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Alexander von Humboldt: „Bewegungen des Meeres“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1847-Sur_le_niveau-2-neu> [abgerufen am 16.04.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1847-Sur_le_niveau-2-neu
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Titel Bewegungen des Meeres
Jahr 1847
Ort Zürich
Nachweis
in: Karl Mager, Lesebuch zur Encyklopädie enthaltend 250 Abhandlungen und Bruchstücke aus 174 Schriften von 129 Autoren über Gegenstände aus allen Gebieten der Wissenschaft, Zürich: Meyer und Zeller 1847, S. 88–90.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua; Spaltensatz; Auszeichnung: Kursivierung, Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VI.86
Dateiname: 1847-Sur_le_niveau-2-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 3
Spaltenanzahl: 6
Zeichenanzahl: 9034

Weitere Fassungen
Sur le niveau des mers et les courants (Paris, 1847, Französisch)
Bewegungen des Meeres (Zürich, 1847, Deutsch)
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25. Bewegungen des Meeres. (A. v. Humboldt, Kosmos I. [1845] S. 324—330.)

|Spaltenumbruch| Störungen des Gleichgewichts und die dadurcherregte Bewegung des Wassers sind: theils unre-gelmäßig und vorübergehend vom Winde abhän-gig, und Wellen erzeugend, die fern von den Kü-sten im offenen Meere, im Sturm, über 35 FußHöhe ansteigen; theils regelmäßig und periodischdurch die Stellung und Anziehung der Sonne unddes Monds bewirkt (Ebbe und Fluth); theils per-manent, doch in ungleicher Stärke, als pelagischeStrömung. Die Erscheinungen der Ebbe und Fluth,über alle Meere verbreitet (außer den kleinen undsehr eingeschlossenen, wo die Fluthwelle kaumoder gar nicht merklich wird), sind durch dieNewton’sche Naturlehre vollständig erklärt,d. h. »in den Kreis des Nothwendigen zurückge-führt.« Jede dieser periodisch wiederkehrendenSchwankungen des Meerwassers ist etwas längerals ein halber Tag. Wenn sie im offenen Welt-meer kaum die Höhe von einigen Fußen betra-gen, so steigen sie als Folge der Configurationder Küsten, die sich der kommenden Fluthwelleentgegensetzen, in St. Malo zu 50, in Acadien zu65 bis 70 Fuß. »Unter der Voraussetzung, daßdie Tiefe des Meeres vergleichungsweise mit demHalbmesser der Erde nicht bedeutend sei, hat die |Spaltenumbruch| Analyse des großen Geometers Laplace bewiesen,wie die Stetigkeit des Gleichgewichts des Mee-res fordere, daß die Dichte seiner Flüssigkeit kleiner sei als die mittlere Dichte der Erde.In der That ist die letztere, wie wir oben gese-hen, fünfmal so groß als die des Wassers. Dashohe Land kann also nie überfluthet werden, unddie auf den Gebirgen gefundenen Ueberreste vonSeethieren können keinesweges durch ehemalshöhere Fluthen (durch die Stellung der Sonne unddes Mondes veranlaßt) in diese Lage gekommensein.« Es ist kein geringes Verdienst der Ana-lyse, die in den unwissenschaftlichen Kreisen dessogenannten bürgerlichen Lebens vornehm ver-schmäht wird, daß Laplace’s vollendete Theorieder Ebbe und Fluth es möglich gemacht hat, inunseren astronomischen Ephemeriden die Höheder bei jedem Neu- und Vollmonde zu erwarten-den Springfluthen vorherzuverkündigen und so dieKüstenbewohner auf die eintretende, besondersbei der Mondnähe noch vermehrte Gefahr auf-merksam zu machen. Oceanische Strömungen, die einen so wich-tigen Einfluß auf den Verkehr der Nationen undauf die klimatischen Verhältnisse der Küsten aus- |89| |Spaltenumbruch| üben, sind fast gleichzeitig von einer Menge sehrverschiedenartiger, theils großer, theils scheinbarkleiner Ursachen abhängig. Dahin gehören: dieum die Erde fortschreitende Erscheinungszeit der Ebbe und Fluth; die Dauer und Stärke derherrschenden Winde; die durch Wärme und Salz-gehalt unter verschiedenen Breiten und Tiefenmodificirte Dichte und specifische Schwere derWassertheilchen; die von Osten nach Westensuccessiv eintretenden und unter den Tropen soregelmäßigen stündlichen Variationen des Luft-druckes. Die Strömungen bieten das merkwürdigeSchauspiel dar, daß sie von bestimmter Breite inverschiedenen Richtungen das Meer flussartig durchkreuzen, während daß nahe Wasserschich-ten unbewegt gleichsam das Ufer bilden. DieserUnterschied der bewegten und ruhenden Theileist am auffallendsten, wo lange Schichten vonfortgeführtem Seetang die Schätzung der Ge-schwindigkeit der Strömung erleichtern. In denunteren Schichten der Atmosphäre bemerkt manbei Stürmen bisweilen ähnliche Erscheinungen derbegrenzten Luftströmung. Mitten im dichten Waldewerden die Bäume nur in einem schmalen Län-genstreifen umgeworfen. Die allgemeine Bewegung der Meere zwi-schen den Wendekreisen von Osten nach Westen(Aequatorial- oder Rotationsstrom genannt)wird als eine Folge der fortschreitenden Fluthzeitund der Passatwinde betrachtet. Sie verändertihre Richtung durch den Widerstand, welchen siean den vorliegenden östlichen Küsten der Conti-nente findet. Das neue Resultat, welches Daussyaus der Bewegung aufgefangener, von Reisendenabsichtlich ausgeworfener Flaschen geschöpft hat,stimmt bis auf \( \frac{1}{18} \) mit der Schnelligkeit der Be-wegung überein (10 französische milles marins, jede zu 952 Toisen, alle 24 Stunden), welcheich nach der Vergleichung früherer Erfahrungengefunden hatte. Schon in dem Schiffsjournalseiner dritten Reise (der ersten, in welcher ergleich im Meridian der canarischen Inseln in dieTropengegend zu gelangen suchte) sagt ChristophColumbus: „Ich halte es für ausgemacht, daßdie Meereswasser sich von Osten gen Westen be-wegen, wie der Himmel (las aguas van con loscielos)“; d. i. wie die scheinbare Bewegung vonSonne, Mond und allen Gestirnen. Die schmalen Ströme, wahre oceanischeFlüsse, welche die Weltmeere durchstreifen,führen warme Wasser in höhere, oder kalte Was-ser in niedere Breiten. Zu der ersten Classe ge-hört der berühmte, von Anghiera und besondersvon Sir Humfrey Gilbert bereits im sechzehnten |Spaltenumbruch| Jahrhundert erkannte atlantische Golfstrom: dessen erster Anfang und Impuls südlich vom Vor-gebirge der guten Hoffnung zu suchen ist, undder in seinem großen Kreislaufe aus dem Meerder Antillen und dem mexicanischen Meerbusendurch die Bahamastraße ausmündet; von Südsüd-west gen Nordnordost gerichtet, sich immer mehrund mehr von dem Littoral der Vereinigten Staa-ten entfernt und, bei der Bank von Neufundlandostwärts abgelenkt, häufig tropische Samen (Mi-mosa scandens, Guilandina bonduc, Dolichos urens)an die Küsten von Irland, der Hebriden und vonNorwegen wirft. Seine nordöstliche Verlängerungträgt wohlthätig zu der minderen Kälte des See-wassers und des Klima’s an dem nördlichsten Capvon Scandinavien bei. Wo der warme Golfstromsich von der Bank von Neufundland gegen Ostenwendet, sendet er unweit der Azoren einen Armgegen Süden. Dort liegt das Sargasso-Meer, die große Fucus-Bank, welche so lebhaft die Ein-bildungskraft von Christoph Columbus beschäftigteund welche Oviedo die Tang-Wiesen (Praderiasde yerva) nennt. Eine Unzahl kleiner Seethierebewohnen diese ewig grünenden, von lauen Lüf-ten hin und her bewegten Massen von Fucus natans, einer der verbreitetsten unter den geselligen Pflanzen des Meeres. Das Gegenstück zu diesem, fast ganz der nörd-lichen Hemisphäre zugehörigen Strom im atlanti-schen Meeresthale zwischen Afrika, Amerikaund Europa bildet eine Strömung in der Südsee,deren niedrige, auch auf das Klima des Littoralsbemerkbar einwirkende Temperatur ich im Herbst1802 zuerst aufgefunden habe. Sie bringt die kaltenWasser der hohen südlichen Breiten an die Küstenvon Chili, folgt den Küsten dieses Landes unddenen von Peru erst von Süden gegen Norden,dann (von der Bucht bei Arica an) von Südsüdostgegen Nordnordwest. Mitten in der Tropengegend hat dieser kalteoceanische Strom zu gewissen Jahreszeiten nur 15°,6(12½° R.), während daß die ruhenden Wasseraußerhalb des Stromes eine Temperatur von 27°,5und 28°,7 (22—23° R.) zeigen. Wo das Littoral vonSüdamerika, südlich von Payta, am meisten gegenWesten vorspringt, beugt der Strom sich plötzlichin derselben Richtung von dem Lande ab, vonOsten gegen Westen gewandt: so daß man, weiternach Norden schiffend, von dem kalten Wasserplötzlich in das warme gelangt. Man weiß nicht, wie weit die oceanischenStröme, warme und kalte, gegen den Meeresbodenhin ihre Bewegung fortpflanzen. Die Ablenkungder süd-afrikanischen Strömung durch die, volle |90| |Spaltenumbruch| 70—80 Brassen tiefe Lagullasbank scheint einesolche Fortpflanzung zu erweisen. Sandbänke undUntiefen, außerhalb der Strömungen gelegen, sindmehrentheils, nach der Entdeckung des edlenBenjamin Franklin, durch die Kälte der Wassererkennbar, welche auf denselben ruhen. DieseErniedrigung der Temperatur scheint mir in demUmstande gegründet, daß durch Fortpflanzung derBewegung des Meeres tiefe Wasser an den Rän-dern der Bänke aufsteigen und sich mit den oberenvermischen. Mein verewigter Freund Sir HumphryDavy dagegen schrieb die Erscheinung, von derdie Seefahrer oft für die Sicherheit der Schiffahrtpraktischen Nutzen ziehen könnten, dem Herab-sinken der an der Oberfläche nächtlich erkaltetenWassertheilchen zu. Diese bleiben der Oberflächenäher, weil die Sandbank sie hindert, in größereTiefe herabzusinken. Das Thermometer ist durch |Spaltenumbruch| Franklin in ein Senkblei umgewandelt. Auf denUntiefen entstehen häufig Nebel, da ihre kälterenWasser den Dunst aus der Seeluft niederschlagen.Solche Nebel habe ich, im Süden von Jamaicaund auch in der Südsee, den Umriß von Bänkenscharf und fern erkennbar bezeichnen gesehen.Sie stellen sich dem Auge wie Luftbilder dar, inwelchen sich die Gestaltungen des unterseeischenBodens abspiegeln. Eine noch merkwürdigere Wir-kung der wasser-erkältenden Untiefen ist die, daßsie, fast wie flache Korallen- oder Sandinseln,auch auf die höheren Luftschichten einen bemerk-baren Einfluß ausüben. Fern von allen Küsten,auf dem hohen Meere, bei sehr heiterer Luft,sieht man oft Wolken sich über die Punkte lagern,wo die Untiefen gelegen sind. Man kann dann,wie bei einem hohen Gebirge, bei einem isolirtenPic, ihre Richtung mit dem Compaß aufnehmen.