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Alexander von Humboldt: „Alexander v. Humboldt über Möllhausens Reise nach der Südsee“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1857-Alexander_von_Humboldt_ueber_Moellhausen-1> [abgerufen am 07.12.2024].

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Titel Alexander v. Humboldt über Möllhausens Reise nach der Südsee
Jahr 1857
Ort Stuttgart; Augsburg
Nachweis
in: Das Ausland. Eine Wochenschrift für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker 30:38 (1857), S. 902–904.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur; Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VII.126
Dateiname: 1857-Alexander_von_Humboldt_ueber_Moellhausen-1
Statistiken
Seitenanzahl: 3
Spaltenanzahl: 6
Zeichenanzahl: 18904

Weitere Fassungen
Alexander v. Humboldt über Möllhausens Reise nach der Südsee (Stuttgart; Augsburg, 1857, Deutsch)
[Alexander v. Humboldt über Möllhausens Reise nach der Südsee] (Haarlem; Den Haag, 1857, Niederländisch)
Möllhausen’s Reise in den westlichen Theilen der Vereinigten Staaten (Berlin, 1857, Deutsch)
Tagebuch (Zürich, 1858, Deutsch)
Preface by Alexander von Humboldt (London, 1858, Englisch)
Vorwort (Leipzig, 1858, Deutsch)
Voorrede van Alexander von Humboldt (Zutphen, 1858, Niederländisch)
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Alexander v. Humboldt über Möllhauſens Reiſe nachder Südſee.

Die Nähe nordamerikaniſcher und europäiſcher Anſiedler ge-reicht den unabhängigen Stämmen, wie eine traurige Erfahrungfaſt in allen Zonen lehrt, zum Verderben. Allmählich auf engereRäume zuſammengedrängt, und wo der nahe Contact Beute ver-heißt, an Verwilderung zunehmend, reiben ſie ſich meiſtentheils inungleichen Kämpfen auf. Wenn im früheſten Anfang des Inca-Reiches von Peru, in den Cordilleren von Quito, auf der Hoch-ebene von Neu-Granada (dem alten Cundinamarca) und in demmexicaniſchen Anahuac, ſüdlich von dem 28ſten Parallelkreiſe, diealte indianiſche Bevölkerung ſich erhalten, ja ſogar an einigenPunkten anſehnlich vermehrt hat, ſo iſt die Urſache davon größten-theils darin zu ſuchen daß viele Jahrhunderte lang vor der ſpani-ſchen Conquiſta die Bevölkerung dort aus friedlichen, ackerbauendenStämmen beſtand. Alles was ſich in Hrn. Möllhauſens Reiſe-bericht auf Ethnographie und auf die phyſiſchen und ſittlichen Ver-hältniſſe der ſelten kupferfarbigen, häufiger mehr braunrothen Ur-einwohner zwiſchen dem Miſſouri und den Rocky Mountains, zwi-ſchen dem Rio Colorado und dem Littoral der Südſee bezieht, iſtauf zwiefache Weiſe anziehend. Es berührt entweder allgemeineBetrachtungen über die bald fortſchreitende, bald in ihrem Fort-ſchritt gehemmte Cultur, oder beſondere, locale, mit hiſtoriſchenErinnerungen zuſammenhängende Verhältniſſe. Bei Verallgemeine-rung der Anſicht reizen die mannichfaltigen Stufen unentwickelterIntelligenz in dem Urzuſtande der Horden, welche man ſo unbe-ſtimmt und oft ſo unpaſſend Wilde (Indios bravos) nennt, dieEinbildungskraft dazu an, aus der eng begränzten Räumlichkeit derGegenwart zu einer geheimnißvollen Vergangenheit, zu der Zeitaufzuſteigen wo ein großer Theil des Menſchengeſchlechts, der jetztſich einer hohen Blüthe der Cultur, in Wiſſenſchaft und bildenderKunſt erfreut, in eben ſolcher Rohheit der Sitte lebte. Wie ofthabe ich ſelbſt die lebendigſte Anregung zu dieſen Betrachtungen er-fahren auf einer Flußſchifffahrt von mehr als 380 deutſchen Meilenin den Wildniſſen des Orinoco, ſüdlich von den Katarakten vonAtures, auf dem Atabapo, Caſſiquiare und Rio Negro! Aber auch |Spaltenumbruch| in den Zuſtänden der Ungeſittung erkennt man hier und da mitErſtaunen einzelne Spuren des Erwachens ſelbſtthätiger Geiſtes-kraft; man erkennt ſie in dem gleichzeitigen, den Verkehr zwiſchennahen Stämmen erleichternden Beſitz mehrerer Sprachen; „in Ah-nungen von einer überirdiſchen, furcht- oder freudebringenden Zu-kunft, in traditionellen Sagen, die kühn bis zur Entſtehung desMenſchen und ſeines Wohnſitzes aufſteigen.“ Die Horden welche zwiſchen Neu-Mexico und dem Rio Gilaleben, ziehen aus örtlichen Urſachen noch darum die Aufmerkſam-keit auf ſich, weil ſie auf der Straße der großen Völkerzüge zer-ſtreut ſind, die, von Norden gegen Süden gerichtet, vom 6ten biszum 12ten Jahrhundert unter dem Namen der Tolteken, der Chichi-meken, der Nahuatlaken und der Azteken das ſüdliche tropiſcheMexico durchwandert und theilweiſe bevölkert haben. Bauwerkeund Reſte des Kunſtfleißes dieſer, zu einer Art höherer Cultur ge-langten, Nationen ſind übrig geblieben. Man bezeichnet noch, durchalte Traditionen und hiſtoriſche Malereien geleitet, die verſchiedenenStationen, d. h. das Verweilen der Azteken am Rio Gila und anmehreren ſüd-ſüd-öſtlichen Punkten. Es ſind dieſelben in meinemmexicaniſchen Atlas angegeben; und die 1846 vom Ingenieur-Lieu-tenant W. Abert und ſpäter von Möllhauſen geſehene, vielſtöckigeBauart großer Familienhäuſer (Caſas Grandes), zu denen mandurch nächtlich eingezogene Leitern aufſtieg, bietet noch jetzt Ana-logien der Conſtruction bei einzelnen Stämmen. Da die übrig gebliebenen, zum Theil gigantesken Sculpturen,wie die Unzahl religiöſer und hiſtoriſcher Malereien der pyramiden-bauenden, der Jahrescyclen kundigen Tolteken und Azteken ſehrübereinſtimmend menſchliche Geſtalten darſtellen, deren phyſiogno-miſcher Charakter beſonders in Hinſicht der Stirn und der außer-ordentlich großen, weit hervortretenden Habichtsnaſen von der Bil-dung der jetzt Mexico, Guatemala und Nicaragua in der Zahl vie-ler Millionen bewohnenden, ackerbautreibenden Eingebornen ab-weicht: ſo iſt von großer ethnographiſcher Wichtigkeit die Löſungdes, ſchon von dem geiſtreichen Catlin behandelten Problems, obund wo unter den nördlichen Stämmen ſich Geſtalten und Geſichts-bildungen finden laſſen, die nicht bloß als Individuen, ſondernracenweiſe mit den älteren monumentalen übereinſtimmen. Solltennicht bei der amerikaniſchen nord-ſüdlichen Völkerwanderung, wiebei der aſiatiſchen oſt-weſtlichen, zu welcher der Anfall der Hiungnuauf die blonden Yueti und Uſün den früheſten Anſtoß gab, nörd-lich vom Gila, wie dort im Caucaſus (auf dem pontiſchen Iſthmus),einzelne Stämme zurückgeblieben ſeyn? Alles was in dem neuenContinent mit den gewagten Vermuthungen über die Quelle einesgewiſſen Grades erlangter Civiliſation, was mit den Urſitzen derwandernden Völker (Huehuetlapallan, Aztlan und Quivira) zuſam-menhängt, fällt bisher wie in den Abgrund der hiſtoriſchen Mythen.Unglaube an eine befriedigende Löſung des Problems, bei dem bis-herigen noch ſo bedauernswürdigen Mangel von Materialien, darfaber nicht dem fortgeſetzten Beſtreben nach muthiger ForſchungSchranken ſetzen. Die Frage nach ſolchen Ueberbleibſeln der wan-dernden Völker im Norden findet in Catlins auf dem BerlinerMuſeum aufbewahrten Oelbildern wie in Möllhauſens Zeichnungenmannichfaltige Befriedigung. Auch hat ſie eine werthvolle Arbeitauf dem Felde der Sprachen veranlaßt, welche die Spuren des |903| |Spaltenumbruch| Azteken-Idioms (Nahuatl) auf der Weſtſeite des nördlichen Amerika’sverfolgt. Profeſſor Buſchmann, mein talentvoller, vieljährigerFreund, hat in einem von ihm unternommenen Werk einige voreinem halben Jahrhundert von mir geäußerte Ueberzeugungen bekräf-tigt und in Arbeiten, die er gemeinſchaftlich einſt mit meinem Bruder,Wilhelm v. Humboldt, unternommen, ſeine tiefen Kenntniſſe deralten Azteken-Sprache hiſtoriſch nutzbar gemacht. Neben dem ethnologiſchen und hiſtoriſchen Intereſſe, das ſichan den ſo wenig bekannten Erdraum knüpft, deſſen genauere Be-ſchreibung der Gegenſtand der nachfolgenden Blätter iſt, tritt ingleichem Maß anregend hervor das politiſche Intereſſe des allgemei-nen Weltverkehrs wie der Culturverhältniſſe des Bodens, welchedurch jenen Verkehr mittelbar begünſtigt werden. Die reichen atlan-tiſchen Staaten, die am Ohio und Miſſiſſippi, fühlen ſich durchden Lauf der Begebenheiten gedrängt, die geeignetſten Wege nachden neu errungenen und in den mächtigen nordamerikaniſchen Staaten-bund aufgenommenen Küſtenländern des ſtillen Meeres zu finden.Dieſe Küſtenländer ſind reicher als das Europa gegenüber liegendeöſtliche Littoral, mit ſicheren und ſchönen Häfen, mit Schiffsbauholzund dem geſuchteſten aller Mineralproducte verſehen. Die neue Hei-math, lange von Mönchen, ſtreng, aber friedlich, regiert, und demeinträglichen Fiſchotterfange geöffnet, iſt durch ihre natürlichen Ver-hältniſſe und in den Händen einer raſtlos thätigen, unternehmenden,intelligenten Bevölkerung berufen eine wichtige Rolle in dem chine-ſiſchen, japaniſchen und langſam aufkeimenden oſt-ſibiriſchen Handelzu ſpielen. Wenn zu der Zeit der zweiten Entdeckung von Amerika durchChriſtoph Columbus Ackerbau, bürgerliche und ſtaatliche Einrich-tungen, weite Verbreitung derſelben Form des religiöſen Cultus;wenn Verkehr, durch Kunſtſtraßen über hohe Gebirge befördert;monumentale Sculpturen, wie große Bauwerke (Tempel, Treppen-Pyramiden, Wohnungen der Fürſten und Befeſtigungsmittel) ſichvom mexicaniſchen Anahuac bis Chili allein Aſien gegenüber, imweſtlichen Theile des neuen Continents fanden: ſo war der vielfachgrößere, verhältnißmäßig flächere, von Flußnetzen durchzogene öſt-liche Theil ein Sitz der Wildheit, von Volksſtämmen bewohntwelche vereinzelt, ſelten in Conföderationen zu kriegeriſchen gemein-ſamen Unternehmungen verbunden, ſich faſt allein vom Jagdlebenund Fiſchfang ernährten. Dieſer ſonderbare alte, nach den Welt-gegenden zu bezeichnende Contraſt der Cultur und Uncultur begannaufgehoben zu werden, ſeitdem in zwei, durch ein halbes Jahrtau-ſend getrennten Epochen, von dem nördlichſten und ſüdlichſten TheileEuropa’s aus, das große oceaniſche Thal überſchritten wurde, wel-ches zwei Continente ſcheidet. Die erſte, ſcandinaviſch-isländiſcheAnſiedelung, veranlaßt von Leif, dem Sohne Eriks des Rothen,war ſchwach, von vorübergehender Art und ſittlich fruchtlos gewe-ſen, ohne alle Einwirkung auf den Zuſtand der Eingebornen, ob-gleich die amerikaniſchen Küſten in der kalten und gemäßigten Zonevom 73ſten Grade (von der kleinen Gruppe der weſt-grönländiſchenWeiber-Inſeln) bis zu 41 ½° der Breite von kühnen chriſtlichenSeefahrern beſucht wurden. Erſt zu der Zeit der zweiten Entdeckung von Amerika durchChriſtoph Columbus, der Entdeckung innerhalb der tropiſchen Zonehat ſich recht eigentlich eine Erdhälfte der andern zu offenbaren an-gefangen. Des Aſtronomen und Arztes Toscanelli alte Verhei- |Spaltenumbruch| ßung: buscar el levante por el poniente, den goldreichen Orientdurch eine Schifffahrt nach Weſten aufzufinden, wurde erfüllt.Steigt man in der Erinnerung zu den Weltaltern hinauf, in wel-chen den Culturvölkern die das Becken des Mittelmeeres umwohnten,durch die Gründung von Tarteſſus und die wichtige Irrfahrt desColäus von Samos die gadeiriſche Pforte, die mittelländiſche Meer-enge, geöffnet wurde, ſo erkennt man in derſelben oſtweſtlichenRichtung ein unausgeſetztes Streben atlantiſcher Seefahrer nach derjenſeitigen Ferne. Die weltgeſchichtlichen Begebenheiten, in denenſich ein großer Theil der Menſchheit von einer gewiſſen Gleich-mäßigkeit der Tendenz belebt zeigt, bereiten Großes langſam undallmählich, aber um ſo ſicherer vor; ſie entwickeln ſich aus einandernach ewigen Geſetzen, ganz wie die welche walten in der organi-ſchen Natur. Obgleich die Südſee erſt ſieben Jahre nach dem Tode Chri-ſtoph Columbus von dem Gipfel der Sierra de Quarequa aufdem Iſthmus von Panama durch Vasco Nuñez de Balboa geſehenund wenige Tage darauf in einem Canot von Alonzo Martin deDon Benito beſchifft wurde, ſo hatte doch ſchon Columbus imJahre 1502, alſo 11 Jahre vor Balboa, auf der vierten Reiſe, inwelcher er am meiſten die Thatkraft ſeines Geiſtes erwieſen, imPuerto de Retrete an der Oſtküſte Veragua’s eine genaue Kenntnißvon der Exiſtenz der Südſee erhalten. Er bezeichnet in der Cartararissima vom 7 Julius 1503, in dem Briefe in welchem er ſopoetiſch ſeinen großartigen Wundertraum beſchreibt, auf das deut-lichſte die zwei einander gegenüberliegenden Meere, oder, wie derSohn in der Lebensbeſchreibung des Vaters ſagt, die „geſuchteVerengung (estrecho) des Feſtlandes.“ Dieſer ihm durch die Ein-gebornen offenbarte Ocean ſollte nach ſeiner Meinung ihn führennach dem Gold-Cherſones des Ptolemäus, nach dem oſtaſiatiſchenGewürzlande; dahin, wo einſt in großer Zahl, durch Chronometergeleitet, nordamerikaniſche, in San Francisco gebaute Schiffe ſegelnwerden. In einer Zeit, wo Entwürfe zu rieſenhaftem Bau ſowohlvon Eiſenbahnen (die geradlinige Entfernung der atlantiſchen Küſte zu der Küſte von San Francisco in Californien iſt ungefähr 550deutſche Meilen), als von oceaniſchen Canälen: durch den Naipiund Cupica, durch den Atrato und Rio Truando, durch den Hua-ſacualco und den Chimalapa, durch den Rio de San Juan undden See Nicaragua auf das lebhafteſte den Menſchengeiſt beſchäf-tigen, gedenkt man gern an den erſten kleinen Anfang der Kennt-niß vom ſtillen Meere, an das was Columbus auf ſeinem Todten-bette davon wiſſen konnte. Der große, ſchon von ſeinen Zeitge-noſſen, wie ich an einem andern Ort erwieſen, halb vergeſſeneMann ſtarb in Valladolid den 20 Mai 1506 in dem feſten Glau-ben, welchen auch noch Amerigo Veſpucci bis zu ſeinem Tode inSevilla (am 22 Febr. 1512) theilte, nur Küſten des Continentsvon Aſien und keines neuen Welttheiles entdeckt zu haben.Columbus hielt das Meer, welches den weſtlichen Theil von Ve-ragua beſpült, für den Gold-Cherſones, ſo nahe daß er das Lagen-verhältniß der Provinz Ciguare in Weſt-Veragua zum Puerto Re-trete (Puerto Escrivanos) verglich mit dem von „Venedig zu Piſa,oder von Tortoſa an der Mündung des Ebro zu Fuenterabia ander Bidaſſoa in Biscaya;“ auch rechnete er von Ciguare biszum Ganges nur 9 Tagreiſen. Sehr beachtungswerth ſcheintmir dazu noch der Umſtand daß heutiges Tages der Goldreich- |904| |Spaltenumbruch| thum welchen die Carta rarissima des Columbus in den öſtlichenTheil Aſiens ſetzt, in Californien an der Weſtküſte des neuen Con-tinents zu finden iſt. Eine überſichtliche Schilderung dieſer Contraſte zwiſchen derJetzt- und Vorzeit, wie des großen Gewinnes, welchen verſtändigeDurchforſchungen der Terra incognita des fernen Weſtens in demGebiet der Vereinigten Staaten der allgemeinen Länderkenntniß nochfür viele Jahrzehnte werden darbieten können, iſt der Hauptzweckdieſes Vorwortes geweſen. Es bleibt mir am Schluß desſelben nochdie angenehme Pflicht zu erfüllen übrig, den Leſer daran zu erin-nern daß der Verfaſſer des nachfolgenden Reiſeberichtes vom Miſ-ſiſſippi und Arkanſas zu den Ufern des ſtillen Meeres den Vortheilgehabt hat, durch eine frühere Reiſe nach dem Nebraska-Fluſſe andas Leben unter Indianerſtämmen lange gewöhnt zu ſeyn. Nach-dem er, der Sohn eines preußiſchen Artillerie-Officiers, den Militär-dienſt im Vaterland mit belobenden Zeugniſſen ſeiner Oberen ver-laſſen, gieng er, kaum 24 Jahre alt, nach dem weſtlichen Theileder Vereinigten Staaten: unabhängig, allein; unwiderſtehlich getrieben(wie es bei ſtrebſamen und kräftigen Gemüthern vorzugsweiſe derFall iſt) von einem unbeſtimmten Hang nach der Ferne, nach demAnblick einer wilden, freien Natur. Nahe bei den Ufern des Miſ-ſiſſippi erhielt er Kunde von dem ſchönen, vielverſprechenden natur-hiſtoriſchen Unternehmen, das Se. königl. Hoheit der Herzog PaulWilhelm von Württemberg nach dem Felſengebirge (den Rocky Moun-tains) eben vorbereitete. Der junge Mann bat um die Erlaubnißſich dieſem Unternehmen anſchließen zu dürfen, und erhielt ſie aufeine edle, wohlwollende Weiſe. Die Expedition gelangte ohne Unfallbis in die Gegend des Forts Laramie am Platte-Fluß als großeUnwegſamkeit des Bodens, ein furchtbarer, allgemeines Augenübelerregender Schneefall, wiederholte Raubanfälle der Eingebornen unddas Abſterben der ſo nothwendigen Pferde den Herzog für jetzt zumAufgeben des Unternehmens nöthigten. Von dieſem getrennt, aberſich anſchließend vorbeiziehenden Ottoe-Indianern, die ihn mit einemPferd verſahen, wandte ſich Hr. Möllhauſen nun nördlicher nachBellevue, dermalen dem Sitz einer Agentur und Niederlage desPelzhandels. Nach einem dreimonatlichen Aufenthalt und thätigenJagdleben bei den Omahas ſchiffte er den Miſſiſſippi herab undhatte die Freude, wieder mit dem Herzog Paul Wilhelm von Würt-temberg zuſammenzutreffen und in mehrfachen Excurſionen an derVermehrung der wichtigen zoologiſchen Sammlungen dieſes Fürſtenmitzuarbeiten. Im Jahr 1852 ſchiffte er ſich in New-Orleans nachEuropa ein, von dem verdienſtvollen preußiſchen Conſul, Hrn. An-gelrodt, in St. Louis an der Mündung des Miſſouri, beauftragt,während der Reiſe für die glückliche Ueberkunft einer Zahl intereſ-ſanter, dem Berliner zoologiſchen Garten beſtimmter Thiere einigeSorge zu tragen. Der muthigſte Entſchluß, mit vermehrten Kenntniſſen und ver-mehrter künſtleriſcher Ausbildung, wenn gleich mit ſehr beſchränktenMitteln, eine zweite Excurſion nach dem Weſten der nordamerikani-ſchen Freiſtaaten zu wagen, ſtand bei Hrn. Möllhauſen feſt. Meinem |Spaltenumbruch| innigen und vieljährigen Freunde, dem geheimen Medicinalrath undProfeſſor Lichtenſtein, verdanke ich die Bekanntſchaft des jungenReiſenden. Wie ſollte ich, vielleicht der älteſte unter den Reiſendendieſes Jahrhunderts, der ich mich in früheſter Jugend von ähnlicher,unbeſtimmter Wanderungsluſt gedrängt fühlte, nicht Intereſſe fürden mir ſo warm Empfohlenen gewonnen haben? Die Huld deshochherzigen, jedem aufkeimenden Talente gern hülfreichen Monar-chen geſtattete es daß Balduin Möllhauſen ſeine ſehr ausgezeichneten,phyſiognomiſch wahren Reiſeſkizzen aus dem Leben der Indianerihm perſönlich vorlegen durfte. Bei dem wachſenden Wohlwollen,deſſen meine Arbeiten und Beſtrebungen ſich in den VereinigtenStaaten von Nordamerika zu erfreuen haben, bei den edlen Auf-opferungen, welche ſo viele der einzelnen Regierungen dort zur Beför-derung des freien geiſtigen Fortſchrittes, beſonders in allen Theilendes aſtronomiſchen, geographiſchen und naturhiſtoriſchen Wiſſensmachen, durfte ich hoffen daß Empfehlungen von mir, vereint mitdenen eines anderen mir theuren Freundes, des preußiſchen Geſand-ten, Hrn. v. Gerolt, dem Zurückkehrenden bei den oberſten Behördenund bei der edeln Smithſonian Inſtitution von erſprießlichem Nutzenſeyn würden. Unſere Hoffnungen ſind bald erfüllt worden. Hr.Möllhauſen hat ſelbſt im Eingang zu dem Reiſebericht ſeine An-ſtellung als Topograph und Zeichner bei der, auch wiſſenſchaftlichwohl ausgerüſteten Expedition des Lieutenant Whipple erzählt. Trotz der Mühſeligkeiten, die von einem, bloß auf dem Land-weg 11 Monate dauernden, ernſten Unternehmen unzertrennlich ſind,hat der Reiſende doch während desſelben mehrmals Abhandlungenan die geographiſche Geſellſchaft zu Berlin geſandt, unter denen zweivon allgemeinem Intereſſe waren. Die eine Abhandlung betraf dieSitten und die Verſchiedenheit des Körperbaues der am großenColorado und im nahen Gebirge lebenden, wenig bekannten Indianer-ſtämme: der Mohawes, Cutchanas und Cosninos; die andere denſogenannten verſteinerten Urwald zwiſchen der „alten Stadt“ (Pueblode Zuñi) und dem kleinen Colorado. Dieſes merkwürdige Phäno-men, in welchem Coniferen mit einigen baumartigen Farren ver-einigt ſind, iſt auch von dem Geologen der Expedition, Hrn. JulesMarcou, jetzt Profeſſor an der föderalen polytechniſchen Schule zuZürich, in ſeiner ſo überaus lehrreichen „allgemeinen Orographievon Canada und den Vereinigten nordamerikaniſchen Staaten“ be-ſchrieben worden. Der nachfolgende Reiſebericht hat durch wiſſen-ſchaftliche Auszüge aus den gelehrten, bereits gedruckten Arbeiten desHrn. Marcou bereichert werden können. Der Zweck der großenExpedition unter den Befehlen des Lieutenants Whipple ward glück-lich erreicht am 23 März 1854 durch die Ankunft an der Küſte derSüdſee bei dem Hafen San Pedro, nördlich von dem californiſchenMiſſionsdorfe San Diego. Die ſchnelle Rückreiſe gieng von SanFrancisco über den Iſthmus von Panama nach New-York, ſo daßHr. Möllhauſen nach einer Abweſenheit von einem Jahr und fünfMonaten mit ſeinen Sammlungen aus dem Far Weſt und einergroßen Zahl intereſſanter, im Angeſicht der Naturſcenen ſinnig auf-gefaßter, maleriſcher Entwürfe in Berlin ankam.