Alexander von Humboldt. Alexander von Humboldt hatte die Güte, der dringenden Bitte des Herausgebers und Verlegers des „Converſations-Lexikon“ nachgebend, den ihn betreffenden Artikel der neunten Auflage dieſes Werks einer Durchſicht zu unterwerfen. Der berühmte Gelehrte theilte infolge Deſſen der Verlagshandlung freundlichſt eine vollſtändige Zuſammenſtellung ſeiner Reiſen nebſt Angabe der Zeitfolge, der Richtung und des Zweckes mit, welche für den Artikel „Alexander von Humboldt“ in der zehnten Auflage des „Converſations-Lexikon“ benutzt wurde, und hiermit den Leſern der „Gegenwart“ als ein höchſt intereſſantes Document dargeboten wird. Die mit Anführungszeichen („“) bezeichneten Stellen ſind wörtlich der Handſchrift Humboldt’s entlehnt; der verbindende Text gehört dem betreffenden Artikel der neunten Auflage des „Converſations-Lexikon“ an. D. Red. Friedrich Heinrich Alexander Freiherr von Humboldt wurde in Berlin am 14. Sept. 1769 geboren, ſtudirte in Frankfurt a. O. und Göttingen, beſuchte eine Zeit lang die Handelsakademie von Büſch und Ebeling in Hamburg und verlebte hierauf, 1790 —91, ein Jahr auf der Bergakademie in Freiberg. Die ihm von der preußiſchen Regierung 1792 gegebene Anſtellung als Aſſeſſor im Bergwerksdepartement, welche ſpäter mit dem Amte eines Oberbergmeiſters in Baireuth vertauſcht wurde, gab er 1795 wieder auf, um einen Lebensweg einzuſchlagen, auf welchem es ihm gelungen iſt, das Außerordentlichſte für die Wiſſenſchaften zu leiſten und ſich einen unvergänglichen Namen zu bereiten. Von Jugend auf zur Naturforſchung durch innern Genius getrieben, angeregt durch erfolgreiche kleinere Reiſen, zumal aber durch den Umgang mit J. G. Forſter, den er 1790 auf einem Ausfluge nach dem Niederrhein, England und Holland begleitet hatte, begann er nach einem Lande umzublicken, deſſen natürlicher und wenig gekannter Reichthum dem fleißigen Forſcher die Ausſicht auf zahlreiche und werthvolle Entdeckungen eröffnen könnte. War auch die Wahl deſſelben nicht ſogleich feſt entſchieden, ſo wurden doch ſeit 1795 die wiſſenſchaftlichen Vorſtudien mit großem Eifer begonnen und mehre Reiſen zu dieſem Zwecke unternommen. „Folgendes ſind chronologiſch geordnet die Ereigniſſe ſeiner frühern Jugend. Humboldt verlor ſeinen Vater, der im Siebenjährigen Kriege, als Major, Adjutant des Herzogs Ferdinand von Braunſchweig und nachher königlicher Kammerherr war, als er noch nicht das zehnte Jahr erreicht hatte. Er genoß, gemeinſchaftlich mit ſeinem ältern Bruder Wilhelm, im Hauſe der Mutter, unter der Leitung eines talentvollen Mannes (des nachmaligen Geheimen Oberregierungsraths Kunth) einer überaus ſorgfältigen wiſſenſchaftlichen Erziehung. Privatcollegia wurden beiden Brüdern von Fiſcher in Mathematik, von Engel in Philoſophie, von Dohm in politiſchen Wiſſenſchaften geleſen. Herbſt und Winter 1787—88 brachte Humboldt auf der Univerſität Frankfurt a. O., den folgenden Sommer und Winter wieder in Berlin zu, um Technologie, auf das Fabrikweſen angewandt, zu ſtudiren und, nun erſt ſeinem fleißigern Bruder nachſtrebend, ſich ernſthafter mit der griechiſchen Sprache zu beſchäftigen. In dieſer Zeit ſchloß Humboldt ſich mit warmer Freundſchaft an den jungen aber ſchon berühmten Botaniker Willdenow an, und zeigte beſondere Vorliebe für das Studium der Kryptogamen und der zahlreichen Familie der Gräſer. Im Frühjahr 1789 bezog er die Univerſität Göttingen, deren reiche Schätze er ein Jahr lang benutzte. Er frequentirte gemeinſchaftlich mit ſeinem Bruder (der bald mit Campe, wenige Wochen nach dem Sturm der Baſtille, die Reiſe nach Paris machte) die philologiſchen Collegia des Heyne’ſchen Seminars. Sein erſter Verſuch einer literariſchen Arbeit war eine kleine Schrift über die Webereien der Griechen, die nie erſchienen iſt, aber (wie man aus der Correſpondenz von W. von Humboldt erfährt) 1794 an F. A. Wolf zur Durchſicht geſchickt wurde. Die Liebe zu naturhiſtoriſchen Studien wurde in Göttingen mannichfach genährt durch den Unterricht von Blumenbach, Beckmann, Lichtenberg und Link, durch Reiſen an den Harz und an die Rheinufer. Eine Frucht der letzten Excurſion war Humboldt’s erſtes gedrucktes Buch: «Über die Baſalte am Rhein (vorzüglich den Unkeler Steinbruch), nebſt Unterſuchungen über Syenit und Baſanit der Alten.» Im Frühjahr und Sommer 1790 begleitete Humboldt von Mainz aus Georg Forſter, der mit ſeinem Vater dem Capitän Cook bei ſeiner zweiten Weltumſegelung gefolgt war, auf einer ſchnellen aber überaus lehrreichen Reiſe durch Belgien, Holland, England und Frankreich. Dieſe Begleitung, das Wohlwollen von Sir J. Banks, eine große, plötzlich erwachende Leidenſchaft für das Seeweſen und den Beſuch ferner tropiſcher Länder äußerten den belebendſten Einfluß auf Entſchlüſſe, die nach dem Tode der Mutter einſt zur Ausführung kommen ſollten. Im Monat Juli 1790 aus England nach Deutſchland zurückgekehrt und damals noch zu einer praktiſchen Laufbahn im Finanz- und Kameralfache beſtimmt, begab ſich Humboldt nach Hamburg auf die Handelsakademie von Büſch und Ebeling, um ein Collegium über den Geldumlauf zu hören, das Buchhalten zu erlernen und von den Comptoirgeſchäften genaue Kenntniß zu nehmen. Der Zuſammenfluß ſo vieler jungen Leute aus den verſchiedenſten Theilen von Europa gab auf dieſem Inſtitute die günſtigſte Gelegenheit zur Übung in lebenden Sprachen; auch machte der Contact mit Klopſtock, Voß, Claudius und den beiden Stolberg (im nahen Holſtein) den hamburger Aufenthalt ſehr angenehm und lehrreich. Nach einem fünfmonatlichen Aufenthalte in Berlin und Tegel im mütterlichen Hauſe, erlangte endlich Humboldt die Erlaubniß ſeine nächſte Lebensbeſtimmung zu verändern und nach ſeinem ſehnlichſten Wunſche außerhalb der Städte in der freien Natur zu leben, zum praktiſchen Bergbau überzugehen. Er hatte indeſſen ſeine botaniſchen Excurſionen mit Willdenow fortgeſetzt, fleißig gearbeitet an Uſteri’s «Journal der Pflanzenkunde», und bei Keimverſuchen die reizende, alle Keimkraft ſo auffallend beſchleunigende Eigenſchaft des Chlors aufgefunden. Im Juni 1791 bezog Humboldt die Bergakademie zu Freiberg, genoß des Privatunterrichts von Werner, der Freundſchaft von Freiesleben, Leopold von Buch und Andreas Del Rio, den er 12 Jahre ſpäter in Mexico angeſiedelt ſah. Die Frucht eines achtmonatlichen Aufenthalts im Erzgebirge waren die Beſchreibung der unterirdiſchen kryptogamiſchen Pflanzen und die Verſuche über die grüne Farbe der aller Lichteinwirkung entzogenen phanerogamiſchen Gewächſe, wenn ſie von irreſpirabeln Gasarten umgeben ſind. (Die «Flora subterranea Fribergensis et aphorismi ex physiologia chemica plantarum erſchien indeſſen erſt 1793.) Mit Freiesleben gab Humboldt die erſte geognoſtiſche Beſchreibung des böhmiſchen Mittelgebirges heraus. Durch das ausgezeichnete Wohlwollen des Miniſters Fr. von Heinitz ſchon im Februar 1792 zum Aſſeſſor im Bergdepartement ernannt, begleitete er dieſen Staatsmann im Juli 1792 in das Markgrafthum Baireuth und wurde zur Unterſuchung des daſigen Berg- und Hüttenweſens berufen. Nach ſeinem Wunſche, nur der Vorrichtung des unterirdiſchen Grubenbaus fortan anzugehören, zum Oberbergmeiſter am Fichtelgebirge in den fränkiſchen Fürſtenthümern ernannt, nahm er ſeinen Hauptwohnſitz in dem kleinen Bergorte Steben bei Naila. Er behielt die Direction des praktiſchen Bergbaus faſt fünf Jahre lang, von 1792—97, aber mit vielen und zwar ſehr heterogenen Unterbrechungen. In Aufträgen des berliner Bergdepartements, von dem das fränkiſche gänzlich getrennt war, wurde Humboldt, im Herbſte 1793, zur Unterſuchung der Steinſalzgruben und Siedvorrichtungen nach Oberbaiern, Salzburg, dem öſtreichiſchen Salzkammergute und (über Tarnowitz) nach Galizien; im Sommer 1794 aber, wieder zu halurgiſchen Zwecken, nach Kolberg, dem Netzediſtrict, den Weichſelufern ſüdlich von Thorn und nach Südpreußen geſchickt. Politiſche Begebenheiten, die eine Folge der großen Kriegsereigniſſe waren, zogen Humboldt nach der Rückkunft aus Poſen, ihm ſelbſt ſehr unerwartet, nach den Rheinufern. Ein im April 1794 mit England und Holland abgeſchloſſener Subſidientractat vermochte Preußen zur Fortſetzung des Kriegs gegen die Franzöſiſche Republik. Der dirigirende Miniſter in den fränkiſchen Fürſtenthümern Baron von Hardenberg wurde nach Frankfurt geſandt, um dort (für die Zeit der Dauer des Subſidientractats) mit dem engliſchen und holländiſchen Geſandten, Lord Malmesbury und Admiral Kynkel zu unterhandeln. Humboldt erhielt von dem preußiſchen Staatsmanne, deſſen Vertrauen und freundſchaftlichen Umgang er lange genoſſen, die Auffoderung, ihn nach der Armee zu begleiten, um ſeine Thätigkeit zu Miſſionen nach dem Hauptquartier des Feldmarſchalls von Möllendorf und zur Cabinetscorreſpondenz zu benutzen. Der Aufenthalt in Frankfurt und bei der Armee zwiſchen Munzernheim, Mainz und Weſel, ja bis zum holländiſchen Lager dauerte vier Monate, und erſt im October 1794 war Humboldt zurück im baireuther Gebirge. Er ſetzte eifrigſt fort ſeine chemiſche Arbeit über die Natur der Grubenwetter wie ſeine oft gefahrvollen Verſuche über eine von ihm conſtruirte, nicht verlöſchende Lampe und die Reſpirationsmaſchine nach dem Principe von Beddoes in Räumen, die er künſtlich mit irreſpirablen Gasarten gefüllt hatte. In den Sommer und Herbſt 1795 fällt eine geognoſtiſche Reiſe durch Tirol nach Venedig, durch die Euganeen, die ganze Lombardei und die Schweiz in angenehmer Begleitung von Freunden, erſt mit Reinhard von Haeften und ſpäter mit Karl Freiesleben. Humboldt ſammelte ſchon ſeit 1792, wo er bei ſeinem erſten Aufenthalte in Wien Nachricht von Galvani’s bewundernswürdiger Entdeckung erhalten, Materialien zu ſeinem großen Werke «Über die gereizte Muskel- und Nervenfaſer, nebſt Vermuthungen über den chemiſchen Proceß des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt», das erſt 1797 in zwei Bänden erſcheinen konnte, von ihm ſelbſt herausgegeben, keineswegs von Blumenbach, der das Manuſcript nie geſehen. Die italieniſche Reiſe brachte Humboldt in belehrenden Verkehr mit Volta in Como und mit Scarpa in Pavia. Vom November 1795 bis Februar des folgenden Jahres blieb Humboldt wieder auf dem Gebirge praktiſch beſchäftigt in Steben, Lauenſtein, Goldkronach und Arzberg bei Wunſiedel. Die ſchweren Leiden ſeiner kranken Mutter zogen ihn nach Berlin, doch nur auf einige Monate. Der plötzliche Einfall des franzöſiſchen Heeres unter Moreau in das Herzogthum Würtemberg und die Flucht des Landesherrn ließen den König von Preußen beſorgen, daß die fürſtlich Hohenlohe’ſchen Beſitzungen, in denen im Anfange der Franzöſiſchen Revolution (1791) der Vicomte de Mirabeau eine der Emigrantenlegionen des Condé’ſchen Corps errichtet hatte, aus Motiven der Rache Plünderung und Unbill von den weiter gegen Franken vordringenden Heeren von Moreau oder Jourdan erleiden würden. Man hoffte den commandirenden General dazu bewegen zu können, da ſeit dem Frieden, den der Miniſter von Hardenberg zu Baſel den 5. April 1795 abgeſchloſſen hatte, ein ſehr freundſchaftliches Verhältniß zwiſchen Frankreich und Preußen eingetreten war, die kleinen Hohenlohe’ſchen Länder wie eine preußiſche Enclave zu betrachten. Humboldt erhielt den Auftrag ſich mit dem Hauptmann von Pirch, von einem einzelnen Trompeter begleitet, Ende Juli 1796 von Ingelfingen aus nach dem franzöſiſchen Hauptquartier in Schwaben zu begeben. Es war kurze Zeit nach dem Treffen bei Cannſtadt. Man ſah auf dem Wege noch den General St.-Cyr in einem durch Seile gehaltenen, mehre Monate lang gefüllt bleibenden Conté’ſchen Luftballon (Ballon captif) den Feind recognosciren. Bei der Milde des Charakters, die den General Moreau auszeichnete, wurde es nicht ſchwer, in wenigen Tagen zu erlangen, was man erwünſchte. Es ſollten die Hohenlohe’ſchen Beſitzungen mit preußiſchen Adlern umgeben werden. In dem franzöſiſchen Hauptquartier hatte Humboldt die Freude, den General Deſaix zu finden, der ſchon damals, 14 Monate vor dem Frieden von Campo-Formio, mit Bonaparte’s ägyptiſchen Planen bekannt war, ja mehrmals Humboldt auffoderte nicht die Tropenländer des Neuen Continents zu beſuchen, ſondern ſich einer franzöſiſchen Expedition nach dem Orient anzuſchließen. Die Rückkehr aus dem Moreau’ſchen Hauptquartier, begleitet von dem franzöſiſchen Ingenieur, der die Adler aufpflanzen ſollte, war trotz der ſichernden Töne des preußiſchen Trompeters, in einem Walde bei Nacht, wo öſtreichiſche und franzöſiſche Vorpoſten ſtark gemengt ſtanden, ſehr unbequem. Die lang gefürchtete Nachricht von dem Tode der Mutter (November 1796) brachte nun Humboldt’s Entſchluß einer großen wiſſenſchaftlichen Expedition der Ausführung näher. Auf den Rath des Freiherrn von Zach hatte er ſchon längſt angefangen ſich mit praktiſcher Aſtronomie, d. h. mit Sextantenbeobachtungen zu geographiſchen Ortsbeſtimmungen ernſthaft zu beſchäftigen. Es war dabei ſein reger Wunſch, ehe er Europa auf mehre Jahre verließ, brennende Vulkane zu ſehen, den Veſuv, Stromboli und den Ätna. Sein Bruder Wilhelm wollte ihn mit ſeiner Familie auf dieſer zweiten italieniſchen Reiſe begleiten. Um ſich nun mit Dieſem zu vereinigen, löſte er ſeine dienſtlichen Verhältniſſe gänzlich auf, und beſchloß in völliger Unabhängigkeit und mit Inſtrumenten ausgerüſtet, in deren Gebrauch er ſich lange eingeübt, allein dem Studium der Natur zu leben. Er verließ Baireuth im Jahre 1797 und verweilte in inniger Verbindung mit Goethe und Schiller drei Monate in Jena. Da er nur rhapſodiſch unter Sommerring, dem er ſein Werk über die gereizte Muskelfaſer zugeeignet, menſchliche Anatomie ſtudirt hatte, ſo erlangte er von Loder, den er 23 Jahre ſpäter auf der ſibiriſchen Expedition wieder in Moskau begrüßte, ihm ein Privatcollegium zu leſen, das mit Anleitung zum Seciren verbunden war. Über Dresden, Freiberg, Prag und Wien ging Humboldt nach Salzburg, auf dem Wege die Schätze des ſchönbrunner Gartens, die Freundſchaft des jungen braſiliſchen Reiſenden, Joſeph van der Schott, und das Wohlwollen des alten Jacquin und Peter Frank’s genießend. Der kriegeriſche und revolutionäre Zuſtand von Italien entfernte jede Idee des Genuſſes einer wiſſenſchaftlichen Reiſe; Humboldt’s Bruder ging von Wien unmittelbar nach Paris, während er ſich entſchloß, mit ſeinem Freunde Leopold von Buch, den Winter einſam mit meteorologiſchen Beobachtungen beſchäftigt, in Salzburg und Berchtesgaden zuzubringen, um ſpäter, wenn der Zuſtand von Unteritalien es erlaubte, im nächſten Frühjahre über die Alpen zu gehen. Dieſen Ideen nachhängend, erhielt Humboldt eine Auffoderung von dem in Dalmatien und Griechenland vielgereiſten Lord Briſtol, ihn auf einer Excurſion nach Oberägypten auf acht Monate zu begleiten: er habe eigene Boote zu dieſem Unternehmen ausrüſten laſſen, und mehrere Zeichner ſollten ihn, den ſehr unterrichteten Kunſtliebhaber, begleiten. Humboldt nahm das Anerbieten unter der Bedingung an, daß, nach Alexandrien zurückgekehrt, er ſich von Lord Briſtol trennen könne, um allein Syrien und Paläſtina zu beſuchen. Zum Ankauf der ihm noch fehlenden Inſtrumente entſchloß er ſich vorher auf wenige Wochen über Strasburg nach Paris zu gehen, wo er Briefe von Lord Briſtol, nach der getroffenen Übereinkunft, erwarten ſollte. Es war der Anfang des Monats Mai 1798; am 20. deſſelben Monats ging Bonaparte mit ſeiner Expedition von Toulon nach Malta und Alexandrien ab. Statt die erwarteten Briefe zu erhalten, las Humboldt zu ſeinem großen Erſtaunen in der „Strasburger Zeitung“ die Nachricht, daß Lord Briſtol auf Befehl des Directoriums in Mailand verhaftet worden ſei, weil man ihn beſchuldige, daß der geheime Zweck ſeiner ägyptiſchen Reiſe ſei, auf irgend eine Weiſe zum Vortheile Englands an den Nilufern zu wirken. So ungerecht und unwahrſcheinlich auch eine ſolche Beſchuldigung war, ſo hätte ſie doch, wenn man in Mailand Briefe von Humboldt aufgefunden hätte, auch ſeine perſönliche Sicherheit gefährden können. Als er ungehindert in Paris ankam, wo er ſich mit der Familie ſeines Bruders vereinigte, fand er die Mitglieder des Inſtituts, die Profeſſoren des Jardin des Plantes und das ganze gebildete Publicum mit den, viele Hoffnung erregenden Ausrüſtungen zu einer großen Weltumſegelung beſchäftigt, die das Directorium unter Anführung des Capitän Baudin ſeit einigen Monaten decretirt hatte. Die Expedition ſollte Buenos Ayres, das Feuerland und die ganze amerikaniſche Weſtküſte von Valparaiſo bis zum Iſthmus von Panama berühren, viele Inſeln der Südſee, Neuholland und Madagascar beſuchen und um das Cap der guten Hoffnung zurückkehren. Humboldt, der die erſte ſich darbietende Gelegenheit zu einem großen Unternehmen benutzen wollte, ſchloß ſich ſogleich dieſer Expedition an. Er erhielt von dem Directorium, in dem zwei Mitglieder, François de Neufchateau und La Reveillère- Lepaux, ſich beſonders für Bereicherung der Gärten und Sammlungen intereſſirten, die Erlaubniß ſich mit allen ſeinen Inſtrumenten einzuſchiffen, mit dem Verſprechen die Schiffe verlaſſen zu dürfen und da zu bleiben, wo er tiefer in das Land einzudringen wünſchte. Vier volle Monate vergingen in peinigender Spannung und Ungewißheit. Die politiſche Lage von Italien und die wohlgegründete Beſorgniß eines nahen und neuen Ausbruchs des Kriegs mit Deutſchland bewogen die Regierung, die für die Expedition ausgeſetzten Fonds zurückzuziehen und das ganze Unternehmen bis auf eine günſtigere Epoche zu vertagen. Die innige freundſchaftliche Verbindung, welche ſo leicht und ſchnell ſich zwiſchen Perſonen anknüpft, die mehre Jahre lang auf demſelben Schiffe leben werden, hatte Humboldt mit einem ſehr ausgezeichneten jungen Botaniker, Aimé Bonpland, befreundet, der ſpäter ſo viele Schickſale mit ihm getheilt hat und von dem alten Juſſieu, Richard und dem aus Algier und Conſtantine rückkehrenden Desfontaines wegen ſeiner Kenntniſſe und Liebenswürdigkeit des Charakters geſätzt war. Indem Humboldt’s ſüßeſte Hoffnungen bitter getäuſcht wurden, ging ein ſchwediſcher Conſul, Herr Skjöldebrand, durch Paris mit Geſchenken ſeines Hofes für den Dei von Algier, um ſich in Marſeille auf einer für ihn beſtimmten Fregatte einzuſchiffen. Da ſein Haus alle Jahre eine Barke nach Tunis ſchickte, um die nach Mekka wandernden Pilgrimme nach Alexandrien zu führen, ſo beſchloß Humboldt des Conſuls freundliche Anerbietungen dankbar anzunehmen und ſich ſo der franzöſiſchen Expedition in Ägypten anzuſchließen. Er harrte in Marſeille vergebens bis Ende December 1798 auf die verheißene Ankunft der ſchwediſchen Fregatte «Jaramas», die von Stürmen an der portugieſiſchen Küſte beſchädigt im nahen Hafen von Cadix überwintern mußte. Da zugleich die Nachricht ſich verbreitete, daß in der Berberei bei dem zwiſchen Türken und Franzoſen ausgebrochenen Kriege alle von Marſeille aus an die Küſten der Berberei kommenden Franzoſen in Ketten gelegt würden, ſo mußte es Humboldt vorziehen, mit Bonpland den Winter in Spanien zuzubringen, und dann, wenn die Ereigniſſe es erlaubten, ſich von Cartagena oder Cadix nach Tunis und Ägypten einzuſchiffen. Die Reiſenden gingen langſam und angenehm mit Herbariſationen, aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen und magnetiſchen Intenſitäts- und Inclinationsbeobachtungen auf dem Wege beſchäftigt über Perpignan, Barcelona, den Montſerrat und Valencia nach Madrid, wo ſie erſt Anfangs Februar 1799 ankamen. Die außerordentliche Gunſt, deren Humboldt ſich an dem ſpaniſchen Hofe in Aranjuez drei Monate lang durch Vermittelung des ſächſiſchen Geſandten, Baron von Forell, eines kenntnißvollen Mineralogen, und des erſten Staatsſecretärs (Miniſters der auswärtigen Angelegenheiten), Don Mariano Luis de Urquijo, zu erfreuen hatte, änderte auf einmal wieder ſeine Lebensplane. Der erſte Staatsſecretär erklärte, daß ihm alle ſpaniſchen Beſitzungen in Amerika und dem Indiſchen Ocean (Marianen und Philippinen) geöffnet ſein würden aus rein perſönlichem Vertrauen, denn von keiner andern Regierung war Humboldt der ſpaniſchen empfohlen. Der Erlaubniß wurden officielle Befehle an alle Behörden beigefügt, wie ſeit der Expedition von Bouguer und La Condamine noch keinem Fremden geſchehen war. Von den zwei Päſſen war der eine von der Primera Secretaria de Estado, der andere von dem Consejo de Indias. Der erſte «geſtattete den freien Gebrauch aller Inſtrumente zu aſtronomiſchen und geodätiſchen Zwecken, die Meſſung der Berge, das Einſammeln von Naturalien, ja Unterſuchungen jeglicher Art, die zur Erweiterung der Wiſſenſchaften führen konnten.» Humboldt ſagt in der Einleitung ſeiner Reiſebeſchreibung ausdrücklich, daß alles ſo wohlwollend Verſprochene auf das pünktlichſte gehalten worden iſt, und daß in fünf Jahren er nie eine Äußerung des Mistrauens erfahren habe. Mitte Mai verließ er Aranjuez und Madrid und ging (die Höhen meſſend) durch Altcaſtilien, Leon und Galicien über Villalpando, Aſtorga und Lugo nach dem Hafen Coruña, um ſich daſelbſt am 5. Juni 1799 auf der Fregatte «Pizarro» einzuſchiffen. Der Capitän des «Pizarro» hatte von der Regierung den Befehl erhalten, ſich auf der Schiffahrt nach den Küſten von Südamerika ſo viel Tage in Teneriffa aufzuhalten, als Humboldt zur Beſteigung des Pico de Teyde brauchen würde. Da die Landung in Cumana den 16. Juli 1799 und die Rückkehr in der Mündung der Garonne den 3. Aug. 1804 erfolgte, ſo hat Humboldt’s ganze Reiſe in Südamerika, der Südſee, Mexico, den Antillen und Nordamerika fünf Jahre und zwei Monate gedauert.“ „Der Aufenthalt der Reiſenden in Teneriffa war nur von wenigen Tagen, vom 19. bis 25. Juni. Sie hatten glücklich die engliſchen Kreuzer vermieden und waren am 19. Juni im Hafen von Santa-Cruz auf Teneriffa gelandet. Sie erſtiegen den Pic und ſammelten eine große Menge neuer Beobachtungen über die damals wenig gekannte natürliche Beſchaffenheit der Inſel. Obgleich in der Nähe der Küſte Paria ein heftiges nervöſes Fieber am Bord des «Pizarro» ausgebrochen war, ſo betraten ſie doch in voller Geſundheit zum erſten mal den Boden Amerikas bei Cumana. Achtzehn Monate verbrachten ſie auf einer Forſchungsreiſe durch die Provinzen des jetzigen Freiſtaats Venezuela, gelangten im Februar 1800 nach Caracas, und verließen bei Puerto-Cabello von neuem die Seeküſte, um nach Süden gewendet über die merkwürdigen Grasſteppen von Calabozo den Fluß Apure und durch dieſen den Orinoco zu erreichen. Auf Indianerkähnen (ausgehöhlten Baumſtämmen) drangen ſie von den Katarakten von Atures und Maypure bis zum ſüdlichſten Grenzpoſten der Spanier, dem kaum zwei Breitegrade vom Äquator entfernten Fort San-Carlos am Rio-Negro, durch den Tuamini und die Wälder von Pimichin, wo die Kähne über Land geſchoben werden mußten, vor; gelangten durch den Caſſiquiare in den Orinoco zurück; fuhren dieſen bis Angoſtura hinab und erreichten Cumana am Ende einer Reiſe, die 375 geographiſche Meilen lang, ſie nur durch unbewohnte Wildniſſe geführt, ja die erſte war, welche eine, auf aſtronomiſche Beſtimmungen gegründete Kenntniß von der ſo lange beſtrittenen Bifurcation des Orinoco geliefert hatte. Humboldt und Bonpland ſchifften ſich nun nach Havana ein, lebten dort einige Monate und eilten einen Südſeehafen zu erreichen, als die falſche Nachricht ſich verbreitete, Baudin, dem ſie ſich anzuſchließen verſprochen, werde an der Weſtküſte Südamerikas erſcheinen. Von Batabano an der Südküſte der Inſel Cuba ſegelten ſie im März 1801 nach Cartagena de Indias, um von da aus nach Panama zu gehen; allein weil die Jahreszeit die Ausführung dieſes Plans hinderte, fuhren ſie 54 Tage lang den Magdalenenſtrom hinauf bis Honda, um über Guaduas das 8200 Fuß hohe Plateau von Bogota zu erreichen. Sie machten von Bogota aus Streifzüge nach den merkwürdigſten Punkten der Umgegend. Im September 1801 brachen ſie trotz der eingetretenen Regenzeit wieder gegen Süden auf, indem ſie über Ibague, die Cordillera de Quindiu (höchſter Punkt des Nachtlagers 10800 Fuß), Cartago, Popayan am Fuße des Vulkans von Puracé, den Paramo de Almaguer und die große Hochebene von Los Paſtos nach den größten Beſchwerden am 6. Jan. 1802 Quito erreichten. Die Reiſe auf dem Rücken der Cordilleren von Bogota bis Quito immer auf Maulthieren und von vielem Gepäck begleitet hatte volle vier Monate gedauert. Andere fünf Monate (vom 6. Jan. bis 9. Juni 1802) vergingen ihnen unter viel umfaſſenden Unterſuchungen in dem ſchönen Hochthale von Quito und in der Kette von mit ewigem Schnee bedeckten Vulkanen, welche daſſelbe umſchließen. Durch zufällige Umſtände begünſtigt, ſtiegen ſie an mehren derſelben bis zu früher nicht erreichten Höhen. Auf dem Chimboraſſo gelangten ſie am 23. Juni 1802 bis zur Höhe von 18096 Fuß, alſo um 3276 Fuß höher als La Condamine 1738 am Nevado de Corazon. Sie ſtanden hier auf dem höchſten, je vorher von Menſchen erſtiegenen Punkte feſter Erde, und wurden durch eine tiefe Schlucht an der Erklimmung der äußerſten, noch um 2004 Fuß höhern Spitze gehindert. Carlos Montufar, der Sohn des Marquès von Selvalegre, ein trefflicher, lernbegieriger junger Mann, der, wie viele der Beſſern ſeines Volks, der ſpäter eingetretenen Revolution als Opfer fiel, ſchloß ſich in Quito an die Reiſenden an und begleitete ſie fortan bis zum Schluſſe der langen Wanderung durch Peru und Mexico nach Paris. Über den Andespaß im Paramo de Aſſuay (wo der Weg bei Cadlud faſt die Höhe des Gipfels des Montblanc erreicht), über Cuença und die Chinawälder von Loxa ſtiegen ſie in das Thal des obern Amazonenfluſſes bei Jaen de Bracamoros hinab, und erreichten über die fruchtbare Hochebene von Caxamarca über die Bergſtadt Micuipampa (in 11140 Fuß Höhe bei den berühmten Silbergruben von Chota) und über Montan den weſtlichen Abfall der Cordilleren von Peru. Hier genoſſen ſie auf dem Alto de Guangamarca zum erſten male von einer Höhe von 9000 Fuß herab des langerſehnten Anblicks der Südſee. Sie gelangten bei Truxillo an die Küſte und gingen durch die waſſerarme Sandwüſte von Niederperu bis zu dem mit Gärten umgebenen Lima. Nachdem einer der Hauptzwecke der peruaniſchen Reiſe, die Beobachtung des Durchgangs des Mercur durch die Sonne erfüllt war, ſchifften ſie ſich Ende December 1802 von Callao nach Guayaquil ein, und landeten am Schluſſe einer zweiten ermüdenden Fahrt in Acapulco den 23. März 1803. Über Tasco und Cuernaraca erreichten ſie im April die Hauptſtadt Mexicos, wo ſie einige Monate verweilten und dann nach Norden gewendet Guanaxuato und Valladolid beſuchten, die Provinz Mechoacan durchſtreiften, der Küſte der Südſee nahe, den erſt 1759 ausgebrochenen Vulkan von Jorullo maßen und über Toluca nach Mexico zurückkehrten. Ein nochmaliger Aufenthalt in dieſer damals ſehr reichen und durch die Bildung der höhern Einwohnerclaſſen ausgezeichneten Stadt wurde zur Ordnung der reichen Sammlungen und zur Zuſammenſtellung der vielſeitigen Beobachtungen verwendet. Im Januar 1804 gingen die Reiſenden, nachdem ſie vorher den Vulkan von Toluca (14232 Fuß) und den Cofre de Perote (12588 Fuß) beſtiegen und gemeſſen, durch die Eichenwälder von Xalapa, die ſchon in einer Höhe von 2860 Fuß über der Meeresfläche anfangen, nach Veracruz hinab, wo ſie dem damals wieder unerwartet ausgebrochenen Schwarzen Erbrechen (Vomito prieto) entkamen. Das barometriſche Nivellement des öſtlichen Abfalls des Hochlandes von Mexico (7000—7200 Fuß) gegen Veracruz hin konnte nun mit dem früher vollendeten Nivellement des weſtlichen Abfalls nach Acapulco an der Südſee verglichen werden. Aus beiden wurden von Meer zu Meer die Profile (ſenkrechte Projectionen) conſtruirt, die erſten, die man je von einem ganzen Lande bis dahin gegeben hatte. Am 7. März 1804 verließ Humboldt die mexicaniſche Küſte, ſegelte auf der königlichen Fregatte «La O» nach der Havana, wo er wieder zwei Monate verweilte und die Materialien vervollſtändigte, die ihm zu ſeinem Werke: «Essai politique sur l’île de Cuba» gedient haben. Am 29. April 1804 ſchiffte er ſich mit Bonpland und Carlos Montufar nach Philadelphia ein. Die Überfahrt dauerte 20 Tage, ſie war in der Bahamaſtraße bei Nordwinden gefahrvoll ſtürmiſch. Humboldt konnte nur wenige Wochen lang in Waſhington ſich der freundſchaftlichen Aufnahme bei dem edeln Präſidenten Jefferſon erfreuen. Er verließ ungern den Neuen Continent den 9. Juli in der Mündung des Delaware und landete den 3. Aug. 1804 in Bordeaux, an Sammlungen, beſonders aber an Beobachtungen aus dem großen Gebiete der Naturwiſſenſchaften, der Geographie und Statiſtik vielleicht reicher als irgend ein früherer Reiſender.“ „Humboldt wählte Paris zum Aufenthalte, indem kein Ort des Continents damals einen gleich zugänglichen Schatz von wiſſenſchaftlichen Hülfsmitteln darbot, keiner ebenſo viel große und thätige Forſcher einſchloß als jene Hauptſtadt. Er hatte bei ſeiner Ankunft die Freude, dort die geiſtreiche Gattin ſeines Bruders mit ihren Kindern zu finden. Den Bruder ſelbſt feſſelten gelehrte Arbeiten und Geſchäfte als preußiſcher Geſandter in Rom. Die vorläufige Anordnung der Sammlungen und zahlreichen Manuſcripte, mehr aber noch chemiſche Arbeiten über das Verhältniß der Beſtandtheile der Atmoſphäre, gemeinſchaftlich mit ſeinem Freunde Gay- Luſſac in dem Laboratorium der Ecole polytechnique unternommen, verlängerten Humboldt’s Aufenthalt in Paris bis zum März 1805. Er trat nun, begleitet von Gay-Luſſac, der einen langdauernden Einfluß auf ſeine chemiſche Thätigkeit ausgeübt hat, eine Reiſe nach Italien (Rom und Neapel) an, wo ſie vom 1. Mai bis 17. Sept. 1805 verblieben. Leopold von Buch war ihr Gefährte in Neapel und auf der Rückreiſe durch die Schweiz nach Berlin, welches Humboldt am 16. Nov. nach einer neunjährigen Abweſenheit wiederſah. Gay-Luſſac verließ ſeinen Freund und Mitarbeiter im Winter 1806. Das Unglück des Vaterlandes im October 1806 und die Hoffnung, die durch den ſchmachvollen Tilſiter Frieden aufgelegten Laſten mittels einer Negociation zu vermindern, brachte die Regierung zu dem Entſchluß, den jüngſten Bruder des Königs, den durch perſönliche Tapferkeit und Anmuth der Sitten gleich ausgezeichneten Prinzen Wilhelm von Preußen zum Kaiſer Napoleon im Frühjahr 1808 nach Paris zu ſenden. Humboldt, der ſich während der franzöſiſchen Beſetzung von Berlin in einem einſamen Garten eifrigſt mit ſtündlichen magnetiſchen Declinationsbeobachtungen beſchäftigte, erhielt ſehr unvermuthet den Befehl des Königs, den Prinzen Wilhelm auf ſeiner ſchwierigen politiſchen Miſſion zu begleiten, und ihm durch ſeine genaue Bekanntſchaft mit damals einflußreichen Perſonen wie durch größere Welterfahrung nützlich zu werden. Der Aufenthalt des Prinzen Wilhelm, dem als Adjutant ein nachmals lieber Verwandter F. von Hedemann beigegeben war, dauerte bis zum Herbſt 1809, und da der Zuſtand von Deutſchland es unmöglich machte, die Herausgabe ſo vielumfaſſender, von keinem Gouvernement unterſtützter Reiſewerke (in der Folio- und Quartausgabe 29 Bände mit 1425 geſtochenen, zum Theil farbigen Kupfertafeln) auf deutſchem Boden zu wagen, ſo erhielt Humboldt von dem Könige Friedrich Wilhelm III., der ihm perſönliches Wohlwollen ſchenkte, die Erlaubniß, als eines der acht auswärtigen Mitglieder der pariſer Akademie der Wiſſenſchaften, in Frankreich zu verbleiben. Er hat ſo ſeinen dauernden Wohnſitz, kleine Abweſenheiten abgerechnet, faſt 20 Jahre lang (von 1808—27) in Paris gehabt. Als ſein älterer Bruder nach vollbrachter Stiftung der berliner Univerſität als Geſandter (1810) nach Wien ging und die oberſte Leitung des Unterrichtsweſens im preußiſchen Staate aufgab, wurde dem jüngern Bruder dieſelbe von dem Staatskanzler Freiherrn von Hardenberg ſehr dringend (ohne oder auch mit dem Miniſtertitel) angeboten. Humboldt zog es vor, ſich eine freie, unabhängige Lage als Gelehrter zu erhalten, weil die Herausgabe ſeiner aſtronomiſchen, zoologiſchen und botaniſchen Werke, trotz der treuen Hülfe von Oltmanns, Bonpland und Kunth noch nicht weit genug vorgerückt war. (Seine lateiniſche Schrift: «De distributione geographica plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium» erſchien erſt 1817.) Dazu hatte er den beſtimmten Entſchluß gefaßt, eine zweite wiſſenſchaftliche Expedition nach Oberindien, dem Himalaya und Tibet zu unternehmen. Um ſich zu derſelben vorzubereiten, war er mehre Jahre lang eifrig unter Sylveſtre de Sacy und André de Nerciat mit Erlernung der perſiſchen Sprache (als der leichtern unter denen des Orients) beſchäftigt. Da zu dieſer Zeit (1812) der Kaiſer Alexander, von Sibirien aus über Kaſchgar und Yarkand eine wiſſenſchaftliche Expedition nach der tibetaniſchen Hochebene angeordnet hatte, ſo wurde Humboldt von dem Reichkanzler, Grafen Romanzow, der ihn perſönlich kannte und ſeinen Unternehmungsgeiſt ſchätzte, aufgefodert, ſich der ruſſiſchen Expedition anzuſchließen. Humboldt nahm ein ſolches Anerbieten willig an; der Ausbruch des Kriegs zwiſchen Frankreich und Rußland vereitelte aber die ſchöne Ausſicht, die Geognoſie des Himalaya und Kuen-lün mit der der Andeskette vergleichen zu können. Die großen politiſchen Veränderungen vom März 1814 bis November 1815, zwiſchen dem erſten und zweiten Pariſer Frieden, veranlaßten Humboldt zu mehrfachen Reiſen. Er ging nach England, das er ſeit 1790 nicht wieder geſehen, zuerſt im Gefolge des Königs von Preußen, 1814, dann mit Arago, als ſein Bruder, den er ſchon (1811) in Wien beſucht hatte, Geſandter in London wurde; endlich (1818) von Paris aus mit Valenciennes, über London nach Aachen, wo der König und auch der Staatskanzler Fürſt Hardenberg während des Congreſſes ihn in ihrer Nähe zu haben wünſchten. Ebenſo begleitete Humboldt den König zu dem Congreß von Verona und folgte ihm nach Rom und Neapel, von wo aus er die 13 Jahre früher mit Gay-Luſſac und Leopold von Buch gemachten Meſſungen am Veſuv wiederholte. Nach der Rückreiſe von Verona, in dem ſo ſtreng einbrechenden Winter von 1823, durch Tirol und Böhmen trennte er ſich von dem Könige erſt in Berlin, das er ſeit vollen 15 Jahren nicht beſucht hatte. Der Wunſch des Monarchen, Humboldt in ſeiner Umgebung zu behalten und ihn für das Vaterland bleibend wiederzugewinnen, konnte erſt im Frühjahr 1827 erfüllt werden. Humboldt ging damals, ſeinen dauernden Aufenthalt in Paris aufgebend, über London und Hamburg nach Berlin, wo er endlich das ſo lange entbehrte Glück genoß, mit ſeinem Bruder an einem Orte zu leben und vereint wiſſenſchaftlich zu arbeiten. Die öffentlichen Vorleſungen, welche er über den Kosmos (die phyſiſche Weltbeſchreibung) faſt gleichzeitig in der großen Halle der Singakademie und in einem der Hörſäle der Univerſität hielt, fallen in dieſe frühere Epoche des berliner Aufenthalts, von Anfang November 1827 bis Ende April 1828. Das Buch vom Kosmos, welches nicht die Frucht dieſer Vorleſungen iſt, da die Grundlage davon ſchon in dem, während der peruaniſchen Reiſe geſchriebenen und Goethe zugeeigneten «Naturgemälde der Tropenwelt» liegt, hat erſt 1845, alſo 15 Jahre nach den berliner, 18 Jahre nach den pariſer Vorleſungen zu erſcheinen angefangen. Das Jahr 1829 bezeichnet in Humboldt’s ſo viel bewegter Exiſtenz eine ganz neue ſehr wichtige Lebensepoche. Sie umfaßt die auf Befehl des Kaiſers Nikolaus unternommene und großartig durch die edle Fürſorge des Staatsminiſters Grafen von Cancrin ausgeſtattete Expedition nach dem nördlichen Aſien (Ural und Altai), nach der chineſiſchen Dzungarei und dem Kaspiſchen Meere. Die bergmänniſche Unterſuchung der Gold- und Platinlagerſtätten, die Entdeckung von Diamanten außerhalb der Wendekreiſe (ſie glückte am 5. Juli 1829), aſtronomiſche Ortsbeſtimmungen und magnetiſche Beobachtungen, geognoſtiſche und botaniſche Sammlungen waren die Hauptzwecke einer Unternehmung, in der Humboldt von zweien ſeiner berühmten Freunde, Ehrenberg und Guſtav Roſe, begleitet war. Die Reiſe ging über Moskau, Kaſan, die Ruinen des alten Bulghari nach Jekatherinenburg, den Goldſeifenwerken des Ural und den Platinwäſchen von Nishnei-Tagilsk, über Bogoslowsk, Werchoturje und Tobolsk nach dem Altai (Barnaul, dem maleriſchen Kolywanſchen See, Schlangenberg und Uſtkamenogorsk); von da nach den chineſiſchen Militärpoſten von Khonimailakhu, nahe am Dzayſanſee in der Dzungarei. Von den mit ewigem Schnee bedeckten Bergen des Altai wendeten ſich die Reiſenden wieder gegen Weſten, um den ſüdlichen Ural zu erreichen. Von einem Pulk ſtarkbewaffneter Koſacken immer begleitet, zogen ſie durch die große Steppe von Iſchim über Petropawlowsk, die Feſtung Omsk, Miask, wo 1842, in neun Fuß Tiefe, eine Goldmaſſe von 36 Kilogramm Gewicht gefunden worden iſt, über den Salzſee Ilmen nach Slatuſt, dem hohen Taganay, Orenburg und dem weit berufenen, mächtigen Steinſalzſtock von Ilezk in der Kirgiſenſteppe der Kleinen Horde. Um Aſtrakhan und das Kaspiſche Meer zu erreichen, mußte man wegen der vielen Regengüſſe und Überſchwemmungen den Weg über Uralsk, den Hauptſitz der uraliſchen Koſacken, Saratow, den Eltonſee, Dubowka (berühmt wegen der eine Kanalverbindung verſprechenden Nähe der Flüſſe Don und Wolga), Tſaritſyn und die ſchöne Herrnhutercolonie Sarepta in der Steppe der Kalmücken einſchlagen. Nach einem intereſſanten Beſuche bei dem Kalmückenfürſten Sered-Dſchab, der ſich und ſeinem Volke einen großen buddhaiſtiſchen Tempel hat bauen laſſen, wurde die Rückkehr über Woroneſh, Tula und Moskau genommen. Die ganze Expedition, welche in zwei Werken, in Guſtav Roſe’s «Mineralogiſch-geognoſtiſche Reiſe nach dem Ural, Altai und dem Kaspiſchen Meere (2 Bde., 1837—42); und in Humboldt’s «Asie centrale, recherches sur les chaines de montagnes et la climatologie comparée» (3 Bde., 1843) beſchrieben iſt, hat etwas über neun Monate gedauert, in denen 2320 geographiſche Meilen (15 auf den Grad) zurückgelegt wurden. Das Jahr 1830 mit ſeinen großen Umwälzungen jenſeit des Rheins gab den Beſchäftigungen Humboldt’s auf mehre Jahre eine politiſche Richtung, die deshalb doch nicht ſeiner wiſſenſchaftlichen Laufbahn hinderlich geworden iſt. Nachdem er den Kronprinzen im Mai 1830 nach Warſchau zu dem letzten vom Kaiſer Nikolaus perſönlich eröffneten conſtitutionellen Reichstage und bald darauf den König in das Bad von Teplitz begleitet hatte, verbreitete ſich die Kunde von dem Sturze der ältern Linie der bourboniſchen Familie und der Thronbeſteigung des Königs Ludwig Philipp. Humboldt, der lange ſchon in ſehr naher Verbindung mit dem Orleans’ſchen Hauſe geſtanden, ward vom König Friedrich Wilhelm III. beauftragt, die Anerkennung des neuen Monarchen nach Paris zu überbringen und von dort aus, mit Kenntniß des franzöſiſchen Hofes, politiſche Berichte, zuerſt vom September 1830 bis Mai 1832, dann in den Jahren 1834—35 nach Berlin einzuſenden. Dieſelben Aufträge wurden mit gleichem Vertrauen in den folgenden zwölf Jahren fünf mal wiederholt, ſodaß Humboldt bei jeder Sendung wieder vier bis fünf Monate ſeinen Aufenthalt in Paris nahm. In dieſe Epoche fällt die Herausgabe der fünf Bände «Kritiſche Unterſuchungen über die hiſtoriſche Entwickelung der geographiſchen Kenntniſſe von der Neuen Welt im 15. und 16. Jahrhundert», nach dem franzöſiſchen Original von Ideler ins Deutſche überſetzt. Humboldt’s letzter Aufenthalt in Paris war vom October 1847 bis Januar 1848. Zwei kleinere Reiſen außerhalb Deutſchlands mit dem Könige Friedrich Wilhelm IV., die eine nach England zur Taufe des Prinzen von Wales (1841), die andere nach Dänemark (1845) ſind ihrer Kürze wegen hier kaum zu erwähnen.“ Wenden wir uns zur Darſtellung der wiſſenſchaftlichen Leiſtungen Humboldt’s und des ebenſo großen als wohlthätigen Einfluſſes, welchen er während eines langen und höchſt arbeitſamen Lebens auf die Naturforſchung ausgeübt hat, ſo ſtoßen wir auf einen hier kaum zu bewältigenden Stoff. Die Thätigkeit der Naturforſcher, zumal der Reiſenden unter ihnen, pflegt nach zwei Richtungen zu gehen. Sie bezweckt entweder die Anhäufung eines reichen Materials an Sachen, Beobachtungen und ſpeciellen Unterſuchungen, oder ſie unternimmt die Verarbeitung der Reſultate eigener und fremder Forſchung zu einem Ganzen, welches entweder unterſtützend und erweiternd an ſchon Vorhandenes ſich anſchließt , oder an die Stelle des unbrauchbar gewordenen Alten tritt. Seltener, als man meinen möchte, ſind die Männer, die mit gleichem Glück nach beiden Richtungen arbeiten, denn es ſetzt die Verfolgung der letztern nicht nur tiefe, ſondern auch ſehr vielſeitige poſitive Kenntniſſe, großes Talent der Beobachtung und die Gabe des Generaliſirens voraus, die Fähigkeit nämlich, an Thatſachen ſchnell und ſcharf jene wichtigen und bezeichnenden Seiten aufzufaſſen, wo ſie mit andern ſich verbinden laſſen, andere unterſtützen und ſie erklären. Humboldt’s Leiſtungen ſind in beiden Beziehungen ſehr groß, aber beſonders ſind diejenigen ſeiner Arbeiten merkwürdig und verdienſtlich, wo er den Schatz eigener Erfahrungen und Beobachtungen mit den fremden aller Zeiten bis auf die Gegenwart herab in Verbindung bringt, und mit Klarheit die überraſchendſten Reſultate darlegt. Schon aus einem ſeiner früheſten, noch vor der Reiſe nach Amerika verfaßten Werke „Über die gereizten Muskel- und Nervenfaſern“ (2 Bde., Berl. 1797 —99) ſpricht dieſer Geiſt, und nach Verlauf von faſt einem halben Jahrhundert erkennt die inzwiſchen weit vorgeſchrittene Phyſiologie die Genauigkeit und Schärfe jener Verſuche über Galvanismus und die Wahrheit der meiſten der aus ihnen gezogenen Folgerungen. Auf ſeinen Reiſen Höhenmeſſungen mit Unterſuchung der thermometriſchen Verhältniſſe und der Beſchaffenheit des Bodens verbindend, und neben dieſen tiefern Arbeiten es nicht verſchmähend, Herbarien zu ſammeln, gelangte Humboldt zu einem reichen Material, durch deſſen geiſtreiche Combination unter ſeinen Händen eine neue Wiſſenſchaft, die Pflanzengeographie, entſtand. Zwar hatten ſchon Linné und einige ſeiner Nachfolger manche der hervorſtechendſten Erſcheinungen in der Verbreitung der Pflanzenwelt bemerkt, doch ohne Höhenangaben und Betrachtung der mittlern Temperaturen. Es blieb Humboldt das große Verdienſt, eine unendliche Menge von Thatſachen, die zum Theil in den entlegenſten Erdwinkeln beobachtet worden waren, mit den eigenen Erfahrungen in Zuſammenhang zu bringen, ihre Verbindung mit den Lehren der Phyſik nachzuweiſen und die Geſetze zu erläutern, nach welchen die unendlich formenreiche Pflanzenwelt über den weiten Erdkreis vertheilt iſt. Können ſolche Unterſuchungen an ſich nicht iſolirt angeſtellt werden, ſo führen ſie zumal einen geiſtreichen Forſcher auf Prüfung mancher ſcheinbar fernliegenden Frage, und ſo iſt es denn geſchehen, daß unter Humboldt’s Händen die in ihrer altherkömmlichen Form ziemlich geiſtloſe Botanik zu einer der anziehendſten der Naturwiſſenſchaften wurde. Es gelang Humboldt nachzuweiſen, welche gewaltige Einwirkung die ſtille und paſſive Pflanzenwelt auf Bildung des Bodens, auf den Zuſtand der Völker und auf die geſchichtliche Entwickelung des Menſchengeſchlechts ſeit der Urzeit geübt hat. So viel Anziehendes hat für den Denkenden dieſe Verbindung der phyſikaliſchen Wiſſenſchaften mit der menſchlichen Geſchichte, und ſo reich an unerwarteten Ergebniſſen iſt dieſe neue Betrachtungsweiſe, daß den von Humboldt entdeckten Weg alsbald eine bedeutende Zahl von Forſchern zu verfolgen begann. Mit allem Rechte darf man daher Humboldt als den Gründer einer beſondern Schule anſehen, die jetzt keineswegs in Deutſchland allein wurzelt. Iſt es auch nur Wenigen gelungen, dem Vorbilde ſich faſt gleichzuſtellen, ſo durchweht doch gegenwärtig der Geiſt, den wir nicht anſtehen wollen als den Humboldt’ſchen zu bezeichnen, die höhern Leiſtungen aller europäiſchen naturwiſſenſchaftlichen Reiſenden. Je überraſchender die Reſultate ſind, die durch Combination von Wiſſenſchaften erreicht werden, welchen man ehedem keine engere Verwandtſchaft zutraute, je wahrer ſie ſich erweiſen, je freier die Humboldt’ſche Naturforſchung von myſtiſcher Deutung und von Geheimſprache ſich ſtets enthielt , je klarer und ſelbſt den Mindergeweihten verſtändlich ſie hintritt, um ſo ſicherer wird ſie für die Folgezeit ein Muſter bleiben. Zu der innern Tüchtigkeit der Humboldt’ſchen Werke geſellen ſich als nicht unbedeutende Nebeneigenſchaften die poetiſche Auffaſſung der Natur, da wo es darauf ankommt, anſchauliche Geſammtbilder zu entwerfen, und das Geſchmackvolle der Form. Tauſende von Leſern, welchen im Übrigen keine ſpecielle Kenntniß der Naturwiſſenſchaften zu Gebote ſtand, haben ſich durch Humboldt’s Naturgemälde der Tropenländer hingeriſſen gefühlt. Die Arbeiten Humboldt’s in einzelnen Fächern ſind ſtaunenswerth durch ihren Umfang und die Mannichfaltigkeit ihrer Richtung. Ein großer Theil der weitſchichtigen ſpaniſchen Colonien in der Neuen Welt war zu Anfang dieſes Jahrhunderts kaum an den Küſten bekannt, und ſelbſt den beſten Karten durfte nur beſchränktes Vertrauen geſchenkt werden. Mehr als 700 Ortsbeſtimmungen, welche Humboldt auf aſtronomiſchem Wege gewann und faſt alle während der Expedition ſelbſt berechnete, ſind von Oltmanns neu unterſucht und mit ältern verglichen worden, eine Arbeit, die in zwei Quartbänden unter dem Titel „Recueil d’observations astronomiques, d’opérations trigonométriques et de mesures barométriques, faites par A. de Humboldt, redigées et calculées d’après les tables les plus exactes par Jabbo Oltmanns“ (1810) erſchienen iſt. Von Humboldt ſelbſt theils auf der Reiſe, theils in Paris gezeichnet ſind die Karten des Orinoco, des Magdalenenſtroms, der größere Theil des Atlas von Mexico u. ſ. w. Mit dem Barometer in der Hand legte Humboldt Reiſen, wie jene von Bogota bis Lima zurück, mit ihm erſtieg er den Pic von Teneriffa, den Chimboraſſo, Antiſana, Toluca, Perote und zahlreiche andere Bergſpitzen, und ſo erlangte er 459 Höhenbeſtimmungen, die oft durch trigonometriſche Meſſung unterſtützt, für die Hypſometrie Amerikas unſchätzbare Materialien lieferten, und für manche Provinzen bis jetzt die einzigen geblieben ſind. Die ſpäter von ihm in Deutſchland und Sibirien vorgenommenen Meſſungen und die Combination dieſer umfangreichen eigenen Arbeiten mit denjenigen, die andere Reiſende in den meiſten zugänglichen Weltgegenden gemacht hatten, gaben Humboldt Veranlaſſung zu Zuſammenſtellungen, welche auf die Geographie den mächtigſten Einfluß ausübten, für die Lehre aber von der Verbreitung der Organismen die unentbehrlichſten Stützen bildeten. Die Klimatologie ſteht in enger Verbindung mit den Forſchungen über Bodenbildung; auch ſie hat durch Humboldt Aufklärung und viele Erweiterung erhalten. Auf ſeine mit großer Genauigkeit geführten Tagebücher über meteorologiſche, thermometriſche und elektriſche Zuſtände begründete er jene Darſtellung des Klima der durchreiſten Länder, welche ſpäter durch Bouſſingault, Pentland und Andere glänzende Beſtätigung erhielten; indem er in gewohnter Weiſe Alles, was in dieſen Beziehungen aus der übrigen Welt zu ſeiner Kenntniß gelangte, verarbeitete, legte er den Grund zu einer vergleichenden Klimatologie. Urſprünglich zum Geognoſten gebildet, aber frühzeitig emancipirt von den zu Ende des vorigen Jahrhunderts geltenden Anſichten, wendete er vorzugsweiſe der geognoſtiſchen Erforſchung Amerikas ſeine Aufmerkſamkeit zu und trug durch mehre ſpecielle Werke und ein vortreffliches Geſammtbild der Gebirgsbildung Amerikas, die er ſpäter mit derjenigen Europas und Aſiens verglich, nicht zur Kenntniß Amerikas allein bei, ſondern zur feſten Begründung der zwar noch jungen, aber mit äußerſter Schnelligkeit ſich entwickelnden Wiſſenſchaft der Geognoſie. Die vulkaniſchen Erſcheinungen der gewaltigen Feuerberge von Quito und Mexico und des unbedeutendern Veſuv fanden nacheinander an Humboldt einen ſcharfen Beobachter und glücklichen Erklärer. Unterſtützt von Bonpland, welchem zumal die Anlegung von Sammlungen überlaſſen war, ſammelte Humboldt in Amerika viele ſehr wichtige Beobachtungen über die Verbreitung, den Nutzen, ja ſogar über den Bau der Pflanzen, die er dann wieder in ihrer Verbindung mit den verſchiedenen Menſchenracen betrachtete, oder als cultivirte unter dem politiſch ökonomiſchen Geſichtspunkte erwog. Mehre botaniſche Prachtwerke ſtreng ſyſtematiſchen Inhalts, die er in Verbindung mit Bonpland herausgab, beweiſen, daß er auch in dieſer minder lohnenden Richtung zu arbeiten völlig befähigt ſei; ſein botaniſches Hauptwerk bleibt jenes über die Geographie der Pflanzen. Das von ihm und Bonpland geſammelte reiche Herbarium, welches über 5000 Species phanerogamiſcher Pflanzen und unter dieſen wegen der damaligen Unzugänglichkeit von Südamerika und dem mexicaniſchen Hochlande 3600 neue darbot, hat ſpäter K. S. Kunth in einem großen Werke beſchrieben. Auch die Zoologie verdankt jener Reiſe nicht unanſehnliche Vermehrungen, die in einer Section des Humboldt’ſchen Reiſewerks niedergelegt ſind. Ein anderes koſtbares Werk, reich an kunſtvoll gearbeiteten Abbildungen, entſtand durch Humboldt’s Beſtreben, die großen Naturſcenen der Andenkette und die Denkmäler einer untergegangenen Civiliſation der Ureinwohner den Europäern bildlich vorzuführen. Zum erſten male ſah man in Europa Landſchaften, die mit künſtleriſcher Auffaſſung naturhiſtoriſche Treue verbanden. Sie verdrängten die phantaſtiſchen Machwerke früherer Zeiten und begründeten jene naturhiſtoriſche Landſchaftsmalerei, die in der Gegenwart durch Rugendas und andere deutſche und ausländiſche Künſtler zu einer hohen Vollkommenheit gebracht iſt. Das Studium der großen Bauwerke der alten Mexicaner und Peruaner führte Humboldt in ſeinem Werke „Monuments des peuples indigènes de l’Amérique“ zu Unterſuchungen über die Sprachen, die noch erhaltenen Handſchriften, die Zeiteintheilung, den Culturſtand und die Wanderungen der ältern Bewohner jener Länder, und lohnend geſtaltete ſich der Vergleich mit den Altägyptern und ſelbſt den Südaſiaten, da er die Verwandtſchaft der durch weite Meere getrennten Völker erkennen ließ. Statiſtik und Ethnographie erhielten durch Humboldt’s Reiſen ungemein große Vermehrungen, denn keinem Fremden waren je die Archive der Colonien geöffnet worden. Indeſſen war auch hier die Verarbeitung der Materialien eine eigenthümliche, denn in dem mehre Bände umfaſſenden Muſterwerke über das Königreich Neuſpanien ſtehen nicht die trockenen ſtatiſtiſchen Zahlenreihen allein da, ſondern ſie ſind in Verbindung gebracht mit naturgeſchichtlichen Thatſachen, ſodaß beide ſich gegenſeitig erklären und verſchiedene Lehren der Staatsökonomie unter einem völlig neuen Geſichtspunkte behandelt erſcheinen. Vergleiche anzuſtellen über die Bodencultur unter verſchiedenen Klimaten und in weit voneinander entfernten Ländern, über ihre Einträglichkeit, ihren Einfluß auf die Civiliſation und ſonach auf die geſchichtliche Entwickelung und ſelbſt die ſpäte Zukunft der Völker, die Ebbe und die Flut metalliſcher Reichthümer zu erforſchen, wie ſie nach allen Seiten verändernd ſich über einzelne Welttheile ergießen, je nachdem der Boden irgendwo neu erſchloſſen oder neue Verbindungswege zwiſchen Völkern entdeckt wurden, iſt eine von Humboldt zuerſt geübte philoſophiſche und daher höhere Betrachtungsweiſe der Sätze der ältern Staatswirthſchaftslehre. Es läßt ſich denken, daß bei dieſer Gewöhnung, keine Frage und kein Factum iſolirt hinzuſtellen, ſondern ihre Löſung in Combinationen zu ſuchen, die Werke Humboldt’s Fundgruben des mannichfachſten Wiſſens, aber auch bändereich ſein müſſen; dennoch aber hat Humboldt es möglich gefunden, zahlreiche abgeſonderte Unterſuchungen (z. B. über die Entſtehung des Stellenwerths der indiſchen Zahlen), theils allein, theils in Verbindung mit Andern anzuſtellen, oder mindeſtens zu ihnen anzuregen. Sein letztes Werk, die Geſchichte der nautiſchen Geographie im Mittelalter, welche nur ein Hiſtoriker, der zugleich Aſtronom und Naturforſcher war, ſchreiben konnte, ſeine gemeinſamen Arbeiten mit Gay-Luſſac, die theils chemiſche waren, theils der Feſtſtellung des magnetiſchen Äquators galten, ſeine große Entdeckung der Iſothermen, die Verſuche über die Gymnoten, wie über die Reſpiration der Fiſche und jungen Krokodile, eine Menge von Abhandlungen aus dem Gebiete der phyſiſchen Geographie und die Betheiligung an fremden Werken durch Lieferung von Beiträgen oder Anmerkungen, ſind Beweiſe einer nimmer raſtenden und Vieles und Großes in kurzer Zeit leiſtenden Thätigkeit. Alexander von Humboldt’s Reiſewerk erſchien in ſechs Abtheilungen. Die erſte Abtheilung unter dem Titel: „Voyage aux régions équinoxiales du nouveau continent“ zerfällt in zwei Sectionen, von denen die eine den hiſtoriſchen Bericht (3 Bde., Paris 1809— 25, Fol. und 4., und 13 Bde., 1816—31, 8.; deutſch, 6 Bde., Stuttg. 1825—32, 8.) enthält, die andere durch die „Vues des Cordillères et monuments des peuples indigènes de l’Amérique“ (Paris 1810, gr. Fol., mit 69, zum Theil color. Kpfrn.; 2 Bde., Paris 1816, 8., mit 19 Kpfrn.) gebildet wird. Die zweite Abtheilung umfaßt „Observations de zoologie et d’anatomie comparée“ (2 Bde., Paris 1805—32), die dritte den „Essai politique sur le royaume de la Nouvelle Espagne“ (2 Bde., Paris 1811, 4., mit Atlas; Text beſonders 5 Bde., Paris 1811, 8.; 2. Aufl., 4 Bde., 1825, 8; deutſch, 2 Bde., Stuttg. und Tüb. 1811), die vierte die „Observations astronomiques, opérations trigonométriques et mesures barométriques, redigées et calculées par Jabbo Oltmanns“ (2 Bde., Paris 1808—10, 4.). In der fünften Abtheilung hat Humboldt ſeine Beobachtungen über die „Physique générale et géologie“ (Paris 1807, 4.) niedergelegt. Die ſechste, der Botanik gewidmete Abtheilung endlich vereinigt in ſich: 1) „Plantes équinoxiales, recueillies au Mexique, dans l’île de Cuba etc.“ (2 Bde., Paris 1805—18, gr. Fol., mit 144 Kpfrn.); 2) „Monographie des Mélastômes et autres genres du même ordre“ (2 Bde., Paris 1806—23, gr. Fol., mit 120 color. Kpfrn.); 3) „Nova genera et species plantarum quas in peregrinatione ad plagam aequinoctialem orbis novi collegerunt, descripserunt et adumbraverunt A. Bonpland et A. de Humboldt, in ordinem digessit C. S. Kunth“ (7 Bde., Paris 1815—25, in 4. und Fol., mit 700 Kpfrn.); 4) „Mimoses et autres plantes légumineuses du nouveau continent, rédigées par C. S. Kunth“ (Paris 1819—24, gr. Fol., mit 60 color. Kpfrn.); 5) „Synopsis plantarum quas in itinere ad plagam aequinoctialem orbis novi collegerunt A. de Humboldt et A. Bonpland, autore C. S. Kunth (4 Bde., Strasb. und Paris 1822—26, 8.); 6) „Révision des graminées publiées dans les nova genera et species plantarum de MM. de Humboldt et Bonpland; précédée d’un travail sur cette famille, par C. S. Kunth“ (2 Bde., Paris 1829—34, gr. Fol., mit 220 color. Kpfrn.). Sonſt hat Humboldt außer den bereits oben genannten ſeit ſeiner Rückkehr nach Europa noch folgende größere Arbeiten veröffentlicht: „Anſichten der Natur“ (Stuttg. 1808; 3. Aufl., 2 Bde., 1849); „Essai sur la géographie des plantes et tableau physique des régions équinoxiales“ (Paris 1805; deutſch, Stuttg. 1807); „De distributione geographica plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium prolegomena (Paris 1817; deutſch von Beilſchmied, Bresl. 1831); „Essai géognostique sur le gisement des roches dans les deux hémisphères“ (Strasb. 1823 und 1826); „Essai politique sur l’île de Cuba“ (2 Bde., Paris 1827); „Examen critique de l’histoire de la géographie du nouveau continent et des progrès de l’astronomie nautique aux quinzième et seizième siècles“ (5 Bde., Paris 1836—38; deutſch von Ideler, Bd. 1—3, Berl. 1836—39); Kosmos. Entwurf einer phyſiſchen Weltbeſchreibung“ (Bd. 1—3, Stuttg. 1845—52).