Amerika. London, 20. Juni. Wir erhalten aus dem fernen Weſten Amerikas einen Brief von Freundeshand, deſſen intereſſante Mittheilungen uns zu einem Auszuge veranlaſſen. „Die Ausſicht auf Seeſchlachten, Blokade, Kaperei und einen großen Principienkrieg Amerikas mit Europa iſt durch die Streitfrage mit England über das Durchſuchungsrecht bis zu uns Hinderwäldlern gedrungen. Wie ich aus Briefen und Zeitungen des Südens und Oſtens entnehme, iſt die ganze Union über die Wendung der Sklavereifrage, denn ſonſt iſt die Sache nichts, in zwei große Lager getheilt worden. Die nationale Animoſität gegen die Engländer hat zwar einen kleinen Theil der Freiboden- und Antiſklavereipartei auf die andere Seite gedrängt; auch haben ſich viele Nationaldemokraten, denen die Wiedereinführung des afrikaniſchen Sklavenhandels trotz Proſklavereiprincipien ein Greuel iſt, gegen die Regierung erklärt; aber im Ganzen genommen ſtehen die Demokraten zur Seite Buchanan’s und die Republikaner zur Seite Englands. Zum Theil trägt an der Stellung der letztern Hr. Cass, der Staatsſecretär des Aeußern, Schuld. Seine Depeſchen ſagen geradezu, daß amerikaniſche Schiffe, wenn man ihnen nicht anſieht, daß ſie Sklaven am Bord haben, nicht im Geſchäfte geſtört und unterſucht werden dürfen, was immer auch deren wirklicher Reiſezweck ſein möge. Heißt das nicht geradezu den Sklavenhaandel unterſtützen? fragen unſere Republikaner und meinen: Wir ſind durchaus nicht von der Ehrlichkeit der Engländer überzeugt, aber von der Falſchheit des Hrn. Cass überzeugt er uns ſelbſt. Die Engländer mögen den Sklavenhandel zum Vorwand nehmen, um ihre Autorität zur See geltend zu machen; aber wir hätten die Polizei gegen Sklavenſchiffe unter amerikaniſcher Flagge ſelbſt ausüben ſollen, wie es die Verträge vorſchreiben, und wir haben es nicht gethan. Meine Meinung iſt, daß der begonnene Federkrieg zwiſchen den Vereinigten Staaten und England nur mit Tintenvergießen enden wird, trotzdem die Heißſporne des Südens einen gewaltigen Lärm ſchlagen und die engliſche Regierung klug genug ſein wird, das verirende Durchſuchungsrecht aufzugeben.“ — „In landsmannſchaftlichen Kreiſen zu St.-Louis, Mo., und wol auch in weitern Kreiſen der Union hat der Briefwechſel Humboldt’s und Fröbel’s kein geringes Intereſſe erweckt, und ich theile davon Einiges mit, weil die Angelegenheit in der alten Heimat vielleicht nicht bekannt iſt. Eine frankfurter Correſpondenz im hieſigen Anzeiger des Weſtens meldete, daß Humboldt an Fröbel einen anerkennenden Brief über deſſen «Aus Amerika» geſchrieben, und das gab Veranlaſſung zu derben Ausfällen ſklavenhalteriſcher deutſcher Blätter Neuyorks, die Fröbel der Lüge bezichtigten. Fröbel tritt nun im Anzeiger des Weſtens auf, erklärt, daß er ſich nie der Verbindung mit einem der erſten Männer der Wiſſenſchaft gerühmt, daß er aber ſeit 26 Jahren mit Humboldt in Verbindung ſtehe, zahlreiche Briefe von ihm erhalten und ihn ſeit 1846 nicht geſehen. «Nach 1848 habe ich es für eine Pflicht der Discretion gehalten», ſchreibt Fröbel, «die Verbindung mit einem Manne in Humboldt’s perſönlicher Stellung auf die Zuſendung einiger Fragmente von meinen Reiſen in Amerika zu beſchränken.» Im Januar dieſes Jahres erhielt Fröbel den in Rede ſtehenden Brief Humboldt’s und läßt ihn ganz folgen. Humboldt dankt für das Schreiben und für das Geſchenk eines geiſtreichen Buchs über Nordamerika. «Ihr Andenken iſt hier allen theuer», ſchreibt Humboldt, «die mit Ihrem Geiſte und ausgezeichneten wiſſenſchaftlichen Kenntniſſen vertraut waren, und ich habe mich Ihrer dauerhaften Freundſchaft in dem neueſten Band des ‚Kosmos‘, S. 541, gerühmt. Dann folgen einige treffende Bemerkungen über Fröbel’s Buch, und Humboldt fährt fort: «Ihre nächſte Schrift, ‚Die politiſche Zukunft von Amerika‘, möchte ich, der Urmenſch, noch erleben. Fahren Sie fort, die ſchändliche Vorliebe für Sklaverei, die Betrügereien mit der Einfuhr ſogenannter frei werdender Neger (ein Mittel, zu den Negerjagden im Innern von Afrika zu ermuthigen) zu brandmarken. Welche Greuel man erlebt, wenn man das Unglück hat, von 1789 — 1858 zu leben! Mein Buch gegen die Sklaverei iſt in Madrid nicht verboten und hat in den Vereinigten Staaten, die Sie die ‚Republik vornehmer Leute‘ nennen, nur mit Weglaſſung alles deſſen, was die Leiden der Farbigen, nach meiner politiſchen Anſicht zum Genuſſe jeder Freiheit berechtigten Mitmenſchen betrifft, kaufbar werden können. Ich lebe arbeitſam, meiſt in der Nacht, weil ich durch eine immer zunehmende, meiſt ſehr unintereſſante Correſpondenz unbarmherzig gequält werde; ich lebe unfroh im neunundachtzigſten Jahre, weil von dem Vielen, nach dem ich ſeit früher Jugend mit immer gleicher Wärme geſtrebt, ſo wenig erfüllt worden iſt. Mit dem erneuerten Ausdrucke vieljähriger Freundſchaft, welche politiſche Begebenheiten nie getrübt haben, Ihr ſtets unleſerlicher A. Humboldt.» ... Fröbel zeigt an, daß er den Brief mit Humboldt’s Erlaubniß veröffentlicht, und daß er im Laufe dieſes Sommers nach den Vereinigten Staaten zurückkehren und ſich mit ſeiner Familie dauernd fixiren werde. Er wurde in Frankfurt a. M. ſtillſchweigend geduldet; aber der Beſuch Berlins wurde ihm vom dortigen amerikaniſchen Geſandten abgerathen. Directe Schritte wollte er nicht unternehmen und wird nach Amerika zurückkehren, ohne von Deutſchland mehr als Frankfurt a. M. geſehen zu haben.“ Die Vorausſicht unſers amerikaniſchen Correſpondenten beſtätigte ſich in der vorgeſtrigen Parlamentsſitzung. Der Miniſter des Innern erklärte, daß „Ihrer Maj. Regierung die Rechtsgelehrten der Krone um Rath gefragt und daß dieſe der entſchiedenen Meinung ſind, daß wir vermöge der internationalen Geſetze kein Durchſuchungsrecht in Friedenszeiten haben“.