Humboldts Ansichten der Natur. Stuttgart. J. G. Cotta'scher Verlag. Dritte Auflage. * Die Schrift von der es mir noch vergönnt ist wieder eine Auflage zu erleben, ist zuerst im Jahr 1807 erschienen. Sie enthält eine Reihe von Arbeiten, die, im Angesicht großer Naturgegenstände, auf dem Ocean, in den Weltgegenden des Orinoco und des Amazonenstromes, in den Steppen von Venezuela wie in der Einöde mexicanischer und peruanischer Cordilleren entstanden sind. Die zwiefache Richtung dieser Schrift ist das Bestreben durch lebendige Darstellungen den Naturgenuß zu erhöhen und zugleich, nach dem dermaligen Stande unseres Naturwissens, die Einsicht in das harmonische Zusammenwirken der Kräfte zu vermehren. Die zweite Ausgabe habe ich zu Paris besorgt im Jahr 1826. Zwei Aufsätze: ein Versuch über den Bau und die Wirkungsart der Vulcane in den verschiedenen Erdstrichen, und der früher in Schillers Horen erschienene Rhodische Genius (die Entwicklung einer physiologischen Idee von der Lebenskraft) wurden damals hinzugefügt. Die Expedition welche ich auf Befehl des Kaisers von Rußland im Jahr 1829, in Gemeinschaft mit Ehrenberg und Gustav Rose, in das nördliche Asien (in den Ural, den Altai und an die Ufer des caspischen Meeres) gemacht, fällt zwischen die Epochen der zweiten und dritten Ausgabe der Ansichten der Natur. Sie hat wesentlich zur Erweiterung meiner Betrachtungen über die Gestaltung der Bodenfläche, die Richtung der Gebirgsketten, den Zusammenhang der Steppen und Wüsten, die geographische Verbreitung der Pflanzen nach gemessenen Temperatur-Einflüssen (Krümmung der isothermen Linien) beigetragen. Die Unkenntniß in welcher man so lange über die zwei mit ewigem Schnee bedeckten Gebirgszüge zwischen dem Altai und dem Himalaya gewesen ist, hat bei der ungerechten Vernachlässigung reichhaltiger chinesischer Quellen die Geographie von Inner-Asien verdunkelt und Phantasien als Resultate der Beobachtung in vielgelesenen Schriften und vielgebrauchten Karten verbreitet. Seit kurzem sind, fast unerwartet, der hypsometrischen Vergleichung der höchsten Gipfel beider Continente, wichtige und berichtigende Erweiterungen zugekommen. Die von frühern Irrthümern befreite Höhenbestimmung zweier Berge in der östlichen Andeskette von Bolivia (der Sorata war um 3718, der Illimani um 2675 Pariser Fuß zu hoch angegeben worden) hat dennoch dem Chimborazo seinen lange behaupteten ersten Rang unter den Schneebergen des neuen Continents nicht ganz wieder ertheilt. Der von den Officieren der Fitz-Roy'schen Expedition von Adventure und Beagle gemessene Aconcagua (an der Küste des südlichen Chili) soll die Höhe von 21,767 Pariser Fuß erreichen, und demnach (als der höchste Gipfel des amerikanischen Continents) fast um 1670 Pariser Fuß die Höhe des Chimborazo übertreffen. Briefe meines jungen Freundes Joseph Hooker, des vortrefflichen Botanikers der letzten Südpol-Expedition, jetzt in Dorjiling und an der äußersten tübetanischen Gränze von Indostan, haben mir zuerst die Nachricht von der trigonometrischen Messung des kolossalen Kinchinjinga durch Oberst Waugk, Director of the trigonometrical Survey of India, gebracht. Dieser Gipfel des Himalaya ist 26,438 Pariser Fuß hoch, und mit den neuerdings wieder gemessenen Dhawalagiri und Deodanghi der höchste Berg der Welt. Aber nicht bloß die erweiterte geognostische Kenntniß von Inner-Asien, wie die der Gestaltung des nordwestlichen Amerika, über welche Charles Fremont, Wislizenus und Abert so viel Licht verbreitet haben, mußte zu neuen Ansichten führen, auch der meteorologische, pflanzengeographische und pflanzenphysiognomische Theil der wissenschaftlichen Erläuterungen mußte völlig umgeschmolzen werden, gemäß der Fortschritte unseres Naturwissens in den 23 Jahren, welche seit der Erscheinung der letzten Ausgabe verflossen sind. Ich habe gehofft den Trieb zum Studium der Natur dadurch zu beleben daß in dem kleinsten Raume die mannichfaltigsten Resultate gründlicher Beobachtung zusammengedrängt, die Wichtigkeit genauer numerischer Angaben und ihrer Vergleichung unter einander erkannt und dem dogmatischen Halbwissen, wie der vornehmen Zweifelsucht gesteuert werde, welche in den sogenannten höheren Kreisen des geselligen Lebens einen langen Besitz haben. Mehr als die Hälfte dieser dritten Ausgabe der Ansichten der Natur ist als neu zu betrachten. Auch habe ich vorher nicht erschienene beschreibende Aufsätze: Das nächtliche Thierleben im Walde, das Hochland von Caxamarca, der alten Residenzstadt des Inca Atahuallpa, und den ersten Anblick der Südsee von dem Rücken der Andeskette hinzugefügt. Man hat es oft, wie ich schon an einem andern Orte erinnert, eine nicht erfreuliche Betrachtung genannt daß, indem rein litterarische Geistesproducte gewurzelt sind in den Tiefen der Gefühle und der schaffenden Einbildungskraft, alles was mit der bloßen Empirie, mit Ergründung von Naturerscheinungen und physischer Gesetze zusammenhängt, in wenigen Jahrzehenden, bei allmählicher Erweiterung des Horizonts der Beobachtung, eine andere Gestaltung annimmt, ja daß, wie man sich auszudrücken pflegt, veraltete naturwissenschaftliche Schriften als unlesbar der Vergessenheit übergeben sind. In meinen Ansichten der Natur, die ich als Composition nicht zu rechtfertigen unternehme, könnte das beschreibende, darstellende Element (wenn es mir einigermaßen gelungen wäre das vorgesetzte Ziel zu erreichen) sich einiger Dauer erfreuen; das wissenschaftlich erläuternde Element bedarf, als das fortschreitend bewegliche, seiner Natur nach sorgsam umformender Hülfe. Da ich nun schon durch meine Arbeiten 60 Jahre mit dem deutschen Publicum im Verkehr stehe, so habe ich, neben dem Fortschritte, auch den wellenartig wiederkehrenden Wechsel der Meinungen beobachten können. Potsdam, den 24 August 1849. Alexander v. Humboldt.