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Alexander von Humboldt: „Bemerkungen A. v. Humboldt’s zu Semenow’s Schreiben über den Thian Schan“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1857-Bemerkungen_A_v-1> [abgerufen am 27.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1857-Bemerkungen_A_v-1
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Titel Bemerkungen A. v. Humboldt’s zu Semenow’s Schreiben über den Thian Schan
Jahr 1857
Ort Berlin
Nachweis
in: Zeitschrift für allgemeine Erdkunde 3 (1857), S. 481–483.
Postumer Nachdruck
Brief an Carl Ritter, [Berlin, 1857], in: Alexander von Humboldt, Carl Ritter, Briefwechsel, herausgegeben von Ulrich Päßler, Berlin: Akademie 2010, S. 205–206.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua (mit lang-s); Auszeichnung: Kursivierung, Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VII.128
Dateiname: 1857-Bemerkungen_A_v-1
Statistiken
Seitenanzahl: 3
Zeichenanzahl: 5374
Bilddigitalisate

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Bemerkungen A. v. Humboldt’s zu Semenow’sSchreiben über den Thian Schan.(Aus einem Briefe von A. v. Humboldt an Prof. C. Ritter.)Mitgetheilt von Carl Ritter.


Die Nachrichten, welche Ihnen von Herrn Semenow über dieResultate seiner Expedition aus Semipalatinsk eingetroffen sind, habenin höchstem Grade meine Neugierde gespannt. Sie zeichnen sich durchgroße Klarheit und bescheidene Einfachheit der Erzählung aus. Klap-roth und ich, die wir beide, aber zu sehr verschiedenen Zeiten, vondem südöstlichen Theile des Altai-Gebirges über Semipalatinsk, Ustka-menogorsk und Buchtarminsk in der chinesischen Dsungarei nahe demDsaisang-See gewesen waren, wir haben immer behauptet, daß insüdwestlicher Richtung über den Tarbagatai und Guldja am Iliflussehin man am leichtesten zu der vulcanischen Gebirgskette des ThianSchan oder Himmelsgebirges vordringen werde. Fedorow’s vortreff-liche astronomische Bestimmungen zur Aufnahme des See’s Tenghizoder Balkasch, von denen ein großer Theil leider noch nicht gedrucktist, haben viel zur geographischen Kenntniß dieser bisher so wenigerforschten Gegend beigetragen. Um das schon Errungene zu sichern, hat die russische Regierungeine Reihe kleiner Kreposte (Fortins) am unteren Ili östlich vom Bal-kasch-See angelegt, unter denen Kopalsk das wichtigste und gewerb-samste ist. Am meisten gegen Süden vorgeschoben, südlich vom Ili,liegt das Fort Wjernoje, auch Stadt Keskelen genannt, das Herr Se-menow (Zeitschr. N. F. Bd. II, S. 466) als die am weitesten in Central-Asien vorgeschobene russische Colonie bezeichnet. Von da aus erreichtman den Alpensee Issikul, der am nördlichen Abfalle des Thian Schanin 4000 Fuß Höhe liegt, also 500 Fuß höher als der Gipfel desBrocken. Sehr merkwürdig ist es, daß der See Issikul schon aufder berühmten catalanischen Karte von 1374 als Issicol zu erken-nen ist. Der Thian Schan und der Kuenlün sind den Chinesen als „zweimeist parallele, aber von einander unabhängige Ketten“ seit dem An- |482| fange des 7ten Jahrhunderts bekannt. Schon damals besaßen sie aufBefehl der Regierung angefertigte Karten der Länder vom GelbenFlusse bis zum Caspischen Meere, da ihre Oberherrschaft unter derDynastie der Tsin sich so weit erstreckte, und da statistische Beschrei-bungen in ihrem Administrations-Systeme unentbehrlich waren (vergl.die Uebersetzungen chinesischer Handschriften von Stanislas Julien inmeiner Asie centrale T. II, p. 335 — 364). Strahlenberg hat 1730 das Verdienst gehabt, in der Karte, die zuseinem Werke „über den nördlichen und östlichen Theil von Europaund Asien“ gehört (S. 32), die Kette des Thian Schan erkennbar alseine eigene Kette abzubilden, der er aber den allgemeinen und darumvielfältig verwendbaren Namen Mussart, „Schneeberge, Sierras Neva-das“, — eine Corruption von Muztagh, giebt. Die Anwendung derbeiden Namen, Musart und Muztagh, welche bald dem Thian Schan,bald dem Bolor, also bald einer Parallel-, bald einer Meridian-Kettezugeschrieben werden und nur bedeuten: „hier liegen Schneeberge“,hat wie der gefahrvolle Name „Gebirge von Inner-Asien“ für Alles,was zwischen dem Himalaya und Altai liegt, lange dauernde Verwir-rung verursacht. Daß man an den Ufern des See’s Issikul von der Solfatare vonUrumtsi trotz einer Entfernung von mehr denn 120 geographischenMeilen, aber nicht von dem vielleicht jetzt nicht thätigen näheren Vul-can Peschan (dem Weißen Berge) hat reden hören, wundert mich garnicht. Die Solfatare von Urumtsi giebt weit zu verführende Handels-Producte, Ammoniak und Schwefel; der Peschan (Asie centrale II,p. 30 — 33 und p. 38 — 41), dessen Lavaströme in den chinesischenGeographien und in den Schriften der Missionäre beschrieben sind,zieht in dem Zustande der Ruhe die Aufmerksamkeit weniger auf sich.Uebrigens ist der Peschan vom östlichen Ende des See’s Issikulnoch volle 45 geographische Meilen entfernt, und für den Geologenhat es nichts Auffallendes, daß man um den See weder Basalte nochtrachytartiges Gestein findet. Auch in den vulcanreichen Cordilleren von Süd-Amerika sind dieTrachyt-Gruppen durch lange Strecken von Granit, Gneis und Glim-merschiefer oftmals getrennt. Die genauere Kenntniß der Lage undder Grenzen der fünf Gruppen von Vulcanen (der Gruppen von Ana-huac oder des tropischen Mexico, von Central-Amerika, von Neu-Granada und Quito, von Peru mit Bolivia und von Chile), zu der wirin neuester Zeit gelangt sind, führt zu dem wichtigen Resultate,daß in dem Theile der Cordillera, welcher sich von 19\( \frac{1}{2} \)° N. Br. bis46° S. Br. erstreckt, in einer Länge von fast 1300 geographischen Mei-len, nur unbedeutend mehr als die Hälfte mit Vulcanen bedeckt ist. |483| Der colossale Vulcan Sangay, 16,068 Fuß hoch, der thätigste allerfeuerspeienden Berge der Erde, bildet eine Trachyt-Insel von kaum2 geographischen Meilen Durchmesser, mitten in Granit- und Gneis-schichten! Die Grenze des ewigen Schnees, die ich im Altai in der Breitevon 49\( \frac{1}{4} \)° bis 51° in der mittleren Höhe von 6600 Fuß gefunden habe,wird im Thian Schan (lat. 42\( \frac{1}{2} \)°) erst zu 10,000 Fuß angegeben, wassich wohl auf keine wirkliche Messung gründet. Ich finde durch Ver-gleichung wirklicher Messungen für die Pyrenäen (lat. 42\( \frac{1}{2} \)° — 43°)die Schneehöhe zu 8400 Fuß; aber für den Caucasus (lat. 43° 2′),wenn ich das Mittel zwischen dem Elbrus und Kasbeg nehme, zu10,170 Fuß.