Fragmente aus Humboldt’s Kosmos. Wir haben dieſem Werke in dem Feuilleton des Abendblattes am 9. d. M. unſere Aufmerkſamkeit gewidmet, das ſeit ſeinem Erſcheinen von den Gebildeten aller Nationen als die bedeutendſte literariſche Erſcheinung der Gegenwart betrachtet wird. Wir theilen unſeren Leſern gewiſſermaßen als Leſeprobe die Einleitung zum dritten Bande mit, welche eine hiſtoriſche Ueberſicht der Verſuche gibt, die zum Ziele hatten die Welterſcheinungen als ein Naturganzes zu betrachten. Sie führt den Titel: Spezielle Ergebniſſe der Beobachtung in dem Gebiete kosmiſcher Erſcheinungen. Zu dem Ziele hinſtrebend, welches ich mir nach dem Maß meiner Kräfte und dem jetzigen Zuſtande der Wiſſenſchaften als erreichbar gedacht, habe ich in zwei ſchon erſchienenen Bänden des Kosmos die Natur unter einem zweifachen Geſichtspunkte betrachtet. Ich habe ſie darzuſtellen verſucht zuerſt in der reinen Objektivität äußerer Erſcheinung, dann in dem Reflex eines, durch die Sinne empfangenen Bildes auf das Innere des Menſchen, auf ſeinen Ideenkreis und ſeine Gefühle. Die Außenwelt der Erſcheinungen iſt unter der wiſſenſchaftlichen Form eines allgemeinen Naturgemäldes in ihren zwei großen Sphären, der uranologiſchen und der telluriſchen, geſchildert worden. Es beginnt dasſelbe mit den Sternen, die in den fernſten Theilen des Weltraumes zwiſchen Nebelflecken aufglimmen, und ſteigt durch unſer Planetenſyſtem bis zur irdiſchen Pflanzendecke und zu den kleinſten, oft von der Luft getragenen, dem unbewaffneten Auge verborgenen Organismen herab. Um das Daſein eines gemeinſamen Bandes, welches die ganze Körperwelt umſchlingt, um das Walten ewiger Geſetze und den urſachlichen Zuſammenhang ganzer Gruppen von Erſcheinungen, ſo weit derſelbe bisher erkannt worden iſt, anſchaulicher hervortreten zu laſſen, mußte die Anhäufung vereinzelnter Thatſachen vermieden werden. Eine ſolche Vorſicht ſchien beſonders da erforderlich, wo ſich in der telluriſchen Sphäre des Kosmos, neben den dynamiſchen Wirkungen bewegender Kräfte, der mächtige Einfluß ſpezifiſcher Stoffverſchiedenheit offenbart. In der ſideriſchen oder uranologiſchen Sphäre des Kosmos ſind für das, was der Beobachtung erreichbar wird, die Probleme, ihrem Weſen nach, von bewundernswürdiger Einfachheit; fähig, nach der Theorie der Bewegung, durch die anziehenden Kräfte der Materie und die Quantität ihrer Maſſe einer ſtrengen Rechnung zu unterliegen. Sind wir, wie ich glaube, berechtigt die kreiſenden Meteor-Aſteroiden für Theile unſeres Planetenſyſtems zu halten, ſo ſetzen dieſe allein uns, durch ihren Fall auf den Erdkörper, in Contact mit erkennbar ungleichartigen Stoffen des Weltraumes. Ich bezeichne hier die Urſache, weßhalb die irdiſchen Erſcheinungen bisher einer mathematiſchen Gedankenentwickelung minder glücklich und minder allgemein unterworfen worden ſind, als die ſich gegenſeitig ſtörenden und wieder ausgleichenden Bewegungen der Weltkörper, in denen für unſere Wahrnehmung nur die Grundkraft gleichartiger Materie waltet. Mein Beſtreben war darauf gerichtet, in dem Naturgemälde der Erde durch eine bedeutſame Anreihung der Erſcheinungen ihren urſachlichen Zuſammenhang ahnen zu laſſen. Es wurde der Erdkörper geſchildert in ſeiner Geſtaltung, ſeiner mittleren Dichtigkeit, den Abſtufungen ſeines mit der Tiefe zunehmenden Wärmegehalts, ſeiner elektro-magnetiſchen Strömungen und polariſchen Lichtprozeſſe. Die Reaktion des Inneren des Planeten auf ſeine äußere Rinde bedingt den Inbegriff vulkaniſcher Thätigkeit, die mehr oder minder geſchloſſenen Kreiſe von Erſchütterungswellen und ihre nicht immer blos dynamiſchen Wirkungen, die Ausbrüche von Gas, von heißen Waſſerquellen und Schlamm. Als die höchſte Kraftäußerung der inneren Erdmächte iſt die Erhebung feuerſpeiender Berge zu betrachten. Wir haben ſo die Central- und Reihen-Vulkane geſchildert, wie ſie nicht blos zerſtören, ſondern Stoffartiges erzeugen, und unter unſeren Augen, meiſt periodiſch, fortfahren Gebirgsarten (Eruptions-Geſtein) zu bilden; wir haben gezeigt, wie, im Kontraſte mit dieſer Bildung, Sediment-Geſteine ſich ebenfalls noch aus Flüſſigkeiten niederſchlagen, in denen ihre kleinſten Theile aufgelöſt oder ſchwebend enthalten waren. Eine ſolche Vergleichung des Werdenden, ſich als Feſtes Geſtaltenden mit dem längſt als Schichten der Erdrinde Erſtarrten leitet auf die Unterſcheidung geognoſtiſcher Epochen, auf eine ſichere Beſtimmung der Zeitfolge der Formationen, welche die untergegangenen Geſchlechter von Thieren und Pflanzen, die Fauna und Flora der Vorwelt, in chronologiſch erkennbaren Lebensreihen umhüllen. Entſtehung, Umwandlung und Hebung der Erdſchichten bedingen epochenweiſe wechſelnd alle Beſonderheiten der Naturgeſtaltung der Erdoberfläche; ſie bedingen die räumliche Vertheilung des Feſten und Flüſſigen, die Ausdehnung und Gliederung der Kontinental-Maſſen in horizontaler und ſenkrechter Richtung. Von dieſen Verhältniſſen hangen ab die thermiſchen Zuſtände der Meeresſtröme, die meteorologiſchen Prozeſſe in der luftförmigen Umhüllung des Erdkörpers, die typiſche und geographiſche Verbreitung der Organismen. Eine ſolche Erinnerung an die Aneinanderreihung der telluriſchen Erſcheinungen, wie ſie das Naturgemälde dargeboten hat, genügt, wie ich glaube, um zu beweiſen, daß durch die bloße Zuſammenſtellung großer und verwickelt ſcheinender Reſultate der Beobachtung die Einſicht in ihren Kauſalzuſammenhang gefördert wird. Die Deutung der Natur iſt aber weſentlich geſchwächt, wenn man durch zu große Anhäufung einzelner Thatſachen der Naturſchilderung ihre belebende Wärme entzieht. So wenig nun in einer, mit Sorgfalt entworfenen, objektiven Darſtellung der Erſcheinungswelt Vollſtändigkeit bei Aufzählung der Einzelheiten beabſichtigt worden iſt, eben ſo wenig hat dieſelbe erreicht werden ſollen in der Schilderung des Reflexes der äußeren Natur auf das Innere des Menſchen. Hier waren die Grenzen noch enger zu ziehen. Das ungemeſſene Gebiet der Gedankenwelt, befruchtet ſeit Jahrtauſenden durch die treibenden Kräfte geiſtiger Thätigkeit, zeigt uns in den verſchiedenen Menſchenracen und auf verſchiedenen Stufen der Bildung bald eine heitere, bald eine trübe Stimmung des Gemüths, bald zarte Erregbarkeit und bald dumpfe Unempfindlichkeit für das Schöne. Es wird der Sinn des Menſchen zuerſt auf die Heiligung von Naturkräften und gewiſſer Gegenſtände der Körperwelt geleitet; ſpäter folgt er religiöſen Anregungen höherer, rein geiſtiger Art. Der innere Reflex der äußeren Natur wirkt dabei mannigfaltig auf den geheimnißvollen Prozeß der Sprachenbildung, in welchem zugleich urſprüngliche körperliche Anlagen und Eindrücke der umgebenden Natur als mächtige mitbeſtimmende Elemente auftreten. Die Menſchheit verarbeitet in ſich den Stoff, welchen die Sinne ihr darbieten. Die Erzeugniſſe einer ſolchen Geiſtesarbeit gehören eben ſo weſentlich zum Bereich des Kosmos als die Erſcheinungen, die ſich im Inneren abſpiegeln. Da ein reflektirtes Naturbild unter dem Einfluß aufgeregter ſchöpferiſcher Einbildungskraft ſich nicht rein und treu erhalten kann; ſo entſteht neben dem, was wir die wirkliche oder äußere Welt nennen, eine ideale und innere Welt, voll phantaſtiſcher, zum Theil ſymboliſcher Mythen, belebt durch fabelhafte Thiergeſtalten, deren einzelne Glieder den Organismen der jetzigen Schöpfung oder gar den erhaltenen Reſten untergegangener Geſchlechter entlehnt ſind. Auch Wunderblumen und Wunderbäume entſprießen dem mythiſchen Boden: wie nach den Edda-Liedern die rieſige Eſche, der Weltbaum Yggdraſil, deſſen Aeſte über den Himmel emporſtreben, während eine ſeiner dreifachen Wurzeln bis in die „rauſchenden Keſſelbrunnen“ der Unterwelt reicht. So iſt das Nebelland phyſiſcher Mythen, nach Verſchiedenheit der Volksſtämme und der Klimate, mit anmuthigen oder mit grauenvollen Geſtalten gefüllt. Jahrhunderte lang werden ſie durch die Ideenkreiſe ſpäter Generationen vererbt. Wenn die Arbeit, die ich geliefert, nicht genugſam dem Titel entſpricht, den ich oft ſelbſt als gewagt und unvorſichtig gewählt bezeichnet habe; ſo muß der Tadel der Unvollſtändigkeit beſonders den Theil dieſer Arbeit treffen, welcher das geiſtige Leben im Kosmos, die in die Gedanken- und Gefühlswelt reflektirte äußere Natur berührt. Ich habe mich in dieſem Theile vorzugsweiſe begnügt bei den Gegenſtänden zu verweilen, welche in mir der Richtung lang genährter Studien näher liegen: bei den Aeußerungen des mehr und minder lebhaften Naturgefühls im klaſſiſchen Alterthum und in der neueren Zeit; bei den Fragmenten dichteriſcher Naturbeſchreibung, auf deren Färbung die Individualität des Volkscharakters und die religiöſe, monotheiſtiſche Anſicht des Geſchaffenen einen ſo weſentlichen Einfluß ausgeübt haben; bei dem anmuthigen Zauber der Landſchaftmalerei; bei der Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung, d. i. bei der Geſchichte der in dem Laufe von zwei Jahrtauſenden ſtufenweiſe entwickelten Erkenntniß des Weltganzen der Einheit in den Erſcheinungen. Bei einem ſo viel umfaſſenden, ſeinem Zwecke nach zugleich wiſſenſchaftlichen und die Natur lebendig darſtellenden Werke darf ein erſter, unvollkommener Verſuch der Ausführung nur darauf Anſpruch machen, daß er mehr durch das wirke, was er anregt, als durch das, was er zu geben vermag. Ein Buch von der Natur, ſeines erhabenen Titels würdig, wird dann erſt erſcheinen, wenn die Naturwiſſenſchaften, trotz ihrer urſprünglichen Unvollendbarkeit, durch Fortbildung und Erweiterung einen höheren Standpunkt erreicht haben, und wenn ſo beide Sphären des einigen Kosmos (die äußere, durch die Sinne wahrnehmbare, wie die innere, reflektirte, geiſtige Welt) gleichmäßig an lichtvoller Klarheit gewinnen. Ich glaube hiermit hinlänglich die Urſachen berührt zu haben, welche mich beſtimmen mußten dem allgemeinen Naturgemälde keine größere Ausdehnung zu geben. Dem dritten und letzten Bande des Kosmos iſt es vorbehalten, vieles des Fehlenden zu ergänzen und die Ergebniſſe der Beobachtung darzulegen, auf welche der jetzige Zuſtand wiſſenſchaftlicher Meinungen vorzugsweiſe gegründet iſt. Die Anordnung dieſer Ergebniſſe wird hier wieder die ſein, welcher ich nach den früher ausgeſprochenen Grundſätzen in dem Naturgemälde gefolgt bin. Ehe ich jedoch zu den Einzelheiten übergehe, welche die ſpeziellen Disziplinen begründen, darf es mir erlaubt ſein, noch einige allgemeine erläuternde Betrachtungen voranzuſchicken. Das unerwartete Wohlwollen, welches meinem Unternehmen bei dem Publikum in weiten Kreiſen, in- und außerhalb des Vaterlandes geſchenkt worden iſt, läßt mich doppelt das Bedürfniß fühlen, mich noch einmal auf das beſtimmteſte über den Grundgedanken des ganzen Werkes und über Anforderungen auszuſprechen, die ich ſchon darum nicht zu erfüllen verſucht habe, weil ihre Erfüllung nach meiner individuellen Anſicht unſeres empiriſchen Wiſſens nicht von mir beabſichtigt werden konnte. An dieſe rechtfertigenden Betrachtungen reihen ſich wie von ſelbſt hiſtoriſche Erinnerungen an die früheren Verſuche den Weltgedanken aufzufinden, der alle Erſcheinungen in ihrem Kauſalzuſammenhange auf ein einiges Prinzip reduziren ſolle. Das Grundprinzip meines Werkes über den Kosmos, wie ich dasſelbe vor mehr als zwanzig Jahren in den Franzöſiſchen und Deutſchen zu Paris und Berlin gehaltenen Vorleſungen entwickelt habe, iſt in dem Streben enthalten: die Welterſcheinungen als ein Naturganzes aufzufaſſen; zu zeigen, wie in einzelnen Gruppen dieſer Erſcheinungen die ihnen gemeinſamen Bedingniſſe, d. i. das Walten großer Geſetze, erkannt worden ſind; wie man von den Geſetzen zu der Erforſchung ihres urſachlichen Zuſammenhanges aufſteigt. Ein ſolcher Drang nach dem Verſtehen des Weltplans, d. h. der Naturordnung, beginnt mit Verallgemeinerung des Beſonderen, mit Erkenntniß der Bedingungen, unter denen die phyſiſchen Veränderungen ſich gleichmäßig wiederkehrend offenbaren; er leitet zu der denkenden Betrachtung deſſen, was die Empirie uns darbietet, nicht aber „zu einer Weltanſicht durch Spekulation und alleinige Gedankenentwicklung, nicht zu einer abſoluten Einheitslehre in Abſonderung von der Erfahrung.“ Wir ſind, ich wiederhole es hier, weit von dem Zeitpunkt entfernt, wo man es für möglich halten konnte, alle unſere ſinnlichen Anſchauungen zur Einheit des Naturbegriffes zu konzentriren. Der ſichere Weg iſt ein volles Jahrhundert vor Francis Bacon ſchon von Leonardo da Vinci vorgeſchlagen und mit wenigen Worten bezeichnet worden: cominciare dall’ esperienza e per mezzo di questa scoprirne la ragione. In vielen Gruppen der Erſcheinungen müſſen wir uns freilich noch mit dem Auffinden von empiriſchen Geſetzen begnügen; aber das höchſte, ſeltener erreichte Ziel aller Naturforſchung iſt das Erſpähen des Kauſalzuſammenhanges ſelbſt. Die befriedigendſte Deutlichkeit und Evidenz herrſchen da, wo es möglich wird das Geſetzliche auf mathematiſch beſtimmbare Erklärungsgründe zurückzuführen. Die phyſiſche Weltbeſchreibung iſt nur in einzelnen Theilen eine Welterklärung. Beide Ausdrücke ſind noch nicht als identiſch zu betrachten. Was der Geiſtesarbeit, deren Schranken hier bezeichnet werden, Großes und Feierliches inwohnt, iſt das frohe Bewußtſein des Strebens nach dem Unendlichen, nach dem Erfaſſen deſſen, was in ungemeſſener, unerſchöpflicher Fülle das Seiende, das Werdende, das Geſchaffene uns offenbart. Ein ſolches durch alle Jahrhunderte wirkſames Streben mußte oft und unter mannigfaltigen Formen zu der Täuſchung verführen, das Ziel erreicht, das Prinzip gefunden zu haben, aus dem alles Veränderliche der Körperwelt, der Inbegriff aller ſinnlich wahrnehmbaren Erſcheinungen erklärt werden könne. Nachdem lange Zeit hindurch, gemäß der erſten Grundanſchauung des Helleniſchen Volksgeiſtes, in den geſtaltenden, umwandelnden oder zerſtörenden Naturkräften das Walten geiſtiger Mächte in menſchlicher Form verehrt worden war, entwickelte ſich in den phyſiologiſchen Phantaſien der Joniſchen Schule der Keim einer wiſſenſchaftlichen Naturbetrachtung. Der Urgrund des Entſtehens der Dinge, der Urgrund aller Erſcheinungen ward, nach zwei Richtungen, aus der Annahme konkreter, ſtoffartiger Prinzipien, ſogenannter Naturelemente, oder aus Prozeſſen der Verdünnung und Verdichtung, bald nach mechaniſchen, bald nach dynamiſchen Anſichten, abgeleitet. Die vielleicht urſprünglich Indiſche Hypotheſe von vier oder fünf ſtoffartig verſchiedenen Elementen iſt von dem Lehrgedichte des Empedokles an bis in die ſpäteſten Zeiten allen Naturphiloſophemen beigemengt geblieben: ein uraltes Zeugniß und Denkmal für das Bedürfniß des Menſchen, nicht blos in den Kräften, ſondern auch in qualitativer Weſenheit der Stoffe nach einer Verallgemeinerung und Vereinfachung der Begriffe zu ſtreben. In der ſpäteren Entwickelung der Joniſchen Phyſiologie erhob ſich Anaxagoras von Klazomenä von der Annahme blos bewegender Kräfte der Materie zu der Idee eines von aller Materie geſonderten, ihre gleichartigen kleinſten Theile entmiſchenden Geiſtes. Die weltordnende Vernunft beherrſcht die kontinuirlich fortſchreitende Weltbildung, den Urquell aller Bewegung und ſo auch aller phyſiſchen Erſcheinungen. Durch die Annahme eines zentrifugalen Umſchwunges, deſſen Nachlaſſen, wie wir ſchon oben erwähnt, den Fall der Meteorſteine bewirkt, erklärt Anaxagoras den ſcheinbaren (oſt-weſtlichen) himmliſchen Kreislauf. Dieſe Hypotheſe bezeichnet den Ausgangspunkt von Wirbel- Theorien, welche mehr denn zweitauſend Jahre ſpäter durch Descartes, Huygens und Hooke eine große kosmiſche Wichtigkeit erhielten. Ob des Klazomeniers weltordnender Geiſt die Gottheit ſelbſt oder pantheiſtiſch nur ein geiſtiges Prinzip alles Naturlebens bezeichnet, bleibt dieſem Werke fremd. (Schluß folgt.) Fragmente aus Humboldt’s Kosmos. (Schluß.) In einem grellen Kontraſte mit den beiden Abtheilungen der Joniſchen Schule ſteht die, das Univerſum ebenfalls umfaſſende, mathematiſche Symbolik der Pythagoreer. Der Blick bleibt einſeitig geheftet in der Welt ſinnlich wahrnehmbarer Naturerſcheinungen auf das Geſetzliche in der Geſtaltung (den fünf Grundformen), auf die Begriffe von Zahlen, Maß, Harmonie und Gegenſätzen. Die Dinge ſpiegeln ſich in den Zahlen, welche gleichſam eine „nachahmende Darſtellung“ von ihnen ſind. Die grenzenloſe Wiederholbarkeit und Erhöhung der Zahlen iſt der Charakter des Ewigen, der Unendlichkeit der Natur. Das Weſen der Dinge kann als Zahlenverhältniſſe, ihre Veränderungen und Umbildungen können als Zahlenkombinationen erkannt werden. Auch Plato’s Phyſik enthält Verſuche alle Weſenheit der Stoffe im Weltall und ihrer Verwandlungsſtufen auf körperliche Formen und dieſe auf die einfachſten (triangularen) Flächen-Figuren zurückzuführen. Was aber die letzten Prinzipien (gleichſam die Elemente der Elemente) ſind, ſagt Plato in beſcheidenem Mißmuth, „weiß Gott allein, und wer von ihm geliebt wird unter den Menſchen.“ Eine ſolche mathematiſche Behandlung phyſiſcher Erſcheinungen, die Ausbildung der Atomiſtik, die Philoſophie des Maßes und der Harmonie, hat noch ſpät auf die Entwicklung der Naturwiſſenſchaften eingewirkt, auch phantaſiereiche Entdecker auf Abwege geführt, welche die Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung bezeichnet. „Es wohnt ein feſſelnder, von dem ganzen Alterthume gefeierter Zauber den einfachen Verhältniſſen der Zeit und des Raumes inne, wie ſie ſich in Tönen, in Zahlen und Linien offenbaren.“ Die Idee der Weltordnung und Weltregierung tritt geläutert und erhaben in den Schriften des Ariſtoteles hervor. Alle Erſcheinungen der Natur werden in den phyſiſchen Vorträgen (Auscultationes physicae) als bewegende Lebensthätigkeiten einer allgemeinen Weltkraft geſchildert. Von dem „unbewegten Bewegen der Welt“ hängt der Himmel und die Natur (die telluriſche Sphäre der Erſcheinungen) ab. Der „Anordner,“ und der letzte Grund aller ſinnlichen Veränderungen muß als ein Nichtſinnliches, von aller Materie Getrenntes betrachtet werden. Die Einheit in den verſchiedenen Kraftäußerungen der Stoffe wird zum Hauptprinzipe erhoben, und dieſe Kraftäußerungen ſelbſt werden ſtets auf Bewegungen reduzirt. So finden wir in dem Buche von der Seele ſchon den Keim der Undulations-Theorie des Lichtes. Die Empfindung des Sehens erfolgt durch eine Erſchütterung, eine Bewegung des Mittels zwiſchen dem Geſicht und dem geſehenen Gegenſtande, nicht durch Ausflüſſe aus dem Gegenſtande oder dem Auge. Mit dem Sehen wird das Hören verglichen, da der Schall ebenfalls eine Folge der Lufterſchütterung iſt. Ariſtoteles, indem er lehrt, durch die Thätigkeit der denkenden Vernunft in dem Beſondern der wahrnehmbaren Einzelheiten das Allgemeine zu erforſchen, umfaßt immer das Ganze der Natur, und den inneren Zuſammenhang nicht blos der Kräfte, ſondern auch der organiſchen Geſtalten. In dem Buche über die Theile (Organe) der Thiere ſpricht er deutlich ſeinen Glauben an die Stufenleiter der Weſen aus, in der ſie von niederen zu höheren Formen aufſteigen. Die Natur geht in ununterbrochenem, fortſchreitendem Entwickelungsgange von dem Unbelebten (Elementariſchen) durch die Pflanzen zu den Thieren über: zunächſt „zu dem, was zwar noch kein eigentliches Thier, aber ſo nahe mit dieſem verwandt iſt, daß es ſich im Ganzen wenig von ihm unterſcheidet.“ In dem Uebergange der Bildungen „ſind die Mittelſtufen faſt unmerklich. Das große Problem des Kosmos iſt dem Stagiriten die Einheit der Natur. „In ihr,“ ſagt er mit ſonderbarer Lebendigkeit des Ausdrucks, „iſt nichts zuſammenhangslos Eingeſchobenes wie in einer ſchlechten Tragödie.“ Das naturphiloſophiſche Streben, alle Erſcheinungen des einigen Kosmos Einem Erklärungsprinzipe unterzuordnen, iſt in allen phyſikaliſchen Schriften des tiefſinnigen Weltweiſen und genauen Naturbeobachters nicht zu verkennen; aber der mangelhafte Zuſtand des Wiſſens, die Unbekanntſchaft mit der Methode des Experimentirens, d. h. des Hervorrufens der Erſcheinungen unter beſtimmten Bedingniſſen, hinderte ſelbſt kleine Gruppen phyſiſcher Prozeſſe in ihrem Kauſalzuſammenhange zu erfaſſen. Alles wurde reduzirt auf die immer wiederkehrenden Gegenſätze von Kälte und Wärme, Feuchtigkeit und Dürre, primitiver Dichtigkeit und Dünne; ja auf ein Bewirken von Veränderungen in der Körperwelt durch eine Art innerer Entzweiung (Antiperiſtaſe), welche an unſere jetzigen Hypotheſen der entgegengeſetzten Polarität, an die hervorgerufenen Kontraſte von + und — erinnert. Die vermeinten Löſungen der Probleme geben dann die Thatſachen ſelbſt verhüllt wieder, und der ſonſt überall ſo mächtig konziſe Styl des Stagiriten geht in der Erklärung meteorologiſcher oder optiſcher Prozeſſe oft in ſelbſtgefällige Breite und etwas Helleniſche Vielredenheit über. Da der Ariſtoteliſche Sinn wenig auf Stoffverſchiedenheit, vielmehr ganz auf Bewegung gerichtet iſt; ſo tritt die Grundidee, alle telluriſchen Naturerſcheinungen dem Impuls der Himmelsbewegung, dem Umſchwung der Himmelsſphäre zuzuſchreiben, wiederholt hervor: geahnet, mit Vorliebe gepflegt, aber nicht in abſoluter Schärfe und Beſtimmtheit dargeſtellt. Der Impuls, welchen ich hier bezeichne, deutet nur die Mittheilung der Bewegung als den Grund aller irdiſchen Erſcheinungen an. Pantheiſtiſche Anſichten ſind ausgeſchloſſen. Die Gottheit iſt die höchſte „ordnende Einheit, welche ſich in allen Kreiſen der geſammten Welt offenbart, jedem einzelnen Naturweſen die Beſtimmung verleiht, als abſolute Macht Alles zuſammenhält.“ Der Zweckbegriff und die theologiſchen Anſichten werden nicht auf die untergeordneten Naturprozeſſe, die der anorganiſchen, elementariſchen Natur, angewandt, ſondern vorzugsweiſe auf die höheren Organiſationen der Thier- und Pflanzenwelt. Auffallend iſt es, daß in dieſen Lehren die Gottheit ſich gleichſam einer Anzahl von Aſtralgeiſtern bedient, welche (wie der Maſſenvertheilung und der Perturbationen kundig) die Planeten in den ewigen Bahnen zu erhalten wiſſen. Die Geſtirne offenbaren dabei das Bild der Göttlichkeit in der ſinnlichen Welt. Des kleinen, Pſeudo-Ariſtoteliſchen, gewiß ſtoiſchen Buches vom Kosmos iſt hier, trotz ſeines Namens, nicht Erwähnung geſchehen. Es ſtellt zwar, naturbeſchreibend und oft mit rhetoriſcher Lebendigkeit und Färbung, zugleich Himmel und Erde, die Strömungen des Meeres und des Luftkreiſes dar; aber es offenbart keine Tendenz die Erſcheinungen des Kosmos auf allgemeine phyſikaliſche, d. h. in den Eigenſchaften der Materie gegründete, Prinzipien zurückzuführen. Ich habe länger bei der glänzendſten Epoche der Naturanſichten des Alterthums verweilt, um den früheſten Verſuchen der Verallgemeinung die Verſuche der neueren Zeit gegenüber zu ſtellen. In der Gedankenbewegung der Jahrhunderte, welche in Hinſicht auf die Erweiterung kosmiſcher Anſchauungen in einem anderen Theile dieſes Buches geſchildert worden iſt, zeichnen ſich das Ende des dreizehnten und der Anfang des vierzehnten Jahrhunderts aus; aber das Opus majus von Roger Bacon, der Naturſpiegel des Vincenz von Beauvais, die phyſiſche Geographie (Liber cosmographicus) von Albert dem Großen, das Weltgemälde (Imago Mundi) des Kardinals Petrus de Alliaco (Pierre d’Ailly) ſind Werke, welche ſo mächtig ſie auch auf Zeitgenoſſen gewirkt haben, durch ihren Inhalt nicht dem Titel entſprechen, den ſie führen. Unter den Italieniſchen Gegnern der Ariſtoteliſchen Phyſik wird Bernardino Teleſio aus Coſenza als der Gründer einer rationellen Naturwiſſenſchaft bezeichnet. Alle Erſcheinungen der ſich paſſiv verhaltenden Materie werden von ihm als Wirkungen zweier unkörperlichen Prinzipien (Thätigkeiten, Kräfte), von Wärme und Kälte, betrachtet. Auch das ganze organiſche Leben, die „beſeelten“ Pflanzen und Thiere, ſind das Produkt jener ewig entzweiten Kräfte: von denen vorzugsweiſe die eine, die Wärme, der himmliſchen; die andere, die Kälte, der irdiſchen Sphäre zugehört. Mit noch ungezügelterer Phantaſie, aber auch mit tiefem Forſchungsgeiſte begabt, verſucht Giordano Bruno aus Nola in drei Werken: De la Causa, Principio e Uni; Contemplationi circa lo Infinito, Universo e Mondi inumerabili; und De Minimo et Maximo, das Weltganze zu umfaſſen. In der Naturphiloſophie des Teleſio, eines Zeitgenoſſen des Copernicus, erkennt man wenigſtens das Beſtreben die Veränderungen der Materie auf zwei ihrer Grundkräfte zu reduziren, „welche zwar als von außen wirkend gedacht werden,“ doch ähnlich ſind den Grundkräften der Anziehung und Abſtoßung in der dynamiſchen Naturlehre von Boscowich und Kant. Die kosmiſchen Anſichten des Nolaners ſind rein metaphyſiſch; ſie ſuchen nicht die Urſachen der ſinnlichen Erſcheinungen in der Materie ſelbſt, ſondern berühren „die Unendlichkeit des mit ſelbſtleuchtenden Welten gefüllten Raumes, die Beſeeltheit dieſer Welten, die Beziehungen der höchſten Intelligenz, Gottes zu dem Univerſum.“ Mit geringem mathematiſchen Wiſſen ausgerüſtet, war Giordano Bruno doch bis zu ſeinem furchtbaren Martertode ein enthuſiaſtiſcher Bewunderer von Copernicus, Tycho und Kepler. Zeitgenoſſe des Galilei, erlebte er nicht die Erfindung des Fernrohrs von Hans Lippershey und Zacharias Janſen, und alſo auch nicht die Entdeckung der „kleinen Jupiterswelt“, der Venusphaſen und der Nebelflecke. Mit kühner Zuverſicht auf das, was er nennt lume interno, ragione naturale, altezza dell’ intelleto, überließ er ſich glücklichen Ahnungen über die Bewegung der Fixſterne, die planetenartige Natur der Kometen und die von der Kugelform abweichende Geſtalt der Erde. Auch das Griechiſche Alterthum iſt voll von ſolchen uranologiſchen Verheißungen, die ſpäter erfüllt wurden. In der Gedankenentwickelung über kosmiſche Verhältniſſe, deren Hauptformen und Hauptepochen hier aufgezählt werden, war Kepler, volle 78 Jahre vor dem Erſcheinen von Newton’s unſterblichem Werke der Principia philosophiae naturalis, einer mathematiſchen Anwendung der Gravitationslehre am nächſten. Wenn der Eklektiker Simplicius blos im Allgemeinen den Grundſatz ausſprach, „das Nichtherabfallen der himmliſchen Körper werde dadurch bewirkt, daß der Umſchwung (die Centrifugalkraft) die Oberhand habe über die eigene Fallkraft, den Zug nach unten“; wenn Joannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeä, die Bewegung der Weltkörper „einem primitiven Stoße und dem fortgeſetzten Streben zum Falle“ zuſchrieb; wenn, wie wir ſchon früher bemerkt, Copernicus nur den allgemeinen Begriff der Gravitation, wie ſie in der Sonne als dem Centrum der Planetenwelt, in der Erde und dem Monde wirke, mit den denkwürdigen Worten bezeichnet: gravitatem non aliud esse quam appetentiam quandam naturalem partibus inditam a divina providentia opificis universorum, ut in unitatem integritatemque suam sese conferant, in formam globi coëuntes: ſo finden wir bei Kepler in der Einleitung zu dem Buche de Stella Martis zuerſt numeriſche Angaben von den Anziehungskräften, welche nach Verhältniß ihrer Maſſen Erde und Mond gegen einander ausüben. Er führt beſtimmt Ebbe und Fluth als einen Beweis an, daß die anziehende Kraft des Mondes (virtus tractoria) ſich bis zur Erde erſtrecke; ja daß dieſe Kraft, „ähnlich der, welche der Magnet auf das Eiſen ausübt,“ die Erde des Waſſers berauben würde, wenn dieſe aufhörte dasſelbe anzuziehen. Leider gab der große Mann zehn Jahre ſpäter, 1619, vielleicht aus Nachgiebigkeit gegen Galilei, welcher Ebbe und Fluth der Rotation der Erde zuſchrieb, die richtige Erklärung auf, um in der Harmonice Mundi den Erdkörper als ein lebendiges Unthier zu ſchildern, deſſen wallfiſchartige Reſpiration, in periodiſchem, von der Sonnenzeit abhängigen Schlaf und Erwachen, das Anſchwellen und Sinken des Oceans verurſacht. Bei dem mathematiſchen, ſchon von Laplace anerkannten Tiefſinne, welcher aus einer von Kepler’s Schriften hervorleuchtet, iſt zu bedauern, daß der Entdecker von den drei großen Geſetzen aller planetariſchen Bewegung nicht auf dem Wege fortgeſchritten iſt, zu welchem ihn ſeine Anſichten über die Maſſenanziehung der Weltkörper geleitet hatten. Mit einer größeren Mannigfaltigkeit von Naturkenntniſſen als Kepler begabt und Gründer vieler Theile einer mathematiſchen Phyſik, unternahm Descartes in einem Werke, das er Traité du Monde, auch Summa Philosophia nannte, die ganze Welt der Erſcheinungen, die himmliſche Sphäre, und alles, was er von der belebten und unbelebten irdiſchen Natur wußte, zu umfaſſen. Der Organismus der Thiere, beſonders der des Menſchen, für welchen er eilf Jahre lang ſehr ernſte anatomiſche Studien gemacht, ſollte das Werk beſchließen. In der Korreſpondenz mit dem Pater Merſenne findet man häufige Klagen über das langſame Fortſchreiten der Arbeit und über die Schwierigkeit ſo viele Materien an einander zu reihen. Der Kosmus, den Descartes immer ſeine Welt (son Monde) nannte, ſollte endlich am Schluſſe des Jahres 1633 dem Druck übergeben werden, als das Gerücht von der Verurtheilung Galilei’s in der Inquiſition zu Rom, welches erſt vier Monate ſpäter, im Oktober 1633, durch Gaſſendi und Bouillaud verbreitet wurde, alles rückgängig machte und die Nachwelt eines großen, mit ſo viel Mühe und Sorgfalt vollendeten Werkes beraubte. Die Motive der Nichtherausgabe des Kosmos waren Liebe zu friedlicher Ruhe im einſamen Aufenthalte zu Deventer, wie die fromme Beſorgniß unehrerbietig gegen die Dekrete des heiligen Stuhles wider die planetariſche Bewegung der Erde zu ſein. Erſt 1664, alſo vierzehn Jahre nach dem Tode des Philoſophen, wurden einige Fragmente unter dem ſonderbaren Titel: Le Monde ou Traité de la Lumière gedruckt. Die drei Kapitel, welche vom Lichte handeln, bilden doch kaum ein Viertel des Ganzen. Dagegen wurden die Abſchnitte, welche urſprünglich zu dem Kosmos des Descartes gehörten und Betrachtungen über die Bewegung und Sonnenferne der Planeten, über den Erdmagnetismus, die Ebbe und Fluth, das Erdbeben und die Vulkane enthalten, in den dritten und vierten Theil des berühmten Werkes Principes de la Philosophie verſetzt. Der Kosmotheoros von Huygens, der erſt nach ſeinem Tode erſchienen iſt, verdient, trotz ſeines bedeutungsvollen Namens, in dieſer Aufzählung kosmologiſcher Verſuche kaum genannt zu werden. Es ſind Träume und Ahnungen eines großen Mannes über die Pflanzen- und Thierwelt auf den fernſten Weltkörpern, beſonders über die dort abgeänderte Geſtalt des Menſchengeſchlechts. Man glaubt Kepler’s Somnium astronomicum oder Kircher’s ekſtatiſche Reiſe zu leſen. Da Huygens ſchon, ganz wie die Aſtronomen unſerer Zeit, dem Monde alles Waſſer und alle Luft verſagte, ſo iſt er über die Exiſtenz des Mondmenſchen noch verlegener als über die Bewohner der „dunſt- und wolkenreichen“ ferneren Planeten. Dem unſterblichen Verfaſſer des Werkes Philosophiae Naturalis Principia mathematica gelang es den ganzen uranologiſchen Theil des Kosmos durch die Annahme einer einigen alles beherrſchenden Grundkraft der Bewegung in dem Kauſalzuſammenhange ſeiner Erſcheinungen zu erfaſſen. Newton zuerſt hat die phyſiſche Aſtronomie zu der Löſung eines großen Problems der Mechanik, zu einer mathematiſchen Wiſſenſchaft erhoben. Die Quantität der Materie in jeglichem Weltkörper gibt das Maß ſeiner anziehenden Kraft: einer Kraft, die in umgekehrtem Verhältniß des Quadrats der Entfernung wirkt und die Größe der Störungen beſtimmt, welche nicht blos die Planeten, ſondern alle Geſtirne der Himmelsräume auf einander ausüben. Aber das Newtoniſche, durch Einfachheit und Allgemeinheit ſo bewunderungswürdige Theorem der Gravitation iſt in ſeiner kosmiſchen Anwendung nicht auf die uranologiſche Sphäre beſchränkt, es beherrſcht auch die telluriſchen Erſcheinungen in zum Theil noch unerforſchten Richtungen; es gibt den Schlüſſel zu periodiſchen Bewegungen im Ozean und in der Atmoſphäre, zu der Löſung von Problemen der Kapillarität, der Endosmoſe, vieler chemiſcher, elektromagnetiſcher und organiſcher Prozeſſe. Newton ſelbſt unterſchied ſchon die Maſſenanziehung, wie ſie ſich in den Bewegungen aller Weltkörper und in den Phänomenen der Ebbe und Fluth äußert, von der Molekularanziehung, die in unendlich kleiner Entfernung und bei der innigſten Berührung wirkſam wird. Auf dieſe Weiſe zeigt ſich unter allen Verſuchen, das Veränderliche in der Sinnenwelt auf ein einziges Grundprinzip zurückzuführen, die Lehre von der Gravitation als der umfaſſendſte und kosmiſch vielverheißendſte. Allerdings laſſen ſich, trotz der glänzendſten Fortſchritte, welche in neueren Zeiten in der Stöchiometrie (in der Rechenkunſt mit chemiſchen Elementen und in den Volumverhältniſſen der gemengten Gasarten) gemacht ſind, noch nicht alle phyſikaliſchen Theorien der Stofflehre auf mathematiſch beſtimmbare Erklärungsgründe zurückführen. Empiriſche Geſetze ſind aufgefunden und nach den weitverbreiteten Anſichten der Atomiſtik oder Korpuskular-Philoſophie iſt manches der Mathematik zugänglicher geworden; aber bei der grenzenloſen Heterogeneität der Stoffe und den mannigfaltigen Aggregations-Zuſtänden der ſogenannten Maſſentheilchen ſind die Beweiſe jener empiriſchen Geſetze noch keineswegs aus der Theorie der Kontaktanziehung mit der Gewißheit zu entwickeln, welche die Begründung von Kepler’s drei großen empiriſchen Geſetzen aus der Theorie der Maſſenanziehung oder Gravitation darbietet. Zu derſelben Zeit aber, in der Newton ſchon erkannt hatte, daß alle Bewegungen der Weltkörper Folgen einer und derſelben Kraft ſeien, hielt er die Gravitation ſelbſt nicht, wie Kant, für eine Grundkraft der Materie; ſondern entweder für abgeleitet von einer, ihm noch unbekannten, höheren Kraft, oder für Folge eines „Umſchwunges des Aethers, welcher den Weltraum erfüllt, und in den Zwiſchenräumen der Maſſentheilchen dünner iſt, nach außen aber an Dichtigkeit zunimmt. Die letztere Anſicht iſt umſtändlich in einem Briefe an Robert Boyle (vom 28. Februar 1678) entwickelt, welcher mit den Worten endigt: „ich ſuche in dem Aether die Urſache der Gravitation.“ Acht Jahre ſpäter, wie man aus einem Schreiben an Halley erſieht, gab Newton dieſe Hypotheſe des dünneren und dichteren Aethers gänzlich auf. Beſonders auffallend iſt es, daß er neun Jahre vor ſeinem Tode, 1717, in der ſo überaus kurzen Vorrede zu der zweiten Auflage ſeiner Optik es für nöthig hielt beſtimmt zu erklären, daß er die Gravitation keineswegs für eine Grundkraft der Materie (essential property of bodies) halte: während Gilbert ſchon 1600 den Magnetismus für eine aller Materie inwohnende Kraft anſah. So ſchwankend war der tiefſinnigſte, immer der Erfahrung zugewandte Denker, Newton ſelbſt, über die „letzte mechaniſche Urſache aller Bewegung. Es iſt allerdings eine glänzende, des menſchlichen Geiſtes würdige Aufgabe, die ganze Naturlehre von den Geſetzen der Schwere an bis zu dem Bildungstriebe in den belebten Körpern als ein organiſches Ganzes aufzuſtellen; aber der unvollkommene Zuſtand ſo vieler Theile unſeres Naturwiſſens ſetzt der Löſung jener Aufgabe unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Die Unvollendbarkeit aller Empirie, die Unbegrenztheit der Beobachtungsſphäre macht die Aufgabe, das Veränderliche der Materie aus den Kräften der Materie ſelbſt zu erklären, zu einer unbeſtimmten. Das Wahrgenommene erſchöpft bei weitem nicht das Wahrnehmbare. Wenn wir, um nur an die Fortſchritte der uns näheren Zeit zu erinnern, das unvollkommene Naturwiſſen von Gilbert, Robert Boyle und Hales mit dem jetzigen vergleichen, wir dazu der mit jedem Jahrzehend zunehmenden Schnelligkeit des Fortſchrittes gedenken; ſo erfaſſen wir die periodiſchen, endloſen Umwandlungen, welche allen phyſikaliſchen Wiſſenſchaften noch bevorſtehen. Neue Stoffe und neue Kräfte werden entdeckt werden. Wenn auch viele Naturprozeſſe, wie die des Lichts, der Wärme und des Elektro-Magnetismus, auf Bewegung (Schwingungen) reduzirt, einer mathematiſchen Gedankenentwickelung zugänglich geworden ſind; ſo bleiben übrig die oft erwähnten, vielleicht unbezwingbaren Aufgaben von der Urſache chemiſcher Stoffverſchiedenheit, wie von der ſcheinbar allen Geſetzen entzogenen Reihung in der Größe, der Dichtigkeit, Achſenſtellung und Bahn-Exzentricität der Planeten, in der Zahl und dem Abſtande ihrer Satelliten, in der Geſtalt der Kontinente und der Stellung ihrer höchſten Bergketten. Die hier beiſpielsweiſe genannten räumlichen Verhältniſſe können bisher nur als etwas thatſächlich in der Natur Daſeiendes betrachtet werden. Sind die Urſachen und die Verkettung dieſer Verhältniſſe noch nicht ergründet, ſo nenne ich ſie darum aber nicht zufällig. Sie ſind das Reſultat von Begebenheiten in den Himmelsräumen bei Bildung unſeres Planetenſyſtems, von geognoſtiſchen Vorgängen bei der Erhebung der äußerſten Erdſchichten als Kontinente und Gebirgsketten. Unſere Kenntniß von der Urzeit der phyſikaliſchen Weltgeſchichte reicht nicht hoch genug hinauf, um das jetzt Daſeiende als etwas Werdendes zu ſchildern. Wo demnach der Kauſalzuſammenhang der Erſcheinungen noch nicht hat vollſtändig erkannt werden können, iſt die Lehre vom Kosmos oder die phyſiſche Weltbeſchreibung nicht eine abgeſonderte Disziplin aus dem Gebiet der Naturwiſſenſchaften. Sie umfaßt vielmehr dieſes ganze Gebiet, die Phänomene beider Sphären, der himmliſchen und der telluriſchen; aber ſie umfaßt ſie unter dem einigen Geſichtspunkte des Strebens nach der Erkenntniß eines Weltganzen. Wie „bei der Darſtellung des Geſchehenen in der moraliſchen und politiſchen Sphäre der Geſchichtsforſcher nach menſchlicher Anſicht den Plan der Weltregierung nicht unmittelbar erſpähen, ſondern nur an den Ideen erahnen kann, durch die ſie ſich offenbaren“; ſo durchdringt auch den Naturforſcher bei der Darſtellung der kosmiſchen Verhältniſſe ein inniges Bewußtſein, daß die Zahl der welttreibenden, der geſtaltenden und ſchaffenden Kräfte keinesweges durch das erſchöpft iſt, was ſich bisher aus der unmittelbaren Beobachtung und Zergliederung der Erſcheinungen ergeben hat.