Von den Zweifeln, welche über den Flächeninhalt des jetzigen mexicanischen Gebiets erhoben worden sind. Von Alexander von Humboldt. Der Tractat von Guadalupe Hidalgo, vormals Villa de Guadalupe genannt, wurde am 2. Februar 1848 geschlossen und in demselben mehr als die, sehr entvölkerte Hälfte von dem ehemaligen Neuspanien, der Republik Mexico, an die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika abgetreten. Mein vieljähriger Freund, der mexicanische Staatsmann Don Lucas Alaman, giebt in dem letzten Bande seiner Historia de Méjico desde los primeros movimientos en el año de 1808, die erst 1852 erschienen ist, p. 875 und 956, Apend. p. 89 das Areal, welches abgetreten wurde (nördlich von einer Demarcations-Linie, die, 3 Meilen oberhalb des Rio Bravo del Norte ausgehend, in dem Flußthale bis etwas nördlich vom Paso del Norte aufsteigt und dann sich westlich bis zum Rio Gila und zum Südsee-Hafen San Diego wendet) zu 109,944 spanischen Quadrat-Leguas, deren 26 [Formel] auf einen Grad des Aequators gehen, = 97,850 Quadrat-Lieues zu 25 auf den Grad, an. Das der Republik Mexico verbliebene Areal wird zu 106,068 Quadrat- Leguas = 94,400 Quadrat-Lieues geschätzt: demnach der Total-Flächeninhalt vor der Länderabtretung gewesen wäre 216,012 Quadrat-Leguas zu 26 [Formel] auf den Grad, = 192,250 Quadrat-Lieues zu 25 auf den Grad. Letztere werden in französischen statistischen Werken nach alter Gewohnheit, wie in nautischen Schriften die Seemeilen, 20 auf den Grad, angewandt. Diese numerischen Angaben des Flächeninhalts sind in das vortreffliche Werk des Freiherrn v. Richthofen, welches den Titel führt: „Die äußeren und inneren politischen Zustände der Republik Mexico seit der Unabhängigkeit bis auf die neueste Zeit,“ 1854, S. 8 — 11 übergegangen. Da nun durch Oltmanns’ sorgfältigste Berechnung des Flächeninhalts aller Intendanzen des bewohnten und tributären Neu-Spaniens nach der von mir 1803 auf viele astronomische Ortsbestimmungen und die Gesammtheit alles in den Archiven vorhandenen Materials construirten, dazu in Berlin und Paris bis 1809 verbesserten Karte von Mexico zu 118,478 Quadrat-Lieues (zu 25 auf den Grad) = 133,122 Quadrat-Leguas (zu 26 [Formel] auf den Grad), also um 82,890 Quadrat-Leguas geringer gefunden und so in meinem Essai politique sur la Nouvelle-Espagne, éd. de 1827 T. II p. 10 und 15—18 aufgeführt ist; so mußte die Ursache eines so großen Unterschiedes nothwendig ergründet werden. Don Lucas Alaman suchte ihn: in der Verschiedenheit der spanischen und französischen Meilen (er nennt letztere, zu 25 Lieues auf den Grad, fälschlich Seemeilen; diese irrige Gleichsetzung von Meilenmaßen würde aber nur 14,644 Quadrat-Leguas, also noch nicht [Formel] der ganzen Differenz, betragen); in dem Umstande, daß Chiapa 1803 zu Guatemala gehörte; und daß die Grenzen von Texas, Alta California und Nuevo Mexico damals ganz anders bestimmt waren. Neu-Californien, jetzt Ober-Californien genannt, von Alaman wegen der Verbreiterung gegen Osten zu mehr als 49,000 Quadrat-Leguas angegeben, war im Jahre 1803, nur als ein schmaler Küstenstrich, von Missionaren cultivirt, und von mir nur zu 2300 Quadrat-Leguas geschätzt worden. Bei der bekannten Sorgfalt und Rechnungsfertigkeit des Professors Oltmanns, der jede Provinz mit Quadraten bedeckt hatte, deren Seiten nur drei Bogen-Minuten betrugen, hatte ich wenig zu besorgen, daß die Areal-Berechnung meiner großen, erst 1809 vollendeten Karte von Mexico ungenau sei; ich konnte es um so weniger, als die flüchtigeren Berechnungen, welche ich gemeinschaftlich mit einem recht kenntnißvollen Mexicaner, Don Juan José Oteiza, auf dem ersten Croquis meiner Karte in Mexico selbst gemacht, im Jahre 1803 (ehe noch alle astronomischen Positionen berechnet waren) 81,144 Quadrat-Seemeilen (Lieues, zu 20 auf den Grad) ergaben: was von den 118,478 Quadrat-Lieues (zu 25 auf den Grad) = 75,826 Quadrat-Seemeilen (zu 20 auf den Grad) nur um ein [Formel] abweicht. Ich besitze noch in spanischer Sprache und von eigener Hand den ersten Entwurf zu der Eingabe , die ich im Januar 1804 dem Vicekönig Iturrigaray für die mexicanischen Archive schickte. Um aber nichts zu vernachlässigen, was die Genauigkeit der Areal-Berechnung von Oltmanns bekräftigen konnte, habe ich den mir sehr befreundeten, so erfolgreich thätigen Astronomen Dr. Bruhns, Adjuncten der Königl. Sternwarte zu Berlin, ersucht, die Quadrirung des Prof. Oltmanns vom Jahre 1809 auf derselben Karte zu wiederholen. Die Resultate, welche Dr. Bruhns erhalten hat, stimmen bis auf die Intendencias von Merida und Texas, wegen der unbestimmten Grenzen, vollkommen mit den Angaben von Oltmanns überein; auch compensirten sich die Differenzen: da sie auf 2000 Quadrat-Lieues in Merida positiv, in Texas um fast eben so viel negativ waren. „Das von Oltmanns gefundene Areal von 118,478 Quadrat-Lieues, zu 25 auf 1°,“ sagt Dr. Bruhns, „sind 133,122 Quadrat-Leguas, zu 26 [Formel] auf den Grad; und der große Unterschied zwischen Ihren Zahlen und denen von Don Lucas Alaman liegt, wie der vormalige mexicanische Minister selbst sagte, in den ehemals so unbestimmten Grenzen von Ober-Californien, Neu-Mexico und Texas. Diese drei Provinzen sind in Ihrem Werke nur als Tablas geografico-politicas del Reyno de Nueva España, que manifiestan su superficie, poblacion, agricultura, fabricas, comercio, minas, rentas y fuerza militar; por el Bn. de Humboldt (Primer bosquejo, presentado al Exmo. Sr. Virrey). In dem Jahre 1813 sind die ersten Deputirten-Wahlen der mexicanischen Republik nach den Populations-Angaben meines Manuscripts, das ein Areal von 81,144 en leguas quadradas, de 20 en 1 grado, und eine Poblacion von 5,764,700 Seelen für die einzelnen Intendencias und Provincias annahm, vollzogen worden, obgleich im Boletin del Instituto Nacional de Mexico 1839 p. 14 meine Tablas estadisticas mit Weglassung meines Namens citirt sind. In meinem Essai politique 1811 (Ed. in 4to) habe ich die Population in 5,837,100 umgeändert. — Nach einem halben Jahrhundert, im Jahre 1850, also nach dem unglücklichen Tractate von Guadalupe Hidalgo vom 2. Februar 1848, wird die Bevölkerung der Republik Mexico auf 7,662,000 Seelen angeschlagen; s. Cuadro synoptico de la Republica Mexicana por Don Miguel Lerdo de Tejada, aprobado por la Sociedad mexicana de Geografia y Estadistica. Die Bevölkerung der Stadt Mexico wird dort nur zu 170,000 angegeben, was um so auffallender ist, als man dieselbe schon 1803 zu 137,000 schätzte. Neu-Californien mit 2,125, Neu-Mexico ‒ 5,709, Texas ‒ 10,948, zusammen mit 18,782 Quadrat-Lieues, zu 25 auf den Grad, = 21,104 Quadrat-Leguas, zu 26 [Formel] auf den Grad, bezeichnet: so daß das große Oregon-Gebiet, Utah und das Great Basin, wie alles Innere von Ober-Californien zwischen dem Rio Colorado und Rio del Norte als uncolonisirte Wildnisse unbeachtet blieben. Zieht man nun diese 21,102 Quadrat-Leguas von den für ganz Neu-Spanien angenommenen 133,122 ab, so bleiben 112,018 Quadrat- Leguas übrig. Macht man dieselbe Operation mit der vollständigen, auch alles Uncultivirte und Unbewohnte umfassenden Angabe von Don Lucas Alaman für die drei Provinzen von Ober-Californien 49,851, Neu-Mexico 29,200, Texas ohne Coahuila 25,796, zusammen 104,847 Quadrat-Leguas; so bleiben für Neu-Spanien ohne die im Tractat von Guadalupe abgetretene Bodenfläche 111,165 Quadrat-Leguas: und der ganze Unterschied zwischen Ihren Angaben (den Berechnungen Ihrer Karte von Oltmanns im Jahre 1809 und mir im Jahre 1857) und der Angabe Alaman’s reducirt sich auf 853 Quadrat-Leguas, d. i. auf weniger als [Formel] des ganzen Areals.“ Das Areal der Republik Mexico wird nach der Länderabtretung im Frieden von Guadalupe zu 106,068 Quadrat-Leguas (26 [Formel] auf den Grad), = 94,400 Quadrat-Lieues (25 auf den Grad), = 33,984 geographischen Quadrat-Meilen (15 auf den Grad) angeschlagen. Wenn man nun den Flächeninhalt von Frankreich, nach dem Handbuch der Erdkunde von A. v. Klöden, zu 9620 geograph. Quadrat-Meilen schätzt, so ist die Republik Mexico jetzt noch 3 [Formel] Mal größer als Frankreich; vergleicht man sie dagegen mit Europa (182,300 geograph. Quadrat- Meilen), so ist sie 5 [Formel] Mal kleiner. Berlin, im März 1858.