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Alexander von Humboldt: „Die Felshöhle von Guacharo“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1818-Cavern_of_Guacharo-11-neu> [abgerufen am 23.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1818-Cavern_of_Guacharo-11-neu
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Titel Die Felshöhle von Guacharo
Jahr 1843
Ort Leipzig
Nachweis
in: Bibliothek der neuesten deutschen Classiker. Eine Auswahl der Schönsten und Gediegensten aus ihren sämmtlichen Werken. Für Schule und Haus, 3. Auflage, 40 Bände, Leipzig: Schmaltz [o. J., ca. 1843–1846], Band 13, S. 96–110.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: III.46
Dateiname: 1818-Cavern_of_Guacharo-11-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 15
Zeichenanzahl: 19847

Weitere Fassungen
Cavern of Guacharo (New York City, New York, 1818, Englisch)
Account of the Great Cavern of the Guacharo (Edinburgh, 1820, Englisch)
[Cavern of Guacharo] (Frankfurt am Main, 1821, Deutsch)
The great cavern of Guacharo, in South America (Hartford, Connecticut, 1822, Englisch)
Cavern of the Guacharo (Edinburgh, 1824, Englisch)
The Great Cavern of Guacharo, in South America (New York City, New York, 1826, Englisch)
The great cavern of Guacharo, in South America (London, 1826, Englisch)
Die Felshöhle von Guacharo (Bamberg; Aschaffenburg, 1827, Deutsch)
The great cavern of Guacharo, in South America (Exeter, 1836, Englisch)
The great cavern of Guacharo in South America (London, 1845, Englisch)
Die Felshöhle von Guacharo (Leipzig, 1843, Deutsch)
Die Grotte von Caripe oder die Felshöhle von Guacharo (Berlin, 1851, Deutsch)
Der Guacharo (Bad Langensalza, 1852, Deutsch)
Die Höhle von Guacharo (Mainz, 1854, Deutsch)
Die Höhle von Guacharo (Stuttgart, 1856, Deutsch)
Die Höhle von Guacharo (Leipzig, 1858, Deutsch)
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Die Felshöhle von Guacharo.

Von Alex. v. Humboldt.

Was neben der außerordentlichen Kuͤhledes Klima’s dem Thale von Caripe am mei-ſten Auszeichnung und Ruf verſchafft, iſt die |97|große Cueva oder die Fehlshoͤhle von Guacharo.In einem Lande, wo man das Wunderbareliebt, iſt eine Felshoͤhle, aus der ein Fluß ent-ſpringt, und die von vielen tauſend Nachtvoͤ-geln bewohnt wird, deren Fett in den Miſſio-nen zur Zubereitung der Speiſen dient, einunerſchoͤpflicher Gegenſtand fuͤr Unterhaltungund Geſpraͤche. Die Hoͤhle, welche die Eingebornen eineFettmine nennen, befindet ſich nicht im Thalevon Caripe ſelbſt, ſondern in der Entfernungdrei kleiner Meilen vom Kloſter weſt-ſuͤd-weſt-lich. Sie oͤffnet ſich in ein Seitenthal, dasnach der Sierra del Guacharo auslaͤuft. Wirmachten uns auf den Weg nach der Sierra inBegleitung des Alcaldes oder indianiſchen Ma-giſtrats, und der meiſten Ordensleute des Klo-ſters. Ein ſchmaler Fußpfad fuͤhrte uns an-faͤnglich anderthalb Stunden in ſuͤdlicher Rich-tung durch eine liebliche, mit ſchoͤnem Raſenbekleidete Ebene; nachher lenkten wir weſtlichein laͤngs eines Baches, welcher aus der Oeff-nung der Hoͤhle hervorkommt. Waͤhrend dreiViertelſtunden des Emporſteigens ungefaͤhrfolgt man, bald im untiefen Waſſer, bald zwi-ſchen dem Waldſtrom und einer Felswand, ei-nem ſehr ſchluͤpfrigen und kothigen Pfade.Das Einſinken des Erdreichs, die vereinzeltenBaumſtaͤmme, uͤber welche die Maulthiere weg-zuſchreiten Muͤhe haben, die Rankenpflanzenvon denen der Boden uͤberdeckt iſt, machen die-ſen Theil des Weges ſehr ermuͤdend. Wo man ſich am Fuße des hohen Gua- |98|charo-Berges nur noch 400 Schritte von derHoͤhle entfernt befindet, erblickt man jedoch ihreOeffnung noch nicht. Der Waldſtrom fließt ineiner vom Gewaͤſſer ausgehoͤhlten Schlucht, undder Pfad fuͤhrt unter einem Felsgeſims hin,deſſen vorſtehender Theil die Ausſicht in dieHoͤhe raubt. Wie der Bach, ſo ſchlaͤngelt ſichauch der Fußſteig; bei der letzten Kruͤmmungſteht man ploͤtzlich vor dem ſehr geraͤumigenEingange der Grotte. Dieſer Anblick hat et-was Erhabenes, ſelbſt fuͤr den, welcher an diemaleriſchen Bilder der Hochalpen gewoͤhnt iſt. Die Cueva del Guacharo oͤffnet ſich imſenkrechten Durchſchnitt eines Felſens. DerEingang ſteht ſuͤdwaͤrts; ihr Gewoͤlbe iſt acht-zig Fuß breit und auf zwei und ſiebzig FußHoͤhe. Der Fels, der uͤber der Grotte ſteht,iſt mit Baͤumen von gigantiſchem Wuchſe be-ſetzt. Der Mamei und der Genipayer (genipaamericana) mit breiten, glaͤnzenden Blaͤtternſtrecken ihre Aeſte ſenkrecht zum Himmel, waͤh-rend die des Coubaril und der Erythrina ſichausbreiten und eine dichte Hausdecke bilden.Pothosgewaͤchſe mit ſaftigem Stengel, Oralis-arten und Orchideen von ſeltſamer Bildungwachſen aus den duͤrreſten Felsritzen hervor,waͤhrend Rankengewaͤchſe, vom Winde gewiegt,vor dem Eingange der Hoͤhle ſich in Feſtonsſchlingen. Wir unterſcheiden in dieſen Blu-mengewinden eine violettblaue Bigonia, denpurpurfarbigen Dolichos und zum erſten Maledie praͤchtige Solandra (Solandra scandens), deren orangengelbe Blume eine uͤber vier Zolllange fleiſchigte Roͤhre hat. Es verhaͤlt ſich |99|mit den Grotteneingaͤngen, wie mit der Anſichtder Waſſerfaͤlle; die mehr oder minder aus-gezeichnete Umgebung ertheilt den vorzuͤglichenReiz, welcher, ſo zu ſagen, den Charakter derLandſchaft beſtimmt. Welch ein Contraſt fin-det ſich zwiſchen der Cueva de Caripe und je-nen nordiſchen, von Eichen und finſtern Lerchen-baͤumen beſchatteten Hoͤhlen! Dieſer uͤppige Pflanzenwuchs verſchoͤnertjedoch nicht nur die aͤußere Woͤlbung, er iſtauch noch im Vordertheil der Grotte ſichtbar.Mit Erſtaunen bemerken wir prachtvolle Heli-konien mit Piſangblaͤttern, die eine Hoͤhe von18 Fuß erreichen, die Pragapalme und das Arum arborescens laͤngs dem kleinen Fluſſein dieſem unterirdiſchen Standorte. Der Pflan-zenwachsthum dehnt ſich in die Hoͤhle von Ca-ripe aus, wie in jene tiefe Schluchten der Anden,die nur einem halben Tageslichte zugaͤnglichſind, und er hoͤrt im Innern der Grotte ehernicht, als in der Entfernung von 30—40 Fußvom Eingange auf. Wir maßen den Weg ver-mittelſt eines Seils, und hatten 430 Fuß zu-ruͤckgelegt, ehe Fackeln anzuzuͤnden erforderlichward. Das Tageslicht dringt ſo weit vor,weil die Grotte einen einzigen Canal bildet,der ſich in unveraͤnderter Richtung von Suͤd-oſt nach Nordoſt ausdehnt. Hier, wo das Lichtzu erloͤſchen anfaͤngt, hoͤrt man noch entferntdas widrige Geſchrei der Nachtvoͤgel, von de-nen die Eingebornen glauben, ſie werden aus-ſchließlich in dieſen unterirdiſchen Wohnungenangetroffen. Der Guacharo hat die Groͤße unſerer Huͤh- |100|ner, den Rachen der Nachtſchwalbe (des Ziegen-melkers), den Wuchs der Geyer, deren krum-mer Schnabel von ſteifen Seidepinſeln umge-ben iſt. Wenn wir mit Herrn Cuvier dieOrdnung der Spechte (Pici) eingehen laſſen,ſo muß dieſer außerordentliche Vogel ins Ge-ſchlecht der Sperlinge (passeres) gebracht wer-den, deren Gattungen durch beinahe unmerk-liche Uebergaͤnge mit einander verbunden ſind. Ich habe ihn unter dem Namen Stea-tornis *) beſchrieben. Er macht eine neue,vom Caprimulgus verſchiedene Gattung aus,die ſich durch den Umfang der Stimme ſowohl,als durch den außerordentlich ſtarken, mit einemDoppelzahn verſehenen Schnabel, und durchFuͤße, die zwiſchen den Vorderzehen keine Ver-bindungshaͤute haben, unterſcheidet. Er liefertdas erſte Beiſpiel eines Nachtvogels unter denZahnſchnaͤblern der Singvoͤgel (passereauxdentirostres). Durch ſeine Lebensart iſt er ſo-wohl den Nachtſchwalben, als den Alpendohlen (corvus Pyrrhocorax) verwandt. Das Ge-fieder des Guacharo iſt von dunkler blaugrauerFarbe, mit kleinen ſchwarzen Streifen undPunkten vermengt. Große weiße, herzfoͤrmige,ſchwarzgeraͤnderte Flecken kommen am Kopf,auf den Fluͤgeln und am Schwanze vor. DieAugen des Vogels koͤnnen das Tageslicht nichtvertragen; ſie ſind blau und kleiner, als diedes Ziegenmelkers oder der Nachtſchwalbe. Die
*) Observations de Zoologie et d’Anatomiecomparée. T. II.
|101|Weite der ausgebreiteten Fluͤgel, die aus 17bis 18 Ruderfedern (remiges) beſtehen, betraͤgtvierthalb Fuß. Der Guacharo verlaͤßt ſeineHoͤhle bei Anbruch der Nacht, vorzuͤglich zurZeit des Mondſcheins. Er iſt faſt der einzige,bis dahin bekannt gewordene Nachtvogel, derſich von Koͤrnern naͤhrt; die Bildung ſeinerFuͤße thut ſattſam dar, daß er nicht, gleich un-ſeren Eulen, Jaͤger iſt. Er naͤhrt ſich mit ſehrharten Kernfruͤchten, gleich dem Nußheher (Corvus caryocatactes) und dem Pyrrhocorax.Der letztere niſtet gleichfalls in Felsſpalten,und iſt unter dem Namen Nachtrabe bekannt.Die Indianer verſichern, der Guacharo verzehreweder Kaͤfer noch Phalenen, mit denen ſich hin-gegen die Nachtſchwalbe naͤhrt. Man darf nurdie Schnaͤbel des Guacharo und der Nacht-ſchwalbe mit einander vergleichen, um ſich zuuͤberzeugen, daß ihre Lebensart allerdings ſehrverſchieden ſein muß.
Es haͤlt ſchwer, ſich eine richtige Vorſtel-lung von dem furchtbaren Laͤrm zu machen,welchen viele Tauſende dieſer Voͤgel in demfinſtern Theile der Hoͤhle verurſachen. Er laͤßtſich nur mit dem Gelaͤrm unſerer Kraͤhen, ver-gleichen, die in den nordiſchen Tannenwaͤldernin Geſellſchaft leben und ihre Neſter auf Baͤumebauen, deren Gipfel ſich einander beruͤhren.Die ſcharfe und durchdringende Stimme desGuacharo’s wird in den Woͤlbungen der Fels-hoͤhle zuruͤckgeworfen, und das Echo wiederhalltim Grunde der Grotte. Die Indianer bandenFackeln an das Ende einer langen Stange, umuns die Neſter dieſer Voͤgel zu zeigen. Sie |102|befanden ſich funfzig dis ſechzig Fuß uͤber un-ſeren Haͤuptern in trichterfoͤrmigen Loͤchern,welche in Menge an der Decke der Grotte be-findlich waren. Das Geraͤuſch wird ſtaͤrker, ſowie man tiefer hineinkommt, und die Voͤgelvon dem Lichte ſcheu werden, das die Copal-fackeln verbreiten. Ward es etliche Minutenum uns her ſtille, dann ließen ſich die entfern-teren Klagetoͤne der in den Seitengaͤngen derGrotte niſtenden Voͤgel hoͤren. Es war, alsob ihre Schwaͤrme ſich einander wechſelnd ant-worteten. Die Indianer begeben ſich jaͤhrlich einmal,um das St. Johannisfeſt, mit Stangen be-waffnet, in die Grotte, um den groͤßten Theilder Neſter zu zerſtoͤren. Es werden alsdannviele tauſend Voͤgel getoͤdtet, und die Alten,gleichſam um ihre Brut zu beſchuͤtzen, ſchwebenunter fuͤrchterlichem Geſchrei uͤber den Haͤup-tern der Indianer. Die Jungen, welche zuBoden fallen, werden ſogleich ausgeweidet. IhrBauchfell iſt reich mit Fett beladen, und eineSchicht von Fett verlaͤngert ſich vom Unterleibebis zur Oeffnung des Hintern und bildet eineArt Knaͤuel zwiſchen den Schenkeln des Vo-gels. Der Ueberfluß von Fett bei pflanzenfreſ-ſenden Thieren, die im Finſtern leben und ſichnur wenig Bewegung geben, erinnert an laͤngſtgemachte Beobachtungen uͤber die Maͤſtung vonGaͤnſen und Ochſen. Man weiß, wie ſehr die-ſes Geſchaͤft durch Finſterniß und Ruhe befoͤr-dert wird. Die europaͤiſchen Nachtvoͤgel ſindmager, weil, ſtatt ſich mit Fruͤchten zu naͤhrenwie der Guacharo, ſie vom ſpaͤrlichen Ertrag |103|ihrer Jagd leben. In der Jahreszeit, welchevom Volke in Caripe die Einſammlungdes Oels genannt wird, bauen ſich die India-ner aus Palmenblaͤttern Huͤtten, theils nahebeim Eingange, theils im Vordertheil derHoͤhle. Wir ſahen noch einige Ueberreſte der-ſelben. Hier wird bei einem mit Buſchwerkunterhaltenen Feuer das Fett der jungen, ebenerſt getoͤdteten Voͤgel geſchmelzt und in thoͤ-nernen Gefaͤßen geſammelt. Es iſt daſſelbe unterdem Namen der Butter oder des Oels (manteca oder aceite) vom Guacharo bekannt, halbfluͤſ-ſig, durchſichtig und geruchlos. Seine Reinheitiſt ſo groß, daß es uͤber ein Jahr aufbewahrtwird, ohne ranzigt zu werden. Im Kloſtervon Caripe ward in der Kuͤche der Moͤnche keinanderes Oel gebraucht, als das der Grotte,und nie haben wir einen daher ruͤhrenden wi-drigen Geſchmack oder Geruch an den Speiſenwahrgenommen. Das Geſchlecht der Guacharo’s waͤre laͤngſtvertilgt, wenn ſeine Erhaltung nicht durch ver-ſchiedene Umſtaͤnde beguͤnſtigt wuͤrde. Aber-glaͤubiſche Begriffe halten die Eingebornen vomtieferen Eindringen in die Grotte gewoͤhnlichab. Es ſcheint auch, daß benachbarte Hoͤhlen,die ihrer Enge wegen dem Menſchen unzu-gaͤnglich ſind, durch Voͤgel der naͤmlichen Artbewohnt werden. Vielleicht wird die großeHoͤhle durch Colonieen aus den kleineren Grot-ten unterhalten und bevoͤlkert; die Miſſionaͤrebezeugten uns, es ſei bis dahin keine ſpuͤrbareAbnahme in der Zahl der Voͤgel bemerkt wor-den. Man hat junge Guacharo’s nach dem Ha- |104|fen von Cumana verſandt, wo ſie einige Tageam Leben blieben, ohne irgend eine Nahrungzu ſich zu nehmen indem die Koͤrner, die manihnen vorlegte, ihnen nicht behagten. Bei Oeff-nung des Kropfs und des Magens der jungen Voͤ-gel in der Grotte finden die Eingebornen man-cherlei harte und trockene Kernfruͤchte, die un-ter der ſeltſamen Benennung der Koͤrner oder Semilla del Guacharo ein beruͤhmtes Mittelgegen das Wechſelfieber liefern. Wir folgten,im Fortgange der Hoͤhle, den Ufern des kleinenFluſſes, der in ihr entſpringt; ſeine Breite be-traͤgt 28 bis 30 Fuß. Man wandert dem Uferentlang, ſo weit die aus kalkigten Inkruſtirun-gen gebildeten Huͤgel es geſtatten; oͤfters,wenn der Waldſtrom zwiſchen hohen Stalact-itenmaſſen ſich durchſchlingt, muß man in ſeinBett hinabſteigen, das nicht mehr als zweiFuß Tiefe hat. Ueberraſchend war es uns, zuhoͤren daß dieſer unterirdiſche Fluß der Urſprungdes Rio Caripe iſt, welcher in der Entfernungetlicher Meilen, nachdem er ſich mit dem klei-nen Rio de Santa Maria vereint hat, fuͤr Pi-roguen ſchiffbar iſt. Er ergießt ſich unter demNamen Canno de Terenzen in den Stromvon Areo. Wir fanden am Ufer des unterir-diſchen Fluſſes eine große Menge Palmbaum-holz. Es ſind Ueberbleibſel der Staͤmme,welche die Indianer erkletterten, um die an derDecke des Gewoͤlbes der Grotte haͤngendenVogelneſter zu erreichen. Die von den Ueber-reſten alter Blattſtiele gebildeten Ringe verſehengleichſam die Stufen einer ſenkrecht ſtehendenLeiter. |105| Die Grotte von Caripe behaͤlt in der ge-nau gemeſſenen Entfernung von 472 Metresoder 1458 Fuß vom Eingange, noch ihre ur-ſpruͤngliche Richtung, die naͤmliche Weite unddie gleiche Hoͤhe von 60 — 70 Fuß. Mir iſtauf beiden Feſtlanden keine Berghoͤhle von ſoeinfoͤrmiger und regelmaͤßiger Bildung bekannt.Wir hatten Muͤhe, die Indianer zu vermoͤgen,uͤber den Vordertheil der Grotte, welchen ſiealljaͤhrlich zur Einſammlung des Fettes beſu-chen, tiefer einzugehen, und es bedurfte desGewichts und Anſehens der los Padres, umſie zu der Stelle hinzubringen, wo der Bodenploͤtzlich unter einem Winkel von 60° in dieHoͤhe ſteigt, und wo der Waldſtrom einen klei-nen unterirdiſchen Waſſerfall bildet. Die Ein-gebornen verbinden myſtiſche Vorſtellungen mitdem von Nachtvoͤgeln bewohnten Raume. Sieglauben, die Geiſter ihrer Vorfahren halten ſichim Hintertheil der Grotte auf. Der Menſch,ſagen ſie, ſoll eine heilige Scheu vor Ortentragen, welche weder die Sonne, Zis, noch derMond, Nana, beſcheint. Zu den Guacharo’sgehen, bedeutet, zu ſeinen Vaͤtern gehen, oderſterben. Auch nehmen die Zauberer, Piaches, und die Giftmiſcher, Imorons, ihre naͤchtlichenGauklerkuͤnſte am Eingange der Grotte vor,um den Haͤuptling der boͤſen Geiſter, Ivoroki-amo, zu beſchwoͤren. So gleichen ſich einan-der unter allen Himmelsſtrichen die fruͤheſtenDichtungen der Voͤlker, vorzuͤglich jene, welchedie zwei weltregierenden Grundſaͤtze, das Lebender Seelen nach dem Tode, das Gluͤck der Ge-rechten und die Beſtrafung der Suͤnder betref- |106|fen. Die verſchiedenſten und die roheſten Spra-chen enthalten eine Anzahl Bilder, welche ſicheinander uͤberall aͤhnlich ſind, weil ihre Quellein unſerem Verſtande und in unſeren Empfin-dungen liegt. Die Finſterniß geſellt ſich allent-halben der Vorſtellung vom Tode bei. DieGrotte von Caripe iſt der Griechen Unterwelt (Tartaros) und die uͤber dem unterirdiſchenFluß ſchwebenden, Klagetoͤne ausſtoßenden Gua-charo’s erinnern an die ſtygiſchen Voͤgel. An der Stelle, wo der Fluß den unterir-diſchen Waſſerfall bildet, ſtellt ſich die der Grot-tenoͤffnung gegenuͤberliegende, reich bewachſeneLandſchaft auf eine ſehr maleriſche Weiſe dar.Man erblickt ſie am Ausgange eines geradli-nigten, 240 Toiſen langen Canals. Die vomGewoͤlbe herabhaͤngenden und in der Luft ſchwe-benden, Saͤulen gleichenden Stalactiten ſtellenſich auf der gruͤnen Flaͤche wunderſam dar. DieOeffnung der Grotte erſcheint um die Mittedes Tages ſehr verengt, und wir ſahen ſie injener hellen Beleuchtung, die das gleichzeitigeZuruͤckwerfen des Lichts vom Himmel vonPflanzen und Felſen hervorbringt. Die ferneTageshelle ſtand in gewaltigem Abſtiche mit deruns in dieſen unterirdiſchen Raͤumen umzin-gelnden Finſterniß. Wir hatten unſere Flintenfaſt zufaͤllig, da wo Voͤgelgeſchrei und Fluͤgel-ſchlag uns das Beiſammenſtehen vieler Neſtervermuthen ließen, losgebrannt. Nach mehre-ren vergeblichen Verſuchen gelang es dem HerrnBonpland zwei Guacharo’s zu treffen, die, vomFackellichte geblendet, uns zu verfolgen ſchie-nen. Dieſer Umſtand ſetzte mich in den Stand |107|den bis dahin den Naturforſchern unbekannt ge-bliebenen Vogel zu zeichnen. Wir erſtiegenmit einiger Muͤhe den kleinen Huͤgel, von wel-chem der unterirdiſche Bach herabfließt. Wirſahen die Grotte ſich merklich verengen, indemſie nur noch 40 Fuß Hoͤhe hat, und ſich nord-oſtwaͤrts verlaͤngert, ohne von ihrer urſpruͤng-lichen Richtung abzuweichen, die mit dem gro-ßen Thal von Caripe parallel laͤuft. In dieſem Theile der Hoͤhle ſetzt das Waſ-ſer des Fluſſes eine ſchwaͤrzliche Erde ab, welchederjenigen aͤhnlich iſt, die man in der Grottevon Muggendorf in Franken Opfererde derGrotte des hohlen Berges nennt. Wirkonnten nicht entſcheiden, ob dieſe feine undleckere Erdart durch Spalten, die mit der Ober-flaͤche des Bodens zuſammen haͤngen, herab-faͤllt, oder ob ſie von dem in die Hoͤhle drin-genden Regenwaſſer angeſchwemmt wird. Eswar eine Miſchung von Kieſel-, Thon- undDamm-Erde. Wir wanderten durch dichtenKoth bis zu einer Stelle, wo wir mit Erſtau-nen die Fortſchritte des unterirdiſchen Pflanzen-wachsthums wahrnahmen. Die Fruͤchte, welchedie Voͤgel zur Speiſung ihrer Jungen in dieGrotte tragen, keimen uͤberall, wo ſie ſich indem, die kalkigten Inkruſtirungen deckenden Erd-reich befeſtigen koͤnnen. Duͤnn aufgeſchoſſene,mit einigen Blaͤtterſpuren verſehene Staͤmm-chen hatten eine Hoͤhe von zwei Fuß erreicht.Es war unmoͤglich, die durch den Mangel desLichts in Form, Farbe und Geſtalt voͤllig ver-aͤnderten Pflanzenarten zu unterſcheiden. DieſeSpuren organiſcher Bildung mitten in der Fin- |108|ſterniß hatten die Neugier der ſonſt ſo ſtumpf-ſinnigen und ſchwer aufzuregenden Eingeborenenin hohem Grade geweckt. Sie beobachtetendieſelben mit der ſtillen Aufmerkſamkeit, welcheein ihnen furchtbarer Ort veranlaßte. Es kamuns beinahe vor, als glaubten ſie, in dieſenunterirdiſchen, blaſſen und entſtellten Gewaͤch-ſen von der Oberflaͤche der Erde verwieſeneSchatten zu ſehen. Zu noch weiterem Vordringen in derGrotte konnten die Indianer durch alles Anſe-hen der Miſſionare nicht vermogt werden. Sowie die Woͤlbung des unterirdiſchen Raumesniedriger ward, nahm das Geſchrei der Voͤgeleinen durchdringenderen Ton an. Wir mußtender Furchtſamkeit unſerer Wegweiſer nachgebenund umkehren. Ein Biſchof aus St. Thomasin Gujana war, wie es ſcheint, weiter als wirvorgedrungen. Er hatte vom Eingange bis zuder Stelle, wohin er gelangte, wo aber dieHoͤhle noch nicht zu Ende ging, beinahe 2500Fuß (960 Varas) gemeſſen. Man hatte die Er-innerung dieſer Thatſache im Kloſter von Ca-ripe aufbewahrt, ohne ihre Zeit genau angebenzu koͤnnen. Der Biſchof fuͤhrte große Kerzenvon weißem caſtillaniſchem Wachs mit ſich; wirhatten nur Fackeln aus inlaͤndiſcher Baumrindeund Harz. Der dicke Rauch, welchen dieſeFackeln in einem engen unterirdiſchen Raumehervorbringen, wird den Augen laͤſtig und machtdas Athemholen beſchwerlich. Wir folgten dem Laufe des Bergwaſſersnach der Oeffnung der Grotte zu. Ehe nochunſere Augen vom Tageslicht geblendet wur- |109|den, ſahen wir außer der Grotte das zwiſchenLaubwerk durchſchimmernde Waſſer. Es glicheinem fern ausgeſtellten Gemaͤlde, dem dieOeffnung der Grotte zur Rahme diente. AmAusgange endlich eingetroffen, ſetzten wir unsans Ufer des Fluſſes, um von dem ermuͤden-den Gange auszuruhen. Wir waren froh, deswidrigkreiſchenden Geſchreies der Voͤgel entledigtzu ſein, und einen Ort zu verlaſſen, deſſen Dun-kelheit den Reiz der Stille und Ruhe keines-wegs gewaͤhrt. Es kam uns faſt unbegreiflichvor, daß der Name der Grotte von Caripebis dahin in Europa voͤllig unbekannt geblie-ben ſein ſollte. Die Guacharo’s waren fuͤrſich allein ſchon hinreichend, ihn beruͤhmt zumachen. Außer den Bergen von Caripe undCumanacoa hat man dieſe Nachtvoͤgel bis dahinnirgends wo angetroffen. Die Miſſionaͤre hatten uns am Eingangeder Hoͤhle ein Mahl geruͤſtet. Piſangblaͤtterund die ſilberglaͤnzenden Blaͤtter des Vijao (Heliconia bihai) dienten, nach Landesſitte,als Tafeltuch. Nichts mangelte unſerem Ge-nuſſe, auch ſogar geſchichtliche Erinnerungennicht, welche ſonſt in dieſen Gegenden ſo ſeltenſind, wo die Geſchlechtsfolgen erloͤſchen und un-tergehen ohne Spuren ihres Daſeins zuruͤckzu-laſſen. Unſere Hauswirthe erzaͤhlten, wie dieerſten Ordensgeiſtlichen, die in dieſem Berglandedas kleine Dorf Santa Maria gruͤndeten, waͤh-rend eines Monats in der Hoͤhle wohnten, undwie hier, bei Fackelſchein auf einem Felsſtuͤckereligioͤſe Myſterien von ihnen gefeiert wurden.Der einſame Ort diente den Miſſionaͤren zur |110|Fluchtſtaͤtte gegen die Verfolgungen eines anden Ufern des Rio Caripe gelagerten kriegeri-ſchen Anfuͤhrers der Tuapocans.