Digitale Ausgabe – Übersetzung

Kritische Beobachtung über die Kennzeichen des Elymus hystrix [Igelartiges Haargras]

„Werden die Gattungen in Unordnung gebracht, muß alles in Unordnung gebracht werden.“ Diesem goldenen Ausspruch von Cesalpino, dem Fürsten der Botaniker, gehorchend, habe ich gewagt, einiges in den sorgfältig begründeten Gattungskennzeichen des unsterblichen Linné zu ändern, um nicht ‚verbessern‘ zu sagen. Ungefähr zehn in ihrem Bau ziemlich verschiedene Pflanzen bilden die Gattung ELYMUS. Die einen sind mit einer vierblättrigen Hülle versehen, die anderen mit nackten Blüten; einige Arten zeigen einzelne Blüten, einige dreifache, viele doppelte; die Ährchen erfreuen sich bald zwei, bald drei, bald vier bis sechs Blüten usw. Jedenfalls sehen wir in dieser Gattung von Gras nichts, nichts, was zu der botanischen Methode paßt, die wir verwenden. So geschah es, daß all die Heroen, die es in unserer Disziplin gab, meinten, auch von den ebenso vielen von Linné unter dem Namen Elymus aufgeführten Pflanzen seien fast alle anderen Gattungen anzuvertrauen. Auf diese Weise haben ja, um einige Beispiele zu nennen, Haller und Gmelin ELYMUS europaeus und virginicus der Gerste, ELYMUS arenarius, sibiricus und canadensis dem Weizen zugeschrieben. Allioni nennt in der Flora Pedemontana [Flora des Piemont], Band II, Seite 260, ELYMUS europaeus Hordeum europaeum [europäische Gerste], behauptet aber, daß ELYMUS arenarius wegen des verschiedenen Baues des Kelches eine eigene Gattung bilde (a. a. O., Seite 258). Selbst Schreber, einen hervorragenden, um die Familie der Gramineae höchst verdienten Mann, sehen wir der Ansicht derjenigen nicht abgeneigt, welche einige Arten des Elymus zur Gattung des Weizens zählen. Schreber, Gräser, II, 2 und 16. Vieles fehlt, daß ich versuche, so viele und so große Schwierigkeiten zu lösen, an denen die gesamte Gattung des Elymus krankt. Denn diese Sorge möchte ich den scharfsinnigsten und tüchtigsten Phytologen unserer Zeit überlassen, Schreber, Ehrhart, Medicus, Willdenow und anderen. Ich habe nur diese Aufgabe übernommen, den gelehrten Männern mitzuteilen, was ich bei einer einzigen Art, dem Elymus hystrix, beständig beobachtet habe. ELYMUS hystrix LINNAEUS Der Bau dieser Pflanze zeigt, wenn sie genauer zerlegt ist, fast keine Kennzeichen, an welchen die Gattung des Elymus zu erkennen ist. LINNÉ definiert Elymus in Systema plantarum, herausgegeben von Reichardt, Teil I, Seite 82, folgendermaßen: Involucrum tetraphyllum, biflorum, flos compositus [Vierblättrige Hülle, zweiblütig, zusammengesetzte Blüte]. Unsere Pflanze freilich hat keine Hülle1 und trägt ein meistens vierblütiges Ährchen. Welch große Vielfalt an Teilen! Nun kam mir in den Sinn, mit Elymus hystrix eine eigene Gattung zu begründen, hätte ich nicht gefürchtet, so viele überflüssige Gattungen noch zu vermehren. Als ich mir deshalb die von Linné nicht angeführten Gattungen von Gräsern ins Gedächtnis rief, bot sich mir die Gattung Homalocenchrus an; unter diesem Namen bildete Mieg in den Acta helvetica, Band IV, Seite 307, aus der Phalaris oryzoides Linnaea eine eigene Gattung, welche Haller in die Geschichte der Schweizer Pflanzen, Nr. 1411, und Allioni in die Flora Pedemontana, Band II, Seite 332, aufnahmen. Denn die Ähnlichkeit zwischen Homalocenchrus und unserem Elymus ist so groß, daß ich durchaus keine Bedenken habe, diese sehr ähnlichen Pflanzen zu verbinden. In dieser Absicht freilich bestärkte mich darüber hinaus der hochberühmte Schreber, der in seiner vortrefflichsten Ausgabe von Linnés Genera dem Homalocenchrus von Mieg das Bürgerrecht unter dem angenehmeren Namen Asperella zuerkannte. Linné, Genera plantarum, herausgegeben von Schreber, Band I, Seite 45. Die Gattungskennzeichen, welche der hochgelehrte Mann dort anführte, glaube ich nur so ändern zu müssen, daß das Merkmal des wimperig-stacheligen Spelzchens nicht mehr besteht, da es allein ASPERELLA oryzoides betrifft. Denn die übrigen Kennzeichen genügen bereits bei weitem, unsere Gattung von den übrigen zu unterscheiden. ASPERELLA Kelch oder Blumenkrone mit zwei Spelzen, einem größeren äußeren, weichspitzigen Spelzchen. Die Gattung der Asperella kommt dem Nardus sehr nahe, von dem sie sich dennoch durch die zwei Griffel und die Anwesenheit eines Nektariums unterscheidet. Asperella Hystrix. Asperella spica erecta, laxa, disticha, spiculis binatis 3–4 floris valvulis longe aristatis [mit aufrechter, lockerer, zweizeiliger Ähre, mit drei bis vier gepaarten Ährchen, mit lang begrannten Spelzchen der Blüte]. ELYMUS hystrix spica erecta, spiculis involucro destitutis patentibus [mit aufrechter Ähre, mit abstehenden Ährchen ohne Hülle]. Linné, Systema plantarum, herausgegeben von Reichardt, Teil I, Seite 324. Diagnose. – Wurzel faserig, mit sehr kleinen, weißlichen Würzelchen; Halm stielrund, eingeknickt, gerillt, glatt, beblättert, knotig, mit fuchsroten dickeren Knoten; Blätter abwechselnd, waagerecht, länglich, ganzrandig, flach, glatt, mit langer Blattscheide, mit stielrundem, sehr kurzem Blatthäutchen; Ähre einfach, aufrecht, locker, zweizeilig; Ährchen alle ungestielt zwittrig ohne Hüllen, gezweit, bisweilen gedreit, waagerecht, mit drei bis vier Blüten, mit zwei aufgesetzten Schwielen, mit Kelchen ohne Bälge; Blumenkronen mit gleich langen Spelzchen, das äußere das andere einschließend, vertieft, spitz, lang begrannt (gewimperte, scharfe, gerade, oft gegliederte Granne); das innere unbegrannt, flach, mit hervortretenden Nähten, mit einem Grund, welcher durch einen fuchsrot-braunen Flecken gekennzeichnet ist; Stauborgan mit drei haarfeinen weißen Staubfäden, länglichen Staubbeuteln, mit zweispaltiger Spitze und zweispaltigem Grund; Fruchtknoten herzförmig, zusammengedrückt, bewimpert, mit zwei kurzen Griffeln, mit federigen, eirunden, spitzen, vertieften Narben, mit nackten, zusammengedrückten Samen. ASPERELLA hystrix wird mit nicht größerem Recht zu den Elymi gerechnet, als Pisum Lathyrus stylo carinato [Lathyrus mit gekieltem Griffel] Alcea Malva calyce exteroiri 6 fido [Malva mit sechsspaltigem äußerem Kelch] genannt werden könnten. Ist Elymus caninus Linnaeus derselben Gattung von Asperella zuzuordnen? H – t.
Übersetzung: Eberhard Knobloch