An Se. Majeſtät den König über des General-Major Baeyer „Entwurf zur Anfertigung einer guten Karte von den öſtlichen Provinzen des Preußiſchen Staates nach dem heutigen Standpunkte der Wiſſenſchaft und Technik“ erſtattetes Gutachten von Alexander von Humboldt. Ew. Königliche Majeſtät haben geruht, mir allergnädigſt zu befehlen, über den „Entwurf des General Baeyer zur Anfertigung einer, nach dem heutigen Standpunkte der Wiſſenſchaft und Technik entworfenen Karte der öſtlichen Provinzen des Preußiſchen Staates“ gutachtlich zu berichten. Die eingereichte vortreffliche Arbeit enthält die Elemente, welche für alle Zeiten beachtet werden müſſen, in denen das Gefühl der Nothwendigkeit der Erfüllung eines ſolchen Bedürfniſſes in der Staatsregierung aufſteigen wird. — General Baeyer, mit deſſen Kenntniſſen und glücklichen Beſtrebungen als Mathematiker, Aſtronom und Geodät, ich ſeit mehr als dreißig Jahren durch die von dem Inſtitute zu Paris ſo belobten hydrauliſchen Abhandlungen, durch den Antheil an den aſtronomiſchen Beſtimmungen in Beſſel’s oſtpreußiſcher Gradmeſſung, durch die weit fortgeführte Triangulation und Meſſung einer Baſis am Rhein von ſeltenſter Uebereinſtimmung, bekannt bin, verbindet in einem hohen Grade die Allgemeinheit der Anſicht und den praktiſchen Blick, der überall aus dem langen Verkehr mit der Wirklichkeit entſpringt. — Mangel einheitlicher Leitung, ein voreiliges Beginnen mit ſchlechten Kataſtrirungen ohne vorhergehende Meſſung von Hauptdreiecken und allmälichen Uebergang in Dreiecke der zweiten und dritten Ordnung, haben zu einem ungeheuren Koſtenaufwand geführt, ohne Materialien darzubieten, welche bei einer gründlichen Landesvermeſſung des Staates verlangt werden, und wie ſie Frankreich und, in noch höherem Grade der Vollkommenheit, die engliſche Regierung in Irland jetzt ausführen laſſen. Es iſt deshalb mit vielem Rechte geſagt worden: „der praktiſche Sinn der Engländer habe die Regierung ſchon längſt erkennen laſſen, daß eine ungenügende Aufnahme der Koſten nicht werth iſt, die daran geſetzt werden, und daß die vollkommenſte Karte zugleich auch die wohlfeilere iſt.“ — Der wachſende Zuſtand der Bodencultur, die Bedürfniſſe der Induſtrie und des Verkehrs machen die Nothwendigkeit immer fühlbarer, eine vollſtändige Karte zu beſitzen, in der die Coordinate der Höhe nicht (wie bei dem Kataſter) vernachläſſigt iſt. Man muß ſich überzeugen, daß die Zeiten längſt vorüber ſind, in denen Länder-Aufnahmen nur zur Regulirung der Grundſteuern, nicht zur Erforſchung der Hülfsquellen des Landes angeordnet wurden. In dem Aufſatze des General Baeyer iſt trefflich entwickelt worden, wie die Arbeit nicht als eine handwerksmäßige, mechaniſche, ſondern als eine wiſſenſchaftlich begründete betrachtet werden muß, wie die Landes-Vermeſſung gut, d. h. nach allgemeinen Anſichten organiſirt, den intellectuellen Vortheil gewährt, junge theoretiſch vorgebildete Männer für alle darauf bezüglichen Zweige des Staatsdienſtes, des Bau- und Schulweſens, der erhöhten Bodencultur und der Induſtrie praktiſch vollkommen auszubilden. Hier iſt der wichtige Punkt, wo die Arbeit in ihren höhern Theilen mit Recht von Militär-Perſonen allein ausgeführt, einen wohlthätigen Reflex auf das militäriſche Erziehungs-Weſen und die längſt erwünſchte Verbeſſerung der Diviſions-Schulen ausüben ſollte. Die Erlernung mathematiſcher Wiſſenſchaften in Einklang zu bringen mit ihrer Anwendung, allgemeinere Einübung im Gebrauch vollkommner Winkelmeſſungs-Inſtrumente (über die alterthümlichen, nur zur Conſtruction horizontaler Figuren in Parcellen-Vermeſſungen einzelner Feldabtheilungen nützlichen Meßtiſche hinaus) war der edle Vorſatz des hingeſchiedenen geiſtreichen Chefs des gemeinſamen Militär-Bildungs-Weſens, des General-Lieutenants von Radowitz. Organismus der Schulen in ihren verſchiedenen Abſtufungen und Möglichkeit dauernder Beſchäftigung einer kleinen Zahl derſelben Offiziere bei der Landes-Vermeſſung für 6—8 Jahre ſind die pia desideria der Zeit! Der umfangreiche Geſchäftsbetrieb nach drei Abtheilungen (von denen die erſte die Meſſung von Grundlinien, die aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen zur genauen Orientation der Karte, Meſſung der Haupt-Dreiecke und Haupt-Nivellements-Linien, wie Meſſung der Dreiecke zweiter und dritter Ordnung; die zweite die Detail-Triangulation der einzelnen Feldmarken und die Special-Nivellements der Waſſerläufe; die dritte die Parcellen-Vermeſſung durch die gewöhnlichen mit Kette und Bouſſole bewaffneten Geometer umfaßt) und die Veranſchlagung der Koſten, auf 21 oder 42 Jahre berechnet, zwei Perioden, in denen der Königliche Generalſtab, der herkömmlich jetzt 12000 Thlr. jährlich auf Vermeſſungen verwendet, eines Zuſchuſſes von 109000 oder nur 48000 Thlr. jährlich bedürfte, ſind in dem Aufſatze ſo bündig und mit ſo viel Klarheit dargeſtellt, daß ich es für unnütz halte, ſie hier zu wiederholen. Ich erlaube mir nur die Bemerkung, daß in den hier bezeichneten Koſten der zur Veröffentlichung nach dem Beiſpiel ſo vieler Nachbarſtaaten nothwendige Kupferſtich der Landes-Vermeſſung der öſtlichen Provinzen mit 169000 Thlr. ſchon inbegriffen iſt. Es werden nach dem Maßſtabe von [Formel] an 211 Blätter, von ebenſo vielen Kupferplatten abgezogen, entſtehen. Die auch bei uns ſo rühmlichſt vervollkommnete Lithographie iſt bei einem ſo großen, auf den dauernden Nutzen berechneten Unternehmen keineswegs für das Ganze vorzuziehen; denn bei dem täuſchenden Vortheil, daß ſie um mehr als die Hälfte wohlfeiler iſt, gewährt ſie den unausbleiblichen Nachtheil, daß die bei zunehmender Cultur entſtehenden Veränderungen der Wege, Straßen und kleinen Waſſerläufe nicht nachgetragen werden können. Da man zu einer neuen Lithographirung ſchreiten müßte, ſo würde man, wie in dem Aufſatze erwieſen und in England längſt erkannt worden iſt, nicht bloß nach 60 Jahren mehr Unkoſten haben, als gleich Anfangs der Kupferſtich erforderte, ſondern man würde auch, während dieſer ganzen Zeit, eine mangelhafte und ganz unbrauchbare Karte beſitzen. Für einzelne locale Bedürfniſſe, Stadt-Pläne, Ueberſichts-Karten, Pläne von einzelnen Gegenden wird die Lithographie immer durch Schnelligkeit und Wohlfeilheit fortfahren, vortreffliche Dienſte zu leiſten. Der endlich einmal zu faſſende Entſchluß, die Mittel zu gewähren, eine ſyſtematiſch vorbereitete „Karte der öſtlichen Provinzen“ darzuſtellen, kann bei der allgemeinen Regſamkeit, die uns umgiebt und wohlthätig von der Regierung ſelbſt veranlaßt wird, keineswegs als eine Befriedigung von einem wiſſenſchaftlichen Luxus betrachtet werden. „Eine ſolche Aufnahme, ſetzt der General Baeyer am Schluß ſeines Aufſatzes hinzu, wird nicht bloß alle künftigen Vermeſſungen entbehrlich machen und alle derartigen Arbeiten bei weitem übertreffen, ſondern ſie wird auch dem Preußiſchen Staate, den auf dieſem Gebiete leider! verlorenen höchſten wiſſenſchaftlichen Standpunkt wieder erobern.“ — Wird die Ausgabe im Augenblick für unerſchwinglich gehalten, ſo können vielfache Erſparungen noch eintreten, die allmälich dem Ziele näher führen. Das Wort „Erſchwinglichkeit“ iſt von ſehr relativem Sinne im Staatshaushalte. — In dem Betriebe, der ſo glänzend zugenommen hat, ſeitdem die Wiſſenſchaft, d. h. beſſere Kenntniß der Naturkräfte, in denſelben eingedrungen und zu dem ich (als bloß praktiſcher Bergmann) viele Jahre gehört, iſt man ſeit drei Jahrhunderten nie vor großen Unternehmungen zurückgeſchreckt, weil man wußte, durch Ausdauer die Wirkung der Anſtrengung zu vermehren. Arme Grubenbeſitzer haben im ſächſiſchen Erzgebirge einen Stollen vollendet, der mit allen ſeinen Stollenflügeln an Länge den Canal von Calais nach Dower mehrmals übertrifft. Ich wünſche der glorreichen und wohlthätigen Regierung Ew. Majeſtät auch den Ruhm, daß recht bald Anſtalt getroffen werden könne, den ſo tief durchdachten und in allen ſeinen Theilen organiſch zuſammenhängenden Entwurf des General Baeyer der Ausführung näher zu bringen und die Grundlage einer Allerhöchſten officiellen Billigung zu gewähren. — Der Mann, deſſen Namen in der Wiſſenſchaft hoch ſteht, iſt durch Dienſtleiſtungen ausgezeichnet, die mit der Vervollkommnung der ſo wichtigen Militär-Bildungsanſtalten in innigem Zuſammenhange ſtehen. — Was bis jetzt unter der vortrefflichen ſorgſamen Leitung des Chefs des Generalſtabes der Armee, General-Lieutenant von Reyher, mit geringen ungenügenden Mitteln, in partiellen Aufnahmen anſtrengend geleiſtet worden iſt, wird mit dem, was das große Unternehmen als ein ſyſtematiſches Ganze bezweckt, harmoniſch zuſammen treten. In tiefſter Ehrerbietung Ew. Königliche Majeſtät allergetreueſter (gez.) Alexander von Humboldt. Berlin, den 6. Februar 1854.