Ein neuer Versuch über die grösste Tiefe des Meeres. Mittheilung von Alex. v. Humboldt. Vorgetragen in der Gesammtsitzung der Berliner Akademie der Wissenschaften am 3. Febr. 1853. -- Aus den Monatsberichten u. s. w. -- Wir können nicht umhin, dieser wissenschaftlichen Aensserung eines so hochverehrten Gelehrten auch in unserer Zeitschrift einen Raum zu gönnen. Die Red. Das Problem des Verhältnisses der Erhöhungen der Continente zu den Tiefen des Meeres ist von Laplace in dem V. Bande der Mecanieque celeste behandelt worden. Es hat die Lösung desselben ihn bei Annahme von mittleren Werthen auf Resultate geführt, die ich in einem Memoire ("sur le centre de gravite du volume des terres elevees au-dessus du niveau actuel des eaux de la mer") im Jahre 1843 mit einer grossen Zahl wirklicher geodätischer Messungen verglichen und zum Theil bestritten habe. Ich habe geglaubt erweisen zu können, dass die mittlere Höhe der Continente über dem jetzigen Meere als obere Grenze wahrscheinlich nicht viel mehr als 948 Pariser Fuss beträgt, wenn der ebengenannte grosse Geometer die mittlere Continental- Höhe mehr als dreimal grösser, genau zu 3078 Fuss, annahm. Die Masse der Gebirgsketten ist so gering, dass z. B. die Kette der Pyrenäen, deren Volumen wir mit mehr Sicherheit als das vieler anderer Ketten angeben können, auf die ganze Area von Frankreich verstreut, die mittlere Höhe des Landes nur um 18 Toisen erhöhen würde. Mehr Sicherheit als diese, theilweise auf Theorien gegründeten Beobachtungen gewähren directe Bestimmungen einzelner Maxima von Höhen der Berge und von Tiefen des Oceans. Wenn wir uns die Erde, wie den Mond, ohne eine flüssige Umhüllung denken, so erscheinen uns Bergmassen und Gipfel, ja die ganze Oberfläche der Erde dann erst in ihrer wahren Gestalt. Die neue Bestimmung einer ungeheuern Meerestiefe, welche mir der Oberst Sabine vor wenigen Tagen in einem Briefe aus Woolwich mitgetheilt hat, ist vielleicht würdig, die Aufmerksamkeit der Akademie auf sich zu ziehen. Die grösste Meerestiefe, die bisher erreicht worden war, ist die auf der antaretischen Expedition von Sir James Ross gemessene zu 4600 engl. Fathoms (27600 feet) oder 25896 Par. Fuss; nördl. Breite 15° 3', östl. Länge 23° 14' westl. von Greenwich. Voyage to the Antarctic Regions. Vol. II. p. 382. Am 30. October 1852 hat Capitän Denham of the Royal navy, commanding the Herald, statt in 4600 in einer Tiefe von 7706 Fathoms (46236 Feet) oder 7230 Toisen oder 43380 Par. Fuss erst den Meeresboden, Grund gefunden. Es wurden besondere Vorsichtsmittel angewendet, um ein genaues Resultat zu erhalten. Der Versuch geschah im südlichen atlantischen Meere, nördl. Breite 36° 49', östl. Länge, 37° 6' westl. von Greenwich. Das Herabsinken des Bleies dauerte 9 Stunden 25 Minuten. -- Ich erinnere mich, dass vor zwei Jahren, ebenfalls im südlichen atlantischen Ocean, aber 9° nördlicher und 8° östlicher, der Lieutenant Goldsborough, in Diensten der Vereinigten Staaten, auf einer Ueberfahrt von Rio de Janeiro nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung auch tiefe Sonden bis 3100 Fathoms (18600 Feets) geworfen hatte. Athenäum. Jahrg. 1851, Nr. 1226, p. 460. Die Meerestiefe von mehr als 43000 Par. Fuss, welche Capitän Denham nach der obigen Angabe vorigen Herbst erreicht hat, ist last 17000 Par. Fuss grösser als die Höhe des Kintschindjinga, des höchsten wohlgemessenen Gipfels des Himalaya-Gebirges, den wir seit meines Freundes Joseph Hooker's tibetanischer Reise kennen. Der Kintschindjinga hat 4406 Toisen (26438 Par. Fuss); der Gipfel ist also über diesem tiefsten Punkte der Erdoberfläche 11636 Toisen (69816 Par. Fuss), etwas über drei geographische Meilen erhaben. Auf der Mondoberfläche ist in den zwei höchsten Bergen Dörfel und Leibnitz, dieser Unterschied zwischen dem Maximum der Erhebung und den Mondebenen -- sogenannten "Meeren" nur 3800 Toisen oder eine geographische Meile. Die Anschwellung der Aequatorialgegend des Erdsphäroids beträgt kaum das Doppelte der oben angegebenen absoluten Höhe (11636 Toisen) eines Gipfelpunktes des Kintschindjinga über dem niedrigsten jetzt bekannten Punkte des Meeresbodens. Der Unterschied der Aequatorial- und Polar-Durchmesser ist nämlich 1718,9 -- 1713,1 geographische Meilen, jede zu 3807,23 Toisen = 22843 Par. Fuss Länge gerechnet. Vergleichungen positiver und negativer Höhen hatten auch schon die alexandrischen Philosophen angestellt, wie Cleomedes (Cyclica theor. lib. I. cap. 10) und Plutarch uns lehren. Der Letztere sagt ausdrücklich im Leben des Aemilius Paulus (cap. 25), wo er der Bemessung des Olympus durch Xenagoras und der von ihm dort eingegrabenen Inschrift erwähnt: "Die Geometer glauben, dass kein Berg höher und kein Meer tiefer als 10 Stadien sei."