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Alexander von Humboldt: „Vorwort“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1853-Vorwort_a_Wilhelm_von_Humboldt-1> [abgerufen am 19.04.2024].

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Titel Vorwort
Jahr 1853
Ort Berlin
Nachweis
in: Wilhelm von Humboldt, Sonette, Berlin: Georg Reimer 1853, S. [III]–XVI.
Postumer Nachdruck
Unter dem Titel „Vorwort zu Wilhelm von Humboldts Sonetten“, in: Alexander von Humboldt, Das große Lesebuch, herausgegeben von Oliver Lubrich, Frankfurt/M.: Fischer 2009, S. 221–229.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VII.61
Dateiname: 1853-Vorwort_a_Wilhelm_von_Humboldt-1
Statistiken
Seitenanzahl: 14
Zeichenanzahl: 15165
Bilddigitalisate

|III|

Vorwort von Alexander v. Humboldt.


Die Sonette meines Bruders, von ihm ſelbſtnicht zur Veröffentlichung beſtimmt, ja den nächſtenAngehörigen bis zu ſeinem Tode (am 8 April 1835)unbekannt geblieben, ſind, wie ich ſchon an einem an-deren Orte geſagt, als ein Tagebuch zu betrachten,in dem ein edles, ſtill bewegtes Seelenleben ſich ab-ſpiegelt. Aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet, ge-währt ihre Sammlung ein eigenthümliches Intereſſe.Wenn ſie einen Reichthum von Ideen offenbart überden erhabenen Einklang in den Kräften der Natur,wie über das ungleiche Wechſelſpiel in den Schick-ſalen der Menſchheit; ſo bezeugt ſie auch zugleichRuhe und milde Stimmung des Gemüths am Endeeiner Laufbahn in vielbewegter Zeit. Bei einemStaatsmanne, der nach langer und angeſtrengter |IV| Thätigkeit in einen engen Familienkreis zurücktritt,um dem Genuß der freien Natur, um großen, aberſchmerzlichen Erinnerungen, um dem Studium desAlterthums und der Entwickelung der Sprachorga-nismen zu leben: ſind eine ſolche Milde, ein ſolcherinnerer Friede des Gemüths eine ſeltene, ſchön er-rungene Himmelsgabe zu nennen. In dieſer Betrachtung iſt wenigſtens theilweiſedie Urſach des Beifalls bezeichnet, der in weiten Krei-ſen in und außerhalb Deutſchlands den BriefenWilhelms von Humboldt an eine Freundin ſo anhaltend geſchenkt worden iſt. Die kleinen poe-tiſchen Schöpfungen, welche hier zum erſten Male vereint erſcheinen, nachdem ſie vorher in 7 Bändender geſammelten Werke zerſtreut waren, enthal-ten gleichſam die Selbſtbiographie, die Charakter-ſchilderung des theuren Bruders, deſſen Beiſpiel we-ſentlich auf meine geiſtigen Beſtrebungen eingewirkthat und den ich ſo viele Jahre zu überleben beſtimmtbin. Die Sonette ſind ausgewählt aus einer großenZahl, da er nach dem Verluſte ſeiner hochbegabtenGattin (26 März 1829) faſt jeden Tag eines, bis-weilen in ſpäter Nacht, aus dem Gedächtniß nieder- |V| ſchreiben ließ. Jedes Hundert der Sonette wurdeabgeſondert und dann erſt einer flüchtigen Correcturunterworfen. Die ganze Compoſition fällt in dieletzten Lebensjahre, ohngefähr vom September 1831bis Anfang März 1835, wo eine Krankheit HerrnFerdinand Schulz (den jetzigen geheimen Regiſtratorbei der Hauptverwaltung der Staatsſchulden) vonihm trennte. Dieſem Manne, der ſein ganzes Ver-trauen beſaß, verdanken wir die Kenntniß des langeverborgenen Käſtchens, in welchem die Sonette auf-bewahrt wurden. Die anmuthigen Umgebungen des Landſitzes vonTegel (See und Wald); das Grabmonument: eineGranitſäule, welche die Statue der Spes von Thor-waldſen krönt; der Anblick des Meeres in drei aufeinander folgenden Reiſen nach dem Bade Norder-ney; haben jene Dichtungen hervorgerufen. In deminnerſten empfänglichen Sinn des Menſchen reflectirtlebendig und wahr ſich die phyſiſche Welt. Wo dieFreude an der Natur, wie es der Fall bei dem Hin-geſchiedenen war, mit dem Alter zunimmt, bietetunter jeglicher Zone der Blick auf die unbegrenzteMeeresfläche oder auf die ewigen Sterne des Him- |VI| melsgewölbes das ernſte, erhabene Bild der Unend-lichkeit dar. Aber Reichthum in der Welt der Gedanken wiein der Welt der Gefühle iſt nur Stoff, nur dasMaterial zu idealer dichteriſcher Geſtaltung. In derDichtung müſſen, nach dem alten Ausſpruche Schil-ler’s *)Stoff und Form, ſelbſt die äußere, in-nigſt zuſammenhangen.„ Ein langer Aufenthalt inRom, und vielleicht ein lebhaftes Intereſſe für ge-wiſſe Epochen des italiäniſchen Dichterlebens ſchei-nen meinem Bruder eine beſondere Vorliebe für einekleine lyriſche Form eingeflößt zu haben, welche demGedanken (ſoll der Wohlklang nicht aufgeopfert wer-den) enge Feſſeln anlegt, die er aber mit bewußterFreiheit behandelte. Wenn nun der Dichter nach ſei-ner realen Eigenheit und Individualität am lebhaf-teſten das Bedürfniß fühlte, alles was der Empfin-dung entquillt, mit Ideen zu verweben; wenn esihm an Muße und augenblicklich auch an Neigungfehlte in das tiefe Geheimniß von dem Verhältnißdes Rhythmus zu dem Gedanken einzudringen: ſo
*) Schiller im Briefwechſel mit Göthe Theil 3.S. 327.
|VII| mußte allerdings eine mindere Sorgfalt, auf die Form gewandt, Störung des Eindrucks da verur-ſachen, wo ſich der dichteriſche Stoff in allzu reicherFülle dargeboten hatte. Mit vielem Rechte zögernd,in einem mir ſo fremden Gebiete ein beſtimmtes Ur-theil auszuſprechen, wage ich doch daran zu erinnern,daß die Störungen, deren ich Erwähnung that, wohlmehr bei Vereinzelung der Sonette als bei ihrerAneinanderreihung gefühlt werden. Wer den Dich-ter lieb gewinnt in ſeiner edlen und reinen Dichter-natur, gewöhnt ſich allmälig an gewiſſe Sprach-formen, die aus der Individualität des Charaktersgleichſam organiſch erwachſen. Unbefangen und be-ſcheiden wird ſchon auf dem erſten Blatte dieſes Büch-leins das was wir hier als Sammlung und Aus-wahl darbieten, eine — leicht geſchlungene LiederketteIn Tages-Eil geborener Sonette genannt. Wilhelms von Humboldt kritiſche Unter-ſuchungen über den Versbau der Griechen; die Sorg-falt, die er auf ſeine metriſchen Ueberſetzungen desAgamemnon, des Chors der Eumeniden und derPindariſchen olympiſchen Oden verwandte: bewei- |VIII| ſen *) genugſam, daß er bei den zur Oeffentlichkeitbeſtimmten Dichtungen die Form keinesweges ver-nachläſſigte. „Meine mühſeligſte, meine ſauerſte Ar-beit in der Ueberſetzung des Agamemnon,„ ſchrieb eran Wolf, „iſt der Versbau.„ Die, in deutlichſterReinſchrift hinterlaſſenen Sonette ſind unverändertabgedruckt worden, wie es die Pietät gegen den Dich-ter erheiſchte.
Ich habe in dem Eingange zu dieſem Vorwortezu entwickeln verſucht, wie das lebhafte Intereſſe,welches die Briefe an eine Freundin, und die Sonette bisher ſelbſt da erweckt haben, wo ſie ſehrheterogenen: philoſophiſch-hiſtoriſchen, linguiſtiſchenund politiſchen Arbeiten beigeſellt waren; ſich vor-zugsweiſe auf die anziehende Kraft moraliſcher undpſychologiſcher Motive gründe. Ein flüchtig geſchrie-benes Fragment aus dem noch unedirten Nachlaß
*) Vergl. die Geſammelten Werke Bd. I. S. 267 bis269 (Recenſion von Wolf’s zweiter Ausgabe der Odyſſee);Bd. II. S. 304 (über den rhythmiſchen Periodenbau beiGelegenheit der Ueberſetzung Pindariſcher Oden); Bd. III. S. 19 — 33 und S. 97 (über das Versmaaß in der Ueber-ſetzung des Agamemnon, des Aeſchylos und des Chors derEumeniden); Bd. V. S. 8 und 91 — 93 (Briefe an Wolf).
|IX| meines Bruders, das erſt ſeit wenigen Monaten inmeine Hände gekommen iſt, kann vielleicht auf eingleiches Intereſſe Anſpruch machen, da es in ernſterEinfachheit und Würde den Ideen und Gefühleneine ähnliche Färbung giebt. Es iſt daſſelbe vor demJahre 1824 niedergeſchrieben. Um es der Oeffent-lichkeit nicht zu entziehen und da die geſammeltenWerke mit dem 7ten Bande geſchloſſen ſind, laſſeich es hier folgen:
„Ueber das Verhältniß der Religion und derPoeſie zu der ſittlichen Bildung.“ „Ein Menſch hat moraliſche Bildung, wenn dieSittlichkeit in ihm zur Geſinnung geworden iſt. „Die Grundquelle der Sittlichkeit iſt nicht das Ge-fühl im Allgemeinen, das den Menſchen ſehr irre leitenkönnte. Die Sittlichkeit beſteht vielmehr in der frei-willigen Unterwerfung unter das Sittengeſetz, und be-ruht alſo auf dem Grundſatz der Pflichtmäßigkeit. „Gefühle und Grundſätze ſind aber ſehr verſchiedenvon einander. Gefühle haben nur dann wirklichen mo-raliſchen Werth, wenn ſie auf Grundſätzen beruhen, undin Empfindung übergegangene Grundſätze ſind.
|X| „Die Religion erhebt das Sittengeſetz auf eine hö-here Stufe, indem ſie es als ein Geſetz Gottes zeigt;ſie erleichtert zugleich dem Menſchen die Befolgung deſ-ſelben, da ſie an die Stelle trockner und nackter Pflicht-mäßigkeit die, jedem gutgearteten Menſchen natürlichenGefühle der kindlichen Ehrfurcht, Liebe, Dankbarkeit undFolgſamkeit gegen Gott ſetzt; und auf eine Fortdauernach dem Tode hinweiſt, in welcher die Entſagungen,welche die Pflicht auferlegt, eine fernere, von allen ir-diſchen Zufällen freie, und vollkommen gerechte Beloh-nung finden. Sie erhebt aber auch den Menſchen inſeinem ganzen Innern, da der religiös geſtimmte Menſchfühlt, daß er ein Gegenſtand der Liebe und Sorgfaltdes Unendlichen iſt; daß das irdiſche Leben, als derkleinſte und unvollkommenſte Theil ſeines Daſeyns, mitallen ſeinen Gütern und Vorzügen nicht in Betrachtungkommt gegen die Reinheit der über daſſelbe hinausge-henden Geſinnung; und daß ihm, ſoweit es die Schran-ken der Endlichkeit verſtatten, eine Gemeinſchaft mit demWeſen eröffnet iſt, welches Alles hervorgebracht hat undAlles erhält. „Es iſt demnach durchaus falſch, daß die Religionim Grunde nur Lehren aufſtellt. Sie lebt und webt viel-mehr in Gefühlen. Denn ſie ſtellt Wahrheiten auf, dieihrer Natur nach, in jedem Menſchen, der ſich ihren Ein-drücken offen erhält, zu Gefühlen werden; Wahrheiten,die nur aus dem natürlichen Gefühl entwickelt und ent- |XI| faltet zu werden brauchen, damit die Ueberzeugung desVerſtandes und die hinzutretende Erkenntniß das bloßeGefühl vor Unbeſtimmtheit und Unrichtigkeit bewahre. „Die Religion iſt alſo nicht nur das kräftigſte Be-förderungsmittel der Sittlichkeit, ſondern Religion undSittlichkeit, religiöſe und moraliſche Bildung ſind eigent-lich Eins und Ebendaſſelbe. Ein wahrhaft religiöſerMenſch iſt ſchon eben dadurch auch ein ſittlicher; undes wäre eine gewiſſermaßen unnütze Frage, ob ein ſitt-licher Menſch auch nothwendig ein religiöſer ſeyn muß?da die wahre Sittlichkeit in ihren höchſten Principieneine ſolche Anerkennung von dem Verhältniß des Men-ſchen zu dem, was über die Endlichkeit hinaus liegt,vorausſetzt, daß ſie ſelbſt nothwendig Religion iſt.
„Die Poeſie ſteht zur Bildung des Menſchen ineiner zwiefachen Beziehung: 1) in einer der Form: indem ſie Wahrheit undLehre durch Einkleidung und rhythmiſchen Ausdruck derEinbildungskraft näher zu bringen ſucht; 2) in einer des Inhalts: indem ſie, überall dasErhabenſte, Reinſte und Schönſte aufſuchend, im Men-ſchen immer das Höchſte und Geiſtigſte ſeiner Naturanzueignen bemüht iſt; und ihm beſtändig vor Augenhält, daß er den vorübergehenden Genuß der dauern-den inneren Genugthuung, das Irdiſche dem Unendlichen |XII| nachſetzen, und im Widerſtreit der Neigungen und Pflich-ten Alles, durch Selbſtbeherrſchung und Erhebung überdas Niedere und Gemeine, dem Adel und der Reinheitder Geſinnung opfern muß.
„Religion und Poeſie ſtehen in gar keinem, amwenigſten in einem ſchroffen Gegenſatz gegen einander. „Denn beide arbeiten nicht nur gleichmäßig auf dieVeredlung des Menſchen hin, ſondern die religiöſenWahrheiten ſind alle der Art, daß ſie gerade des höch-ſten dichteriſchen Ausdrucks fähig ſind; und die Poeſiekann gar keine hohe, oder tiefe ſeyn, wenn ſie nicht im-mer in das Gebiet hinübergeht, in welchem auch dieReligion weilt. „Alle großen Trauerſpiele des Alterthums und derneueren Zeit beruhen auf der Vorſtellung der Abhän-gigkeit des endlichen Menſchen von einer unendlichenMacht, und auf der Nothwendigkeit, das Endliche (Glückund Neigung) dem Ueberirdiſchen (Pflicht und Geſinnung)zum Opfer zu bringen. „Aller Gottesdienſt nimmt daher die Poeſie, alsetwas der Religion nahe Verwandtes, in ſich auf. „Die Poeſie darf aber nur neben der Religion ge-nannt werden, wenn ſie die höchſte, würdigſte und reinſteiſt. Sie kann auch alles dies in minderem Grade ſeyn,und ſogar einen entgegengeſetzten Weg einſchlagen; darum |XIII| iſt es zugleich unmöglich und unzuläſſig, Religion undPoeſie mit einander vergleichen zu wollen, und nochmehr, die letztere als die moraliſche Bildung mehr be-fördernd zu betrachten.
„Wenn man von dem Einfluſſe der Poeſie auf diemoraliſche Bildung reden will, ſo iſt davon auszugehen,daß, ehe auf eine würdige Weiſe die Poeſie auf denMenſchen einwirken kann, in ihm eine doppelte Grund-lage vorhanden ſeyn muß: „1) eine Grundlage der Geſinnung, die An-erkennung ſittlicher Pflicht, und der Nothwendigkeit ſichdieſer zu unterwerfen; dazu religiöſes Gefühl, Ueber-zeugung von einem höchſten Weſen, Glaube und ver-trauende Liebe, Zuverſicht, daß mit dem irdiſchen Todedas wahre Daſeyn des Menſchen erſt beginne. Allesdas muß auf einem wahren, ſicheren Grunde beruhen;darin muß gar keine Poeſie ſeyn, weil es die Grund-feſten der menſchlichen Geſinnung ſind. „Wo dieſe Grundlage fehlt, kann keine Poeſie wahr-haft moraliſch wirken. Derjenige, in dem ſie nicht iſt,kann wohl augenblicklich von Macbeth’s Lage ergrif-fen werden; aber das, was Shakeſpeare eigentlich hatwollen fühlen laſſen, fühlt allein der, welcher unabhän-gig von aller Poeſie, die Stimme des Gewiſſens imBuſen trägt, und empfindet, wie furchtbar es ſei zu |XIV| tödten, wenn Gott das Gebot nicht zu tödten in dasHerz des Menſchen gelegt hat. „Die Religion der Griechen war nicht poetiſcher alsdas Chriſtenthum, ſie war nur ſinnlicher. „Die Griechen haben eben nicht durch Vollkommen-heit der moraliſchen Bildung geglänzt. „2) eine Grundlage der Erkenntniß. „Wer nicht über die wichtigſten Wahrheiten oftgründlich nachgedacht, wer nicht Kenntniſſe im gehörigenMaaße geſammelt hat, der verſteht den Dichter nurhalb, und auf den übt die Poeſie nur eine vorüber-gehende, leicht von ihm abgleitende Wirkung aus. Ermeidet vielleicht das Rohe und Gemeine, aber es bleibtin ihm eine betrübende Leere. „Die Poeſie verführt wohl zu der Einbildung, daßman dieſe Grundlagen entbehren könne; aber dies iſt nichtihre Schuld, ſondern die Schuld derer, die ſie misverſtehen.Shakeſpeare, Schiller und Göthe würden alle Leſer zurück-weiſen, welchen es an jenen Grundlagen fehlt, oder die nichtwenigſtens ernſtliches Bemühen zeigen, ſie ſich zu verſchaffen. „Wo aber jene Grundlagen vorhanden ſind, da be-ginnt der wohlthätige Einfluß der Poeſie auf die mora-liſche Bildung, ein Einfluß der nie zu hoch angeſchlagenwerden kann. „Die Poeſie wirkt darin zuerſt wie die Sittenlehreund die Religion ſelbſt; ſie wirkt mit der Macht, dieſie, gerade als Poeſie, über den Menſchen ausübt. |XV| „Sie macht aber auch den ganzen Menſchen fürdie moraliſche Bildung empfänglicher, indem ſie ihn ge-wöhnt in Dingen, die ganz außerhalb des Gebietes derSittenlehre und der Religion liegen, nur am Schönen,Edlen und Harmoniſchen Gefallen zu haben, und dasGegentheil überall von ſich zu ſtoßen.„
Dieſes Fragment über den Einfluß, welchen dieDichtung, in ähnlicher Weiſe wie die Religion, aufdie moraliſche Bildung des Menſchen auszuübenvermag, iſt im Beſitz eines theuren Freundes, desProf. Ratzeburg (an der Königl. Forſtakademie zuNeuſtadt-Eberswalde), eines talentvollen Natur-forſchers, der mehrere Jahre Erzieher von Hermannv. Humboldt, dem zweiten Sohne meines Bruders,war. In einem aus Albano an mich gerichtetenGedichte (September 1808) athmen dieſelben Ge-fühle von reiner Sittlichkeit und unerſchütterlicherReſignation:
— aus des Buſens Tiefe ſtrömt Gedeihn Der feſten Duldung und entſchloſſner That. Nicht Schmerz iſt Unglück, Glück nicht immer Freude; Wer ſein Geſchick erfüllt, dem lächlen beide.
|XVI| In den dichteriſchen Geſtaltungen wie in denproſaiſchen Aufſätzen offenbart ſich unabläſſig dieEigenheit und das weſentliche Gepräge eines gro-ßen, durch hohe Geiſtesgaben getragenen Charak-ters.