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Alexander von Humboldt: „Pflanzenbilder vom Herrn Baron Alexander von Humboldt“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1817-Pflanzenbilder_die_Orchiden-3-neu> [abgerufen am 05.05.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1817-Pflanzenbilder_die_Orchiden-3-neu
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Titel Pflanzenbilder vom Herrn Baron Alexander von Humboldt
Jahr 1817
Ort Berlin
Nachweis
in: Museum des Neuesten und Wissenswürdigsten aus dem Gebiete der Naturwissenschaft, der Künste, der Fabriken, der Manufakturen, der technischen Gewerbe, der Landwirthschaft, der Produkten- Waaren- und Handelskunde, und der bürgerlichen Haushaltung; für gebildete Leser und Leserinnen aus allen Ständen 11:4 (August 1817), S. 307–321.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua für Fremdsprachiges; Fußnoten mit Asterisken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: III.41
Dateiname: 1817-Pflanzenbilder_die_Orchiden-3-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 15
Zeichenanzahl: 23969

Weitere Fassungen
Pflanzenbilder. Die Orchiden-Familie (Stuttgart; Tübingen, 1817, Deutsch)
Characteristic sketches of american vegetables (London, 1817, Englisch)
Pflanzenbilder vom Herrn Baron Alexander von Humboldt (Berlin, 1817, Deutsch)
Baron Humboldt on the bamboos of America (Edinburgh, 1817, Englisch)
Observations on the Orchidea. From the Latin of Alexander Baron Von Humboldt (London; New York City, New York, 1819, Englisch)
Recensio Palmarum ex opere Humboldtii et Bonplandii a Runthio edito, inscripto: Nova Genera et Species plantarum etc. Tom . I. p. 250–255 (Wien, 1821, Latein)
|307| XXXXIII.

Pflanzenbilder vom Herrn Baron Alexander von Humboldt **).

I. Die Palmen.

Die Familie der Palmen gedeiht vorzuͤglich zwiſchenden Wendekreiſen in den Ebenen und bis zur Hoͤhe von500 Klaftern, bei einer mittleren Sonnenwaͤrme von19 bis 28 Grad des hundertgraͤdigen Waͤrmemeſſers undbei einer (die Inſel Cuba ausgenommen, welcher derNordwind von Kanada her kaͤltere Luft zufuͤhrt) nichtunter 15 Grad herabſteigenden Winterkaͤlte. Nur ſehr
**) Die nachfolgende Charakterzeichnungen merkwuͤrdiger Fa-milien des Pflanzenreichs ſind dem koſtbaren und großemWerke der Bonpland-Humboldtſchen Nova Genera et Spe-cies Plantarum quas in peregrinatione ad plagam aequi-naoctialem orbis novi collegerunt. Parisiis, 1816 in Fol.enthoben.
|308|wenige ihrer Arten wachſen in der Aequinoctialregion,am Abhange der Anden, bis zu 300 Klaftern und hoͤherhinan, wie die Oreodoxa und das Ceroxylon andi-cola. Außer dem Tropenlande finden ſich der Phönixdactylifera, die Chamaerops humilis und palmetta, nebſt der Areca Novae Zeelandiae, in Landſtrichen,deren mittlerer Waͤrmegrad 16 bis 17 Grad nicht uͤber-ſteigt, und wo bisweilen die Erde mehrere Tage vomSchnee bedeckt bleibt.
Zu Linne’s Zeit waren noch nicht mehr denn 15Palmenarten bekannt, denen Ruiz und Pavon acht,Willdenow und Bredemeyer ſechs, Humboldt und Bonplandzwanzig andere hinzufuͤgten. Aus einem vom Prof. Kunthaus den Schriften der neuen Pflanzenforſcher zuſammen-getragenen Verzeichniß, ergiebt es ſich, daß aus Amerikaallein bis dahin auf’s mindeſte 87 Palmenarten bekanntſind, welche mit den (bis zum April 1816) gekannten50 Arten des alten Kontinents, die Familie bis auf137 Arten ſteigern. In Willdenows Pflanzenſyſtem wur-den 70 Palmen verzeichnet. Humboldt und Bonplandhaben auf ihrer Reiſe mehr den fuͤnf und vierzig geſehen.Man darf aber annehmen, daß in der ganzen heißenZone die Zahl der Palmenarten noch viel anſehnlicherſeyn muß, wenn man bedenkt, daß einerſeits der groͤßteTheil von Afrika, Aſien, Neu-Holland und Amerika nochunbekannt iſt, und daß andererſeits nach zuverlaͤſſigenBeobachtungen, welche eben auch Humboldt und Bon-pland auf fuͤnfjaͤhrigen Wanderungen anzuſtellen im Fallwaren, die Pflanzen dieſer Familie auf ſo enge Stand-oͤrter beſchraͤnkt ſind, daß beinahe auf jede funfzig Mei-len Entfernung neue Arten angetroffen werden. Betrachtet man die Geſtalt und Form der Palmen,ſo bietet ſich die groͤßte Mannigfaltigkeit dar. Einige |309| (Kunthia montana, Aiphanes Praga, Oreodoxafrigida) haben einen beinahe nur ſchilfartigen, ſchwachenStamm, waͤhrend andere (Jubaca spectabilis, Cocosbutyracea) den maͤchtigen Stamm von drei bis fuͤnfFuß Durchmeſſer zeigen, einige (Mauritia flexuosa,Chamaerops humilis) wachſen geſellig beiſammen,waͤhrend andere (Oreodoxa regia, Martinezia caryo-taefolia) nur einzeln vorkommen. Die einen (Attaleaamygdalina) beſitzen einen ſehr niedrigen Stamm, waͤh-rend andere (Ceroxylon andicola) 160 bis 180 Fußund beinahe Thurmhoͤhe erreichen; die einen (Coryphatectorum, Alfonsia oleifera) bewohnen in den Tropennur die Ebenen oder die Berg-Abhaͤnge bis zu 300 Klaf-tern Hoͤhe, waͤhrend andere (die, ſo viel ich weiß, vorunſerer Reiſe durch das Andengebirg voͤllig unbekanntwaren) ſich auf den Berghoͤhen der Grenze des ewigenSchnees naͤhren. Es gehoͤren nemlich zu den Alpenpflan-zen und denen der hoͤhern Bergregion (subalpinae) dienachfolgenden Arten: Kunthia montana, auf der Hoͤhe von 250 bis800, auch wohl 1000 Klaftern, in der gemaͤßigten Re-gion der herzblaͤttrigen Cinchona, am Abhange des Ba-ter, in der Naͤhe des Thales Hatoviejo und des DorfesSt. Paul, daher die Pflanze auch den Namen traͤgt: Canna de San Pablo oder de la Vibora, und hin-wieder in den Waͤldern der Paſtoenſeralpen, zwiſchenChilanquer und Barbacoas, ſowohl als auf den Bergender Provinz Mocoa, die eine gemaͤßigte Temperaturhaben. Oreodoxa frigida, in der Hoͤhe von 1000 bis1400 Klaftern, auf den quitoaniſchen Alpen, in Geſell-ſchaft des Nußbaums und des Podokarpos. Ceroxylon andicola, 920 bis 1500 Klaftern |310|hoch auf den Tolimenſiſchen Alpen und dem St. Johan-nesberg, in Geſellſchaft der Creodoxa frigida und der Quercus granatensis: ſie kann eine naͤchtliche Kaͤltevon hoͤchſtens 6 bis 8 Grad aushalten. Am haͤufigſtenwird dieſe ſchoͤne, durch ihr den ganzen Stamm uͤberzie-hendes Wachs bemerkenswerthe Palme, am oͤſtlichen Ab-hange der Quitoanden, zwiſchen Nevados de San Juanund Tolima, in der Naͤhe von Paſſo del Machin, Altodel las Sepulturas und Los Galiegos angetroffen; amweſtlichen Abhange kommt ſie ſeltener vor. Jedoch findenſich auch ſehr große Staͤmme derſelben nahe bei ElImiencial, auf der Hoͤhe von 1240 Klaftern. Hoͤherals 1500 Klaftern, in der Naͤhe von Los Volcancitosund La Garita del Paromo, fand ſich die Ceroxylonandicola nicht; ſie waͤchſt in Geſellſchaft der Escallonienund Thibaudien. Zwei beruͤhmte Pflanzenforſcher aus Neu-Granada,Joſeph de Caldas und Georg Thaddaͤus Logano, habennoch drei andere Palmen-Arten auf den Guanaalpen (Paramo de Guanacas) nicht ferne vom ewigenSchnee angetroffen. (Semanorio de Santa Fe deBogota, 1809 No. 21. p. 163). Lange Zeit kannten die Botaniker keine andere Pal-men, als die mit ſechs Staubfaͤden verſehen ſind. Zuunſerer Zeit lernte man ſechs mit vielen Staubfaͤden ver-ſehene Gattungen der Palmen kennen, deren drei (Ca-ryota, Manicaria und Latania) der alten Welt, diedrei andern, von Ruiz, Pavon und Humboldt beſchrie-ben, (Ceroxylon, Jubaca und Attalea) den Andenangehoͤren. Vorzuͤglich bemerkenswerth und der Aufmerk-ſamkeit kuͤnftiger amerikaniſcher Reiſender zu empfehlen,ſind die Palmen welche Zapfenfruͤchte tragen, und deren |311|Mark ein Sagumehl liefert, das den Bewohnern derneuen Welt eine vortreffliche Speiſe gewaͤhrt. Es wuͤrde zu weit fuͤhren, hier die mannigfaltigeNutzbarkeit der Palmen aufzuzaͤhlen. Sie liefern bekannt-lich die verſchiedenartigſten Dinge: Wein, Oel, WachsMehl, Zukker und Salz. In den von Humboldt und Bonpland durchreiſtenLandſtrichen der noͤrdlichen Halbkugel, zwiſchen dem Ca-racasgebirge und dem Amazonenfluß, trafen ſie die Pal-men uͤberhaupt im Januar und Hornung bluͤhend an,doch bluͤhen dieſelben mitunter auch in andern Jahrs-zeiten. Wenn die Familie der Palmen ſich, durch Schoͤn-heit der Formen und Groͤße des Wuchſes, von ungefaͤhrallen andern Pflanzenfamilien auszeichnet, ſo uͤbertrifft ſiehinwieder auch durch Fruchtbarkeit und durch die Mengeihrer Fruͤchte, alle andern Baumgattungen, und ihr ge-waltiger Saͤftetrieb entwickelt ſich nicht nur in die Dicke,ſchattige Laubdecke, ſondern auch in eine zahlloſe Mengevon Blaͤttchen und Fruͤchten. Nicht allein die mit Palm-baͤumen bepflanzten Felder, ſondern auch der wilde, allerKultur des Menſchen entbehrende Boden, iſt nicht ſeltenbei 3 Zoll hoch, von den Fruͤchten der Alfonsia, Cocosbutyracea, Seje, Pihiguao und Mauritia uͤberdeckt. Jede Blumenſcheide des Dattelbaums (Phoenixdactylifera) enthaͤlt, nach Kaͤmpfers Angabe (Amaen.exot. p. 699. Desfont fl. atlant. Tom. 2. p. 441)uͤber 12000 maͤnnliche Bluͤthen. Humboldt und Bon-pland haben eine noch ungleich viel groͤßere Zahl bei der Alfonsia amygdalina beobachtet. Sie zaͤhlten nemlichin dem einzelnen Kaͤtzchenfoͤrmigen Bluͤthenaͤſtchen, deren110 bis 120 in einer Blumenſcheide beiſammen ſind,1800 maͤnnliche Blumen, welches mithin auf die ge- |312|ſammte Blumenſcheide 207,000, und auf die ganzePalme (deren jede zwei oder drei Blumenſcheiden traͤgt)uͤber 600,000 Blumen bringt. Nach gleicher Berech-nung liefert jeder Aſt der Seje, die am Orenoco alsvortreffliche Nahrung dient, 8000 Fruͤchte, von denenfreilich viele unreif abfallen. Aus den mit dem Pihi-guao bepflanzten Palmengaͤrten erhaͤlt man jaͤhrlich imDurchſchnitt von jedem Stamme ungefaͤhr 400 apfel-foͤrmige Fruͤchte, und die Franciskaner am Orenoco undGuainia wiſſen aus Erfahrung, daß, ſo oft die Palmen-Erndte reich ausfaͤllt, die Indianer ungewoͤhnlich fettwerden.

II. Die Orchiden-Familie.

Die Monocotyledonen oder die nur mit einem Saa-menlappen keimenden Pflanzen, bieten in Hinſicht ſowohlder Schoͤnheit ihrer Formen, als der Verſchiedenheit ihrerFarben, die groͤßte Mannigfaltigkeit dar. In der Fami-lie der Orchiden zeigt ſich die Blumendecke, welche beiden Graͤſern, den Cypergraͤſern, bei den Familien derJunceen und der Palmen nur blaß, klein und unanſehn-lich iſt, mit dem verſchiedenſten Farbenſchmelze glaͤnzend,ſo daß ſelbſt die prachtvolle Blume der Amaryllis, derIris und der Bananengattungen, jenen den Rang laſſen.Die Orchiden machen in der That die Hauptzierde derPflanzenwelt in den Aequinoctial-Laͤndern aus; und wennin Neu-Holland (wo ſo vieles außergewoͤhnlich und wun-derbar erſcheint) dem Zeugniſſe Brown’s zufolge inner-halb der Tropen wenigere Pflanzen jener Familie vor-kommen, als hingegen zwiſchen dem 33 und 35 Breite-grad, ſo muß auch dies als eine Ausnahme betrachtetwerden; jedoch erklaͤrt ſich aus ihrer Vorliebe fuͤr einefeuchte und milde Atmosphaͤre, warum die Epidendron-Orchiden auf der ſuͤdlichen Halbkugel ſo weit gegen den |313|Suͤdpol vorruͤcken, indem ſie daſelbſt zur Winterszeit eineder den Bergthaͤlern der Tropenlaͤnder aͤhnliche gemaͤßigteLufttemperatur antreffen. Es laͤßt ſich uͤberall nicht berechnen (wie dies auchdie beruͤhmten Verfaſſer der Flora von Peru bezeugen)welch’ eine reiche Orchiden-Ernte das milde Klima in dentiefen und ſchattigen Thaͤlern der Andenkette kuͤnftigenReiſenden noch aufbewahrt; denn zuverlaͤſſig kennen wirnoch kaum den zwanzigſten Theil derſelben. In ganzEuropa wachſen nur 70 bis 80 Orchisarten, waͤhrendin den Aequinoctiallaͤndern Amerika’s, deren Bergtheilenoch ſo wenig bekannt ſind, bereits 244 Arten durchPflanzenforſcher beobachtet und unter dieſen 61 neuevon Humboldt und Bonpland entdeckt wurden. Die be-kannten Orchiden beider Welten betragen noch keine ſie-benhundert; Willdenow hat ihrer nur 394 aufgezaͤhlt,worunter ſich 152 amerikaniſche befanden. Obgleich nun zwar die Orchidengewaͤchſe in der altenund in der neuen Welt von den Meereskuͤſten an biszur Hoͤhe von 1800 oder 1900 Klaftern zerſtreut vor-kommen, ſo laͤßt ſich dennoch behaupten, daß durch dieMenge ihrer Arten, durch Farbenzeichnung und Wohlge-ruch, durch Blaͤttermenge und Farbenglanz, die Schluͤndedes Andengebirgs von Mexico, Neu-Granada, Quitound Peru, ihr eigentliches Vaterland genannt werdenmoͤgen, worin ſie im feuchten Schatten, bei milder Luft,zwiſchen 800 und 1100 Klaftern Hoͤhe, bei einer mitt-lern Jahreswaͤrme von 19 bis 17 Graden am beſten ge-deihen. Die Orchisarten mit ſpornfoͤrmigen Bluͤthen, kom-men in der heißen Zone faſt gar nicht vor, und mitwenigen Ausnahmen ſind ihre Formen in der gemaͤßigtenund kalten Zone weſentlich verſchieden, ſo daß auf der |314|noͤrdlichen Halbkugel die Gattungen der Orchis, Habe-naria, Cypripedium, Ophrys, Serapios, Epipac-tes u. ſ. w. auf der ſuͤdlichen aber jene der Satyrium,Pteripodium, Disperis, Corycium, Stilidium, Disa,Pterastylis, Acianthus u. ſ. w. wachſen. Die Orchi-den der Aequinoctiallaͤnder gehoͤren groͤßtentheils der Epi-dendrogattung an; ſie unterſcheiden ſich durch ein fremd-artiges Anſehen und insbeſondere auch dadurch von denOrchiden der gemaͤßigten und kalten Erdſtriche, daß jenefaſt immer geſellig und auf Baͤumen wachſen, waͤhrenddieſe vereinzelt der Erde entkeimen. Sehr wenige Ar-ten, welche (wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf) diePhyſionomie des Nordens an ſich tragen, wie die Ophrys,Habenaria, Altensteinia, kommen in den Tropen vor,und nicht bloß auf den Ruͤcken der hoͤchſten Berge, ſon-dean bisweilen auch in den Ebenen. Die gemaͤßigteZone beider großer Feſtlande beſitzt nicht mehr als vierArten gemeinſam; dieſe ſind: Satyrium viride, Orchishyperborea, Neattia repens, Neattia tortilis. Merk-wuͤrdig iſt die Beobachtung, daß das auf den Bergenvon Jamaica und in den Waͤldern von Guiana wach-ſende Dendrobium polystachion auch auf der InſelSt. Maurice angetroffen wird. (Schwartz Flor. Ind.Tom. 3. pag. 1433). Ob es jedoch wirklich die gleicheArt iſt, darf allerdings noch bezweifelt werden. Diemeiſten Orchiden der heißen Zone enthalten in ihrenWurzelknollen eine weiße, mehlartige Subſtanz, die auchnicht ſelten naͤhrende Eigenſchaften beſitzt; einige, wiedie Pleurothallis sagittifera, enthalten in ihren Knol-len einen zaͤhen Saft, der als Tiſchlerleim gebrauchtwird. Ueberhaupt beſitzen die Monocotyledonen-Gewaͤchſeeinen Ueberfluß an Staͤrkemehl (Amylum) theils in den |315|Fruͤchten (die Graͤſer, die unreifen Fruͤchte der Musa, die Palma Pihiguao), theils im Stamme (Sagus, Mau-ritia), theils in den Wurzeln (die Arums, Orchiden,die Familien der Lilien und Dioscorreen, Maranta in-dica). Zukker hingegen enthalten die Saͤfte der Graͤſer,der Agaven, die Arengpalme, die reifen Fruͤchte des Pi-ſang; daß in dergleichen Pflanze und oft auch in dengleichen Theilen derſelben, Staͤrkemehl und Zukker zu-gleich vorkommen, wird um ſo weniger auffallend er-ſcheinen, wenn man ſich erinnert, daß die neuern Schei-dekuͤnſtler in beiden ungefaͤhr die gleichen Verhaͤltniſſevon Sauerſtoff, Waſſerſtoff, und Kohlenſtoff antrafen,und daß aus der keimenden Gerſte das ſuͤße Bier her-vorgeht. Die Verwandlung des Staͤrkemehls in Zukkerſcheinen die Alten ſchon geahnet zu haben; es erzaͤhltnemlich unter andern Prosper Alpin: der Piſang (Musaparadisiaca) ſey aus dem der Colocaſien-Wurzel einge-propften Zukkerrohr entſproſſen; und gleichmaͤßig ver-ſichert Abd-Allatif, wenn ein Dattelkern in einer Coloca-ſien-Wurzel keime, ſo entwickle ſich eine Piſangpflanze.Der klebrige Saft, den die Natur in den Wurzelknollender Orchiden abſondert, iſt von dem wahren Kleber desGetreides verſchieden, wie von dieſem hinwieder der kle-brige Saft verſchieden iſt, welcher aus den Vogelleimbeerenund der Rinde der Stechpalme bereitet wird. Ein ner-venreizendes Aroma ſindet ſich in den Lilien-Asphode-lus- und Narciſſenbluͤthen, in der Narbe des Crocus,in den Fruͤchten der Vanille und des Cardamomum, inden Wurzeln der Canna-Arten und in der ganzen Fami-lie der Peperamien. Saͤuren, Bitterſtoff, Harz, Kampfer,Gifte, Gerbeſtoff und Pflanzenmilch, kommen unter denMonocotyledonen-Gewaͤchſen hoͤchſt ſelten oder gar nichtvor. (Giftig ſind nur die Colchica und einige Amarillis- |316|Arten; als Gegengift dient allein der Saft derjenigen Palme,die Humboldt Kunthia nannte; Bitterſtoff enthalten dieSmilax und Scilla-Arten; Gummiharz findet ſich in derAloe). Ein noch nicht gehoͤrig ergruͤndetes adſtringiren-des Princip liegt in der Dracaena Draco und in der Agaue verborgen, deren Saft als Arzeneimittel beiWunden gebraucht wird. Es iſt unbegreiflich, wie derberuͤhmte Fourcroy den Monocotyledonen das fette Oeluͤberall abſprechen konnte, da doch die Cocospalme inden Tropenlaͤndern zu gleichen Behuf wie unſere Olivegepflanzt wird. Decandolle (Essai sur les propr.Medicales des plantes, 1816. pag. 354. 356) hatbereits ſcharfſinnig bemerkt, daß in den Monocotyledo-nen, weil ihre zuruͤckfuͤhrenden Saftgefaͤße durch denganzen Stamm zertheilt ſind, und nicht in eine Rinde-maſſe verwachſen, ungefaͤhr alles dasjenige fehlt, was,als der Rindeſubſtanz eigenthuͤmlich, in den Pflanzen diemit zwei Saamenlappen keimen (Dicotyledonen) angetrof-fen, was hinwieder auch durch Knight’s Verſuche (Phil.Trans. 1801. pag. 337) unzweideutig dargethan wird.

III. Die Graͤſer-Familie.

Nachdem unſer ſinnreicher gelehrter Landsmann von Hum-boldt, das von Suͤden nach Norden zunehmende Uebergewichtder mannigfaltigen unter den gemeinſchaftlichen NamenBalggewaͤchſe begriffnen Grasarten auf eine hoͤchſt inte-reſſante Art dargeſtellt, und zugleich die Pflanzengattun-gen angezeigt hat, die mit ihnen im umgekehrten Ver-haͤltniß der Menge ſich einander Platz machen — einehoͤchſt wichtige, aber mehr wiſſenſchaftliche Eroͤrterung —trifft die Reihe der Beſchreibungen das Rieſenmaͤßigſtedieſer Gattungen, das Bambusrohr, welches unſre Leſervielfaͤltig in allen Beſchreibungen ſuͤdlicher außer- euro- |317|paͤiſcher Laͤndern erwaͤhnt finden. Da es ein Gegenſtand allgemeinen Intereſſes iſt, wird eine vollſtaͤndige Er-waͤhnung willkommen ſeyn. Die H. H. von Humboldt und Bonpland warenſo gluͤcklich, den Bambusbaum zweimal bluͤhend anzu-treffen; daß einemal an dem Ufer des Caſſiquiarfluſſes,welcher ein Arm des Orenoco iſt, daß anderemal beimDorfe El Muerto in der Provinz Popaya. Es werdendieſe rohrartigen Baͤume, obgleich ſie den feuchten undſumpfigen Boden in weiter Ausdehnung decken, und eineHoͤhe von 50 bis 60 Fuß erreichen, dennoch in Amerikauͤberaus ſelten bluͤhend angetroffen; mehrere aufmerkſameReiſende, welche Gundales durchzogen — ſo werden diemit Bambusbaͤumen beſetzten Suͤmpfe von den Einwoh-ner genannt — hatten nie das Gluͤck, weder in Perunoch in Neugranada, Bluͤthen und Fruͤchte des Bambuszu Geſichte zu bekommen. In Oſtindien hingegen ſchie-nen dieſe Rieſengraͤſer in ſolcher Menge zu bluͤhen, daßim Koͤnigreich Myſore die Einwohner ſich des Saamensdes Bambusbaumes, mit Honig vermiſcht, als einer ge-meinen Speiſe bedienen. Einer dort herrſchen Meinungzufolge, ſoll dieſe Pflanze im funfzehnten Jahre erſtFrucht tragen und bald nachher abſterben. Man unter-ſcheidet weiter daſelbſt den Bambusbaum mit ganz dich-tem Stamme, welchen die Einwohner Chitter nennenund der auf trockenem Boden waͤchſt, von dem Bambusmit hohlem Stamm, Doda genannt, welcher ſchnellerund an feuchten Orten waͤchſt. Sobald die H. H.Humboldt und Bonpland den Guadua Bambusbaum inNeugranada zum erſtenmale bluͤhen ſahen, nahmen ſieeine genaue, von der bisher bekannten ſehr abweichendeZeichnung von den Bluͤthenaͤhren und allen Theilen der- |318|ſelben, welche, nebſt ihrer vortrefflichen Beſchreibung inihrem Werk von den Aequinoctialpflanzen enthalten iſt. Sie haben dieſen Bambus ſowohl in den Ebenen,als auf Bergen bis zur Hoͤhe von 860 Klaftern ange-troffen, und was noch merkwuͤrdiger iſt, die Bergbaͤume,obſchon auf gleich feuchtem Boden wachſend, enthaltendoch mehr Waſſer in ſich, als jene des flachen Landes.In hoͤhern Gegenden waͤchſt der Baum nur einzeln inden Gebüſchen zerſtreut, in der Ebene hingegen und biszur Hoͤhe von 400 Klaftern, bildet er ausgedehnte Waͤl-der und uͤberhaupt gehoͤrt das Bambusrohr zu den ge-ſellſchaftlich wachſenden Pflanzen. Die amerikaniſchen Bambusroͤhre leiſten in derneuen Welt gleiche Dienſte, wie die Oſtindiſchen in deralten. Aus dem Bambus guadia werden ganze Haͤuſergebaut. Die aͤlteſten und anſehnlichſten Rohrſtaͤmme die-nen zur Auffuͤhrung der Mauren und Waͤnde, aus denkleinern wird das Unterdach gebildet, die jungen nochmit Blaͤtter verſehenen Aeſte, die man ſchichtweiſe uͤbereinander legt, liefern das Oberdach. Die Thuͤren unddas Hausgeraͤth werden nicht weniger aus Bambusrohrverfertigt. Die Vortheile, welche die Amerikaner beimGebrauch derſelben finden, und die Gruͤnde, warum ſiedieſelben dem harten Holz der hohen Baͤume vorziehen,welche uͤberall in der Naͤhe ihrer Wohnungen wachſen,beruhen auf der Leichtigkeit, mit der es ſich faͤllen undbearbeiten laͤßt, in ſeiner Dauer und der Kuͤhle, welchedie davon gebauten Haͤuſer durch den ungewehrten Luft-zug gewaͤhren. Das in dem amerikaniſchen Bambusrohr enthalteneWaſſer hat einen etwas ſalzigen, jedoch nicht unange-nehmen Geſchmack. Die Einwohner behaupten, es griffedie Harnwege an. Von dem ſuͤßen Bambushonig hat |319|Herr von Humboldt in der neuen Welt nichts gehoͤrt;wohl aber traf er im Koͤnigreiche Quito das Tabaſchirvon dem Oſtindiſchen wenig verſchieden an. Er uͤbergabHerrn Vauquelin ein Stuͤck deſſelben zur Pruͤfung unddieſer fand, daß es \( \frac{7}{100} \) Theile Kieſelerde und \( \frac{30}{100} \) TheileKali, Kalk und Waſſer enthielt. Das amerikaniſcheTabaſchir wird von den Spaniern Bambusfett genannt.„Es iſt mir unbegreiflich, ſagt Herr von Humboldt, wiedie, welche ſich mit Unterſuchung uͤber den Zukker derAlten beſchaͤftigten, das weiße und gleich dem Staͤrke-mehl beruͤchtigte Tabaſchir mit dem Honig vergleichenkonnten. Ich wenigſtens konnte in dem Tabaſchir vonQuito, obgleich ſolches noch ſchleimig und feucht war,keinen ſuͤßen Geſchmack finden und ich zweiſle uͤberhauptſehr, daß jene amerikaniſchen baumartigen Rohrpflanzen,einen ſuͤßen Saft enthalten. Das Tabaſchir aber, ehees durchs Austrocknen ſteinhart wird, iſt klebrig, weißund milchigt; wenn es 5 Monate aufbewahrt worden iſt,ſo nimmt es einen aͤußerſt ſtinkenden thieriſchen Geruchan. Das naͤmliche hat Herr Ruſſel am Salz des aſiati-ſchen Bambusbaums beobachtet und nur allein Garciusab Orto, der ſich lange in Goa als Leibarzt des Statt-halters aufhielt, hat den Saft des Bambusbaums ſuͤßgenannt. Es ſcheint indeß, die Alten haben den wahrenZukker mit dem Tabaſchir verwechſelt; theils weil beideaus rohrartigen Gewaͤchſen hervorkommen, theils weildas ſanscritiſche Wort: Schakara, welches heut zu Tagegleich dem Perſiſchen Schakar und dem Indoſtaniſchen,Schukar zur Bezeichnung unſers Zukkers gebraucht wird,eigentlich nicht etwas Suͤßes, ſondern was ſteinig oderſandig iſt, ſogar den Blaſenſtein bezeichnet. Wahrſchein-lich iſt demnach das Wort Schakara anfangs nur fuͤrdas Tabaſchir gebraucht und in der Folge erſt auf un- |320|ſern Zukker aus dem kleinen Zukkerrohr um der aͤhnlichenGeſtallt willen uͤbertragen worden. Das Wort Bambuswird von Mambu abgeleitet, und von Canda ſtammtunſer Wort: Zukkercandi ab, ſo wie Tabaſchir aus demperfiſchen Worte Schir, welches Milch bedeutet *). Zuverlaͤſſig hat Plinius unter dem Namen Saccha-rum das Tabaſchir des Bambusbaums beſchrieben:„als einen aus Rohrſtaͤmmen geſammelten Honig, wel-cher weiß wie Gummi, zwiſchen den Zaͤhnen bruͤchig, einerHaſelnuß groß und zum Arzeneigebrauch anwendbar ſey;”inzwiſchen beſaßen die Alten auch einige Kenntniß vonunſerm Zukker, welcher in Indien ohne Bienen erzeugtwerden ſollte. Mehrere Schriftſteller des Alterthumsglaubten nemlich, es werde aus den Wurzeln hoherRohrgewaͤchſe ein ſuͤßer honigartiger Saft ausgepreßt,und ſie verwechſelten die Wurzeln mit den Halmen unddas niedere Zukkerrohr mit dem hohen baumartigenBambus. Einige von ihnen ſtanden ſogar in dem Wahn,es ſei der aͤchte Rohrzukker ein auf den Blaͤttern derRohrpflanze ſich ſammelnder Morgenthau. Das Zukker-rohr waͤchſt zwar wild und im Naturzuſtande bei Alman-ſura in Oſtindien am Ufer des Euphrats, und bei Si-raf; ich vermuthe jedoch, es ſey in dem durch die Grie-chen beſuchten Theile Aſiens der Saft des Rohrs nurzum Behuf eines alſobald zu genießenden Getraͤnkes ge-preßt und hingegen ſey der der Gaͤhrung unterworfeneSaft nicht ausgefuͤhrt worden; daher denn die Altenden harten Zukker nicht kannten und wo der Name vonihnen gebraucht wird, der Tabaſchir des Bambusbaumsgemeint iſt.
*) Die aͤußere Geſtalt des Tabaſchir nebſt dieſer perſiſchenAbleitung, erinnern an unſern Milchzukker, der eben ſo we-nig Suͤßigkeit hat, wie der Tabaſchir.
|321| Es braucht wohl gar keiner Erinnerung, daß, ehedie Spanier den Weg nach Amerika oͤffneten, die Be-wohner dieſes feſten Landes und der benachbarten In-ſeln, aus der Familie der Graͤſer, weder das Zukkerrohr,noch unſere Getreidearten und eben ſo wenig unſern Reisgekannt haben. Die ſpaniſchen Schriftſteller uͤber Ame-rika geben den Namen kleiner Reis, dem in Bogotaund Guito gemeinen Chenopodium quino; ſo wie diebrittiſchen Amerikaner eine Art der Zizaria wildenReis von Canada, nennen. Der Mais (Tuͤrkenkorn)eine gleich andern von Altem her angebaute Pflanze,waͤchſt in dem neuen feſten Lande nirgends wild. Esiſt zu wuͤnſchen, daß uns kuͤnftige Reiſende mit demMagukorn und der Tucagerſte, deren Molini in ſeinerGeſchichte von Chili nur oberflaͤchlich gedenkt und worausdie Aranocanen vormals ihre Covque oder Brod verfertig-ten, naͤher bekannt machen moͤgen. Aus dem Maisund der Agare bereiten die Amerikaner den nicht vonBienen herruͤhrenden Honig, welcher, wie Fernando Cor-tes berichtet, auf ihre Maͤrkte gebracht wird.”