Ueber die Anwendung des Galvaniſchen Reizmittels auf die praktiſche Heilkunde. Ein Schreiben des Hrn. Oberbergraths von Humboldt an den Herausgeber. Sie fordern mich auf, verehrungswerther Freund, Ihnen meine Ideen uͤber die Anwendung des Galvaniſchen Reizes auf die praktiſche Heilkunde zu entwickeln. Da ich ſeit fuͤnf Jahren faſt ununterbrochen damit beſchaͤftigt bin, die Geſetze des Metallreitzes und die Erregbarkeit der ſenſiblen und irritablen Fiber zu unterſuchen; ſo darf ich es wol ohne Unbeſcheidenheit wagen, dieſer Aufforderung zu folgen. Sie ſind mit mir daruͤber einverſtanden, daß die Nuͤtzlichkeit oder der Werth der Galvaniſchen Entdeckungen nicht von ihrer unmittelbaren Anwendung auf den pathologiſchen Zuſtand des Menſchen abhaͤngt; Sie ſind mit mir davon uͤberzeugt, daß alles, was uns der Kenntniß der Nerven und ihrer Kraͤfte naͤher bringt, maͤchtigen Einfluß auf die Vervollkommnung der praktiſchen Heilkunde haben muß. Aber wir leben in einem Jahrhunderte, wo man ein allmaͤhliges Fortſchreiten fuͤr Stillſtand haͤlt, wo man reife Fruͤchte ſchon lange vor der Bluͤthe zu erwarten pflegt. In einem ſolchen Zeitpunkte mußten Verſuche, welche ſo unmittelbare und ſchnelle praktiſche Anwendung zu verheiſſen ſchienen, die geſpannteſte Aufmerkſamkeit des Publicums an ſich ziehen. Man empfahl den Galvanismus bald als Pruͤfungsmittel des Todes, bald als wolthaͤtiges Reizmittel auf die Nerven: man erregte dadurch Erwartungen, die, bey der ungenuͤgſamen Stimmung des groͤßeren Publikums, nicht leicht zu erfuͤllen waren. Wie man ehemals faſt alle Leiden der Menſchheit durch Elektricitaͤt zu mindern waͤhnte; ſo ſollten jetzt ein Paar Metallplaͤttchen untruͤglich, und, wie durch einen Zauber, Erſtickte erwecken, Blinde ſehend machen, gelaͤhmte Glieder wieder herſtellen, und allein ſoviel leiſten, als die Aerzte ſeit einigen tauſend Jahren mit einer ſo großen Menge chemiſcher und mechaniſcher Huͤlfsmittel nicht zu leiſten vermochten. Laſſen Sie uns ruhig unterſuchen, was wir von der Anwendung des Galvanismus zu erwarten haben. Laſſen Sie uns die Vorſchlaͤge ſo vieler achtungswerther Maͤnner einzeln pruͤfen, ohne zu vergeſſen, daß wir es mit einer Kunſt zu thun haben, die noch in ihrer fruͤheſten Kindheit liegt. Als man die erſten Seifenblaſen, mit Waſſerſtoffgas gefuͤllt an die Decke des Zimmers ſteigen ſah, ahndete man auch nicht, daß ein aͤhnliches Mittel einſt Menſchen ſicher durch die Luͤfte uͤber das Meer tragen wuͤrde. I. Dient der Metallreiz zur Unterſcheidung des Scheintodes vom wahren Tode? — Zu einer Zeit, wo ein großer deutſcher Arzt die Aufmerkſamkeit der Nation auf die unvorſichtige Behandlung der fuͤr tod erklaͤrten Menſchen gerichtet, und das Beſorgniß vor allzufruͤher Beerdigung von neuem rege gemacht hat; zu einer ſolchen Zeit konnte der Galvanismus ſich von keiner glaͤnzenderen und empfehlenderen Seite zeigen, als, indem er ein Mittel verhieß, durch welches jenes Beſorgniß entfernt werden koͤnnte. Der ſpaͤteren Beerdigung, der Abwartung der eintretenden Faͤulniß, der Errichtung der Leichenhaͤuſer fuͤr das Landvolk, ſtehen mannigfaltige Hinderniſſe im Wege. Ein paar Metallſtaͤbe, in Beruͤhrung mit einem entbloͤßten Nerven gebracht, ſollten jene weitlaͤuftigen Anſtalten entbehrlich machen, ſollten ein bis anderthalb Stunden nach dem letzten Athemzuge den Umſtehenden das wichtige Problem loͤſen, ob die Wiedererweckung des Nichtathmenden moͤglich oder unmoͤglich ſey. Hufeland, uͤber die Ungewißheit des Todes. Weimar. 1792. Die Herren Behrends und Creve ſchlugen zuerſt den Metallreitz als Pruͤfungsmittel des wahren Todes vor, und der letzte hat einen ruͤhmlichen Eifer bewieſen, dieſen Vorſchlag, der durch viele Zeitſchriften verbreitet und guͤnſtig aufgenommen worden iſt, durch muͤhſame Verſuche an Leichen zu unterſtuͤtzen. Beyder Gruͤnde wurden durch Himly und Pfaff lebhaft beſtritten. In der That iſt die Unterſuchung dieſer Streitfrage unendlich wichtig fuͤr das Menſchengeſchlecht. Je empfehlender das neue Mittel durch ſeine Einfachheit und Bequemlichkeit iſt; deſto ernſthafter muß man jede Taͤuſchung zu entfernen ſuchen. Ich habe Herrn Creve’s Schrift mit meinen eigenen Erfahrungen verglichen, und, wenn das Reſultat jener Vergleichung auch nicht ganz zum Vortheil des neuen Pruͤfungsmittels ausfaͤllt; ſo kann dieß die Achtung nicht mindern, welche der Verfaſſer ſchon dadurch verdient, daß er eine wichtige Sache mit ſo ausharrender Thaͤtigkeit verfolgte. Ein Philoſoph, welcher unablaͤßig an der Erweiterung menſchlicher Kenntniſſe arbeitet, der Erzbiſchoff Carl von Dalberg, Coadjutor zu Mainz, hat Herrn Creve und mich gleichzeitig zu jenen Unterſuchungen aufgefordert. Auf Einem Wege ſind wir beyde zu entgegengeſetzten Reſultaten gekommen. Ich darf den Metallreitz nicht als ein untruͤgliches Pruͤfungsmittel des wahren Todes betrachten, weil 1) das elektriſche Fluidum noch Spuren der Reitz-Empfaͤnglichkeit in einem Nerven offenbaret, welcher von dem Galvaniſchen nicht mehr bemerkbar afficirt wird; 2) weil das Experiment nur an einigen Theilen angeſtellt werden kann, und die Unerregbarkeit dieſer noch nicht die Unerregbarkeit des ganzen Nervenſyſtems beweiſet; 3) weil man einzelne Beyſpiele kennt, in denen der Metallreitz in Organen unwirkſam war, welche kurz vorher, und doch ſelbſt nach deſſen Anwendung, willkuͤhrlich bewegt werden konnten, und 4) weil es ſehr denkbar iſt, daß Theile, welche eine Zeitlang alle Reizbarkeit verloren zu haben ſcheinen, dieſelbe nachmahls wieder erlangen. Da zur Hervorbringung einer fibroͤſen Erſchuͤtterung, mit abnehmender Erregbarkeit die Staͤrke des anzuwendenden Reitzes zunehmen muß; ſo wird nur derjenige Reitz, welcher das Maximum intenſiver Staͤrke enthaͤlt, mit Sicherheit andeuten koͤnnen, ob bereits alle Lebenskraft verſchwunden, oder ob noch ein Reſt von Reitz-Empfaͤnglichkeit uͤbrig ſey. Sie wiſſen aus meinen chemiſchen Verſuchen uͤber Stimmung der Erregbarkeit, daß die alkaliſchen Solutionen in ſehr erregbaren Organen ohngefaͤhr eben ſo, als das Galvaniſche Experiment in den minder erregbaren, wirkt. Duͤrfen wir darum ein Organ fuͤr abſolut unreitzbar halten, in welchem die Alkalien keine ſichtbare Bewegung hervorbringen? Auf eine aͤhnliche Weiſe verhaͤlt es ſich mit dem elektriſchen und Galvaniſchen Reitze. Hrn. Creve’s Scharfblick iſt dieſe wichtige Betrachtung auch nicht entgangen, und er hat in mehreren Stellen ſeiner neuen Schrift derauf Ruͤckſicht genommen. Er glaubt aber, daß Valli’s und Pfaff’s Verſuche nicht mit der gehoͤrigen Genauigkeit angeſtellt ſind, und daß jene Maͤnner das Kraͤuſeln, welches die Elektricitaͤt auch in unorganiſchen Hanffaͤden hervorbringt, mit fibroͤſen Contractionen (als Folge der Irritabilitaͤt) verwechſelt haben. Sorgfaͤltig wiederholte Verſuche haben mich aber noch neuerlichſt belehrt, daß Muſkeln durch ſchwache elektriſche Schlaͤge gereitzt werden, in denen Zink und Gold gar keine Bewegung hervorbringt. Der Schenkel eines Kaninchens war bereits ſo unerregbar, daß der Metallreitz, auch wenn die wirkſamſten Excitatoren ſich erſchuͤtternd beruͤhrten und die Kette ſich vom Muſkel aus zu ſchließen anfieng, gar nicht bemerkbar wirkte. Die ſchwaͤchſte Ladung einer Kleiſtiſchen Flaſche, eine Ladung, die im Finſtern keinen ſichtbaren Funken gab, ward von den Wadenmuſkeln (m. gaſtrocnemii) auf den Cruralnerven geleitet, und uͤberall entſtanden lebhafte Zuckungen. Wer mit den Bewegungen der belebten Muſkelfaſer bekannt iſt, wird unendlich ſchwaͤchere Verkuͤrzungen (Contractionen) von der vibrirenden Erſchuͤtterung, welche die elektriſche Exploſion in unbelebten Stoffen erregt, zu unterſcheiden wiſſen. Mit Worten iſt der Unterſchied freylich ſchwer anzudeuten; doch liegt er hauptſaͤchlich darin, daß die gereitzte erregbare Faſer ſich bogenfoͤrmig, die erſchuͤtterte unerregbare ſich in Schlangenlinien zuſammenzieht. Ueber den Metallreitz. S. 169. 215 und 217. Aufklaͤrungen der Arzneywiſſenſchaft durch die Phyſik. II. S. 189. Pfaff S. 392. Froſchſchenkel, deren Erregbarkeit durch Ueberreitzung durch Opium oder Arſenikkalch oder uͤberſaure Kochſalzſaͤure vernichtet war, haben mir oft dieſelbe Erſcheinung gezeigt, welche ich oben von dem Cruralnerven der Kaninchen erzaͤhlte. Herzen von Eidechſen und Fiſchen, die ſo lange in kaltem Waſſer lagen, daß der Metallreitz ſie zu keiner Bewegung erweckte, haben wieder zu pulſiren angefangen, als ich ſchwache elektriſche Schlaͤge durch ſie leitete. Ich wollte einſt verſuchen, ob einem Organe, welchem heftige elektriſche Erſchuͤtterungen alle Reitzbarkeit genommen haͤtten, dieſelbe durch chemiſche Mittel wieder gegeben werden koͤnnte. Ich entlud eine ſtark geladene Kleiſtiſche Flaſche dergeſtalt auf einige Froſchſchenkel, daß der Strom von der Schwimmhaut an bis durch das Ende der Cruralnerven ging. Der Metallreitz verkuͤndigte voͤllige Erloͤſchung der Lebenskraͤfte. Einige Schenkel wurden in alkaliſche Aufloͤſungen, andere in Moſchustincturen, andere in oxygenirte Kochſalzſaͤure gelegt. Keine Zuckung erfolgte bey Anlegung der wirkſamſten Metalle. Kaum aber wurden die Cruralnerven durch ſchwache elektriſche Schlaͤge gereitzt, ſo waren deutliche Muſkelcontractionen hervorgerufen. Auch die Schenkel der Veſpa crabro, der Blatta orientalis, des Cerambyx cerdo und anderer Inſekten, zeigten denſelben Unterſchied in der Empfaͤnglichkeit fuͤr den Galvaniſchen und elektriſchen Stimulus. — Unter dieſen Verhaͤltniſſen kann der Metallreitz wol nicht als ein untruͤgliches Pruͤfungsmittel des wahren Todes betrachtet werden! Es verkuͤndigt den Untergang der Erregbarkeit ſchon dann, wenn dieſelbe noch wirklich vorhanden iſt. Mein zweyter und dritter Einwurf iſt von der Unabhaͤngigkeit der Organe von einander hergenommen. Man entbloͤßt einen oder einige Nerven des Cadavers. Iſt man gewiß, daß, wenn der Metallreitz auf dieſe nicht wirkt, denn auch wirklich der allgemeine Tod der Irritabilitaͤt eingetreten ſey? nicht blos hypothetiſche Saͤtze, und phyſiologiſche Moͤglichkeiten ſprechen dagegen, ſondern wirkliche Erfahrungen. Ich habe im Sommer 1793 einen Froſch ſecirt, welcher mit voller Muſkelkraft im Zimmer umherhuͤpfte. In abgeloͤßten Hinterſchenkeln waren die Nerven von ſchoͤnem gebaͤnderten Anſehen. Aber ſelbſt in den erſten Secunden brachten die wirkſamſten Metalle auch nicht eine Spur von Contractionen hervor. Die vorderen Extremitaͤten waren erregbar fuͤr den Galvaniſchen Reitz. Selten hatte mich eine Erſcheinung ſo in Erſtaunen geſetzt! Ich galvaniſirte die Hinterſchenkel immer von neuem, aber keine Erſchuͤtterung erfolgte, ich mochte den Nerven allein, oder dieſen und den Muſkel beruͤhren . Herr Himly fand eine aͤhnliche Unerregbarkeit der iſchiatiſchen Nerven an zwey Froͤſchen, welche vor und nach der Anwendung des Metallreitzes im Schwimmen vollkommene willkuͤhrliche Muſkelbewegung aͤußerten. Herr Anſchel toͤdtete eine Huͤndin in Kohlenſaurer Luft, und fand das Galvaniſche Experiment an den Extremitaͤten nur vierzehn Minuten lang wirkſam, waͤhrend daß das Herz drittehalb Stunden lang Zeichen von Reitzbarkeit von ſich gab. Dieſer Fall gehoͤrt gewiß zu den ſeltenſten Erſcheinungen; aber er iſt nicht Hypotheſe, ſondern eine einfache Thatſache. Denken wir uns nun auf einen Augenblick aͤhnliche Wirkungen der Aſphyxie auf einen menſchlichen Koͤrper, Unerregbarkeit der aͤuſſeren, Erregbarkeit der inneren Theile — und der Gedanke muß uns zuruͤckſchrecken, nach dem neuen Pruͤfungsmittel einen Koͤrper fuͤr eine Leiche zu erklaͤren, in dem ein elektriſcher Schlag (nach Fothergills Methode) durchs Herz geleitet, dieſen wichtigen Muſkel vielleicht wieder zu Pulſationen erweckt, und mit dem arteriellen Blute dem uͤbrigen Syſteme Leben zugefuͤhrt haͤtte! Aber, wird man einwenden, entgeht man nicht jener Beſorgniß, wenn man das neue Pruͤfungsmittel nur bey ſolchen Menſchen anwendet, welche weder durch Aſphyxie, noch durch Schlagfluß geſtorben ſind, wenn man zu dem Verſuche ſorgfaͤltig Glieder auswaͤhlt, welche weder der Sitz eines Localuͤbels ſind, noch ſich im Leben durch beſondere Muſkelſchwaͤche auszeichneten? — Dieſe Vorſicht , daͤucht mich, ſichert bey weitem noch nicht vor einem gefaͤhrlichen Irrthume. Wie ſchwankend ſind die Kennzeichen der Todesart eines Menſchen, von den Veraͤnderungen welche ſein Nerven- und Muſkelſyſtem im Sterben erleidet! die ſenſible und irritable Fiber kann ihren Miſchungszuſtand aͤndern, ohne daß unſere Sinne etwas davon wahrzunehmen im Stande ſind! Wir wollen die obigen Thatſachen berichten und nicht unwillig, wie Hr. Creve, auf diejenigen werden, welche etwas ſahen, was unſern willkuͤhrlichen ſeſtgeſetzten Begriffen von Urkraͤften zu widerſprechen ſcheint. Ich bemerke ausdruͤcklich, daß ich den Muſkel unmittelbar armirte, weil Herr Creve dem Hrn. Anſchel vorwirft, daß er den Nerven allein gereitzt habe. Creve S. 207 und 222. H. Creve S. 196. Den letzten und wichtigſten Einwurf gegen das neue Pruͤfungsmittel nehme ich endlich von der Ruͤckkehr der Erregbarkeit ſelbſt her. Creve ſagt gegen Hufeland: „die Wiederherſtellung einer wirklich ganz verlohrnen Lebenskraft im thieriſchen Koͤrper iſt ein phyſiſches Unding.“ — Laſſet uns nicht a priori uͤber Dinge abſprechen, die wir nur auf dem ſicheren Wege des Experiments und der Beobachtung aufklaͤren koͤnnen. Ich habe, bey meinen Verſuchen uͤber die Wirkung chemiſcher Stoffe auf die ſenſible und irritable Fiber, zahlloſe Mahle den ſchwachen Reitz des Zinks und Bleys in demſelben Organe wirkſam gefunden, wo wenige Minuten vorher der ſtaͤrkere Reitz des Zinks und Goldes unwirkſam war. Ich habe in einem Schenkel die Erregbarkeit nicht einmahl, ſondern drey bis viermahl, verſchwinden und wieder erſcheinen ſehen, je nachdem ich die thieriſche Materie abwechſelnd mit Opium, Arſenikkalch, Alcohol, Moſchus, Saͤuren oder Alcalien behandelte. Laͤßt die Analogie nicht vermuthen, daß aͤhnliche Verrichtungen in dem ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Koͤrper vorgehen koͤnnen? Bemerken wir nicht zuweilen im Leben (z. B. bey blinden Greiſen) daß der gelaͤhmte Sehenerv von ſelbſt wieder fuͤr den Lichtreitz empfaͤnglich wird? daß in einem Gliede, das vom Blitze gelaͤhmt iſt, Bewegungsfaͤhigkeit zuruͤckkehrt? Die Beſorgniß, daß das Galvaniſche Experiment den wahren Tod verkuͤndigen kann, wo nur temporaͤre Laͤhmung iſt, ſcheint demnach nicht chimaͤriſch zu ſeyn. Auch glaube man nicht, daß ich nur bey kaltbluͤtigen Thieren die Wirkung chemiſcher Stoffe auf die Erhoͤhung der Reitzempfaͤnglichkeit bemerkt habe. Die alkaliſchen Solutionen, die oxygenirte Kochſalzſaͤure, vermehrten in meinen eigenen Nerven den Effect des Metallreitzes eben ſo ſehr, als ſie es auf Fiſch- oder Froſchnerven thun. Eine vernichtete Kraft wird freylich nicht wieder erzeugt. Aber, was wiſſen wir von den Kraͤften ſelbſt und ihrem Verſchwinden? Duͤrfen wir je ſagen, daß hier keine Erregbarkeit mehr ſey? Nein! die Erfahrung lehrt blos, der Stimulus x hat in dem Organ y in dem Momente z keine uns bemerkbare Veraͤnderung hervorgebracht. Was wir mehr ausſagen, iſt nicht mehr in der Beobachtung ſelbſt gegruͤndet. Das Leben iſt kein Stoff, der zutritt oder abgeſchieden wird; die vitalen Erſcheinungen ſind das Reſultat einer ſo geformten, ſo gemiſchten organiſchen Materie. Eine temporaͤre Veraͤnderung in der Miſchung muß daher auch andere Erſcheinungen veranlaſſen, und was wir Zerſtoͤrung der Erregbarkeit von eintretender Faͤulniß nennen, iſt vielleicht nur Daſeyn eines minderen Grades der Erregbarkeit. A. a. O. S. 210. Man mache mir nicht den Vorwurf, daß ich das vorgeſchlagene Pruͤfungsmittel zu ſtreng beurtheile; daß ich Faͤlle anfuͤhre, die zu den ſeltenſten Ausnahmen gehoͤren. Es kommt hier darauf an, nicht die wahrſcheinliche Richtigkeit, ſondern die Untruͤglichkeit eines Kennzeichens zu unterſuchen. Bey einer Streitfrage, die ein ſo eigentliches allgemein menſchliches Intereſſe mit ſich fuͤhrt, kann man nie zu gruͤndlich verfahren. Wuͤrde der Glaube an die Untruͤglichkeit dieſes Mittels allgemein, ſo wuͤrde der juͤdiſche Gebrauch der fruͤhen Beerdigung, leider! auch bald unter den Chriſten einreiſſen, und, wer ſieht dann nicht neuen Gefahren entgegen? So wenig ich mich aber auch uͤberzeugen kann, daß das Galvaniſche Experiment ein untruͤgliches Mittel ſey, den Scheintod von dem wahren Tode zu unterſcheiden; ſo weit bin ich auch entfernt, Hrn. Creve’s Vorſchlag (wie Pfaff und Himly thun) ganz zu verwerfen. Was nicht apodiktiſche Gewißheit giebt, kann doch einen hohen Grad beruhigender Wahrſcheinlichkeit gewaͤhren. Das neue Pruͤfungsmittel ſcheint mir in allen Faͤllen, wo man die eintretende Faͤulniß ohnehin nicht abwarten kann, ſehr anwendbar und wohlthaͤtig. Wer die Behandlung der Leichen im Landkriege, in ambulanten und ſtehenden Feld-Lazarethen, auf dem Schlachtfelde, und in belagerten Feſtungen oder im Seekriege auf den Flotten, oder in den engliſchen Sklavenſchiffen kennt; der wird es Hrn. Creve Dank wiſſen, ein Mittel entdeckt zu haben, welches manchen Ungluͤcklichen aus der Gefahr der allzufruͤhen Beerdigung (oder Verſenkung) erretten kann. Wie ſchnell werden in den großen Hoſpitaͤlern, wo es an Raum und Betten fehlt, die Verſchiedenen in das Leichenzimmer geworfen, wo die Winterkaͤlte die uͤbrige Spur von Lebenskraft vernichtet! Wie kurz iſt meiſt der Aufenthalt, der ihnen auch hier geſtattet wird! Wie geht es vollends bey dem Aufraͤumen auf dem Schlachtfelde zu! Wer keine Zeichen willkuͤhrlicher Bewegung von ſich gibt, wird fuͤr eine Leiche erklaͤrt, bleibt von anderen Leichen bedeckt, den Einwirkungen der Atmoſphaͤre ausgeſetzt, oder wird gar vom Landvolk in eine Grube geworfen. Beyſpiele von Verwundeten, welche, fuͤr tod gehalten, unter den Cadavern liegen blieben und mehrere Stunden nachher Lebenszeichen von ſich gaben, ſind, leider! nicht gar ſelten. Wie wohlthaͤtig waͤre es, wenn in ſolchen Faͤllen die Feldchirurgen mit dem einfachen Galvaniſchen Bogen (zufammengeſchrobener Zink und Silber) verſehen waͤren! Der biceps brachii, die m. gaſtrocnemii, der pectoralis major iſt bald entbloͤßt, und, da kein Nerve praͤparirt zu werden braucht , ſo iſt das Experiment ſchnell gemacht. Freylich wuͤrde es unmoͤglich ſeyn, ſelbſt wenn die Armee das Schlachtfeld bleibend behauptet, das Pruͤfungsmittel an allen Leichen anzuſtellen. Wer wuͤrde ſich nur eine ſolche Forderung erlauben? Aber, zeichnen ſich unter den entſtellten Koͤrpern nicht immer einige aus, uͤber deren wahren Tod der geſchickte Wundarzt in Zweifel iſt? Werden nicht auf ſchnellen Ruͤckzuͤgen (an denen der gegenwaͤrtige Feldzug ſo reich iſt) Leichen vom Kranken-Wagen geworfen, die bey mangelnder willkuͤhrlicher Bewegung vielleicht noch ein dunkles Gefuͤhl ihres huͤlfloſen Schickſals haben? Ich fordere einen Baldinger auf, einen Goͤrcke, einen Murſinna und andere edle Maͤnner, welche mitten unter den Verheerungen des Krieges die Leiden der Menſchheit ſo gluͤcklich gemindert haben, und deren Stimme mit Recht ſo viel bey dem Publicum gilt, dieſe Ideen ihrer Aufmerkſamkeit zu wuͤrdigen. Wenn das Creviſche Pruͤfungsmittel und deſſen geſchickte Anwendung unter angehende Feldchirurgen verbreitet wird; ſo laͤßt ſich hoffen, daß der thaͤtige Theil derſelben bey kuͤnftigen Kriegen davon Gebrauch machen wird. Creve, S. 189. II. Dient der Metallreitz in gewiſſen Faͤllen zur Wiedererweckung aus dem Scheintode? — Manche Erfahrungen lehren, daß der Galvanismus, wie die Elektricitaͤt, auf thieriſche Organe wirkt. Starke elektriſche Schlaͤge vernichten die Reizbarkeit, ſchwache ſtellen ſie wieder her . Eben ſo wird die Faſer durch anhaltendes Galvaniſiren geſchwaͤcht, durch ein kuͤrzeres geſtaͤrkt. Ich habe oft bemerkt, daß wenn ein Muſkel durch homogene Excitatoren von Gold kleine Contractionen erlitt, dieſelben mit eben den Goldſtaͤben erfolgten, wenn der praͤparirte Nerv einige Mahl mit Zink und Silber gereizt ward. Wenn ich Organe durch geringes Benetzen mit Alcohol ſchwaͤche, ſo wirken die erſten zwey oder drey Beruͤhrungen der Metalle oft gar nicht. Mit Vervielfaͤltigung des Verſuchs nimmt aber die Lebhaftigkeit der Zuckungen zu. Aehnliche Betrachtungen und die Analogie zwiſchen den Galvaniſchen und elektriſchen Erſcheinungen, brachten Hrn. Valli zuerſt auf die Idee, den Metallreiz als Erweckungsmittel aus dem Scheintode vorzuſchlagen. Er rettete wirklich zwey erſaͤufte Huͤhner durch bloßes Galvaniſiren. Hrn. Anſchel gluͤckten dieſelben Verſuche an Froͤſchen, die er in Waſſerſtoffgas erſtickt hatte. Hr. Soͤmmerring ſchlug bey ſcheintodten Menſchen den N. phrenicus (der durch ſeine Anaſtomoſen mit dem Coͤliaciſchen Knoten, mit dem Stimm-, Antlitz- und Armnerven die groͤſten Mitwirkungen erregt) als den ſchicklichſten Ort zur Anwendung des Metallreitzes vor . Leider fehlt es aber wol gaͤnzlich an Erfahrungen uͤber dieſen Gegenſtand, und ich erſtaune, wie Hr. Creve die ganze Unterſuchung dadurch niederſchlagen kann, daß er ſagt: „Wenn man Valli’s und Soͤmmerrings Vorſchlag pruͤft, ſo zeigt ſich, daß beyde wenig phyſiologiſche, noch pathologiſche und therapeutiſche Kenntniſſe dadurch verrathen.“ Eben ſo in den Pflanzen. S. meine Aphorismen aus der chem. Pflanzenphyſiologie. S. 58. u. 77. H. Ludwig Scriptor. neurol. B. III. p. 23. Aufklaͤrung der Arzneywiſſenſchaft S. 197. Anschel Thanatologia p. 19. Himly Commentat. mortis hiſtoriam cauſas et ſigna ſiſtens. Goͤtt. 1794. A. a. O. S. IX. Bey kleinen Thieren, beſonders bey Voͤgeln, iſt die Leitung des Galvaniſchen Fluidums vom After nach der Zunge ungemein wirkſam. Auf keinem anderen Wege wird die Mitleidenſchaft, das ganze Nervenſyſtem, beſonders der Abdominalnerven, in ſolch einem Maaße erregt! Ich habe im neunten Abſchnitte meines Buchs bereits meine eigenen Erfahrungen uͤber Voͤgel erzaͤhlt, auf welche ich hier verweiſe. Dieſe Erfahrungen ſcheinen mir auch von der Seite lehrreich, daß ſie auf eine neue Methode fuͤhren, die kuͤnſtliche Elektricitaͤt bey Ertrunkenen und Erſtickten anzuwenden. Abilgaard’s und Kite’s Verſuche, ſo wie die, welche die edle Humane Society in den Jahren 1787 und 1789 bekannt gemacht hat, zeigen, wie wohlthaͤtig oft ſchwache elektriſche Schlaͤge, durchs Herz geleitet, zur Wiedererweckung wirken. In Faͤllen, wo dieſes Mittel fehl ſchlaͤgt, waͤre das elektriſche Fluidum auf dem Wege vom Maſtdarm zur Zunge zu verſuchen. Wenigſtens ließe ſich von dieſem Mittel mehr, als von den Klyſtieren von Tabacksrauch erwarten, welche den Ruf nicht verdienen, den ihnen hollaͤndiſche Aerzte verſchafft haben. Daß uͤbrigens ſtarke Schlaͤge einer Kleiſtiſchen Flaſche die ſchlummernden Lebenskraͤfte gaͤnzlich vernichten, und wie das Rettungsmittel der Genueſiſchen Galeerenſklaven wirken wuͤrden; dieſer Einwurf bedarf, nach dem, was Herr Fothergill daruͤber geaͤuſſert hat, keiner Beleuchtung mehr. Ueber die gereizte Muſkelfaſer. Dieſe menſchenfreundliche Geſellſchaft, welche bereits in Liſſabon, in der Normandie, Kopenhagen, Algier, Bengalen, Jamaica, Barbados, der Hudſonsbay, Boſton, Philadelphia, Dublin, Lemerik, Waterford, Londondery, Belfaſt, Aberdeen, Montroſe, Sunderland, Liverpool, Lancaſter, Shropſhire , Cheſhire, Newcaſtle, Whithaven, Briſtol, Kentſurry, Darlington, Norwich, Worceſter, Horncaſtle, Shrewbury, Leith, Northampton, Oſtende u. ſ. w. Inſtitute angelegt hat, zaͤhlte bis zum Jahr 1794 bereits zweytauſend Menſchen, welche durch ihre Bemuͤhung gerettet waren. Und Deutſchland hat nur ein aͤhnliches Inſtitut in einem kleinen Freyſtaate aufzuweiſen, in welchem Reichthum und Buͤrgertugend geſellig neben einander wohnen! H. Neue Unterſuchung uͤber Hemmung der Lebenskraͤfte 1796 S. 114. — Auf einer Galeere im Hafen von Genua erzaͤhlte man mir, daß man, einem alten Herkommen gemaͤß, die todten Sklaven, ehe man ſie ins Meer ſenkt, mit einem ungeheuren Hammer vor die Stirn ſchlaͤgt. Die Urſache dieſer brutalen Ceremonie ſoll in der Beſorgniß liegen, daß einige Sklaven ſich tod ſtellen koͤnnten, um durch Schwimmen nach dem Verſenken zu entkommen. Ein kraͤftigeres Erweckungsmittel war freylich nicht zu erdencken! Es bewirkt auf einmal, was der gemeine Bader, in deſſen Haͤnde der Erſtickte faͤllt, mit dem Schnaͤpper oder der Lanzette langſam herbeyfuͤhrt. H. III. Verſpricht der Metallreiz in Augenkrankheiten, Paralyſen der Extremitaͤten und rheumatiſchen Uebeln Heilung? — Dieſe Frage ſteht mit der vorigen in naher Verbindung. So wie beym Erſticken das ganze Nerven- und Muſkelſyſtem paralytiſch iſt; ſo kann die Laͤhmung ſich auf einzelne Organe, auf Magen, Augen, (in der Amauroſis) Extremitaͤten, Hautgefaͤße (in den Leberflecken) u. ſ. f. einſchraͤnken. Hr. Pfaff wendet gegen die Anwendung des Galvaniſchen Experiments bey paralytiſchen Krankheiten ein, daß kuͤnſtliche Elektricitaͤt, die nach Willkuͤhr erhoͤht oder vermindert werden koͤnnte, auch hier den Vorzug verdienen wuͤrde. Aber, liegt in dieſer Behauptung nicht mehr, als durch Erfahrung begruͤndet wird? Sind die Galvaniſchen und elektriſchen Erſcheinungen nicht weſentlich von einander verſchieden? und mit welchem Rechte kann man daher auf gleiche Wirkung ſchließen? Hrn. Reil’s Erwartungen werden durch manche Analogie beguͤnſtigt: und, da es ſo gewoͤhnlich iſt, Fontanellen in gelaͤhmten Gliedern anzubringen; ſo werden thaͤtige Aerzte Gelegenheit genug finden, das wenigſtens unſchaͤdliche Galvaniſche Experiment auf dieſe ſchicklich anzuwenden. — Noch mehr ſcheint daſſelbe bey rheumatiſchen Uebeln und in andern Faͤllen zu verſprechen, wo Feuchtigkeiten aus dem Koͤrper abgeleitet werden ſollen. In den Verſuchen, welche ich wiederholt an mir ſelbſt angeſtellt habe, dauerte die Secretion der lymphatiſchſeroͤſen Feuchtigkeit ſo lange fort, als man die Canthariden-Wunden galvaniſirte: ja! die Thaͤtigkeit der Hautgefaͤße wird ſo erhoͤht, daß auch, wenn die Metalle bereits weggenommen ſind, die Abſonderung eine Zeitlang fortgeht. Sollte in dem gichtiſchen, veneriſchen und Nerven-Huͤftweh, welches nach Cotunni’s Methode mit kleinen Blaſenpflaſtern behandelt wird, nicht von jener Erfahrung gluͤcklicher Gebrauch gemacht werden koͤnnen? Das Galvaniſiren einer Wunde ſcheint hier denſelben Zweck zu erfuͤllen, den man durch mehrere erreichen will, und der Schmerz, den der Metallreitz erregt, wenn man ihn alle Stunden wiederholt, iſt nicht ſo betraͤchtlich, als der der Canthariden. Von der ploͤtzlichen Umaͤnderung der Lymphe und ihrer wunderbar aͤtzenden Eigenſchaft, ſcheint, nach den Erfahrungen an meinem eignen Koͤrper, nichts zu beſorgen zu ſeyn. Doch verdient dieſer Umſtand naͤhere und vorſichtige Pruͤfung, und es wuͤrde leicht ſeyn, das Auslaufen jener Feuchtigkeit auf die unverletzte Haut zu verhindern. Auch das Ausſtroͤhmen elektriſcher Buͤſchel auf Canthariden-Wunden muͤßte verſucht werden. In einer Epoche, wo große Aerzte ſich bemuͤhen, zur Schonung eines ſo wichtigen Organs, als der Magen, weniger nach dem Centrum, als nach der Oberflaͤche, hinzuwirken und die Kriſen dort zu veranlaſſen; in einer ſolchen Epoche muß jedes neue aͤuſſere Reizmittel unſere Aufmerkſamkeit feſſeln. Gren’s Journal der Phyſik B. 6. S. 414. Herr D. Aſh meldet mir, daß er meine Beobachtungen hieruͤber durch Verſuche beſtaͤttigt gefunden habe. H. Comm. de Iſchiade nervoſa Vienn. 1770. (S. auch den zweyten Theil von Sandifort Theſaur. Diſſertationum. — Richter’s medic. chir. Bemerkungen B. I. S. 157. Richter’s medic. chirurg. Bemerkungen B. I. S. 184. Hr. Pfaff hat ſehr ſcharfſinnig gezeigt, wie das Galvaniſche Experiment zur Erkenntniß des ſchwarzen Staars gebraucht werden koͤnne. Untruͤglich iſt, wie der beſcheidene Verfaſſer ſchon ſelbſt bemerkt, das neue Kriterium nicht, weil die Lichterſcheinung auch da ausbleiben kann, wo die Netzhaut noch empfindlich iſt. Wir wiſſen noch zu wenig von der Rolle, welche die Ciliarnerven bey dieſer Art von Reizung ſpielen: und, laͤge die Schuld an einem Fehler der Zuleitung in dem Infraorbitalis; ſo koͤnnte die Operation allerdings gluͤcken, wenn auch der Metallreiz das Gegentheil davon verkuͤndigte. Ich kenne mehrere Perſonen, denen der Voltaiſche und Hunterſche Verſuch, bey vollkommen geſundem Auge, keine Licht-Erſcheinung erregt. Es entſteht daraus die zwiefache Ungewißheit, einmahl, ob der Patient ſchon vor der Erblindung fuͤr den Metallreiz empfaͤnglich war? und denn, ob nach der Erblindung die Unerregbarkeit von einem Fehler der Netzhaut und des Sehenerven, oder von einem coexiſtirenden zufaͤlligen Umſtande (etwa im zweyten Aſte des fuͤnften Paars) abhaͤngt? — Des Vorſchlags, bey der Amauroſis die ganze Mundhoͤhle mit Metallplaͤttchen zu fuͤttern und ſo die Wiederbelebung des paralytiſchen Organs zu verſuchen, habe ich bereits in meinem Werke uͤber die Muſkelfaſer erwaͤhnt. Der Metallreiz dient dazu, Nerven von anderen Organen zu unterſcheiden. Dieſer Nebenvortheil iſt einer der wichtigſten, welchen der Galvanismus je gewaͤhren kann. Was iſt der anatomiſchen und phyſiologiſchen Unterſuchung thieriſcher Koͤrper willkommner, als ein ſicheres Kriterium zwiſchen Nerven und Gefaͤßen? Welche Fortſchritte hat die Naturkunde ſich von dieſer Entdeckung zu verheißen! Welche Vortheile muͤſſen der Chirurgie, wenigſtens ihrem theoretiſchen Theile, nicht dadurch zufallen! Die ſtaͤrkſten Vergroͤßerungen zeigen doch nur Umriſſe und Farben. Wir erſtaunen uͤber das wunderbare Geflechte von Organen, welches die gallertartigen Seebewohner in ihrem Inneren dem Auge darlegen. Wir ſehen und zeichnen, ohne zu wiſſen, was wir geſehen und gezeichnet haben. Ein einfaches Experiment belehrt uns hieruͤber. Wir koͤnnen keck entſcheiden, ob wir dem Lauf einer ſenſiblen Fiber, oder eines Gefaͤßes, gefolgt ſind. Auf dieſem Wege haben Presciani und Mangili die Nerven der Schaalthiere entdeckt; auf dieſem iſt es mir gegluͤckt, die Nerven der Nais proboſcidea, N. barbata, Lernaea cyprinacea, Taenia paſſeris, Vibrio proteus, des Hirudo und vieler Inſekten zu beobachten. Das Galvaniſche Experiment macht es moͤglich, den Zuſtand (Grad) der Reizempfaͤnglichkeit eines Nerven oder Muſkels zu meſſen. Dieſer Nutzen iſt bisher ganz uͤberſehen worden, und doch, glaube ich, kann die Lehre vom Galvanismus von keiner Seite fruchtbarer fuͤr die praktiſche Heilkunde, als von dieſer werden . Die Phyſiker haben, in der Lehre von Bindung und Entbindung des Waͤrmeſtoffs, erſt dann Fortſchritte machen koͤnnen, als ſie die Menge deſſelben, durch Ausdehnung einer Queckſilberſaͤule, zu meſſen anfingen. Eben ſo kann die vitale Chemie, wenn man dieſes Mittel benutzt, den Zuſtand der belebten Materie in Hinſicht auf Reizempfaͤnglichkeit beſtimmen. Der Menſch ſteht in Beziehung mit allen Theilen der Koͤrperwelt. Alle Stoffe wirken auf ihn ein, wie er auf alle zuruͤck wirkt. Wir fuͤhlen, wie durch dieſe aͤußeren Einwirkungen — ſeyen ſie zufaͤllig oder durch die Kunſt des Arztes herbey gefuͤhrt — die Miſchung der Saͤfte und das Maaß ihrer Abſonderung veraͤndert, wie die Thaͤtigkeit der Organe geſpannt oder herabgeſtimmt wird. Wie duͤrfen wir aber bey ſo zuſammengeſetzten Wirkungen die Beſtimmungen einzelner Urſachen wagen? Entgeht unſrer Wahrnehmung nicht die Stufenfolge der Veraͤnderung, welche die erregbaren Organe allmaͤhlig durchlaufen? Tritt die Folge der Ueberreitzung — die Laͤhmung aller Lebenskraͤfte — nicht oft ſo ploͤtzlich ein, daß wir den Uebergang von erhoͤheter Reizempfaͤnglichkeit zur Unerregbarkeit gar nicht bemerken, und ein excitirendes Reizmittel fuͤr urſpruͤnglich ſchwaͤchend halten? S. meinen dritten phyſiolog. Brief an Herrn Blumenbach in Grens Neuem Journal B. 3. S. 169. In dieſem Labyrinthe von Erſcheinungen wird uns der Metallreiz nicht zur einzigen, aber zu einer wichtigen, Stuͤtze dienen. Sie kennen, verehrungswerther Freund, meine chemiſchen Verſuche uͤber Stimmung der Erregbarkeit durch oxygenirte Kochſalzſaͤure, oleum tartari per deliquium, Opium, Arſenikkalch, ſalzſaure Schwererde, ſalzſaures Zinn, tartarus emeticus, Schwefelleber, und andere Reagentien. Ich habe dieſelben zum Theil unter Ihren Augen, und wenigſtens lange in Ihrer Naͤhe, wiederholt. Sie wiſſen, daß es mir gegluͤckt iſt, die Irritabilitaͤt eines Organs fuͤnf- und ſechsmahl zu vernichten und ſie demſelben durch chemiſche Mittel wieder zugeben. Sie wiſſen, daß dieſe Verſuche jetzt mehreren ausgezeichneten Phyſiologen gegluͤckt ſind. Benetze ich die belebte Materie mit einer Aufloͤſung von Laugenſalzen, ſo iſt die Frage uͤberaus wichtig: wie hat dieſe Benetzung auf die vitalen Functionen des Organs, auf ſeine Lebensaͤuſſerungen gewirkt? Der benetzte Nerve mit einem Buͤndel Muſkelfaſern liegt unbewegt vor mir; nichts verkuͤndigt was in ihm vorgeht; kaum ſeine Farben und die Dichtigkeit ſeiner Fibern, (Spannung) ſind veraͤndert. Von dem jedesmahligen Zuſtande ſeiner Reitz-Empfaͤnglichkeit kann ich nichts ahnden, ehe ich nicht den Galvaniſchen Apparat zur Hand nehme. Durch dieſen wird auf einmahl die Maſſe meiner Erfahrungen bereichert. Ich ſehe die Contractionen eines Muſkels ſich an Staͤrke gleich bleiben, wenn ich ſeinen Nerven in die waͤſſerige Aufloͤſung von Opium tauche; ich ſehe ſie abnehmen, wenn ich ihn mit alcoholiſirtem Opium oder Schwefelleber benetze. Ich bemerke, wie die allzulange Benetzung damit die Organe unerregbar macht, wie der Arſenik anfangs dieſe Erregbarkeit wieder herſtellt, wie aber bald (und meiſt entgeht das erſte Stadium der Wahrnehmung ganz) alle Bewegung im Tetanus verſchwindet. Ich erſtaune endlich, wie die alkaliſche Aufloͤſung dieſen Tetanus gluͤcklich hebt, und wie mit ihrer Anwendung lebhafte Muſkelcontractionen wieder beginnen. Alle dieſe Thatſachen, welche zu den wichtigſten Betrachtungen uͤber die Materia medica und die chemiſchen Lebensproceſſe fuͤhren, waͤren, ohne Pruͤfung des Nervenzuſtandes mittelſt der Metalle, unſerer Wahrnehmung entgangen.