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Alexander von Humboldt: „Ueber die merkwürdige magnetische Polarität einer Gebirgsgruppe von Serpentinstein“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1797-Ueber_die_merkwuerdige-1> [abgerufen am 26.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1797-Ueber_die_merkwuerdige-1
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Titel Ueber die merkwürdige magnetische Polarität einer Gebirgsgruppe von Serpentinstein
Jahr 1797
Ort Leipzig
Nachweis
in: Neues Journal der Physik 4:1 (1797), S. 136–140.
Postumer Nachdruck
Schmidt, Albert: Humboldt und die magnetischen Erscheinungen am Haidberg im Fichtelgebirge, in: Geographischer Anzeiger 10 (1909), S. 209-210.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua (mit lang-s) für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: I.56
Dateiname: 1797-Ueber_die_merkwuerdige-1
Statistiken
Seitenanzahl: 5
Zeichenanzahl: 6970
Bilddigitalisate

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Ueber die merkwuͤrdige magnetiſche Polaritaͤt einerGebirgskuppe von Serpentinſtein. Aus einem BriefevomHerrn Oberbergrath F. A. v. Humboldtan den Herausgeber.


Mehrere angefangene chemiſche Arbeiten, derenVollendung ich noch entgegenſehe, hindern mich, Siemit Gegenſtaͤnden zu unterhalten, welche kein geringesIntereſſe fuͤr den Scheidekuͤnſtler haben. Ich benutzedaher die wenige Muße, welche mir heute uͤbrig bleibt,um Ihnen eine Thatſache zu melden, welche ich auf einerFußreiſe im vorigen Monathe entdeckte. Das Intereſſeder Phyſiker iſt ſo lange von den Erſcheinungen des Mag-netismus abgelenkt geweſen, daß es mich doppelt freuenwuͤrde, daſſelbe durch jene Entdeckung vielleicht vonneuem darauf zu heften. — Auf einer geognoſtiſchenTour, welche ich mit zween Freunden, Herrn Muͤnzmei-ſter Goͤdeking und Herrn Oberbergmeiſter Killin-ger durch das Oberpfaͤlziſche und angraͤnzende Gebirgemachte, ſtieß ich auf eine Gebirgskuppe von Serpentin-ſtein, deſſen Fallungswinkel ich mit der Bouſſole beſtim- |137| men wollte. Kaum naͤherte ich dieſelbe dem anſtehendenGeſtein, ſo ſahe ich den Suͤdpol meiner Magnetnadelmit Heftigkeit aus ihrer Lage und in den wahren Nordengeriſſen. Ich glaubte das Phaͤnomen der Harzer Schnar-cher, (an denen ein magnetiſcher Streifen herab laͤuft),hier erneuert zu ſehen. Meine Freunde traten herzu undwir erſtaunten nun uͤber alles, was wir ſahen. Ich be-halte mir vor, in der Folge eine umſtaͤndlichere Beſchrei-bung jener Gebirgskuppe bekannt zu machen. Doch mußich Ihnen vorlaͤufig folgende Verhaͤltniſſe entwickeln. DieKuppe iſt dergeſtalt gegen die Erdachſe gerichtet, daß dasGeſtein, am noͤrdlichen Abhange, bloße Suͤd-pole, am ſuͤdlichen Abhange bloße Nordpole zeigt. Gegen Weſten und Oſten liegen Indifferenz-punkte. Die Maſſe beſteht aus reinem Serpentinſtein,meiſt von lauchgruͤner Farbe, der hier und da in Chlo-ritſchiefer uͤbergeht. Einzelne Punkte ſind ſo magnetiſch,daß ſie in einer Entfernung von 22 Fuß die Magnetna-del aus ihrer natuͤrlichen Lage reiſſen. Das Gebirge hat nicht eine Achſe, ſondern viele, die aber nicht ineiner Ebene liegen. Zwiſchen zwey wirkſamen Nordpolen liegt voͤllig unwirkſames Geſtein, welches aber we-der durch aͤußere Kennzeichen, noch durchſeine Miſchung von dem wirkſamen zu unterſcheideniſt. Wenn man an dieſem Gebirge einige Achſen aſtro-nomiſch genau in ihrer Lage beſtimmte, ſo waͤre es einewichtige Unterſuchung, ob der invertirte Nordpol in derFolge der Zeiten eben ſo gegen Oſten, wie der magne-tiſche Nordpol des Erdſphaͤroids gegen Weſten fortruͤ-cken wuͤrde? Mit dem Sauſſurſchen Magnetometer |138| waͤre zu beſtimmen, wie die magnetiſche Kraft, von Ge-wittern und Nordlichtern, von Sommerhitze und Win-terkaͤlte afficirt werde. Bey den Schnarchern iſt es(wie Herr Freiesleben in ſeinen vortreflichen Be-merkungen uͤber den Harz gezeigt hat), nicht unwahr-ſcheinlich, daß ein Blitzſtrahl in dem Granit jenen mag-netiſchen Streifen hervorgebracht habe, daher auch nurder ganze Fels und nicht Bruchſtuͤcke wirkſam ſind. Un-ſere Gebirgskuppe zeigt eine viel groͤßere Erſcheinung.Nicht bloß das anſtehende Geſtein, ſondern auch jedes noch ſo klein abgeſchlagene Stuͤck hat ſeinebeiden Pole, ſeine eigene magnetiſche Achſe. Stuͤckevon 8 Zoll Durchmeſſer afficiren die Magnetnadel auf4 — 6 Zoll Entfernung. Ich habe nie einen Magnet-ſtein geſehen, der die Polaritaͤt bey der Zerkleinung inſolcher Vollkommenheit beybehaͤlt, als dieſer Serpentin.Splitter von \( \frac{1}{64} \) Cubiclinie waͤlzen ſich (wie die Lupedeutlich zeigt), wenn man ihnen freundſchaftliche oderfeindliche Pole eines Magnetſtabes entgegen haͤlt. Manſieht hier recht eigentlich (wie es Coulomb’s Theorieannimmt), ein Foſſil, das bis in die kleinſten molecu-les aus einzelnen Magneten zuſammengeſetzt iſt. Nochmehr! Eben der Serpentinſtein, welcher eine ſo auf-fallende Polaritaͤt aͤußert, zeigt bis jetzt keineSpur von Anziehung gegen unmagneti-ſches Eiſen. Das zerriebene Foſſil haͤngt ſich alsBart an den Magnetſtab an, aber Stuͤcke, welche den Suͤdpol auf 3 Zoll Entfernung durch den ganzen Halbcir-kel gegen Norden reiſſen, bewegen kein Eiſenſtaͤubchen ausihrer Stelle. Und wie leicht zeigen ſonſt die ſchwaͤch- |139| ſten Magnete dieſe Ziehkraft! Unterſuchen Sie daseiſerne Hausgeraͤthe. An Schluͤſſeln, Lichtſcheeren undallen Werkzeugen, in denen das magnetiſche Gleichge-wicht durch Schlaͤge zufaͤllig geſtoͤhrt wird, finden Siehaͤufig beiderley Pole. Eben dieſe Lichtſcheeren bewegenaber auch die Eiſenfeile. — Welchem Beſtandtheil desSerpentinſteins adhaͤrirt aber jene wunderbare magne-tiſche Kraft? Das iſt eine Frage, die ſich einem vonſelbſt aufdringt. Weit davon entfernt ſie jetzt ſchon ent-wickeln zu wollen, melde ich Ihnen bloß, daß das Foſ-ſil bis auf einige Talkſchuppen und Hornblende, ganzungemengt iſt. Zerpulvert iſt auch ſchlechterdingsnichts metalliſch-glaͤnzendes darin zu erkennen.Der Magnet zieht ein Atom des berggruͤnen erdigenPulvers, wie das andere, an. Das ſpecifiſche Ge-wicht des Foſſils iſt ſehr geringe, ja naͤchſt dem Bim-ſtein und einigen Abaͤnderungen der Opale, gehoͤrt es zu den leichteſten Steinarten, die wir kennen.Das Waſſer = 1 hat der Serpentinſtein von 1,901bis 2,04. Alle chemiſchen Verſuche, welche ich bishermit meinem Freunde, Herrn Goͤdeking, (in deſſenKenntniſſen ich eine lehrreiche Unterſtuͤtzung finde), an-geſtellt habe, beweiſen, daß das Eiſen, welches der Ser-pentinſtein *) enthaͤlt, in einem hoͤchſt oxydirten
*) Phyſiker und Mineralogen, welche das magnetiſche Foſſil ſelbſtzu unterſuchen wuͤnſchen, haben ſich mit poſtfreyen Brie-fen an den Herrn Bergamtsgegenſchreiber Linz zu Goldcronach bey Bayreuth zu wenden, welcherihnen Stuͤcke zu 16 Gr. bis 2 Thaler uͤberlaͤßt. Der Er-trag dieſes kleinen Mineralienhandels iſt zu einem Fond
|140| Zuſtande ſich befindet. Will man nicht an-nehmen, daß die magnetiſche Kraft einerErdart adhaͤriren koͤnne, ſo muß man ſiedem Eiſenkalke zuſchreiben, womit dieſerund alle Serpentinſteine tingirt ſind. Wir wiſſen, daß reguliniſches Eiſen, Nickel und Kobaltvom Magnete gezogen werden, und ſelbſt Magnetismusannehmen. Wir wiſſen, daß ſchwach oxydirtes Eiſen(im ſchwarzen Kalke) den Magneten ebenfalls afficirt —aber welch ein Unterſchied zwiſchen dieſer Eigenſchaft undeiner eigenthuͤmlichen Polaritaͤt, zwiſchen dem ſchwarzenEiſenkalke und dem, welcher den Serpentinſtein, vieleKalkſteine, den Sapphir und Chryſoberyll tingirt. Vou-loir établir des théories avant d’avoir raſſemblé les faits,conſtruire quand on n’a pas même encore obſervé, c’eſtun erreur qui de tout tems à arrêté la marche de nosconnoiſſance. Condorcet — Esquiſſe d’un Ta-bleau hiſtor. des progrès de l’eſprit hu-main. 97. p. 61.

beſtimmt, der unter oͤffentlicher Autoritaͤt ſteht und der Un-terſtuͤtzung duͤrftiger Bergleute gewidmet iſt. Auchzu Freyberg, Regensburg, Leipzig und Berlin werden De-pots vom neuen Foſſil angelegt.