeh-les genannt wird, bauen ſich die Indianer aus Palmenblättern Hütten,theils nahe beym Eingang, theils im Vordertheil der Höhle. Wir ſahennoch einige Ueberreſte derſelben. Hier wird bey einem mit Buſchwerk unter-haltenen Feuer das Fett der jungen eben erſt getödteten Vögel geſchmelztund in thönernen Gefäßen geſammelt. Es iſt daſſelbe unter dem Namender Butter oder des Oehls (manteca oder aceite) vom Guacharo bekannt,halbflüſſig, durchſichtig und geruchlos. Seine Reinheit iſt ſo groß, daß esüber ein Jahr aufbewahrt wird, ohne ranzigt zu werden. Im Kloſter vonCaripe ward in der Küche der Mönche kein anderes Oehl gebraucht als dasder Grotte, und nie haben wir einen daher rührenden widrigen Geſchmackoder Geruch an den Speiſen wahrgenommen. Die Menge des eingeſammelten Oehls ſteht in keinem Verhältniß zuder Metzeley, welche die Indianer jährlich in der Grotte anrichten. Esſcheint, daß nicht über 150—160 Flaſchen vollkommen reinen Manteca’seingeſammelt werden; der minder durchſichtige Ueberreſt wird in großenirdenen Gefäßen aufbewahrt. Es erinnert dieſer Induſtriezweig der Ein-gebornen an die Einſammlung des Taubenöhls, wovon vormals in Carolinaeinige Tauſend großer Fäſſer bereitet wurden. Der Gebrauch des Gua- |703|charos-Oehl in Caripe iſt ſehr alt, und die Miſſionare haben nur ſeineBereitungsart regelmäßiger geordnet. Die Glieder einer indianiſchen Familie,welche Morocoymas heißt, behaupten, als Abſtämmlinge der erſten Kolo-niſten des Thals, rechtmäßige Eigenthümer der Grotte zu ſeyn, und ſieſprechen das Monopol des Fettes an. Die Mönchsanſtalten haben glücklicherWeiſe dieſe Rechte in bloße Ehrenberechtigungen umgeſchaffen. Dem Syſtemeder Miſſionare zufolge, müſſen die Indianer das zum Unterhalt der Kirchen-lampe erforderliche Oehl liefern; das Uebrige wird ihnen, wie man verſichert,bezahlt. Wir wollen weder über die Rechtmäßigkeit der Anſprüche derMorocoymas, noch über den Urſprung der den Eingebornen von denMönchen auferlegten Verpflichtungen entſcheiden. Es möchte natürlich ſchei-nen, daß der Jagdertrag den Jägern gehöre; aber in den amerikaniſchenWäldern, wie im Mittelpunkte der europäiſchen Kultur, wird das gemeineRecht häufig durch die Verhältniſſe abgeändert, welche zwiſchen dem Starkenund Schwachen, zwiſchen den Eroberern und Eroberten Statt finden. Das Geſchlecht der Guacharos wäre längſt vertilgt, wenn ſeine Erhal-tung nicht durch verſchiedene Umſtände begünſtigt würde. AbergläubiſcheBegriffe halten die Eingebornen vom tiefern Eindringen in die Grottegewöhnlich ab. Es ſcheint auch, daß benachbarte Höhlen, die ihrer Engewegen dem Menſchen unzugänglich ſind, durch Vögel der nämlichen Artbewohnt werden. Vielleicht wird die große Höhle durch Kolonien aus denkleinern Grotten unterhalten und bevölkert; die Miſſionare bezeugten uns,es ſey bis dahin keine ſpürbare Abnahme in der Zahl der Vögel bemerktworden. Man hat junge Guacharos nach dem Hafen von Cumana ver-ſandt, wo ſie einige Tage am Leben blieben, ohne irgend eine Nahrung zuſich zu nehmen, indem die Körner, die man ihnen vorlegte, ihnen nichtbehagten. Bey Oeffnung des Kropfs und des Magens der jungen Vögelin der Grotte, finden die Landeseingebornen mancherley harte und trockneKernfrüchte, die unter der ſeltſamen Benennung der Körner oder Semilladel Guacharo ein berühmtes Mittel gegen das Wechſelfieber liefern. Diealten Vögel tragen ihren Jungen dieſe Körner zu, die man ſorgfältig ſam-melt, um ſie den Kranken in Cariaco und in den übrigen tiefgelegenenfieberhaften Orten zukommen zu laſſen. Wir folgten, im Fortgang der Höhle, den Ufern des kleinen Fluſſes,der in ihr entſpringt; ſeine Breite beträgt 28 bis 30 Fuß. Man wandertdem Ufer entlang, ſo weit die aus kalkigten Incruſtirungen gebildeten Hügeles geſtatten; öfters, wenn der Waldſtrom zwiſchen Stalactiten-Maſſen ſichdurchſchlingt, muß man in ſein Bett hinabſteigen, das nicht mehr als zweyFuß Tiefe hat. Ueberraſchend war es uns, zu hören, daß dieſer unter-irdiſche Fluß der Urſprung des Rio Caripe iſt, welcher in der Entfernungetlicher Meilen, nachdem er ſich mit dem kleinen Rio de Santa Maria ver-eint hat, für Piroguen ſchiffbar iſt. Er ergießt ſich unter dem Namen |704| Canno de Terezen in den Strom von Areo. Wir fanden am Ufer desunterirdiſchen Fluſſes eine große Menge Palmbaumholz. Es ſind Ueber-bleibſel der Stämme, welche die Indianer erklettern, um die an der Deckedes Gewölbes der Grotte hängenden Vogelneſter zu erreichen. Die von denUeberreſten alter Blattſtiele gebildeten Ringe verſehen gleichſam die Stufeneiner ſenkrecht ſtehenden Leiter. Die Grotte von Caripe behält in der genau gemeſſenen Entfernungvon 472 Metres oder 1458 Fuß, vom Eingang, noch ihre urſprünglicheRichtung, die nämliche Weite, und die gleiche Höhe von 60 bis 70 Fuß.Mir iſt auf beyden Feſtlanden keine Berghöhle von ſo einförmiger und regel-mäßiger Bildung bekannt. Wir hatten Mühe die Indianer zu vermögen,über den Vordertheil der Grotte, welchen ſie alljährlich zur Einſammlungdes Fettes beſuchen, tiefer einzugehen, und es bedurfte des Gewichts undAnſehens der los Padres, um ſie zu der Stelle hinzubringen, wo derBoden plötzlich unter einem Winkel von 60° in die Höhe ſteigt, und woder Waldſtrom einen kleinen unterirdiſchen Waſſerfall bildet. 1) Die Ein-gebornen verbinden myſtiſche Vorſtellungen mit dem von Nachtvögeln bewohn-ten Raum. Sie glauben, die Geiſter ihrer Vorfahren halten ſich im Hinter-theil der Grotte auf. Der Menſch, ſagen ſie, ſoll eine heilige Scheu vorOrten tragen, welche weder die Sonne, Zis, noch der Mond, Nana, beſcheint. Zu den Guacharos gehen, bedeutet, zu ſeinen Vätern gehen,oder ſterben. Auch nehmen die Zauberer, Piaches, und die Giftmiſcher, Imorons, ihre nächtlichen Gauklerkünſte am Eingang der Grotte vor, umden Häuptling der böſen Geiſter, Ivorokiamo, zu beſchwören. So gleichenſich einander unter allen Himmelsſtrichen die früheſten Dichtungen der Völ-ker, vorzüglich jene, welche die zwey weltregierenden Grundſätze, das Lebender Seelen nach dem Tod, das Glück der Gerechten und die Beſtrafung derSünder, betreffen. Die verſchiedenſten und die roheſten Sprachen enthalteneine Anzahl Bilder, welche ſich einander überall ähnlich ſind, weil ihreQuelle in unſerm Verſtand und in unſern Empfindungen liegt. Die Finſter-niß geſellt ſich allenthalben der Vorſtellung vom Tode bey. Die Grottevon Caripe iſt der Griechen Unterwelt (Tartaros), und die über dem unter-irdiſchen Fluß ſchwebenden, Klagetöne ausſtoßenden Guacharos, erinnernan die ſtygiſchen Vögel. An der Stelle, wo der Fluß den unterirdiſchen Waſſerfall bildet, ſtelltſich die der Grottenöffnung gegenüberliegende, reich bewachſene Landſchaftauf eine ſehr maleriſche Weiſe dar. Man erblickt ſie am Ausgang einesgeradlinigten, 240 Toiſen langen Kanals. Die vom Gewölbe herabhängen-
1) Dieſe Erſcheinung eines unterirdiſchen Waſſerfalls trifft man aber in ungleichgrößerem Maaßſtab auch in der brittiſchen Grafſchaft York, in der Nähe von Kings-dale, in Yordas-Cave an.
|705|den und in der Luft ſchwebenden Säulen gleichenden Stalactiten ſtellen ſichauf der grünen Fläche wunderſam dar. Die Oeffnung der Grotte erſcheintum die Mitte des Tages ſehr verengt, und wir ſahen ſie in jener hellenBeleuchtung, die das gleichzeitige Zurückwerfen des Lichts vom Himmel, vonPflanzen und Felſen hervorbringt. Die ferne Tageshelle ſtand in gewalti-gem Abſtiche mit der uns in dieſen unterirdiſchen Räumen umzingelndenFinſterniß. Wir hatten unſre Flinten faſt zufällig, da wo Vögelgeſchreyund Flügelſchlag uns das Beyſammenſtehen vieler Neſter vermuthen ließen,losgebrannt. Nach mehreren vergeblichen Verſuchen gelang es dem Herrn Bonpland zwey Guacharos zu treffen, die, vom Fackellichte geblendet, unszu verfolgen ſchienen. Dieſer Umſtand ſetzte mich in den Stand, den bisdahin den Naturforſchern unbekannt gebliebenen Vogel zu zeichnen. Wirerſtiegen mit einiger Mühe den kleinen Hügel, von welchem der unterirdiſcheBach herabfließt. Wir ſahen die Grotte ſich merklich verengern, indem ſienur noch 40 Fuß Höhe hat, und ſich nordoſtwärts verlängert, ohne vonihrer urſprünglichen Richtung abzuweichen, die mit dem großen Thal vonCaripe parallel läuft.
In dieſem Thal der Höhle ſetzt das Waſſer des Fluſſes eine ſchwärz-lichte Erde ab, welche derjenigen ähnlich iſt, die man in der Grotte vonMugendorf in Franken Opfererde der Grotte des hohlen Bergs nennt.Wir konnten nicht entſcheiden, ob dieſe feine und lockere Erdart durch Spal-ten, die mit der Oberfläche des Bodens zuſammenhängen, herabfällt, oderob ſie von dem in die Höhle dringenden Regenwaſſer angeſchwemmt wird.Es war eine Miſchung von Kieſel-, Thon- und Damm-Erde. Wir wan-derten durch dichten Koth bis zu einer Stelle, wo wir mit Erſtaunen dieFortſchritte des unterirdiſchen Pflanzenwachsthums wahrnahmen. Die Früchte,welche die Vögel zur Speiſung ihrer Jungen in die Grotte tragen, keimenüberall, wo ſie ſich in dem die kalkigten Incruſtirungen deckenden Erdreichbefeſtnen können. Dünne aufgeſchoſſene, mit einigen Blätterſpuren verſeheneStämmchen hatten eine Höhe von zwey Fuß erreicht. Es war unmöglich,die durch den Mangel des Lichtes in Form, Farbe und Geſtalt völlig ver-änderten Pflanzenarten zu unterſcheiden. Dieſe Spuren organiſcher Bildungmitten in der Finſterniß hatten die Neugierde der ſonſt ſo ſtumpfſinnigenund ſchwer aufzuregenden Eingebornen in hohem Grade geweckt. Siebeobachteten dieſelben mit der ſtillen Aufmerkſamkeit, welche ein ihnen furcht-barer Ort veranlaßte. Es kam uns beynahe vor, als glaubten ſie, in dieſenunterirdiſchen, blaſſen und entſtellten Gewächſen von der Oberfläche der Erdeverwieſene Schatten zu ſehen. Mich erinnerten dieſelben an einen derglücklichſten Zeitpunkte meiner erſten Jugend, an einen langen Aufenthaltin den Bergwerken von Freiberg, wo ich über die, je nachdem die Luftrein, oder mit Waſſerſtoff und Stickſtoff überladen iſt, ſehr ungleichen Er- |706|ſcheinungen des unterirdiſchen Pflanzenwachsthums (etiolement) Verſucheanſtellte. Zu noch weiterem Vordringen in der Grotte konnten die Indianerdurch alles Anſehen der Miſſionare nicht vermocht werden. So wie dieWölbung des unterirdiſchen Raumes niedriger ward, nahm das Geſchreyder Vögel einen durchdringenderen Ton an. Wir mußten der Furchtſamkeitunſrer Wegweiſer nachgeben und umkehren. Der Anblick, den die Höhlegewährte, hatte übrigens etwas ſehr einförmiges. Ein Biſchof aus St. Tho-mas in Guiana war, wie es ſcheint, weiter als wir vorgedrungen. Erhatte vom Eingang bis zu der Stelle, wohin er gelangte, wo aber dieHöhle noch nicht zu Ende ging, beynahe 2500 Fuß (960 Varas) gemeſſen.Man hatte die Erinnerung dieſer Thatſache im Kloſter von Caripe aufbe-wahrt, ohne ihre Zeit genau angeben zu können. Der Biſchof führte großeKerzen von weißem caſtillaniſchem Wachs mit ſich; wir hatten nur Fackelnaus inländiſcher Baumrinde und Harz. Der dicke Rauch, welchen dieſeFackeln in einem engen unterirdiſchen Raume hervorbringen, wird den Augenläſtig und macht das Athemholen beſchwerlich. Wir folgten dem Lauf des Bergwaſſers nach der Oeffnung der Grottezu. Ehe noch unſere Augen von Tageslicht geblendet wurden, ſahen wiraußer der Grotte das zwiſchen Laubwerk durchſchimmernde Waſſer. Es glicheinem fern ausgeſtellten Gemälde, dem die Oeffnung der Grotte zur Rahmediente. Am Ausgang endlich eingetroffen, ſetzten wir uns an’s Ufer desFluſſes, um von dem ermüdenden Gange auszuruhen. Wir waren froh,des widrig kreiſchenden Geſchreies der Vögel entledigt zu ſeyn, und einenOrt zu verlaſſen, deſſen Dunkelheit den Reiz der Stille und Ruhe keines-wegs gewährt. Es kam uns faſt unbegreiflich vor, daß der Name derGrotte von Caripe bis dahin in Europa völlig unbekannt geblieben ſeynſollte. Die Guacharos waren für ſich allein ſchon hinreichend, ihn berühmtzu machen. Außer den Bergen von Caripe und Cumanacoa hat man dieſeNachtvögel bis dahin nirgendswo angetroffen.