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Alexander von Humboldt: „Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1797-Ueber_die_Anwendung-1> [abgerufen am 26.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1797-Ueber_die_Anwendung-1
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Titel Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde
Jahr 1797
Ort Jena
Nachweis
in: Journal für die Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde 1:3 (1797), S. 447–471.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (mit Umlaute mit superscript-e); Antiqua (mit lang-s) für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung, Schriftgradvergrößerung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: I.55
Dateiname: 1797-Ueber_die_Anwendung-1
Statistiken
Seitenanzahl: 25
Zeichenanzahl: 34044
Bilddigitalisate

Weitere Fassungen
Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde (Jena, 1797, Deutsch)
Lettre à M. Loder, sur l’application du Galvanisme à la Médecine-pratique (Paris, 1800, Französisch)
|447|

Ueber dieAnwendung des Galvaniſchen Reizmittelsauf die praktiſche Heilkunde.Ein Schreiben des Hrn. Oberbergraths von Humboldt an den Herausgeber.


Sie fordern mich auf, verehrungswerther Freund, Ih-nen meine Ideen uͤber die Anwendung des GalvaniſchenReizes auf die praktiſche Heilkunde zu entwickeln. Daich ſeit fuͤnf Jahren faſt ununterbrochen damit beſchaͤf-tigt bin, die Geſetze des Metallreitzes und die Erreg-barkeit der ſenſiblen und irritablen Fiber zu unterſuchen; |448| ſo darf ich es wol ohne Unbeſcheidenheit wagen, dieſerAufforderung zu folgen. Sie ſind mit mir daruͤber ein-verſtanden, daß die Nuͤtzlichkeit oder der Werth der Galva-niſchen Entdeckungen nicht von ihrer unmittelbaren Anwendung auf den pathologiſchen Zuſtand des Men-ſchen abhaͤngt; Sie ſind mit mir davon uͤberzeugt, daß alles,was uns der Kenntniß der Nerven und ihrer Kraͤfte naͤ-her bringt, maͤchtigen Einfluß auf die Vervollkommnungder praktiſchen Heilkunde haben muß. Aber wir lebenin einem Jahrhunderte, wo man ein allmaͤhliges Fort-ſchreiten fuͤr Stillſtand haͤlt, wo man reife Fruͤchteſchon lange vor der Bluͤthe zu erwarten pflegt. In ei-nem ſolchen Zeitpunkte mußten Verſuche, welche ſo unmit-telbare und ſchnelle praktiſche Anwendung zu verheiſſenſchienen, die geſpannteſte Aufmerkſamkeit des Publicumsan ſich ziehen. Man empfahl den Galvanismus baldals Pruͤfungsmittel des Todes, bald als wolthaͤtigesReizmittel auf die Nerven: man erregte dadurch Er-wartungen, die, bey der ungenuͤgſamen Stimmungdes groͤßeren Publikums, nicht leicht zu erfuͤllen waren.Wie man ehemals faſt alle Leiden der Menſchheit durchElektricitaͤt zu mindern waͤhnte; ſo ſollten jetzt ein PaarMetallplaͤttchen untruͤglich, und, wie durch einen Zau-ber, Erſtickte erwecken, Blinde ſehend machen, ge-laͤhmte Glieder wieder herſtellen, und allein ſoviel leiſten,als die Aerzte ſeit einigen tauſend Jahren mit einer ſogroßen Menge chemiſcher und mechaniſcher Huͤlfsmittelnicht zu leiſten vermochten. |449| Laſſen Sie uns ruhig unterſuchen, was wir von derAnwendung des Galvanismus zu erwarten haben. Laſ-ſen Sie uns die Vorſchlaͤge ſo vieler achtungswertherMaͤnner einzeln pruͤfen, ohne zu vergeſſen, daß wir esmit einer Kunſt zu thun haben, die noch in ihrer fruͤhe-ſten Kindheit liegt. Als man die erſten Seifenblaſen, mitWaſſerſtoffgas gefuͤllt an die Decke des Zimmers ſteigenſah, ahndete man auch nicht, daß ein aͤhnliches Mitteleinſt Menſchen ſicher durch die Luͤfte uͤber das Meer tra-gen wuͤrde. I. Dient der Metallreiz zur Unterſchei-dung des Scheintodes vom wahren Tode? — Zu einer Zeit, wo ein großer deutſcher Arzt *) dieAufmerkſamkeit der Nation auf die unvorſichtige Be-handlung der fuͤr tod erklaͤrten Menſchen gerichtet,und das Beſorgniß vor allzufruͤher Beerdigung vonneuem rege gemacht hat; zu einer ſolchen Zeit konnteder Galvanismus ſich von keiner glaͤnzenderen und em-pfehlenderen Seite zeigen, als, indem er ein Mittelverhieß, durch welches jenes Beſorgniß entfernt werdenkoͤnnte. Der ſpaͤteren Beerdigung, der Abwartung dereintretenden Faͤulniß, der Errichtung der Leichenhaͤuſerfuͤr das Landvolk, ſtehen mannigfaltige Hinderniſſe imWege. Ein paar Metallſtaͤbe, in Beruͤhrung mit einementbloͤßten Nerven gebracht, ſollten jene weitlaͤuftigenAnſtalten entbehrlich machen, ſollten ein bis anderthalb
*) Hufeland, uͤber die Ungewißheit des Todes. Weimar. 1792.
|450| Stunden nach dem letzten Athemzuge den Umſtehendendas wichtige Problem loͤſen, ob die Wiedererweckungdes Nichtathmenden moͤglich oder unmoͤglich ſey.
Die Herren Behrends und Creve ſchlugen zu-erſt den Metallreitz als Pruͤfungsmittel des wahren To-des vor, und der letzte hat einen ruͤhmlichen Eifer be-wieſen, dieſen Vorſchlag, der durch viele Zeitſchriftenverbreitet und guͤnſtig aufgenommen worden iſt, durchmuͤhſame Verſuche an Leichen zu unterſtuͤtzen. BeyderGruͤnde wurden durch Himly und Pfaff lebhaft be-ſtritten. In der That iſt die Unterſuchung dieſer Streit-frage unendlich wichtig fuͤr das Menſchengeſchlecht. Jeempfehlender das neue Mittel durch ſeine Einfachheitund Bequemlichkeit iſt; deſto ernſthafter muß man jedeTaͤuſchung zu entfernen ſuchen. Ich habe Herrn Cre-ve’s Schrift mit meinen eigenen Erfahrungen vergli-chen, und, wenn das Reſultat jener Vergleichung auchnicht ganz zum Vortheil des neuen Pruͤfungsmittels aus-faͤllt; ſo kann dieß die Achtung nicht mindern, welcheder Verfaſſer ſchon dadurch verdient, daß er eine wich-tige Sache mit ſo ausharrender Thaͤtigkeit verfolgte.Ein Philoſoph, welcher unablaͤßig an der Erweiterungmenſchlicher Kenntniſſe arbeitet, der Erzbiſchoff Carl von Dalberg, Coadjutor zu Mainz, hat Herrn Creve und mich gleichzeitig zu jenen Unterſuchungen aufgefor-dert. Auf Einem Wege ſind wir beyde zu entge-gengeſetzten Reſultaten gekommen. |451| Ich darf den Metallreitz nicht als ein untruͤgli-ches Pruͤfungsmittel des wahren Todes betrachten, weil1) das elektriſche Fluidum noch Spuren der Reitz-Em-pfaͤnglichkeit in einem Nerven offenbaret, welcher vondem Galvaniſchen nicht mehr bemerkbar afficirt wird;2) weil das Experiment nur an einigen Theilen ange-ſtellt werden kann, und die Unerregbarkeit dieſer nochnicht die Unerregbarkeit des ganzen Nervenſyſtems bewei-ſet; 3) weil man einzelne Beyſpiele kennt, in denen derMetallreitz in Organen unwirkſam war, welche kurzvorher, und doch ſelbſt nach deſſen Anwendung, willkuͤhr-lich bewegt werden konnten, und 4) weil es ſehr denk-bar iſt, daß Theile, welche eine Zeitlang alle Reizbar-keit verloren zu haben ſcheinen, dieſelbe nachmahls wie-der erlangen. Da zur Hervorbringung einer fibroͤſen Erſchuͤtte-rung, mit abnehmender Erregbarkeit die Staͤrkedes anzuwendenden Reitzes zunehmen muß; ſo wirdnur derjenige Reitz, welcher das Maximum intenſiverStaͤrke enthaͤlt, mit Sicherheit andeuten koͤnnen,ob bereits alle Lebenskraft verſchwunden, oder ob nochein Reſt von Reitz-Empfaͤnglichkeit uͤbrig ſey. Sie wiſ-ſen aus meinen chemiſchen Verſuchen uͤber Stimmungder Erregbarkeit, daß die alkaliſchen Solutionen in ſehrerregbaren Organen ohngefaͤhr eben ſo, als das Gal-vaniſche Experiment in den minder erregbaren, wirkt.Duͤrfen wir darum ein Organ fuͤr abſolut unreitzbar hal- |452| ten, in welchem die Alkalien keine ſichtbare Bewegunghervorbringen? Auf eine aͤhnliche Weiſe verhaͤlt es ſichmit dem elektriſchen und Galvaniſchen Reitze. Hrn. Creve’s Scharfblick iſt dieſe wichtige Betrachtung auchnicht entgangen, und er hat in mehreren Stellen ſeinerneuen Schrift *) derauf Ruͤckſicht genommen. Erglaubt aber, daß Valli’s und Pfaff’s Verſuche **) nicht mit der gehoͤrigen Genauigkeit angeſtellt ſind, unddaß jene Maͤnner das Kraͤuſeln, welches die Elektricitaͤtauch in unorganiſchen Hanffaͤden hervorbringt, mit fi-broͤſen Contractionen (als Folge der Irritabilitaͤt) ver-wechſelt haben. Sorgfaͤltig wiederholte Verſuche habenmich aber noch neuerlichſt belehrt, daß Muſkeln durchſchwache elektriſche Schlaͤge gereitzt werden, in denenZink und Gold gar keine Bewegung hervorbringt. DerSchenkel eines Kaninchens war bereits ſo unerregbar,daß der Metallreitz, auch wenn die wirkſamſten Excitato-ren ſich erſchuͤtternd beruͤhrten und die Kette ſich vomMuſkel aus zu ſchließen anfieng, gar nicht bemerkbarwirkte. Die ſchwaͤchſte Ladung einer Kleiſtiſchen Flaſche,eine Ladung, die im Finſtern keinen ſichtbaren Funkengab, ward von den Wadenmuſkeln (m. gaſtrocnemii) auf den Cruralnerven geleitet, und uͤberall entſtandenlebhafte Zuckungen. Wer mit den Bewegungen der be-
*) Ueber den Metallreitz. S. 169. 215 und 217.**) Aufklaͤrungen der Arzneywiſſenſchaft durchdie Phyſik. II. S. 189. Pfaff S. 392.
|453| lebten Muſkelfaſer bekannt iſt, wird unendlich ſchwaͤche-re Verkuͤrzungen (Contractionen) von der vibrirendenErſchuͤtterung, welche die elektriſche Exploſion in unbe-lebten Stoffen erregt, zu unterſcheiden wiſſen. MitWorten iſt der Unterſchied freylich ſchwer anzudeuten;doch liegt er hauptſaͤchlich darin, daß die gereitzte erreg-bare Faſer ſich bogenfoͤrmig, die erſchuͤtterte unerregbareſich in Schlangenlinien zuſammenzieht.
Froſchſchenkel, deren Erregbarkeit durch Ueberrei-tzung durch Opium oder Arſenikkalch oder uͤberſaureKochſalzſaͤure vernichtet war, haben mir oft dieſelbe Er-ſcheinung gezeigt, welche ich oben von dem Cruralnervender Kaninchen erzaͤhlte. Herzen von Eidechſen und Fi-ſchen, die ſo lange in kaltem Waſſer lagen, daß derMetallreitz ſie zu keiner Bewegung erweckte, haben wie-der zu pulſiren angefangen, als ich ſchwache elektriſcheSchlaͤge durch ſie leitete. Ich wollte einſt verſuchen, obeinem Organe, welchem heftige elektriſche Erſchuͤtterun-gen alle Reitzbarkeit genommen haͤtten, dieſelbe durchchemiſche Mittel wieder gegeben werden koͤnnte. Ichentlud eine ſtark geladene Kleiſtiſche Flaſche dergeſtaltauf einige Froſchſchenkel, daß der Strom von derSchwimmhaut an bis durch das Ende der Cruralnervenging. Der Metallreitz verkuͤndigte voͤllige Erloͤſchung derLebenskraͤfte. Einige Schenkel wurden in alkaliſche Auf-loͤſungen, andere in Moſchustincturen, andere in oxy-genirte Kochſalzſaͤure gelegt. Keine Zuckung erfolgte |454| bey Anlegung der wirkſamſten Metalle. Kaum aberwurden die Cruralnerven durch ſchwache elektriſche Schlaͤ-ge gereitzt, ſo waren deutliche Muſkelcontractionen her-vorgerufen. Auch die Schenkel der Veſpa crabro, der Blatta orientalis, des Cerambyx cerdo und andererInſekten, zeigten denſelben Unterſchied in der Empfaͤng-lichkeit fuͤr den Galvaniſchen und elektriſchen Stimulus. —Unter dieſen Verhaͤltniſſen kann der Metallreitz wol nichtals ein untruͤgliches Pruͤfungsmittel des wahren Todesbetrachtet werden! Es verkuͤndigt den Untergang der Er-regbarkeit ſchon dann, wenn dieſelbe noch wirklich vor-handen iſt. Mein zweyter und dritter Einwurf iſt von der Un-abhaͤngigkeit der Organe von einander hergenommen.Man entbloͤßt einen oder einige Nerven des Cadavers.Iſt man gewiß, daß, wenn der Metallreitz auf dieſe nicht wirkt, denn auch wirklich der allgemeine Todder Irritabilitaͤt eingetreten ſey? nicht blos hypotheti-ſche Saͤtze, und phyſiologiſche Moͤglichkeiten ſprechen dage-gen, ſondern wirkliche Erfahrungen. Ich habe im Som-mer 1793 einen Froſch ſecirt, welcher mit voller Muſkel-kraft im Zimmer umherhuͤpfte. In abgeloͤßten Hin-terſchenkeln waren die Nerven von ſchoͤnem gebaͤnderten An-ſehen. Aber ſelbſt in den erſten Secunden brachten diewirkſamſten Metalle auch nicht eine Spur von Contra-ctionen hervor. Die vorderen Extremitaͤten waren er-regbar fuͤr den Galvaniſchen Reitz. Selten hatte mich |455| eine Erſcheinung ſo in Erſtaunen geſetzt! Ich galvaniſir-te die Hinterſchenkel immer von neuem, aber keine Er-ſchuͤtterung erfolgte, ich mochte den Nerven allein, oderdieſen und den Muſkel beruͤhren *). Herr Himly fandeine aͤhnliche Unerregbarkeit **) der iſchiatiſchen Nervenan zwey Froͤſchen, welche vor und nach der Anwendungdes Metallreitzes im Schwimmen vollkommene willkuͤhrli-che Muſkelbewegung aͤußerten. Herr Anſchel toͤdteteeine Huͤndin in Kohlenſaurer Luft, und fand das Gal-vaniſche Experiment an den Extremitaͤten nur vierzehnMinuten lang wirkſam, waͤhrend daß das Herz drittehalbStunden lang Zeichen von Reitzbarkeit von ſich gab.Dieſer Fall gehoͤrt gewiß zu den ſeltenſten Erſcheinungen;aber er iſt nicht Hypotheſe, ſondern eine einfache That-ſache. Denken wir uns nun auf einen Augenblick aͤhnli-che Wirkungen der Aſphyxie auf einen menſchlichen Koͤr-per, Unerregbarkeit der aͤuſſeren, Erregbarkeit der inne-ren Theile — und der Gedanke muß uns zuruͤckſchrecken,nach dem neuen Pruͤfungsmittel einen Koͤrper fuͤr eineLeiche zu erklaͤren, in dem ein elektriſcher Schlag (nach Fothergills Methode) durchs Herz geleitet, dieſenwichtigen Muſkel vielleicht wieder zu Pulſationen er-weckt, und mit dem arteriellen Blute dem uͤbrigen Sy-
*) Ich bemerke ausdruͤcklich, daß ich den Muſkel unmittelbar ar-mirte, weil Herr Creve dem Hrn. Anſchel vorwirft,daß er den Nerven allein gereitzt habe.**) Creve S. 207 und 222. H.
|456| ſteme Leben zugefuͤhrt haͤtte! Aber, wird man einwen-den, entgeht man nicht jener Beſorgniß, wenn man dasneue Pruͤfungsmittel nur bey ſolchen Menſchen anwen-det, welche weder durch Aſphyxie, noch durch Schlag-fluß geſtorben ſind, wenn man zu dem Verſuche ſorg-faͤltig Glieder auswaͤhlt, welche weder der Sitz einesLocaluͤbels ſind, noch ſich im Leben durch beſondere Muſ-kelſchwaͤche auszeichneten? — Dieſe Vorſicht *), daͤuchtmich, ſichert bey weitem noch nicht vor einem gefaͤhrli-chen Irrthume. Wie ſchwankend ſind die Kennzeichender Todesart eines Menſchen, von den Veraͤnderungenwelche ſein Nerven- und Muſkelſyſtem im Sterben er-leidet! die ſenſible und irritable Fiber kann ihren Mi-ſchungszuſtand aͤndern, ohne daß unſere Sinne etwasdavon wahrzunehmen im Stande ſind! Wir wollen dieobigen Thatſachen berichten und nicht unwillig, wieHr. Creve, auf diejenigen werden, welche etwas ſa-hen, was unſern willkuͤhrlichen ſeſtgeſetzten Begriffenvon Urkraͤften zu widerſprechen ſcheint.
Den letzten und wichtigſten Einwurf gegen das neuePruͤfungsmittel nehme ich endlich von der Ruͤckkehr derErregbarkeit ſelbſt her. Creve **) ſagt gegen Hufe-land: „die Wiederherſtellung einer wirklich ganz verlohr-
*) Creve S. 196.**) A. a. O. S. 210.
|457| nen Lebenskraft im thieriſchen Koͤrper iſt ein phyſiſchesUnding.“ — Laſſet uns nicht a priori uͤber Dinge abſpre-chen, die wir nur auf dem ſicheren Wege des Experi-ments und der Beobachtung aufklaͤren koͤnnen. Ich ha-be, bey meinen Verſuchen uͤber die Wirkung chemiſcherStoffe auf die ſenſible und irritable Fiber, zahlloſe Mah-le den ſchwachen Reitz des Zinks und Bleys in demſel-ben Organe wirkſam gefunden, wo wenige Minutenvorher der ſtaͤrkere Reitz des Zinks und Goldes unwirk-ſam war. Ich habe in einem Schenkel die Erregbarkeitnicht einmahl, ſondern drey bis viermahl, verſchwindenund wieder erſcheinen ſehen, je nachdem ich die thieri-ſche Materie abwechſelnd mit Opium, Arſenikkalch, Al-cohol, Moſchus, Saͤuren oder Alcalien behandelte. Laͤßtdie Analogie nicht vermuthen, daß aͤhnliche Verrichtun-gen in dem ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Koͤrper vorgehen koͤn-nen? Bemerken wir nicht zuweilen im Leben (z. B. beyblinden Greiſen) daß der gelaͤhmte Sehenerv von ſelbſtwieder fuͤr den Lichtreitz empfaͤnglich wird? daß in ei-nem Gliede, das vom Blitze gelaͤhmt iſt, Bewegungs-faͤhigkeit zuruͤckkehrt? Die Beſorgniß, daß das Galvani-ſche Experiment den wahren Tod verkuͤndigen kann, wonur temporaͤre Laͤhmung iſt, ſcheint demnach nicht chi-maͤriſch zu ſeyn. Auch glaube man nicht, daß ichnur bey kaltbluͤtigen Thieren die Wirkung chemiſcherStoffe auf die Erhoͤhung der Reitzempfaͤnglichkeit be-merkt habe. Die alkaliſchen Solutionen, die oxygenir-te Kochſalzſaͤure, vermehrten in meinen eigenen Nerven |458| den Effect des Metallreitzes eben ſo ſehr, als ſie es aufFiſch- oder Froſchnerven thun. Eine vernichtete Kraftwird freylich nicht wieder erzeugt. Aber, was wiſſen wirvon den Kraͤften ſelbſt und ihrem Verſchwinden? Duͤr-fen wir je ſagen, daß hier keine Erregbarkeit mehr ſey?Nein! die Erfahrung lehrt blos, der Stimulus x hat indem Organ y in dem Momente z keine uns bemerkbareVeraͤnderung hervorgebracht. Was wir mehr ausſagen,iſt nicht mehr in der Beobachtung ſelbſt gegruͤndet. DasLeben iſt kein Stoff, der zutritt oder abgeſchieden wird;die vitalen Erſcheinungen ſind das Reſultat einer ſo ge-formten, ſo gemiſchten organiſchen Materie. Eine tem-poraͤre Veraͤnderung in der Miſchung muß daher auchandere Erſcheinungen veranlaſſen, und was wir Zerſtoͤ-rung der Erregbarkeit von eintretender Faͤulniß nennen,iſt vielleicht nur Daſeyn eines minderen Grades der Er-regbarkeit.
Man mache mir nicht den Vorwurf, daß ich dasvorgeſchlagene Pruͤfungsmittel zu ſtreng beurtheile; daßich Faͤlle anfuͤhre, die zu den ſeltenſten Ausnahmen gehoͤ-ren. Es kommt hier darauf an, nicht die wahr-ſcheinliche Richtigkeit, ſondern die Untruͤg-lichkeit eines Kennzeichens zu unterſuchen. Bey einerStreitfrage, die ein ſo eigentliches allgemein menſchli-ches Intereſſe mit ſich fuͤhrt, kann man nie zu gruͤnd-lich verfahren. Wuͤrde der Glaube an die Untruͤglich-keit dieſes Mittels allgemein, ſo wuͤrde der juͤdiſche Ge- |459| brauch der fruͤhen Beerdigung, leider! auch bald unterden Chriſten einreiſſen, und, wer ſieht dann nicht neuenGefahren entgegen? So wenig ich mich aber auch uͤberzeugen kann, daßdas Galvaniſche Experiment ein untruͤgliches Mit-tel ſey, den Scheintod von dem wahren Tode zu unter-ſcheiden; ſo weit bin ich auch entfernt, Hrn. Creve’s Vorſchlag (wie Pfaff und Himly thun) ganz zuverwerfen. Was nicht apodiktiſche Gewißheit giebt,kann doch einen hohen Grad beruhigenderWahrſcheinlichkeit gewaͤhren. Das neue Pruͤ-fungsmittel ſcheint mir in allen Faͤllen, wo man dieeintretende Faͤulniß ohnehin nicht abwar-ten kann, ſehr anwendbar und wohlthaͤtig. Wer dieBehandlung der Leichen im Landkriege, in ambulantenund ſtehenden Feld-Lazarethen, auf dem Schlachtfelde,und in belagerten Feſtungen oder im Seekriege auf denFlotten, oder in den engliſchen Sklavenſchiffen kennt;der wird es Hrn. Creve Dank wiſſen, ein Mittel ent-deckt zu haben, welches manchen Ungluͤcklichen aus derGefahr der allzufruͤhen Beerdigung (oder Verſenkung)erretten kann. Wie ſchnell werden in den großen Hoſ-pitaͤlern, wo es an Raum und Betten fehlt, die Ver-ſchiedenen in das Leichenzimmer geworfen, wo die Win-terkaͤlte die uͤbrige Spur von Lebenskraft vernichtet!Wie kurz iſt meiſt der Aufenthalt, der ihnen auch hier ge-ſtattet wird! Wie geht es vollends bey dem Aufraͤumen |460| auf dem Schlachtfelde zu! Wer keine Zeichen willkuͤhrli-cher Bewegung von ſich gibt, wird fuͤr eine Leiche er-klaͤrt, bleibt von anderen Leichen bedeckt, den Einwir-kungen der Atmoſphaͤre ausgeſetzt, oder wird gar vomLandvolk in eine Grube geworfen. Beyſpiele von Ver-wundeten, welche, fuͤr tod gehalten, unter den Cadavernliegen blieben und mehrere Stunden nachher Lebenszei-chen von ſich gaben, ſind, leider! nicht gar ſelten. Wiewohlthaͤtig waͤre es, wenn in ſolchen Faͤllen die Feld-chirurgen mit dem einfachen Galvaniſchen Bogen (zu-fammengeſchrobener Zink und Silber) verſehen waͤren!Der biceps brachii, die m. gaſtrocnemii, der pectoralismajor iſt bald entbloͤßt, und, da kein Nerve praͤparirtzu werden braucht *), ſo iſt das Experiment ſchnell ge-macht. Freylich wuͤrde es unmoͤglich ſeyn, ſelbſt wenndie Armee das Schlachtfeld bleibend behauptet, dasPruͤfungsmittel an allen Leichen anzuſtellen. Werwuͤrde ſich nur eine ſolche Forderung erlauben? Aber,zeichnen ſich unter den entſtellten Koͤrpern nicht immereinige aus, uͤber deren wahren Tod der geſchickte Wund-arzt in Zweifel iſt? Werden nicht auf ſchnellen Ruͤckzuͤ-gen (an denen der gegenwaͤrtige Feldzug ſo reich iſt) Lei-chen vom Kranken-Wagen geworfen, die bey mangeln-der willkuͤhrlicher Bewegung vielleicht noch ein dunklesGefuͤhl ihres huͤlfloſen Schickſals haben? Ich fordere ei-nen Baldinger auf, einen Goͤrcke, einen Murſin-
*) Creve, S. 189.
|461| na und andere edle Maͤnner, welche mitten unter denVerheerungen des Krieges die Leiden der Menſchheit ſogluͤcklich gemindert haben, und deren Stimme mit Rechtſo viel bey dem Publicum gilt, dieſe Ideen ihrer Auf-merkſamkeit zu wuͤrdigen. Wenn das Creviſche Pruͤ-fungsmittel und deſſen geſchickte Anwendung unterangehende Feldchirurgen verbreitet wird; ſo laͤßt ſichhoffen, daß der thaͤtige Theil derſelben bey kuͤnftigenKriegen davon Gebrauch machen wird.
II. Dient der Metallreitz in gewiſſenFaͤllen zur Wiedererweckung aus demScheintode? — Manche Erfahrungen lehren, daßder Galvanismus, wie die Elektricitaͤt, auf thieriſcheOrgane wirkt. Starke elektriſche Schlaͤge vernichten dieReizbarkeit, ſchwache ſtellen ſie wieder her *). Eben ſowird die Faſer durch anhaltendes Galvaniſiren geſchwaͤcht,durch ein kuͤrzeres geſtaͤrkt. Ich habe oft bemerkt, daßwenn ein Muſkel durch homogene Excitatoren von Goldkleine Contractionen erlitt, dieſelben mit eben den Gold-ſtaͤben erfolgten, wenn der praͤparirte Nerv einige Mahlmit Zink und Silber gereizt ward. Wenn ich Organedurch geringes Benetzen mit Alcohol ſchwaͤche, ſo wirkendie erſten zwey oder drey Beruͤhrungen der Metalle oftgar nicht. Mit Vervielfaͤltigung des Verſuchs nimmt
*) Eben ſo in den Pflanzen. S. meine Aphorismen aus der chem. Pflanzenphyſiologie. S. 58. u. 77. H.
|462| aber die Lebhaftigkeit der Zuckungen zu. Aehnliche Be-trachtungen und die Analogie zwiſchen den Galvaniſchenund elektriſchen Erſcheinungen, brachten Hrn. Valli zuerſt auf die Idee, den Metallreiz als Erweckungsmit-tel aus dem Scheintode vorzuſchlagen. Er rettete wirk-lich zwey erſaͤufte Huͤhner durch bloßes Galvaniſiren.Hrn. Anſchel gluͤckten dieſelben Verſuche an Froͤſchen,die er in Waſſerſtoffgas erſtickt hatte. Hr. Soͤmmerring ſchlug bey ſcheintodten Menſchen den N. phrenicus (der durch ſeine Anaſtomoſen mit dem Coͤliaciſchen Kno-ten, mit dem Stimm-, Antlitz- und Armnerven die groͤ-ſten Mitwirkungen erregt) als den ſchicklichſten Ort zurAnwendung des Metallreitzes vor *). Leider fehlt esaber wol gaͤnzlich an Erfahrungen uͤber dieſen Gegen-ſtand, und ich erſtaune, wie Hr. Creve **) die ganzeUnterſuchung dadurch niederſchlagen kann, daß er ſagt:„Wenn man Valli’s und Soͤmmerrings Vorſchlag„pruͤft, ſo zeigt ſich, daß beyde wenig phyſiologiſche,„noch pathologiſche und therapeutiſche Kenntniſſe da-„durch verrathen.“

*) Ludwig Scriptor. neurol. B. III. p. 23. Auf-klaͤrung der Arzneywiſſenſchaft S. 197. An-schel Thanatologia p. 19. Himly Commentat.mortis hiſtoriam cauſas et ſigna ſiſtens. Goͤtt. 1794.**) A. a. O. S. IX.
|463| Bey kleinen Thieren, beſonders bey Voͤgeln, iſtdie Leitung des Galvaniſchen Fluidums vom After nachder Zunge ungemein wirkſam. Auf keinem anderen We-ge wird die Mitleidenſchaft, das ganze Nervenſyſtem,beſonders der Abdominalnerven, in ſolch einem Maaßeerregt! Ich habe im neunten Abſchnitte meines Buchs *) bereits meine eigenen Erfahrungen uͤber Voͤgel erzaͤhlt,auf welche ich hier verweiſe. Dieſe Erfahrungen ſchei-nen mir auch von der Seite lehrreich, daß ſie auf eineneue Methode fuͤhren, die kuͤnſtliche Elektricitaͤt bey Er-trunkenen und Erſtickten anzuwenden. Abilgaard’s und Kite’s Verſuche, ſo wie die, welche die edle Humane So-ciety **) in den Jahren 1787 und 1789 bekannt ge-macht hat, zeigen, wie wohlthaͤtig oft ſchwache elektri-
*) Ueber die gereizte Muſkelfaſer. **) Dieſe menſchenfreundliche Geſellſchaft, welche bereits in Liſ-ſabon, in der Normandie, Kopenhagen, Algier, Bengalen, Jamaica, Barbados, der Hudſonsbay, Boſton, Philadel-phia, Dublin, Lemerik, Waterford, Londondery, Belfaſt, Aberdeen, Montroſe, Sunderland, Liverpool, Lancaſter, Shropſhire , Cheſhire, Newcaſtle, Whithaven, Briſtol, Kentſurry, Darlington, Norwich, Worceſter, Horncaſtle, Shrewbury, Leith, Northampton, Oſtende u. ſ. w. Inſti-tute angelegt hat, zaͤhlte bis zum Jahr 1794 bereits zwey-tauſend Menſchen, welche durch ihre Bemuͤhung geret-tet waren. Und Deutſchland hat nur ein aͤhnliches Inſtitutin einem kleinen Freyſtaate aufzuweiſen, in welchemReichthum und Buͤrgertugend geſellig neben einander wohnen! H.
|464| ſche Schlaͤge, durchs Herz geleitet, zur Wiedererweckungwirken. In Faͤllen, wo dieſes Mittel fehl ſchlaͤgt, waͤ-re das elektriſche Fluidum auf dem Wege vom Maſtdarmzur Zunge zu verſuchen. Wenigſtens ließe ſich von die-ſem Mittel mehr, als von den Klyſtieren von Tabacks-rauch erwarten, welche den Ruf nicht verdienen, denihnen hollaͤndiſche Aerzte verſchafft haben. Daß uͤbri-gens ſtarke Schlaͤge einer Kleiſtiſchen Flaſche die ſchlum-mernden Lebenskraͤfte gaͤnzlich vernichten, und wie dasRettungsmittel der Genueſiſchen Galeerenſklaven wirkenwuͤrden; dieſer Einwurf bedarf, nach dem, was Herr Fothergill *) daruͤber geaͤuſſert hat, keiner Beleuch-tung mehr.
III. Verſpricht der Metallreiz in Augen-krankheiten, Paralyſen der Extremitaͤten
*) Neue Unterſuchung uͤber Hemmung der Le-benskraͤfte 1796 S. 114. — Auf einer Galeere im Hafenvon Genua erzaͤhlte man mir, daß man, einem alten Her-kommen gemaͤß, die todten Sklaven, ehe man ſie ins Meerſenkt, mit einem ungeheuren Hammer vor die Stirn ſchlaͤgt.Die Urſache dieſer brutalen Ceremonie ſoll in der Beſorg-niß liegen, daß einige Sklaven ſich tod ſtellen koͤnnten, umdurch Schwimmen nach dem Verſenken zu entkommen. Einkraͤftigeres Erweckungsmittel war freylich nicht zu erdencken!Es bewirkt auf einmal, was der gemeine Bader, indeſſen Haͤnde der Erſtickte faͤllt, mit dem Schnaͤpper oder derLanzette langſam herbeyfuͤhrt. H.
|465| und rheumatiſchen Uebeln Heilung? — Die-ſe Frage ſteht mit der vorigen in naher Verbindung.So wie beym Erſticken das ganze Nerven- und Muſkel-ſyſtem paralytiſch iſt; ſo kann die Laͤhmung ſich auf ein-zelne Organe, auf Magen, Augen, (in der Amauro-ſis) Extremitaͤten, Hautgefaͤße (in den Leberflecken) u.ſ. f. einſchraͤnken. Hr. Pfaff wendet gegen die An-wendung des Galvaniſchen Experiments bey paralyti-ſchen Krankheiten ein, daß kuͤnſtliche Elektricitaͤt, dienach Willkuͤhr erhoͤht oder vermindert werden koͤnnte,auch hier den Vorzug verdienen wuͤrde. Aber, liegt indieſer Behauptung nicht mehr, als durch Erfahrung be-gruͤndet wird? Sind die Galvaniſchen und elektriſchenErſcheinungen nicht weſentlich von einander verſchieden?und mit welchem Rechte kann man daher auf gleicheWirkung ſchließen? Hrn. Reil’s *) Erwartungen wer-den durch manche Analogie beguͤnſtigt: und, da es ſogewoͤhnlich iſt, Fontanellen in gelaͤhmten Gliedern an-zubringen; ſo werden thaͤtige Aerzte Gelegenheit genugfinden, das wenigſtens unſchaͤdliche Galvaniſche Experi-ment auf dieſe ſchicklich anzuwenden. — Noch mehrſcheint daſſelbe bey rheumatiſchen Uebeln und in andernFaͤllen zu verſprechen, wo Feuchtigkeiten aus dem Koͤr-per abgeleitet werden ſollen. In den Verſuchen, welcheich wiederholt an mir ſelbſt angeſtellt habe, dauerte dieSecretion der lymphatiſchſeroͤſen Feuchtigkeit ſo lan-
*) Gren’s Journal der Phyſik B. 6. S. 414.
|466| ge *) fort, als man die Canthariden-Wunden galvani-ſirte: ja! die Thaͤtigkeit der Hautgefaͤße wird ſo erhoͤht,daß auch, wenn die Metalle bereits weggenommen ſind,die Abſonderung eine Zeitlang fortgeht. Sollte indem gichtiſchen, veneriſchen und Nerven-Huͤftweh, wel-ches nach Cotunni’s **) Methode mit kleinen Blaſen-pflaſtern behandelt wird, nicht von jener Erfahrunggluͤcklicher Gebrauch gemacht werden koͤnnen? Das Gal-vaniſiren einer Wunde ſcheint hier denſelben Zweck zuerfuͤllen, den man durch mehrere erreichen will, undder Schmerz, den der Metallreitz erregt, wenn man ihnalle Stunden wiederholt, iſt nicht ſo betraͤchtlich, alsder der Canthariden. Von der ploͤtzlichen Umaͤnderung derLymphe und ihrer wunderbar aͤtzenden Eigenſchaft,ſcheint, nach den Erfahrungen an meinem eignen Koͤrper,nichts zu beſorgen zu ſeyn. Doch verdient dieſer Umſtandnaͤhere und vorſichtige Pruͤfung, und es wuͤrde leicht ſeyn,das Auslaufen jener Feuchtigkeit auf die unverletzteHaut zu verhindern. Auch das Ausſtroͤhmen elektri-ſcher Buͤſchel auf Canthariden-Wunden muͤßte verſucht
*) Herr D. Aſh meldet mir, daß er meine Beobachtungenhieruͤber durch Verſuche beſtaͤttigt gefunden habe. H. **) Comm. de Iſchiade nervoſa Vienn. 1770. (S.auch den zweyten Theil von Sandifort Theſaur.Diſſertationum. Richter’s medic. chir. Be-merkungen B. I. S. 157.
|467| werden. In einer Epoche, wo große Aerzte *) ſich be-muͤhen, zur Schonung eines ſo wichtigen Organs, alsder Magen, weniger nach dem Centrum, als nach derOberflaͤche, hinzuwirken und die Kriſen dort zu veran-laſſen; in einer ſolchen Epoche muß jedes neue aͤuſſereReizmittel unſere Aufmerkſamkeit feſſeln.
Hr. Pfaff hat ſehr ſcharfſinnig gezeigt, wie das Galvaniſche Experiment zur Erkenntniß des ſchwarzenStaars gebraucht werden koͤnne. Untruͤglich iſt, wieder beſcheidene Verfaſſer ſchon ſelbſt bemerkt, das neueKriterium nicht, weil die Lichterſcheinung auch da aus-bleiben kann, wo die Netzhaut noch empfindlich iſt. Wirwiſſen noch zu wenig von der Rolle, welche die Ciliar-nerven bey dieſer Art von Reizung ſpielen: und, laͤgedie Schuld an einem Fehler der Zuleitung in dem In-fraorbitalis; ſo koͤnnte die Operation allerdings gluͤ-cken, wenn auch der Metallreiz das Gegentheil davonverkuͤndigte. Ich kenne mehrere Perſonen, denen der Voltaiſche und Hunterſche Verſuch, bey vollkommen ge-ſundem Auge, keine Licht-Erſcheinung erregt. Es ent-ſteht daraus die zwiefache Ungewißheit, einmahl, ob derPatient ſchon vor der Erblindung fuͤr den Metallreizempfaͤnglich war? und denn, ob nach der Erblindung
*) Richter’s medic. chirurg. Bemerkungen B. I. S. 184.
|468| die Unerregbarkeit von einem Fehler der Netzhaut unddes Sehenerven, oder von einem coexiſtirenden zufaͤlli-gen Umſtande (etwa im zweyten Aſte des fuͤnften Paars)abhaͤngt? — Des Vorſchlags, bey der Amauroſis dieganze Mundhoͤhle mit Metallplaͤttchen zu fuͤttern undſo die Wiederbelebung des paralytiſchen Organs zu ver-ſuchen, habe ich bereits in meinem Werke uͤber dieMuſkelfaſer erwaͤhnt.
Der Metallreiz dient dazu, Nerven von anderenOrganen zu unterſcheiden. Dieſer Nebenvortheil iſt ei-ner der wichtigſten, welchen der Galvanismus je gewaͤh-ren kann. Was iſt der anatomiſchen und phyſiologi-ſchen Unterſuchung thieriſcher Koͤrper willkommner, alsein ſicheres Kriterium zwiſchen Nerven und Gefaͤßen?Welche Fortſchritte hat die Naturkunde ſich von dieſerEntdeckung zu verheißen! Welche Vortheile muͤſſen derChirurgie, wenigſtens ihrem theoretiſchen Theile, nichtdadurch zufallen! Die ſtaͤrkſten Vergroͤßerungen zeigendoch nur Umriſſe und Farben. Wir erſtaunen uͤber daswunderbare Geflechte von Organen, welches die gallert-artigen Seebewohner in ihrem Inneren dem Auge dar-legen. Wir ſehen und zeichnen, ohne zu wiſſen, waswir geſehen und gezeichnet haben. Ein einfaches Expe-riment belehrt uns hieruͤber. Wir koͤnnen keck entſchei-den, ob wir dem Lauf einer ſenſiblen Fiber, oder einesGefaͤßes, gefolgt ſind. Auf dieſem Wege haben Pres-ciani und Mangili die Nerven der Schaalthiere |469| entdeckt; auf dieſem iſt es mir gegluͤckt, die Nerven der Nais proboſcidea, N. barbata, Lernaea cyprinacea,Taenia paſſeris, Vibrio proteus, des Hirudo und vie-ler Inſekten zu beobachten. Das Galvaniſche Experiment macht es moͤglich, denZuſtand (Grad) der Reizempfaͤnglichkeit eines Nervenoder Muſkels zu meſſen. Dieſer Nutzen iſt bisher ganzuͤberſehen worden, und doch, glaube ich, kann die Leh-re vom Galvanismus von keiner Seite fruchtbarer fuͤrdie praktiſche Heilkunde, als von dieſer werden *).Die Phyſiker haben, in der Lehre von Bindung und Ent-bindung des Waͤrmeſtoffs, erſt dann Fortſchritte ma-chen koͤnnen, als ſie die Menge deſſelben, durch Aus-dehnung einer Queckſilberſaͤule, zu meſſen anfingen.Eben ſo kann die vitale Chemie, wenn man dieſes Mittelbenutzt, den Zuſtand der belebten Materie in Hinſichtauf Reizempfaͤnglichkeit beſtimmen. Der Menſch ſteht inBeziehung mit allen Theilen der Koͤrperwelt. Alle Stoffewirken auf ihn ein, wie er auf alle zuruͤck wirkt. Wirfuͤhlen, wie durch dieſe aͤußeren Einwirkungen — ſeyenſie zufaͤllig oder durch die Kunſt des Arztes herbey ge-fuͤhrt — die Miſchung der Saͤfte und das Maaß ihrerAbſonderung veraͤndert, wie die Thaͤtigkeit der Organe
*) S. meinen dritten phyſiolog. Brief an Herrn Blumenbach in Grens Neuem Journal B. 3. S. 169.
|470| geſpannt oder herabgeſtimmt wird. Wie duͤrfen wiraber bey ſo zuſammengeſetzten Wirkungen die Beſtim-mungen einzelner Urſachen wagen? Entgeht unſrerWahrnehmung nicht die Stufenfolge der Veraͤnderung,welche die erregbaren Organe allmaͤhlig durchlaufen?Tritt die Folge der Ueberreitzung — die Laͤhmung allerLebenskraͤfte — nicht oft ſo ploͤtzlich ein, daß wir denUebergang von erhoͤheter Reizempfaͤnglichkeit zur Uner-regbarkeit gar nicht bemerken, und ein excitirendes Reiz-mittel fuͤr urſpruͤnglich ſchwaͤchend halten?
In dieſem Labyrinthe von Erſcheinungen wird unsder Metallreiz nicht zur einzigen, aber zu einer wichtigen,Stuͤtze dienen. Sie kennen, verehrungswerther Freund, mei-ne chemiſchen Verſuche uͤber Stimmung der Erreg-barkeit durch oxygenirte Kochſalzſaͤure, oleum tartariper deliquium, Opium, Arſenikkalch, ſalzſaure Schwer-erde, ſalzſaures Zinn, tartarus emeticus, Schwefelle-ber, und andere Reagentien. Ich habe dieſelben zumTheil unter Ihren Augen, und wenigſtens lange in IhrerNaͤhe, wiederholt. Sie wiſſen, daß es mir gegluͤckt iſt,die Irritabilitaͤt eines Organs fuͤnf- und ſechsmahl zuvernichten und ſie demſelben durch chemiſche Mittel wie-der zugeben. Sie wiſſen, daß dieſe Verſuche jetzt meh-reren ausgezeichneten Phyſiologen gegluͤckt ſind. Benetzeich die belebte Materie mit einer Aufloͤſung von Laugen-ſalzen, ſo iſt die Frage uͤberaus wichtig: wie hat dieſeBenetzung auf die vitalen Functionen des Organs, |471| auf ſeine Lebensaͤuſſerungen gewirkt? Der benetzte Ner-ve mit einem Buͤndel Muſkelfaſern liegt unbewegtvor mir; nichts verkuͤndigt was in ihm vorgeht;kaum ſeine Farben und die Dichtigkeit ſeiner Fibern,(Spannung) ſind veraͤndert. Von dem jedesmahligenZuſtande ſeiner Reitz-Empfaͤnglichkeit kann ich nichtsahnden, ehe ich nicht den Galvaniſchen Apparatzur Hand nehme. Durch dieſen wird auf einmahldie Maſſe meiner Erfahrungen bereichert. Ich ſehedie Contractionen eines Muſkels ſich an Staͤrke gleich bleiben, wenn ich ſeinen Nerven in diewaͤſſerige Aufloͤſung von Opium tauche; ich ſehe ſieabnehmen, wenn ich ihn mit alcoholiſirtem Opiumoder Schwefelleber benetze. Ich bemerke, wie dieallzulange Benetzung damit die Organe unerregbarmacht, wie der Arſenik anfangs dieſe Erregbarkeitwieder herſtellt, wie aber bald (und meiſt entgeht daserſte Stadium der Wahrnehmung ganz) alle Bewe-gung im Tetanus verſchwindet. Ich erſtaune endlich,wie die alkaliſche Aufloͤſung dieſen Tetanus gluͤcklichhebt, und wie mit ihrer Anwendung lebhafte Muſ-kelcontractionen wieder beginnen. Alle dieſe Thatſa-chen, welche zu den wichtigſten Betrachtungen uͤberdie Materia medica und die chemiſchen Lebensproceſſefuͤhren, waͤren, ohne Pruͤfung des Nervenzuſtandesmittelſt der Metalle, unſerer Wahrnehmung entgangen.