Digitale Ausgabe

Download
TEI-XML (Ansicht)
Text (Ansicht)
Text normalisiert (Ansicht)
Ansicht
Textgröße
Originalzeilenfall ein/aus
Zeichen original/normiert
Abbildungen
Zitierempfehlung

Alexander von Humboldt: „Aus einer Zuschrift Al. von Humboldt’s an C. Ritter“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1853-Aus_einer_Zuschrift-1> [abgerufen am 29.03.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1853-Aus_einer_Zuschrift-1
Die Versionsgeschichte zu diesem Text finden Sie auf github.
Titel Aus einer Zuschrift Al. von Humboldt’s an C. Ritter
Jahr 1853
Ort Berlin
Nachweis
in: C[arl] Ritter, „Die Auffindung der Nordwest-Passage durch Capitain M’Clure“, in: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde 1 (1853), S. 321–327, hier S. 321–322, Karte.
Postumer Nachdruck
Brief an Carl Ritter, Potsdam, 22.10.1853, in: Alexander von Humboldt, Carl Ritter, Briefwechsel, herausgegeben von Ulrich Päßler, Berlin: Akademie 2010, S. 138–139.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken; Besonderes: Zeichnung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VII.43
Dateiname: 1853-Aus_einer_Zuschrift-1
Statistiken
Seitenanzahl: 8
Zeichenanzahl: 20419
Bilddigitalisate

|321|

Die Auffindung der Nordweſt-Paſſage durch CapitainM’Clure.(Hierzu Tafel VI.)

a. Aus einer Zuſchrift Al. von Humboldt’s an C. Ritter.

.... Anbei überſende ich Ihnen die neue Admiralitäts-Karte der North-Weſt-Paſſage **), über welche die Zeitungen ſo widerſprechende, mit kei-ner Karte übereinſtimmende Nachrichten gegeben hatten. Alles mußte unver-ſtändlich bleiben, ſo lange man ignorirte, daß das ehemalige, die Barrows-Straße ſchließende Banks-Land in zwei Inſeln, Barings-Inſel (nacheinem der Chefs der Admiralität, Sir Alexander Baring, alſo genannt) und Prince-Albert’s-Land, geſpalten iſt. Der Kanal, der beide Inſeln trennt,und den M’Clure auf dem Inveſtigator durchſegelt iſt, um von den Waſſern,die Kotzebue’s-Sund und das weſtliche Nord-Amerika beſpülen, in die Banks-und Melvilles-Sunde zu gelangen, iſt das eigentliche Theater der Durchfahrt.Der Mann der Durchfahrt blieb aber im Eiſe ſtecken und die Nachricht ge-langte durch den Capitain der Travelling-Parties, die längs der nördlichenKüſte der Banks-Melvilles-Barrow-Lancaſter-Straße ſich an Inglefield’sExpedition anſchloſſen, nach England ***).

**) Der Titel dieſer am 11. April d. J. in London erſchienenen Karte iſt: Chartshewing the North West Passage discovered by H. M. Ship Investigator, alsothe Coast explored in Search of Sir J. Franklin, by Sir James Ross 1848—49, Capt.Mc Clure 1850, Capt. Austh 1850, Mr. Penny 1850, Mr. Rae 1851, Mr. Ken-nedy 1852, Capt. Inglefield 1852—53, by E. A. Inglefield Commander H. M. S.Phoenix. Hydrogr. office Admiralty 11. Oct. 1853. Die zu dieſer Notiz gehörendeTafel iſt ein verkleinertes Stück derſelben. Al. von Humboldt. ***) M’Clure, der Entdecker der Nordweſt-Paſſage, wurde im December 1849mit dem Inveſtigator nach der Behringsſtraße geſandt, und folgte vom Juli bis Sep-tember 1850 der Küſte Nord-Amerika’s vom Cap Barrow (156° w. L. von Gr.)an bis Cap Bathurſt (127°). Hierauf ſegelte er in nordweſtlicher Richtung nachdem ſogenannten Bankslande und fand daſſelbe aus 2 großen Inſeln, einer weſtli-chen, von ihm Baringsinſel genannten, und einer öſtlichen, dem Prinz Alberts-Land,
|322|

b. Weiterer Bericht über M’Clure’s Entdeckungen *).

Die Rückkehr des Dampfſchiffs Phönix, welches der zur Aufſuchung SirJames Franklin’s beſtimmten Expedition Sir E. Belcher’s neuen Proviantzuführen ſollte, hat uns die intereſſanteſte Kunde aus den Nord-Polargegen-
beſtehend. Die beide Inſeln trennende Meerenge nannte M’Clure Prince of WalesStrait. Jetzt heißt ſie North West Passage, und ſie wurde durch M’Clure im Som-mer 1850 unterſucht. Dieſer ging dann zurück in die Straße und überwinterte von1850—1851 an deren Nordmündung. Nachdem er endlich um die ganze ſüdlicheund weſtliche Seite der Baringsinſel herumgegangen war, blieb er den zweiten Winter1851—1852 in der Mercy-Bai am Nordrande der Inſel, wo die letzte durch Banks-Strait von Melville-Island getrennt wird. Die Travelling Parties waren ihrerſeits überBanks-Strait nach der Melville-Inſel gegangen und hatten im Sommer 1853 bisAuguſt die ganze Küſte der letzten Inſel und die Fortſetzung der Barrowsſtraße bisWellington-Channel verfolgt, wo Capitain Inglefield mit ſeinem Schiff Phönix denLieut. Creswell vom Inveſtigator aufnahm und nach England mit ſeinen Depeſchenbrachte. Die Nordweſt-Paſſage geht von 114—120° L. G. in SSW—NNO.-Richtung; die Nordoſtſpitze von Prinz Alberts-Land liegt im 73° 5′. Al. von Humboldt.
M’Clure iſt, gleich dem Nordfahrer Capitain Kellet, nach einer Notiz des Nor-thern Whig, ein Irländer und zwar aus der Provinz Ulſter gebürtig. Ueber ſeineEntdeckungen ſpricht ſich neuerlichſt A. Petermann in folgender ehrenvollen Weiſe aus(Athenäum vom 22. October 1853 Nr. 1356): „Unter den geographiſchen Reſulta-ten, die bis jetzt in den arctiſchen Regionen erzielt wurden, iſt die Entdeckung derNordweſt-Paſſage eine der augezeichnetſten. Es iſt ein ehrenvoller Triumph für Eng-land, durchgeführt zu haben, was faſt unmöglich ſchien. M’Clure nimmt eine dererſten Stellen im Range der arctiſchen Entdecker ein. Dem wahren Geographenwird ſeine Entdeckung für mehr als eine geographiſche Curioſität, viel mehr für einegeographiſche Hauptformation der Erdoberfläche (Geographish feature) gelten müſ-ſen. Denn die Paſſage iſt unzweifelhaft nur einer der unzähligen Canäle und Paſ-ſagen, die für die arctiſchen Regionen ſo characteriſtiſch ſind. — WellingtonsChannel, welcher das öſtlich gelegene North Devon nebſt Albert-Land von demweſtlichen Cornwallis-Land, Bathurſt-Land und The Queens-Land im Weſten trennt,wurde nebſt ſeiner nördlichen Fortſetzung, dem The Queens-Channel, bekanntlich durchCapit. Penny’s zur Aufſuchung Sir John Franklin’s ausgeſandten Expedition im Jahre1850—1851 ſehr gründlich unterſucht, indem Capit. Pennys Travelling parties beſon-ders dem Weſtrande der Straße bis Steward-Point und Sir Robert Inglis-Bai, alſobis 76° 25′ n. Br. folgten, während Sutherland den Oſtrand erforſchte. Die ganze Folgeder wichtigen Unterſuchungen von Penny’s Expedition findet ſich ſehr anſchaulich dar-geſtellt in A. Petermann’s, unter dem Titel: A Chart of Arctic Regions shewing therecent discoveries and illustrating Dr. Sutherlands account of a voyage performed byan expedition under the command of Capitain Penny in search of Sir John Frank-lin 1850—1851 zu London vor Kurzem erſchienenen Ueberſicht. — Banks-Land galt bisher als der nördlichſte, durch die von Capit. Perry entdeckte Mellville-Straitvon Melville-Island getrennte Rand eines ununterbrochenen, ungeheuern, von Oſtnach Weſten fortſetzenden Landſtrichs, welcher durch das Nord-Polarmeer von derNordküſte des Continents geſchieden wurde, und deſſen ſüdlichſte Ränder man Wolla-ſton- und Victoria-Land genannt hatte. Gumprecht.
*) Der nachfolgende Bericht iſt im Original von einer Skizze begleitet, die we-niger vollſtändig und genau iſt, als die unſerem Aufſatz beigefügte Karte. Gumprecht.
|Seitenumbruch| |323| den, gleichzeitig aber auch Nachrichten der betrübendſten Art gebracht. DasAthenäum vom 15. October Nr. 1355 S. 1224—1227 giebt einen ſichtlichaus officiellen Quellen gefloſſenen Bericht über den ganzen Gang dieſer Un-terſuchungen, welche endlich zu der Löſung eines Problems führte, das dreiJahrhunderte hindurch den Unternehmungsgeiſt der ſeefahrenden Nationen, na-mentlich aber der britiſchen, beſchäftigte. Mit der M’Clure gelungenen Auf-findung der Nordweſt-Paſſage zwiſchen dem Atlantiſchen und Stillen Oceaniſt ſo die lange Reihe der Forſchungen rund um den Continent von Ame-rika endlich zum Abſchluſſe gekommen. M’Clure gelang es nämlich, von derBehrings-Straße im Weſten bis auf 60 engl. Meilen von der Melville-Straße vorzudringen. Nach den letzten Nachrichten erwartete er dort nurden Aufbruch des Eiſes, um durch dieſe Straße auf dem Oſtwege nach Eng-land zurückzukehren. Zwar hatte dieſes Problem hinſichtlich der früher vonſeiner Löſung erwarteten Handelsvortheile bereits längſt alles Intereſſe verlo-ren. Doch iſt die endliche Löſung dieſer ſchwierigen Aufgabe ein wiſſenſchaft-licher Triumph, welcher der engliſchen Flagge zu neuer Ehre gereicht.
Zu der Einſicht in die Nutzloſigkeit der Nordweſt-Paſſage für Handels-verhältniſſe kam noch die Trauerbotſchaft über das ſpurloſe Verſchwinden derFranklin’ſchen Expedition. In der That wurde das glänzende Reſultat derwirklichen Auffindung der NW.-Paſſage der wiſſenſchaftlichen Welt dadurchbitter getrübt, daß keine Aufklärung über das Schickſal Franklin’s und ſeinerUnglücksgefährten hatte erlangt werden können. Als M’Clure England ver-lies, erklärte er mit Zuverſicht, er werde Sir J. Franklin mit Capit. Crozierwiederfinden oder die NW.-Paſſage entdecken. Das letzte iſt ihm gelun-gen, das erſte nicht. Das Schickſal Franklin’s und ſeiner Unglücksgenoſſeniſt in dem früheren Dunkel verblieben. M’Clure war erſt Lieutenant in Sir James Roß Expeditionsſchiff Enter-priſe. Nach ſeiner Beförderung ging er als Volontair mit der zweiten Ex-pedition zur Behrings-Straße. Indem er mit dem Commando des Inveſti-gator unter dem Ober-Commando des Capit. Collinſon von der Enterpriſebetraut wurde, folgte er dieſem Führer Anfang des Jahres 1850 nach derBehrings-Straße. Da Capit. Collinſon das Packeis nicht durchbrechenkonnte, trennte er ſich von M’Clure und ſegelte nach Hong-kong, wo er über-winterte. M’Clure gehorchte jedoch dem von Capit. Kellet, Befehlshaber desHerald, gegebenen Signal zur Rückkehr nicht und beharrte kühn auf ſeinemEntſchluß, nach NO. zu ſchiffen. Er nahm ſo die ganze Verantwortlichkeitſeines Ungehorſams auf ſich. Glücklicher Weiſe wurde ſeine Kühnheit mitErfolg gekrönt, und merkwürdig iſt es, daß Capit. Kellet, der letzte Mann,den er bei ſeiner Einfahrt in das Eis im Weſten geſehen, auch derjenige war,der nach Verlauf von 3 Jahren ihn im Oſten der Melville’s-Inſel wiederaus dem Eiſe erretten ſollte. Capit. M’Clure’s ſehr voluminöſe Berichte vom 5. Auguſt 1850 lehren |324| uns zuvörderſt, daß er die Barrow-Spitze am NO.-Ende der Behrings-Straße umſchiffte, daß er dann zuerſt nach Oſten zu immer dicht am Ufer fort-fuhr und ſo dem nordamerikaniſchen Continente folgte. Den 9. Auguſt paſ-ſirte er die Mündung des Colville. Den 11. deſſelben Monats wurde eineNotiz auf dem ganz mit Treibholz überlagerten Jones Island niedergelegt.Hier trat man in Verkehr mit den Eingebornen. Einer von ihnen hatte eineFlinte mit dem Namen Barnett und der Jahreszahl 1840 auf dem Schloß.Die diebiſche Art dieſes Volkes fand auch M’Clure beſtätigt. Für Tabacktauſchte man Lachſe und Enten ein. Von da wand man ſich weiter durchenge Waſſerſtraßen bis zu den Pelly-Inſeln an der Mündung des Macken-zie, die am 21. Auguſt erreicht wurden, worauf man dann am 24. Auguſtbis Warren, nahe Cap Bathurſt, gelangte. Hier trug ſich ein Umſtand zu,der näher unterſucht zu werden verdiente. Indem man nämlich zu landen verſuchte, wieſen zwei Eingeborne mitdrohenden Geberden die Fremdlinge zurück. Nur mit großer Mühe konnteman ſie beſchwichtigen, worauf ſie erzählten, daß ihr ganzer Stamm, mitAusnahme ihres Häuptlings und deſſen kranken Sohnes, beim Anblick desSchiffes entflohen ſei; als Urſache gaben ſie an, das Schiff möchte vielleichtden Tod eines Weißen rächen wollen, den ſie vor einiger Zeit ermordet hät-ten. Durch den am Bord des Inveſtigator befindlichen Dolmetſcher berichte-ten ſie, daß einige weiße Männer in einem Boote dahin gekommen und ſich einHaus gebaut hätten, worin ſie lebten. Zuletzt ermordeten die Eingeboreneneinen von dieſen; die anderen ſeien entflohen, wohin, das wußten ſie nicht.Der Ermordete ward in ein Grab gelegt, das ſie zeigten. Capit. M’Clureſagt, daß ein dicker Nebel ihn in der Unterſuchung des Grabes verhindert habe,und daß er zu ſeinem Schiffe zurückkehren mußte. Es iſt ſehr zu bedauern, daß die Richtigkeit dieſer Erzählung nicht er-mittelt werden konnte. Die Fabeleien Adam Beck’s von der Ermordung wei-ßer Männer durch Eskimo’s und die bekannte Uebertreibung dieſer letzten inallen Erzählungen muß freilich ſolche Angaben verdächtig machen. Doch laghier die Möglichkeit der Berichtigung ganz nahe. Schwerlich werden ſich dieEingeborenen eines Mordes ſelbſt anklagen, wenn ſie ihn nicht begangen hät-ten. Eine ähnliche Ausſage wurde ſchon einmal mitgetheilt (im Jahre 1848,Nr. 1094 S. 1029 des Athenäums) und erweckte zu ihrer Zeit große Theil-nahme. Ein Brief wurde deshalb am 1. März 1848 vom Chief-FactorMacpherſon an die Admiralität gerichtet, worin es heißt: „Eine Nachricht vom Peels-Fluß *) ſagt, die Eskimo’s erblickten zwei
*) Der Peels-Fluß iſt ein von Süden kommender und faſt genau unter dem135° w. L. Gr. nach Norden fließender Strom, der ſich unterhalb Fort Macpherſon inſeinem unterſten Lauf mit dem Mackenzie nahe an deſſen Delta verbindet und mit ihmvereinigt das Nord-Polarmeer erreicht. Gumprecht.
|325| große Boote (Erforſchungsſchiffe?) im Oſten des Mackenzie-Fluſſes,voll weißer Männer. Dieſe Eskimo’s zeigten den Peels-Fluß-In-dianern allerlei Meſſer, Draht u. a., die ſie von den Weißen erhaltenhätten. — Konnten dieſe von Franklin oder von Rae erhalten ſein?
Von Rae konnten ſie nicht herſtammen; die Localität würde aber derRoute vollkommen entſprechen, welche ein zurückkehrendes Boot der Frank-lin-Expedition über den Mackenzie genommen haben dürfte. Die Uebereinſtimmung der Localitäten iſt überraſchend. Da M’Clure ſelbſthierüber keine nähere Unterſuchung anſtellen konnte, ſo iſt zu erwarten, daßdie Hudſons-Bai-Compagnie nachträglich eine genauere Erforſchung dieſerAngaben ſich angelegen ſein laſſen wird. Bei Fortſetzung von M’Clure’s Küſtenfahrt gegen Oſten ward das Meerſehr ſeicht, doch blieb die Fahrt ſicher, und ſo erreichte man am 6. Septbr. dasCap Parry. Von hier aus erblickte M’Clure ein Hochland gegen ONO.; ernahm davon Beſitz und nannte es Baring-Inſel. Zwei Tage ſpäter ſah erin NNO. wieder Land, das er Prince Alberts-Land nannte. Dieſes ſtehtim Zuſammenhange mit dem Wollaſton- und Victoria-Land, und dehnt ſichnordwärts bis 73° 71′ n. Br. und 112° 48′ w. L. aus. Hier befand ſichM’Clure nahe an Rae’s Entdeckungen vom Jahre 1851. Der Inveſtigator wurde nun durch den Prince of Wales-Straße ge-nannten Canal geſteuert, welcher die Baring-Inſel von Prince Alberts-Landſcheidet. Er zieht nach NO. und zeigte ſich höchſt günſtig, um die See im Südenvon der Melville-Inſel zu erreichen. In der Mitte der Straße entdeckte maneine Menge Inſeln, die man Prinzeß-Royal-Inſeln nannte. Auf einer der-ſelben wurde ein Magazin mit dreimonatlichem Proviant für 60 Mann ange-legt, wobei man zugleich ein Boot und Munition zurücklies. Weiter den Ca-nal aufwärts ſchiffend, gelang dies wieder bei ſehr ſicherer Fahrt bis zum11. Sept., wo das Schiff von Eisſchollen umlagert, mehrmals kaum der Zer-ſtörung entging. Dies dauerte bis zum 8. Octbr. An dieſem Tage fror dasSchiff nahe am Nordoſt-Ausgange der Straße ein. Während der hier ver-brachten Winterſtation wurden mehrere Excurſionen in die Umgebung gemacht,welche bald zu der Erkenntniß führten, daß die Straße in die Barrow-Straßeeinlaufe, und daß die NW.-Paſſage beſtimmt ermittelt worden ſei. Wäredie See nur wenige Tage länger offen geblieben, ſo hätte die Fahrt in Ei-nem Sommer und in nicht längerer Zeit, als 2\( \frac{1}{2} \) Monat, zurückgelegt werdenkönnen. Aengſtlich wurde auf den Sommer 1851 gewartet. Im Frühlinge erforſchteman die Küſte in NO. und SO. in der Richtung gegen Banks-Land undWollaſton-Land, wobei man Eskimo’s-Stämmen begegnete, die niemals einenWeißen geſehen hatten. Sie waren völlig harmlos. Mehrere Moſchus-Och-ſen wurden auf Prince Alberts-Land geſchoſſen und gaben guten Proviant.Endlich brach das Eis am 14. Juli 1851, ohne Druck auszuüben, auf, und |326| der Inveſtigator wurde wieder flott. Viele Verſuche wurden jetzt weiter zuſchiffen, aber vergeblich, bis zum 16. Auguſt gemacht, wo heftige Nordoſt-winde große Eismaſſen gegen Süden trieben. Damals ſtand das Schiff un-ter 73° 14′ n. Br. und 115° 32′ w. L. Dies zwang Capitain M’Clure ge-gen Süden zu gehen und in nördlicher Richtung die Weſtſeite der Baring-Inſel zu umſchiffen. Mit unſäglichen Hinderniſſen kämpfend gelang dies end-lich, und am 24. Sept. erreichte man die NO.-Seite der Baring-Inſel.Wäre dort das Meer frei geweſen, ſo hätte man leicht durch die bekannteBarrow-Straße gegen Oſten bis zum Lancaſter-Sunde ſchiffen können. Aberin der Nacht zum 24. fror das Schiff unglücklicher Weiſe ein und blieb biszum 10. April 1853 feſtſitzen, von welchem Tage die letzten von CapitainM’Clure eingelaufenen Depeſchen datiren. Die Station war 74° 6′ n. Br. und117° 54′ w. L. Gr. *). Capit. M’Clure beſchreibt die Localität als vortreff-lich; das Schiff war vor den ſchweren Eismaſſen durch den Vorſprung einesRiffs, welches daſſelbe Schiff bis 600 Yards weit freihielt, gut geſchützt. Im April 1852 ſetzte eine Partei nach der Melville-Inſel über undlegte daſelbſt einen Bericht über die Fahrt des Inveſtigator und ſeine dama-lige Stellung nieder. Dies Document wurde glücklicher Weiſe von Capit.Kellet’s Officieren entdeckt, nur wenige Tage zuvor, ehe Capit. M’Clure ſeineVorbereitung zur Verlaſſung des eingefrornen Schiffes begonnen hatte. So-gleich traf man Anſtalt, die im Eiſe eingefrorenen Gefangenen aufzuſuchen.Lieut. Pim, im Dienſte des Capit. Kellet, ward dazu beordert, und welchehohe Freude den ſich Begegnenden in dieſer Eiswüſte zu Theil ward, iſt leichtbegreiflich, zumal da die im Eiſe Eingeſchloſſenen ſich ſchon mit dem verzwei-felten Entſchluſſe vertraut gemacht hatten, auf irgend eine Weiſe ihrem eiſi-gen Gefängniſſe zu entfliehen. Ob der Inveſtigator noch in demſelben Jahrevom Eiſe befreit wurde, iſt unbekannt; wahrſcheinlich ſchien dies nicht, da dieBarrow-Straße und die SW.-Seite von Melville-Inſel von zahlloſen Eis-maſſen auf ungewöhnliche Weiſe geſperrt waren. Welche Gefahren die polare Schifffahrt hat, geht aus der kühnen, aberauf allen Ausgang der Dinge gefaßten Inſtruction hervor, die Capit. M’Cluredas Jahr vorher in folgenden Worten gab: „Es iſt meine Abſicht in dieſem Jahre (1852) nach England zurückzu-kehren, indem ich bei Melville-Inſel und Port Leopold anlege; ſollte abernicht wieder etwas von uns gehört werden, ſo ſind wir am wahrſcheinlich-ſten in das Polarpackeis oder auf die Weſtſeite von Melville-Inſel gera-then. In beiden Fällen würde das Nachſenden von Hülfe nur das Uebel ver-größern, da jedes Schiff, welches in das Polarpackeis geräth, unwiderruf-lich zerdrückt wird. Daher müßte eine Niederlage von Vorräthen oder einSchiff zu Winter Harbour (Winterhafen) das beſte ſein und das einzige Ret-
*) Es iſt dies die Mercy-Bai. Siehe hier S. 322. Gumprecht.
|327| tungsmittel für die etwa noch überlebende Schiffsmannſchaft.“ Die in dieſerInſtruction angegebenen Maßregeln waren glücklicher Weiſe die, welche manbefolgte, und durch ſie wurden M’Clure und ſeine Gefährten gerettet.
Hinſichtlich der Beſchiffung der NW.-Paſſage bemerkt Capit. M’Clure:Ein Schiff, das von Oſten her in die Polarſee eindringt, um gegen Weſtenzu gehen, findet nur enge Straßen, Gegenwind und Packeis, das undurch-dringlich iſt; aber durch Prince of Wales-Straße und entlang der amerika-niſchen Küſte, alſo von Weſten her, würde die Beſchiffung zu Stande kom-men können. Treibholz giebt es hier in Ueberfluß, ſowohl an der Prince ofWales-Straße, wie an der continentalen Küſte Amerika’s, ſelbſt Wildpret.Auf den Anhöhen in der Nähe ſind Rennthiere und Haſen in Menge, dieden ganzen Winter über bleiben. Wir haben uns über 4000 Pfd. davonverſchafft. Aus den von uns gemachten Beobachtungen ergiebt ſich klar, daßdie Strömung entſchieden nach Oſten zu geht. Einmal, ſagt M’Clure, fan-den wir doch bei völliger Windſtille die Strömung von 2 Knoten, und daßdie Fluthen ebenfalls von Weſten kommen, davon haben wir uns bei un-ſerem langen Aufenthalte an den Weſtküſten vollkommen überzeugt. Dasſind wichtige Reſultate, welche für künftige Schifffahrten von der Behrings-Straße aus ſprechen. Bis zum April 1852 war die Mannſchaft des Inveſtigator vollkommengeſund; im letzten Winter zeigte ſich einiger Scorbut, und im Frühjahre ſtar-ben daran 3 Individuen. Nach den letzten von C. Kellet erhaltenen Nachrich-ten hatte dieſer ſeinen Chirurgen zur Unterſuchung des Geſundheitszuſtandesder Mannſchaft des Inveſtigator mit dem Befehle abgeſchickt, daß wenn ſichnicht 20 völlig Geſunde, die freiwillig noch einen Winter dort überwinternwollten, vorfänden, Capit. M’Clure ſein Schiff verlaſſen ſolle. Es ſcheint,daß man dieſe Anweiſung befolgt habe, denn Capit. Inglefield berichtet, daßder Intreprid steam tender (Dampf-Schleppſchiff) zu Beechey-Inſel *) mitder Mannſchaft erwartet werde, und Sir E. Belcher hatte den Nord-Starzur Rückfahrt nach England vorzubereiten befohlen, dagegen den Intrepid anſeiner Stelle auf Beechey-Island ſtationiren zu laſſen. Sir E. Belcher’s Depeſchen, welche den Schluß des Berichts im Athe-näum bilden, haben nicht daſſelbe geographiſche Intereſſe, wie die von M’Clure,doch enthalten ſie manches Wichtige. Erſtlich ſetzen ſie über allen Zweifelfeſt, daß es eine Polar-See (kein bloßes Eiscontinuum) daſelbſt giebt, undzweitens geben ſie die Hoffnung nicht auf, noch fernerhin Spuren von Frank-lin’s Expedition aufzufinden. In einem der nächſtfolgenden Hefte der Zeitſchriftſoll ihr Inhalt mitgetheilt werden.

C. Ritter.


*) Beechey’s-Inſel liegt im ſüdlichen Eingange zu dem Wellington-Channel(S. 322). Gumprecht.

Abbildungen