Carl Sigismund Kunth. Ein volles Jahr iſt eben verfloſſen, ſeitdem die Pflanzenkunde (das Wort im weiteſten wiſſenſchaftlichen Sinne genommen) einen der berühmteſten, unermüdet thätigſten, wie auch ſcharfſinnigſten Forſcher verloren hat. Dieſer ſo unerwartete Verluſt iſt nicht im deutſchen Vaterlande allein gefühlt worden; der ununterbrochene 17jährige Aufenthalt des Profeſſor Kunth in Paris, ſeine Reiſe nach England, ſein ſchriftlicher Verkehr mit den größten Botanikern beider Continente haben den Schmerz allgemeiner gemacht, als er es bei dem Schluß des ſtillen Arbeitslebens eines Gelehrten zu ſein pflegt. Wen konnte aber ſein frühes Hinſcheiden tiefer in dem Innerſten ſeiner Gefühle erſchüttern als mich, der dem Freunde bei einer 37 Jahre lang dauernden Gemeinſchaft der Ideen und Beſtrebungen einen großen Theil der Gunſt und der Aufmerkſamkeit verdankt, welche das Publikum meinen und Bonpland’s botaniſchen Forſchungen in der Aequinoctial-Zone ſo reichlich und anhaltend geſchenkt hat? Kunth’s große, der Mehrzahl nach mit ſeltener Pracht in Frankreich publicirten Werke bedürfen, da ſie längſt zu den claſſiſchen gezählt werden, des erneuerten Lobes nicht; aber bei einem ſo arbeitſamen, vielumfaſſenden Botaniker bleibt oft der Schatz des unpublicirten Wiſſens gleichſam vergraben in der Gründung von Herbarien, die nach natürlichen Familien und kritiſch unterſuchten Geſchlechtern und Arten geordnet ſind. Die Sammlung trockener Pflanzen, welche Kunth ſeiner trefflichen, ihn ſo aufopfernd pflegenden Wittwe als einziges Erbtheil hinterlaſſen hat, gehört zu den reichhaltigſten und zahlreichſten, die je ein Privatmann beſeſſen. Sie iſt durch die Munificenz des Monarchen, der alle Blüthen der Cultur, die naturwiſſenſchaftlichen Arbeiten wie die Erzeugniſſe ſchaffender Einbildungskraft, zu pflegen weiß, und der, gleich Seinem edlen, dahingeſchiedenen Vater, dem Profeſſor Kunth ein perſönliches Wohlwollen ſchenkte, vor der Zerſtreuung oder dem Uebergange in die transatlantiſchen Regionen gerettet worden. Da ſie einen beträchtlichen Theil der ſeltenen Pflanzen enthält, welche in der wenig beſuchten ſüdamerikaniſchen Flußwelt, in den Hochebenen von Mexico, in den ſchneebedeckten Cordilleren von Neu-Granada, Quito und Peru auf meiner Expedition geſammelt worden ſind; ſo vervollſtändigt ſie das, was, bei dem Ankauf des Willdenow’ſchen Herbariums, von meinen und Bonpland’s Pflanzen, durch frühere Schenkungen von mir, bereits in die königliche Sammlung gekommen war. Die wohlthätige Fürſorge der Regierung iſt durch den regen wiſſenſchaftlichen Eifer des damaligen Herrn Unterrichts-Miniſters von Ladenberg und die freundliche Unterſtützung des Herrn Finanz-Miniſters von Rabe unter ſchwierigen Verhältniſſen ſchnell und glücklich verwirklicht worden. So hat demnach der heiße und patriotiſche Wunſch meines ſterbenden Freundes vollkommen erfüllt werden können. Carl Sigismund Kunth wurde am 18 Juni 1788 zu Leipzig geboren. Sein Vater, ein wiſſenſchaftlich gebildeter Mann, war als Lector der engliſchen Sprache, aus der er mehrere hiſtoriſche Werke ins Deutſche übertragen hatte, an der Leipziger Univerſität angeſtellt. Er konnte wegen ſeiner beſchränkten Vermögensverhältniſſe die akademiſche Ausbildung des Sohnes nicht vollenden, obgleich dieſer als fleißiger Zögling der Leipziger Rathsſchule durch frühe Neigung zu den Naturwiſſenſchaften ſchon die Aufmerkſamkeit Roſenmüller’s auf ſich lenkte, welcher ihm Gelegenheit verſchaffte ſich als anatomiſcher Zeichner zu vervollkommnen. Neffe eines trefflichen, allgemein geachteten Staatsbeamten, des wirklichen geheimen Ober-Regierungsrathes Kunth, dem mein Bruder und ich unſre Ausbildung verdanken, wurde der junge Mann 1806 von dieſem nach Berlin berufen, liebevoll unterſtützt und bei dem Seehandlungs-Inſtitute angeſtellt. Mäßige Beſchäftigung und das Wohlwollen ſeiner Vorgeſetzten machten es ihm leicht, von den vielen wiſſenſchaftlichen Hülfsmitteln Gebrauch zu machen, welche die große Hauptſtadt darbietet. Durch den Umgang des vortrefflichen Willdenow wurde ſeine Leidenſchaft für Botanik genährt. Dieſer nannte ihn bald ſeinen ausgezeichnetſten Schüler. Die Flora Berolinensis, nach dem alten Linnéiſchen Sexual-Syſteme geordnet, war Kunth’s erſter ſchriftſtelleriſcher Verſuch. Der ſo früh erwachenden Thätigkeit des jungen Mannes und Willdenow’s warmen Empfehlungen verdanke ich das Glück und den Vorzug einer langdauernden und für mich ſo erfreulichen Verbindung. Auf den Genuß und die Mühſeligkeiten einer fünfjährigen Reiſe folgte die Erfüllung einer ſchweren Pflicht, der Pflicht, alle Früchte der Unternehmung, das in verſchiedenen Kreiſen des Wiſſens Beobachtete und Geſammelte durch geordnete Beſchreibungen und bildliche Darſtellungen allgemein und wiſſenſchaftlich nutzbar zu machen. Reiſen in das Innere der Continente, beſonders unter einem Himmelsſtriche, in welchem die organiſche Natur den herrlichſten Schmuck der Geſtalten von der Ebene bis zur Schneeregion ſchichtenweiſe in über einander gelagerten Klimaten entfaltet hat, bieten einen weit größeren Reichthum des Materials dar als die ſogenannten Weltumſeglungen, die meiſt öde Küſten berühren und kaum die Durchforſchung von Inſelgruppen erlauben. Es entgeht dem Weltumſegler viel an Genuß und Anſicht der Lebensfülle, wofür er kaum durch Weite des Raumes und Verſchiedenartigkeit kosmiſcher Phänomene unter den wechſelnd durchreiſten Längen- und Breitengraden entſchädigt wird. Trotz der ausdauerndſten und liebenswürdigſten Thätigkeit meines Freundes und Reiſegefährten Aimé Bonpland wurde es ihm und mir gleichzeitig klar, daß wir, um das angehäufte Material zu beherrſchen und ſo viele, gleichzeitig begonnene Publicationen zu fördern, fremder Beihülfe bedürftig wären. Der ſpäter durch große politiſche Begebenheiten in Bonpland hervorgerufene Entſchluß, nach Verluſt ſeines Poſtens als Intendanten der ſchönen botaniſchen Gärten von Malmaiſon und Navarre nach Südamerika zurückzukehren, hat mich doppelt fühlen laſſen, wie viel ich der freundlichen Zuſtimmung meines Reiſegefährten zu dem entworfenen Publicationsplane verdanke. Es hatte derſelbe nicht etwa bloß geſammelt, ſondern 5 Foliobände botaniſcher Beſchreibungen während der Expedition an Ort und Stelle angefertigt. Mein erſter Verſuch uns fremde Beihülfe zu verſchaffen (was übrigens Bonpland’s Herausgabe von den drei wichtigen Werken unſerer Aequinoctial- Pflanzen, der Melaſtomen und der Rhexien keinesweges unterbrach) war die Einladung an meinen früheſten Lehrer Willdenow. Er arbeitete in Paris mehrere Monate lang in unſren Herbarien, welche damals über 5000 Species aus der alleinigen amerikaniſchen Tropenzone enthielten; aber bei der Nothwendigkeit, in der er ſich befand, früher, als ich hoffte, mit ſeiner Familie nach Berlin zurückzukehren, konnte das ſo willig Geleiſtete um ſo weniger meinen Zweck erfüllen, als der ſtreng ſpecifiſch unterſcheidende Mann, anhänglich den Eindrücken ſeiner bisherigen wiſſenſchaftlichen Thätigkeit, ſich von den allgemeineren Betrachtungen natürlicher Familien-Verwandtſchaft fern hielt. Jugendliche Empfänglichkeit und umfaſſendere Anſichten organiſcher Entwickelung fanden ſich bei Willdenow’s ausgezeichnetem Schüler, dem jungen Kunth, den ich 1813 nach Paris einlud und der, bald hoch geſchätzt von den berühmteſten Botanikern des Landes, Joſeph Juſſieu, Richard und Desfontaines, dort 17 Jahre arbeitſam und mit immer ſteigendem, ſich ſelbſt geſchaffenem Rufe verlebte. In dieſer Zeit waren ihm die großen Sammlungen des Jardin des Plantes und von Benjamin Deleſſert, als wären es die ſeinigen, geöffnet. Er wurde ſchon 1816 zum correſpondirenden Mitgliede der Akademie der Wiſſenſchaften zu Paris ernannt. Eine Reiſe nach England und die Gunſt Robert Brown’s, des größten Botanikers unſerer Zeit, öffneten ihm die Schätze von England. Um von ſeiner grenzenloſen Thätigkeit einen Begriff zu geben, genügt es hier anzuführen, daß er vom Jahre 1815 bis 1825 die Beſchreibung der von Bonpland und mir geſammelten Pflanzenarten, über 4500 an der Zahl, unter denen 3600 neue, in 7 Foliobänden herausgab. Der Kupfertafeln, welche dieſes Werk (Nova Genera et Species Plantarum in peregrinatione ad plagam aequinoctialem Orbis Novi collecta) begleiten und zu denen er ſelbſt alle Analyſen der Blüthentheile zeichnete, ſind 700. Als Bonpland nach dem la Plata-Strome abgereiſt war, gab Kunth die Révision des Graminées, wie das Prachtwerk der Mimosacées und 5 neue Hefte unſerer Melaſtomen heraus. Der Vollendung der 7 Foliobände der Nova Genera iſt bald ein Auszug von 4 Octavbänden gefolgt, deren letzter nach der Angabe von 4500 Höhenbeſtimmungen aller einzelnen Arten die Reſultate meiner Geographie der Pflanzen darlegt (Synopsis Plantarum aequinoctialium Orbis Novi). Von 1425 Kupfertafeln, welche die 29 Bände der großen Ausgabe in Folio und in Quarto des amerikaniſchen Reiſewerks begleiten, deren Veröffentlichung durch die alleinige und ausdauernde Gunſt des Publikums möglich geworden iſt, gehören zu der botaniſchen Abtheilung 1240. Die anderen ſind, auf aſtronomiſche Beobachtungen und Höhenmeſſungen gegründete, meiſt von mir gezeichnete Landkarten, Abbildungen zoologiſcher und anatomiſcher Gegenſtände, maleriſche Anſichten, und Monumente der Urvölker von Peru und Mexico. Ich verweile bei dieſen numeriſchen Angaben, um durch dieſe Ueberſicht zu zeigen, wie groß der Antheil meines Freundes an einem ſo langen und mühevollen Unternehmen geweſen iſt. Als ich nach einem 20jährigen Aufenthalte in Frankreich meinen Wohnſitz wieder nach Berlin verlegte, folgte mir Kunth 2 Jahre darauf, im Auguſt 1829, um ſein Amt als ordentlicher Profeſſor der Botanik und als Vice-Director des botaniſchen Gartens anzutreten. Ich befand mich zu der Zeit auf der Expedition für den Kaiſer von Rußland im ſibiriſchen Altai. Kunth’s Beſtrebungen, ſich den Studirenden bei den Herbariſationen und durch ſeine Sammlungen nützlich zu machen, waren die Folge edlen Pflichtgefühls und eines nie verlöſchenden Eifers für die Wiſſenſchaft. Er gab in Deutſchland heraus: ſein Handbuch der Botanik, das zu zwei Drittheilen der Aufzählung der natürlichen Familien gewidmet iſt; eine nützliche Anleitung zur Kenntniß officineller Gewächſe, und 6 Bände einer allgemeinen Enumeratio Plantarum omnium hucusque cognitarum; wie auch ein Lehrbuch der Botanik, in welchem Organographie und Phyſiologie nach den neuſten Entdeckungen mit beſondrem Fleiße behandelt ſind. Die oſtindiſche Compagnie, welche auf die großartigſte Weiſe alle Studien zu fördern weiß, die ſich auf die indiſche Halbinſel in Hinſicht auf Geſtaltung des Landes, Naturproducte und die uralten Erzeugniſſe der Geiſtescultur beziehen, hatte im Jahre 1830 den rühmlichen Entſchluß gefaßt, eine Zahl reichhaltiger indiſcher Herbarien anfertigen und ſie in Europa durch den gelehrten Botaniker Dr. Wallich an berühmte Muſeen vertheilen zu laſſen. Kunth erhielt den ehrenvollen Auftrag von unſrer Regierung die nach Berlin beſtimmte Sammlung in Empfang zu nehmen; und da ſeine durch Scharfblick und lange Uebung erlangte ausgedehnte Kenntniß der ſpecifiſchen Charaktere ihn beſonders geſchickt machte die Beſtimmung größerer Maſſen von Pflanzen zu berichtigen, ſo wurde ihm wegen der Hülfe, die er bei der Vertheilung geleiſtet, als Privateigenthum eine reiche Fülle von Doubletten zum Geſchenk gemacht. Dieſer Schatz der Alpenflora des Himalaya-Gebirges (bei noch wenig unterſuchten oder unſicher beſchriebenen Pflanzen ſind Doubletten zur feſten Beſtimmung der Species von der höchſten Wichtigkeit) befindet ſich jetzt ebenfalls in den großen königlichen Herbarien zu Schöneberg: glücklicherweiſe unter der ordnenden Aufſicht eines Gelehrten, des Dr. Klotzſch, welcher durch eine, auf eigne Beobachtungen gegründete Einſicht in die Verwandtſchaften der natürlichen Familien, wie durch ein langes Zuſammenleben mit meinem vieljährigen Freunde, Sir William Hooker (jetzt Director des königl. botaniſchen Gartens zu Kew), ſich die ausgebreitetſte ſyſtematiſche Kenntniß der Pflanzenwelt erworben hat. Bei vieler Arbeitſamkeit, einer großen Mäßigung in den Wünſchen, fern von den litterariſchen Zwiſten, die nur zu oft das anmuthige Reich der Flora erſchüttern, genoß Profeſſor Kunth in glücklicher Häuslichkeit einer recht dauerhaften Geſundheit. Er beſuchte im Jahre 1837 zum letzten Male ſeine botaniſchen Freunde in Paris, unter denen der geiſtreiche Adrien de Juſſieu den erſten Platz einnahm. Dieſer hat vor wenigen Monaten, unterſtützt von einem kenntnißvollen Schüler und Verwandten Kunth’s (Wlady von Schönefeld), eine mit vieler Wärme geſchriebene Notice sur la vie et les ouvrages de Mr. Kunth herausgegeben. Zwei Jahre ſeit Kunth’s letzter Reiſe nach Paris ſtellten ſich bei ihm, vielleicht veranlaßt durch eine Luxation der Schulter (bei einem unglücklichen Falle über einen der die Wege abgrenzenden Holzpflöcke im Berliner Thiergarten), rheumatiſche Schmerzen und zugleich Schwächung des Gehörorganes ein, die ſeine Heiterkeit trübten. Um ſich durch Bergluft zu ſtärken, unternahm er 1845 eine Reiſe nach den anmuthigen Alpen von Ober-Baiern und Salzburg; aber ehe er das Bergland erreichte, blieb er durch eine gefahrvolle, nervenſchwächende Krankheit in München viele Wochen lang an das Bette gefeſſelt, bis ſeine Gattin ihm nacheilen konnte und durch ihren Muth den ſeinigen wieder belebte. Seine phyſiſchen Kräfte ſchienen wieder nach und nach zu erſtarken; er ſetzte mit Ausdauer ſeine wiſſenſchaftlichen Arbeiten fort, veröffentlichte 1847 den 1ſten Band ſeines Lehrbuches der Botanik und konnte noch den 5ten der Enumeratio plantarum vollenden. Wie vormals, freute er ſich des Gedeihens der Cultur im botaniſchen Garten unter der intelligenten und ſorgſamen Leitung des Inſpectors Bouché, an deſſen Herausgabe ſeltener Pflanzen er gern und oft Theil nahm. Aber die alte Heiterkeit und die Ruhe des Gemüths kehrten nicht wieder zurück, beſonders ſeit dem Jahr 1849. Die liebevollſte Pflege einer theuren Gattin, die aufmerkſamſte ärztliche Behandlung vermochten nicht die Leiden des trüben, ſchwermüthigen Sinnes zu lindern. Nach 4monatlicher Krankheit wurde er uns am 22 März 1850 entriſſen. Das Andenken meines Freundes wird lange gefeiert werden: nicht bloß da, wo ſein glänzendes wiſſenſchaftliches Verdienſt und ſein Einfluß auf den analytiſch und ſyſtematiſch beſchreibenden Theil der allgemeinen Pflanzenkunde erkannt werden kann, ſondern auch bei denen, welche nach freier, rein menſchlicher Anſicht zu ſchätzen wiſſen Einfachheit eines gediegenen Charakters, Zartheit der Gefühle und die das Leben verſchönernde Anmuth der Sitten. Alexander v. Humboldt.