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Alexander von Humboldt: „Die Pflanzstädte der Hellenen“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1852-Die_Pflanzstaedte_der-1-neu> [abgerufen am 19.04.2024].

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Titel Die Pflanzstädte der Hellenen
Jahr 1852
Ort Breslau
Nachweis
in: Hermann Kletke (Hrsg.), Das Alterthum in seinen Hauptmomenten dargestellt. Eine Reihe historischer Aufsätze, Breslau: Trewendt & Garnier 1852, S. 37–38.
Entsprechungen in Buchwerken
Alexander von Humboldt, Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, Band 2, Stuttgart und Tübingen: J. G. Cotta 1847, S. 177–179.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur; Auszeichnung: Schwabacher; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VII.28
Dateiname: 1852-Die_Pflanzstaedte_der-1-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 2
Zeichenanzahl: 4376

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Die Pflanzſtädte der Hellenen *). Kosmos. Von Alexander von Humboldt. Bd. 2. Stuttg. und Tüb. 1847.

Kein Volk der alten Welt hat zahlreichere und in der Mehrzahl mächtigerePflanzſtädte dargeboten als die Hellenen. Von der Ausführung der älteſtenäoliſchen Colonien, unter denen Mytilene und Smyrna glänzten, bis zu derGründung von Syracus, Croton und Cyrene ſind aber auch vier bis fünf Jahr-hunderte verfloſſen. Die Inder und Malaye haben nur ſchwache Anſiedelun-gen an der Oſtküſte von Afrika, in Zokotora (Dioscorides) und im ſüdlichenaſiatiſchen Archipel verſucht. Bei den Phöniciern hat ſich zwar ein ſehr ausge-bildetes Colonial-Syſtem auf noch größere Räume als das griechiſche ausgedehnt,indem daſſelbe, doch mit ſehr großer Unterbrechung der Stationen, ſich vom per-ſiſchen Meerbuſen bis Cerne an der Weſtküſte von Afrika erſtreckte. KeinMutterland hat je eine Colonie geſchaffen, welche in dem Grade mächtig eroberndund handelnd zugleich geweſen iſt, als es Carthago war. Aber Carthago ſtandtrotz ſeiner Größe in geiſtiger Cultur und artiſtiſcher Bildſamkeit tief unter dem,was in den griechiſchen Pflanzſtädten ſo herrlich und dauernd unter den edelſtenKunſtformen erblühte. Vergeſſen wir nicht, daß gleichzeitig viele volkreiche griechiſche Städte inKleinaſien, im ägäiſchen Meere, in Unteritalien und Sicilien glänzten; daß, wieCarthago, ſo auch die Pflanzſtädte Myletus und Maſſilia andere Pflanzſtädtegründeten; daß Syracus auf dem Gipfel ſeiner Macht gegen Athen und dieHeere von Hannibal und Hamilkar kämpfte; daß Milet nach Tyrus und Car-thago lange Zeit die erſte Handelsſtadt der Welt war. Indem ſich durch dieThatkraft eines, in ſeinem Inneren oft erſchütterten Volkes ein ſo reich bewegtesLeben nach außen entfaltete, wurden, bei zunehmendem Wohlſtande, durch die
*) Vergl. Raoul-Rochette, histoire critique de l’établissement des coloniesgrécques. Paris 1815. 4. Voll. D. H. Hegewiſch, geographiſche und hiſtoriſche Nachrichten, die Colonien derGriechen betreffend, nebſt Betrachtungen über die Veranlaſſungen, den Zuſtandund die Schickſale dieſer Colonien. Altona. 1808. Pfefferkorn, die Colonien der Altgriechen. Königsberg i. d. N. 1838. 4. Hermann, cap. 4. § 73—87. S. 158—193. Wachsmuth, Bd. 1. Buch 1, 4. § 14—16. S. 81—121.
|38| Verpflanzung einheimiſcher Cultur überall neue Keime der geiſtigen National-Entwickelung hervorgerufen. Das Band gemeinſamer Sprache und Heiligthü-mer umfaßte die ferneſten Glieder. Durch dieſe trat das kleine helleniſche Mutter-land in die weiten Lebenskreiſe anderer Völker. Fremde Elemente wurden aufge-nommen, ohne dem Griechenthum etwas von ſeinem großen und ſelbſtſtändigenCharakter zu entziehen. Der Einfluß eines Contacts mit dem Orient und, überhundert Jahre vor dem Einfall des Cambyſes, mit dem noch nicht perſiſch gewor-denen Aegypten war ohnedies ſeiner Natur nach dauernder als der Einfluß ſoviel beſtrittener, in tiefes Dunkel gehüllter Niederlaſſungen des Cecrops ausSais, des Kadmus aus Phönicien und des Danaus aus Chemmis.
Was die griechiſchen Colonien von allen anderen, beſonders von den ſtar-ren phöniciſchen, unterſchied und in den ganzen Organismus ihres Gemeinweſenseingriff, entſprang aus der Individualität und uralten Verſchiedenheit derStämme, in welche die Nation ſich theilte. Es war in den Colonien wie imganzen Hellenismus ein Gemiſch von bindenden und trennenden Kräften. DieſeGegenſätze erzeugten Mannigfaltigkeit in der Ideenrichtung und den Gefühlen,Verſchiedenheiten in Dichtungsweiſe und meliſcher Kunſt; ſie erzeugten überalldie reiche Lebensfülle, in welcher ſich das ſcheinbar Feindliche, nach höherer Welt-ordnung, zu mildernder Eintracht löſte. Waren auch Milet, Epheſus und Kolophon ioniſch; Cos, Rhodus undHalikarnaß doriſch; Croton und Sybaris achäiſch: ſo übte doch mitten in dieſerVielſeitigkeit der Cultur, ja da, wo in Unteritalien Pflanzſtädte verſchiedenerVolksſtämme neben einander lagen, die Macht der homeriſchen Geſänge, dieMacht des begeiſterten, tiefempfundenen Wortes, ihren allvermittelnden Zauberaus. Bei feſtgewurzelten Contraſten in den Sitten und in den Staatsverfaſ-ſungen, bei dem wechſelnden Schwanken der letzteren erhielt ſich das Griechen-thum ungetheilt. Ein weites, durch die einzelnen Stämme errungenes Reichder Ideen und Kunſttypen wurde als das Eigenthum der geſammten Nationbetrachtet.

A. v. Humboldt.