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Alexander von Humboldt: „Carl Sigismund Kunth“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1851-Carl_Sigismund_Kunth-4> [abgerufen am 20.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1851-Carl_Sigismund_Kunth-4
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Titel Carl Sigismund Kunth
Jahr 1851
Ort Hannover
Nachweis
in: Archiv der Pharmacie. Eine Zeitschrift des Apotheker-Vereins in Norddeutschland 67:2 [= 117:2] (1851), S. 209–213.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua; Auszeichnung: Kursivierung, Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VII.13
Dateiname: 1851-Carl_Sigismund_Kunth-4
Statistiken
Seitenanzahl: 5
Zeichenanzahl: 14776

Weitere Fassungen
Carl Sigismund Kunth (Berlin, 1851, Deutsch)
[Carl Sigismund Kunth] (Berlin, 1851, Deutsch)
Carl Sigismund Kunth (Regensburg, 1851, Deutsch)
Carl Sigismund Kunth (Hannover, 1851, Deutsch)
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Carl Sigismund Kunth.

Ein volles Jahr ist eben verflossen, seitdem die Pflanzenkunde(das Wort im weitesten wissenschaftlichen Sinne genommen) einender berühmtesten, unermüdet thätigsten, wie auch scharfsinnigstenForscher verloren hat. Dieser so unerwartete Verlust ist nicht imdeutschen Vaterlande allein gefühlt worden; der ununterbrochene 17jäh-rige Aufenthalt des Professors Kunth in Paris, seine Reise nach Eng-land, sein schriftlicher Verkehr mit den grössten Botanikern beiderContinente haben den Schmerz allgemeiner gemacht, als er es bei demSchluss des stillen Arbeitslebens eines Gelehrten zu sein pflegt. Wenkonnte aber sein frühes Hinscheiden tiefer in dem Innersten seinerGefühle erschüttern als mich, der dem Freunde bei einer 37 Jahrelang dauernden Gemeinschaft der Ideen und Bestrebungen einen grossenTheil der Gunst und der Aufmerksamkeit verdankt, welche das Pub-licum meinen und Bonpland’s botanischen Forschungen in derAequinoctialzone so reichlich und anhaltend geschenkt hat. Kunth’sgrosse, der Mehrzahl nach mit seltener Pracht in Frankreich publicirtenWerke bedürfen, da sie längst zu den classischen gezählt werden,des erneuerten Lobes nicht; aber bei einem so arbeitsamen, vielum-fassenden Botaniker bleibt oft der Schatz des unpublicirten Wissensgleichsam vergraben in der Gründung von Herbarien, die nach natür-lichen Familien und kritisch untersuchten Geschlechtern und Artengeordnet sind. Die Sammlung trockener Pflanzen, welche Kunthseiner trefflichen, ihn so aufopfernd pflegenden Wittwe als einzigesErbtheil hinterlassen hat, gehört zu den reichhaltigsten und zahlreich-sten, die je ein Privatmann besessen. Sie ist durch die Munificenzdes Monarchen, der alle Blüthen der Cultur, die naturwissenschaft-lichen Arbeiten wie die Erzeugnisse schaffender Einbildungskraft, zupflegen weiss, und der, gleich Seinem edlen, dahingeschiedenen Vater,dem Professor Kunth ein persönliches Wohlwollen schenkte, vor derZerstreuung oder dem Uebergange in die transatlantischen Regionengerettet worden. Da sie einen beträchtlichen Theil der seltenen Pflan-zen enthält, welche in der wenig besuchten südamerikanischen Fluss-welt, in den Hochebenen von Mexico, in den schneebedeckten Cor-dilleren von Neu-Granada, Quito und Peru auf meiner Expeditiongesammelt worden sind; so vervollständigt sie das, was, bei demAnkauf des Willdenow’schen Herbariums, von meinen und Bon-pland’s Pflanzen, durch frühere Schenkungen von mir, bereits in diekönigliche Sammlung gekommen war. Die wohlthätige Fürsorge der|210| Regierung ist durch den regen wissenschaftlichen Eifer des damaligenHerrn Unterrichtsministers v. Ladenberg und die freundliche Unter-stützung des Herrn Finanzministers v. Rabe unter schwierigen Ver-hältnissen schnell und glücklich verwirklicht worden. So hat demnachder heisse und patriotische Wunsch meines sterbenden Freundes voll-kommen erfüllt werden können. Carl Sigismund Kunth wurde am 18. Juni 1788 zu Leipziggeboren. Sein Vater, ein wissenschaftlich gebildeter Mann, war alsLector der englischen Sprache, aus der er mehrere historische Werkeins Deutsche übertragen hatte, an der Leipziger Universität angestellt.Er konnte wegen seiner beschränkten Vermögensverhältnisse die aka-demische Ausbildung des Sohnes nicht vollenden, obgleich dieser alsfleissiger Zögling der Leipziger Rathsschule durch frühe Neigung zuden Naturwissenschaften schon die Aufmerksamkeit Rosenmüller’sauf sich lenkte, welcher ihm Gelegenheit verschaffte, sich als ana-tomischer Zeichner zu vervollkommnen. Neffe eines trefflichen, all-gemein geachteten Staatsbeamten, des wirklichen geheimen Ober-Regierungsrathes Kunth, dem mein Bruder und ich unsere Ausbildungverdanken, wurde der junge Mann 1806 von diesem nach Berlinberufen, liebevoll unterstützt und bei dem Seehandlungsinstitute an-gestellt. Mässige Beschäftigung und das Wohlwollen seiner Vorge-setzten machten es ihm leicht, von den vielen wissenschaftlichenHülfsmitteln Gebrauch zu machen, welche die grosse Hauptstadt dar-bietet. Durch den Umgang des vortrefflichen Willdenow wurdeseine Leidenschaft für Botanik genährt. Dieser nannte ihn bald seinenausgezeichnetsten Schüler. Die Flora Berolinensis, nach dem altenLinné’schen Sexualsysteme geordnet, war Kunth’s erster schriftstelle-rischer Versuch. Der so früh erwachenden Thätigkeit des jungenMannes und Willdenow’s warmen Empfehlungen verdanke ich dasGlück und den Vorzug einer langdauernden und für mich so erfreu-lichen Verbindung. Auf den Genuss und die Mühseligkeiten einer fünfjährigen Reisefolgte die Erfüllung einer schweren Pflicht, der Pflicht, alle Früchteder Unternehmung, das in verschiedenen Kreisen des Wissens Beob-achtete und Gesammelte durch geordnete Beschreibungen und bildlicheDarstellungen allgemein und wissenschaftlich nutzbar zu machen. Rei-sen in das Innere der Continente, besonders unter einem Himmels-striche, in welchem die organische Natur den herrlichsten Schmuckder Gestalten von der Ebene bis zur Schneeregion schichtenweise inüber einander gelagerten Klimaten entfaltet hat, bieten einen weitgrösseren Reichthum des Materials dar, als die sogenannten Weltum-seglungen, die meist öde Küsten berühren und kaum die Durchforschungvon Inselgruppen erlauben. Es entgeht dem Weltumsegler viel anGenuss und Ansicht der Lebensfülle, wofür er kaum durch Weite desRaumes und Verschiedenartigkeit kosmischer Phänomene unter denwechselnd durchreisten Längen- und Breitengraden entschädigt wird.Trotz der ausdauerndsten und liebenswürdigsten Thätigkeit meinesFreundes und Reisegefährten Aimé Bonpland wurde es ihm undmir gleichzeitig klar, dass wir, um das angehäufte Material zu beherr-schen und so viele, gleichzeitig begonnene Publicationen zu fördern,fremder Beihülfe bedürftig wären. Der später durch grosse politischeBegebenheiten in Bonpland hervorgerufene Entschluss, nach Verlustseines Postens als Intendanten der schönen botanischen Gärten vonMalmaison und Navarre nach Südamerika zurückzukehren, hat mich|211| doppelt fühlen lassen, wie viel ich der freundlichen Zustimmung mei-nes Reisegefährten zu dem entworfenen Publicationsplane verdanke.Es hatte derselbe nicht etwa bloss gesammelt, sondern 5 Foliobändebotanischer Beschreibungen während der Expedition an Ort und Stelleangefertigt. Mein erster Versuch, uns fremde Beihülfe zu verschaffen(was übrigens Bonpland’s Herausgabe von den drei wichtigen Wer-ken unserer Aequinoctial-Pflanzen, der Melastomen und der Rhexienkeinesweges unterbrach), war die Einladung an meinen frühestenLehrer Willdenow. Er arbeitete in Paris mehrere Monate lang inunseren Herbarien, welche damals über 5000 Species aus der alleinigenamerikanischen Tropenzone enthielten; aber bei der Nothwendigkeit,in der er sich befand, früher, als ich hoffte, mit seiner Familie nachBerlin zurückzukehren, konnte das so willig Geleistete um so wenigermeinen Zweck erfüllen, als der streng specifisch unterscheidende Mann,anhänglich den Eindrücken seiner bisherigen wissenschaftlichen Thätig-keit, sich von den allgemeineren Betrachtungen natürlicher Familien-Verwandtschaft fern hielt. Jugendliche Empfänglichkeit und umfassen-dere Ansichten organischer Entwickelung fanden sich bei Willde-now’s ausgezeichnetem Schüler, dem jungen Kunth, den ich 1813nach Paris einlud und der, bald hoch geschätzt von den berühmtestenBotanikern des Landes, Antoine Laurent de Jussieu, Richardund Desfontaines, dort 17 Jahre arbeitsam und mit immer steigen-dem, sich selbst geschaffenem Rufe verlebte. In dieser Zeit warenihm die grossen Sammlungen des Jardin des Plantes und von Ben-jamin Delessert, als wären es die seinigen, geöffnet. Er wurdeschon 1816 zum correspondirenden Mitgliede der Akademie der Wissen-schaften zu Paris ernannt. Eine Reise nach England und die GunstRobert Brown’s, des grössten Botanikers unserer Zeit, öffneten ihmdie Schätze von England. Um von seiner grenzenlosen Thätigkeiteinen Begriff zu geben, genügt es hier anzuführen, dass er vom Jahre1815 bis 1825 die Beschreibung der von Bonpland und mir ge-sammelten Pflanzenarten, über 4500 an der Zahl, unter denen 3600neue, in 7 Foliobänden herausgab. Der Kupfertafeln, welche diesesWerk (Nova Genera et Species Plantarum in peregrinatione ad pla-gam aequinoctialem Orbis Novi collecta) begleiten und zu denen erselbst alle Analysen der Blüthentheile zeichnete, sind 700. Als Bon-pland nach dem la Plata-Strome abgereist war, gab Kunth dieRévision des Graminées, wie das Prachtwerk der Mimosacèes und5 neue Hefte unserer Melastomen heraus. Der Vollendung der 7 Folio-bände der Nova Genera ist bald ein Auszug von 4 Octavbänden gefolgt,deren letzter nach der Angabe von 4500 Höhenbestimmungen allereinzelnen Arten die Resultate meiner Geographie der Pflanzen darlegt(Synopsis Plantarum aequinoctialium Orbis Novi). Von 1425 Kupfertafeln, welche die 29 Bände der grossen Ausgabein Folio und in Quarto des amerikanischen Reisewerks begleiten, derenVeröffentlichung durch die alleinige und ausdauernde Gunst des Publi-cums möglich geworden ist, gehören zu der botanischen Abtheilung1240. Die anderen sind, auf astronomische Beobachtungen und Höhen-messungen begründete, meist von mir gezeichnete Landkarten, Abbil-dungen zoologischer und anatomischer Gegenstände, malerische Ansich-ten, und Monumente der Urvölker von Peru und Mexico. Ich verweilebei diesen numerischen Angaben, um durch diese Uebersicht zu zeigen,wie gross der Antheil meines Freundes an einem so langen undmühevollen Unternehmen gewesen ist. Als ich nach einem 20jährigen|212| Aufenthalte in Frankreich meinen Wohnsitz wieder nach Berlin ver-legte, folgte mir Kunth 2 Jahre darauf, im August 1829, um seinAmt als ordentlicher Professor der Botanik und als Vice-Director desbotanischen Gartens anzutreten. Ich befand mich zu der Zeit auf derExpedition für den Kaiser von Russland im sibirischen Altai. Kunth’sBestrebungen, sich den Studirenden bei den Herborisationen und durchseine Sammlungen nützlich zu machen, waren die Folge edlen Pflicht-gefühls und eines nie verlöschenden Eifers für die Wissenschaft. Ergab in Deutschland heraus sein Handbuch der Botanik, das zu zweiDrittheilen der Aufzählung der natürlichen Familien gewidmet ist;eine nützliche Anleitung zur Kenntniss officineller Gewächse, und6 Bände einer allgemeinen Enumeratio Plantarum omnium hucusquecognitarum; wie auch ein Lehrbuch der Botanik, in welchem Organo-graphie und Physiologie nach den neuesten Entdeckungen mit beson-derem Fleisse behandelt sind. Die ostindische Compagnie, welche aufdie grossartigste Weise alle Studien zu fördern weiss, die sich aufdie indische Halbinsel in Hinsicht auf Gestaltung des Landes, Natur-producte und die uralten Erzeugnisse der Geistescultur beziehen, hatteim Jahre 1830 den rühmlichen Entschluss gefasst, eine Anzahl reich-haltiger indischer Herbarien anfertigen und sie in Europa durch dengelehrten Botaniker Dr. Wallich an berühmte Museen vertheilen zulassen. Kunth erhielt den ehrenvollen Auftrag von unserer Regierung,die nach Berlin bestimmte Sammlung in Empfang zu nehmen; und daseine durch Scharfblick und lange Uebung erlangte ansgedehnte Kennt-niss der specifischen Charaktere ihn besonders geschickt machte, dieBestimmung grösserer Massen von Pflanzen zu berichtigen, so wurdeihm wegen der Hülfe, die er bei der Vertheilung geleistet, als Privat-eigenthum eine reiche Fülle von Doubletten zum Geschenk gemacht.Dieser Schatz der Alpenflora des Himalaya-Gebirges (bei noch weniguntersuchten oder unsicher beschriebenen Pflanzen sind Doubletten zurfesten Bestimmung der Species von der höchsten Wichtigkeit) befindetsich jetzt ebenfalls in den grossen königlichen Herbarien zu Schöne-berg: glücklicher Weise unter der ordnenden Aufsicht eines Gelehrten,des Dr. Klotzsch, welcher durch eine, auf eigne Beobachtungengegründete Einsicht in die Verwandtschaften der natürlichen Familien,wie durch ein langes Zusammenleben mit meinem vieljährigen Freunde,Sir William Hooker (jetzt Director des königl. botanischen Gartenszu Kew), sich die ausgebreitetste systematische Kenntniss der Pflanzen-welt erworben hat. Bei vieler Arbeitsamkeit, einer grossen Mässigung in den Wünschen,fern von den litterarischen Zwisten, die nur zu oft das anmuthigeReich der Flora erschüttern, genoss Professor Kunth in glücklicherHäuslichkeit einer recht dauerhaften Gesundheit. Er besuchte im Jahre1837 zum letzten Male seine botanischen Freunde in Paris, unter denender geistreiche Adrien de Jussieu den ersten Platz einnahm. Die-ser hat vor wenigen Monaten, unterstützt von einem kenntnissvollenSchüler und Verwandten Kunth’s (Wlady von Schönefeld), einemit vieler Wärme geschriebene Notice sur la vie et les ouvrages deMr. Kunth herausgegeben. Zwei Jahre seit Kunth’s letzter Reisenach Paris stellten sich bei ihm, vielleicht veranlasst durch eine Luxa-tion der Schulter (bei einem unglücklichen Falle über einen der dieWege abgrenzenden Holzpflöcke im Berliner Thiergarten), rheumatischeSchmerzen und zugleich Schwächung des Gehörorganes ein, die seineHeiterkeit trübten. Um sich durch Bergluft zu stärken, unternahm er|213| 1845 eine Reise nach den anmuthigen Alpen von Ober-Baiern undSalzburg; aber ehe er das Bergland erreichte, blieb er durch einegefahrvolle, nervenschwächende Krankheit in München viele Wochenlang an das Bette gefesselt, bis seine Gattin ihm nacheilen konnteund durch ihren Muth den seinigen wieder belebte. Seine physischenKräfte schienen wieder nach und nach zu erstarken; er setzte mitAusdauer seine wissenschaftlichen Arbeiten fort, veröffentlichte 1847den 1sten Band seines Lehrbuches der Botanik und konnte noch den5ten der Enumeratio plantarum vollenden. Wie vormals, freute ersich des Gedeihens der Cultur im botanischen Garten unter der in-telligenten und sorgsamen Leitung des Inspectors Bouché. Aber diealte Heiterkeit und die Ruhe des Gemüths kehrten nicht wieder zurück,besonders seit dem Jahre 1849. Die liebevollste Pflege einer theurenGattin, die aufmerksamste ärztliche Behandlung vermochten nicht dieLeiden des trüben, schwermüthigen Sinnes zu lindern. Nach 4monat-licher Krankheit wurde er uns am 22. März 1850 entrissen. Das An-denken meines Freundes wird lange gefeiert werden: nicht bloss da,wo sein glänzendes wissenschaftliches Verdienst und sein Einfluss aufden analytisch und systematisch beschreibenden Theil der allgemeinenPflanzenkunde erkannt werden kann, sondern auch bei denen, welchenach freier, rein menschlicher Ansicht zu schätzen wissen Einfachheiteines gediegenen Charakters, Zartheit der Gefühle und die das Lebenverschönernde Anmuth der Sitten.

Alexander v. Humboldt.