Südamerikanische Hieroglyphen. Aus der dritten Auflage von A. v. Humboldts "Ansichten der Natur. (s. Nr. 225--228.) Im Innern von Südamerika, zwischen dem zweiten und vierten Grade nördlicher Breite, liegt eine waldige Ebene, die von vier Flüssen, dem Orinoco, dem Atabapo, dem Rio Negro und dem Cassiquiare, eingeschlossen ist. Hier findet man Granit- und Syenitfelsen, welche, wie die von Caicara und Uruana, mit symbolischen Bildern (kolossalen Figuren von Crocodilen, Tigern, Hausgeräth, Mond- und Sonnenzeichen) bedeckt sind. Dabei ist gegenwärtig dieser entlegene Erdwinkel, auf mehr als 500 Quadratmeilen Oberfläche, völlig menschenleer. Die angrenzenden Völkerstämme sind auf der untersten Stufe menschlicher Bildung, nackt umherziehendes Gesindel, weit entfernt Hieroglyphen in Stein zu graben. Man kann in Südamerika eine ganze Zone dieser Felsen, mit symbolischen Zeichen bedeckt, vom Rupunuri, Essequibo und Gebirge Pacaraima bis an die Ufer des Orinoco und die des Yupura in mehr als acht Längengraden verfolgen. Die eingegrabenen Zeichen mögen sehr verschiedenen Zeitepochen zugehören; denn Sir Robert Schomburgk hat am Rio Negro selbst Abbildungen einer spanischen Galeote gefunden, also spätern Ursprungs als der Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, und in einer Wildniß, wo damals die Eingebornen wahrscheinlich eben so roh als jezt waren. Man vergesse nur nicht, daß Völker sehr verschiedenartiger Abstammung in gleicher Rohheit, in gleichem Hange zum Vereinfachen und Verallgemeinern der Umrisse, zur rhythmischen Wiederholung und Reihung der Bilder durch innere geistige Anlagen getrieben, ähnliche Zeichen und Symbole hervorbringen können. In der Sitzung der alterthumsforschenden Gesellschaft zu London wurde den 17. November 1836 eine Denkschrift des Herrn Robert Schomburgk über die religiösen Sagen der Macusi-Indianer verlesen, welche den obern Mahu und einen Theil der Pacaraimagebirge bewohnen, einer Nation, die folglich seit einem Jahrhundert (seit der Reise des kühnen Hortsmann) ihre Wohnsitze nicht verändert hat. "Die Macusis, sagt Schomburgk, "glauben, daß der einzige Mensch, welcher eine allgemeine Ueberschwemmung überlebt, die Erde wieder bevölkert, indem er die Steine in Menschen verwandelt habe." Wenn diese Mythe, die Frucht der lebendigen Phantasie dieser Völker, an Deucalion und Pyrrha erinnert, so zeigt sie sich unter einer etwas veränderten Form bei den Tamanaken des Orinoco. Wenn man diese fragt, wie das Menschengeschlecht diese große Fluth, das Zeitalter der Wasser der Mexikaner, überlebt habe, dann antworten sie ohne Zögern, "daß sich ein Mann und eine Frau auf den Gipfel des hohen Berges Tamanacu an den Ufern des Asiveru gerettet und dann die Früchte der Mauritiapalme über ihre Köpfe hinter sich geworfen, aus deren Kernen Männer und Weiber entsprungen wären, welche die Erde wieder bevölkerten." Einige Meilen von Encaramada erhebt sich mitten aus der Savane der Felsen Tepu-Mereme, d. h. der gemalte Felsen; er zeigt mehrere Figuren von Thieren und symbolische Züge, die viel Aehnlichkeit mit denen haben, welche wir in einiger Entfernung oberhalb Encaramada bei Caycara (7° 5' bis 7° 40' Br., 68° 50' bis 69° 45' L.) gesehen. Dieselben ausgehauenen Felsen findet man zwischen dem Cassiquiare und dem Atabapo (2° 5' bis 3° 20' Br.), und was am meisten auffallen muß, auch 140 Meilen weiter in Osten, in der Einsamkeit der Parime. Ich habe die leztere Thatsache in dem Tagebuche des Nicolas Hortsmann aus Hildesheim, von dem ich eine Copie von der Hand des berühmten d'Anville gesehen, außer allem Zweifel gesezt. Dieser schlichte, bescheidene Reisende schrieb alle Tage an Ort und Stelle dasjenige nieder, was ihm bemerkenswerth erschien; und er verdient um so größeren Glauben, als er, voll Mißvergnügen, das Ziel seiner Forschungen, nämlich den See Dorado, die Goldklumpen und eine Diamantgrube, welche sich bloß als sehr reiner Bergkrystall ergab, verfehlt zu haben, mit einer gewissen Verachtung auf alles herabblickt, was ihm auf seinem Wege begegnet. Am Ufer des Rupunuri, dort wo der Fluß, mit kleinen Cascaden angefüllt, sich zwischen dem Macaranagebirge hinschlängelt, findet er am 16. April 1749, bevor er in die Umgebungen des Sees Amucu kommt, "Felsen mit Figuren," oder, wie er portugiesisch sagt, de varias letras, "bedeckt." Man hat uns auch bei dem Felsen Culimacari am Ufer des Cassiquiare Zeichen gewiesen, die man nach der Schnur abgemessene Charaktere nannte; es waren aber weiter nichts als unförmliche Figuren von Himmelskörpern, Crocodilen, Boaschlangen und Werkzeugen zur Bereitung des Maniocmehls. Ich habe in diesen bemalten Felsen (piedras pintadas) keine symmetrische Ordnung oder regelmäßige, räumlich abgemessene Charaktere gefunden. Das Wort letras im Tagebuch des deutschen Chirurgen darf daher, wie es mir scheint, nicht im strengsten Sinne genommen werden. (Schluß folgt.) Südamerikanische Hieroglyphen. (Schluß.) Schomburgk ist nicht so glücklich gewesen, die von Hortsmann gesehenen Felsen wiederzufinden, doch hat er andere am Ufer des Essequibo bei der Cascade Waraputa beschrieben. "Diese Cascade," sagt er, "ist nicht allein durch ihre Höhe berühmt; sie ist es auch durch die große Menge der in Stein eingehauenen Figuren, welche viel Aehnlichkeit mit denen haben, die ich auf St. John, einer der Jungferninseln, gesehen und unbedenklich für das Werk der Caraiben halte, welche vor Zeiten diesen Theil der Antillen bevölkert haben. Ich versuchte das Unmögliche, einen dieser Felsen zu zerhauen, der Inschriften trägt und den ich mit mir nehmen wollte; doch der Stein war zu hart und das Fieber hatte mich entkräftet. Weder Drohungen noch Versprechungen konnten die Indianer dahin bringen, einen einzigen Hammerschlag gegen diese Felsenmassen, die ehrwürdigen Denkmäler der Bildung und der Ueberlegenheit ihrer Vorfahren, zu thun. Sie halten dieselben für das Werk des großen Geistes, und die verschiedenen Stämme, welche wir angetroffen, sind ungeachtet der großen Entfernung doch damit bekannt. Schrecken malte sich auf den Gesichtern meiner indianischen Begleiter, die jeden Augenblick zu erwarten schienen, daß das Feuer des Himmels auf mein Haupt herabfallen würde. Ich sah nun wohl, daß mein Bemühen fruchtlos war, und mußte mich daher begnügen, eine vollständige Zeichnung dieser Denkmäler mitnehmen zu können." Der lezte Entschluß war ohne Zweifel das Beste, und der Herausgeber des englischen Journals fügt zu meiner großen Freude in einer Note hinzu: "es ist zu wünschen, daß es Andern nicht besser als Herrn Schomburgk gelingen und daß kein Reisender einer civilisirten Nation ferner an die Zerstörung dieser Denkmäler der schutzlosen Indianer Hand anlegen werde." Die symbolischen Zeichen, welche Robert Schomburgk in dem Flußthal des Essequibo bei den Stromschnellen (kleinen Cataracten) von Waraputa eingegraben fand, gleichen zwar nach seiner Bemerkung den ächt caraibischen auf einer der kleinen Jungferninseln (St. John); aber ungeachtet der weiten Ausdehnung, welche die Einfälle der Caraibenstämme erlangten, und der alten Macht dieses schönen Menschenschlages, kann ich doch nicht glauben, daß dieser ganze ungeheure Gürtel von eingehauenen Felsen, der einen großen Theil Südamerikas von Westen nach Osten durchschneidet, das Werk der Caraiben seyn sollte. Es sind vielmehr Spuren einer alten Civilisation, die vielleicht einer Epoche angehört, wo die Racen, die wir heutzutage unterscheiden, nach Namen und Verwandtschaft noch unbekannt waren. Selbst die Ehrfurcht, welche man überall gegen diese rohen Sculpturen der Altvordern hegt, beweist, daß die heutigen Indianer keinen Begriff von der Ausführung solcher Werke haben. Noch mehr, zwischen Encaramada und Caycara an den Ufern des Orinoco befinden sich häufig diese hieroglyphischen Figuren in bedeutender Höhe auf Felsenwällen, die jezt nur mittelst außerordentlich hoher Gerüste zugänglich seyn würden. Fragt man die Eingebornen, wie diese Figuren haben eingehauen werden können, dann antworten sie lächelnd, als erzählten sie eine Sache, die nur ein Weißer nicht wissen könne: "daß in den Tagen der großen Wasser ihre Väter auf Canots in solcher Höhe gefahren seyen." Dieß ist ein geologischer Traum, der zur Lösung des Problems von einer längst vergangenen Civilisation dient. Es sey mir erlaubt hier noch eine Bemerkung einzuschalten, welche ich einem Briefe des ausgezeichneten Reisenden Sir Robert Schomburgk an mich entlehne: "Die hieroglyphischen Figuren haben eine viel größere Ausbreitung, als Sie vielleicht vermuthet haben. Während meiner Expedition, welche die Untersuchung des Flusses Corentyn zum Zwecke hatte, bemerkte ich einige gigantische Figuren nicht nur am Felsen Timeri (4° 1/2 N. B., 57° 1/2 W. L. von Greenw.), sondern ich entdeckte auch ähnliche in der Nähe der großen Cataracte des Corentyn in 4° 21' 30" N. Br. und 57° 55' 30" W. L. von Greenw. Diese Figuren sind mit viel größerem Fleiß ausgeführt als irgend welche, die ich in Guyana entdeckt habe. Ihre Größe ist ungefähr 10 Fuß und sie scheinen menschliche Figuren vorzustellen. Der Kopfputz ist äußerst merkwürdig; er umgibt den ganzen Kopf, breitet sich beträchtlich aus, und ist einem Heiligenscheine nicht unähnlich. Ich habe Zeichnungen dieser Bilder in der Colonie gelassen, und werde wahrscheinlich im Stande seyn sie einst gesammelt dem Publikum vorzulegen. Weniger ausgebildete Figuren habe ich am Cuyuwini gesehen, welcher Fluß sich in 2° 16' N. Br. von NW her in den Essequibo ergießt, auch später ähnliche Figuren am Essequibo selbst, in 1° 40' N. Br., vorgefunden. Diese Figuren erstrecken sich daher, wirklichen Beobachtungen zufolge, von 7° 10' bis 1° 40' N. Br. und von 57° 30' bis 66° 30' W. L. von Greenwich. Die Zone der Bilderfelsen, so weit sie bis jezt untersucht worden ist, breitet sich daher über eine Fläche von 12,000 Quadratmeilen (nach der Rechnung von 15 Längenmeilen auf einen Grad) aus, und begreift die Bassins des Corentyn, Essequibo und Orinoco in sich, ein Umstand, von welchem man auf die vorige Bevölkerung dieses Theils des Festlandes schließen kann." Merkwürdige Reste untergegangener Kultur sind auch die mit zierlichen Labyrinthen geschmückten Granitgefäße, wie die irdenen, den römischen ähnlichen Masken, welche man an der Mosquitoküste unter wilden Indianern entdeckt hat. Ich habe sie in dem pittoresken Atlas, welcher den historischen Theil meiner Reise begleitet, stechen lassen. Alterthumsforscher erstaunen über die Aehnlichkeit dieser a la grecs mit denen, welche den Palast von Mitla (bei Oaxaca in Neu-Spanien) zieren. Die großnasige Menschenrace, die sowohl in den Reliefs am Palenque von Guatimala als in aztekischen Gemälden so häufig abgebildet ist, habe ich nie auf peruanischen Schnitzwerken gesehen. Klaproth erinnert sich, solche übergroße Nasen bei den Chalchas, einer nördlichen Mongolenhorde, gefunden zu haben. Daß viele Stämme der nordamerikanischen, canadischen, kupferfarbenen Eingebornen stattliche Habichtsnasen darbieten, ist allgemein bekannt, und ein wesentliches physiognomisches Unterscheidungszeichen derselben von den jetzigen Bewohnern von Mexiko, Neugranada, Quito und Peru. Stammen die großäugigen, weißlichen Menschen an der Nordwestküste Amerikas, deren Marchand unter 54° und 58° Breite erwähnt, von den Usün in Innerasien, einer alano-gothischen Race, ab?