October 1847. Der zweite Band des Kosmos. Dem zunächſt zu erwartenden zweiten Bande des Kosmos ſchickt der berühmte Verfaſſer folgende Zeilen (in der Augsb. Allgem. Zeitung) voraus, welche wir uns nicht verſagen können, unſeren Leſern mitzutheilen, um ſie ihnen auf dieſe Weiſe auch ſpäter bei der Lectüre des Werkes ſelbſt leichter zugänglich zu erhalten, als dies in den Spalten jener politiſchen Zeitſchrift der Fall wäre. „In dem erſten Bande des Werkes ſind die Hauptreſultate der Beobachtung, wie ſie der reinen Objectivität wiſſenſchaftlicher Naturbeſchreibung angehören, eng aneinander gereiht in der Form eines Naturgemäldes aufgeſtellt worden. Es umfaßt dasſelbe das Weltganze von den fernſten Nebelflecken bis zu den kleinſten Organismen der irdiſchen Schöpfung. Der zweite Band des Kosmos betrachtet den Reflex des durch die äußeren Sinne empfangenen Bildes auf das Gefühl und die dichteriſch geſtimmte Einbildungskraft. Wir treten aus dem Kreiſe der Objecte in den Kreis der Empfindungen. Es eröffnet ſich uns eine innere Welt. Wir durchforſchen ſie, nicht um in dieſem Buche von der Natur zu ergründen — wie es von der Philoſophie der Kunſt gefordert wird — was in der Möglichkeit äſthetiſcher Wirkungen dem Weſen der Gemüthskräfte und den mannichfaltigen Richtungen geiſtiger Thätigkeit zukommt, ſondern um die Quellen lebendiger Anſchauung, als Mittel jener Erhöhung eines reinen Naturgefühls, zu ſchildern; um den Urſachen nachzuſpüren, welche beſonders in der neueren Zeit durch Belebung der Einbildungskraft ſo mächtig auf die Liebe zum Naturſtudium und auf den Hang zu fernen Reiſen gewirkt haben. Die Anregungsmittel ſelbſt ſind von dreierlei Art: äſthetiſche Behandlung von Naturſcenen in belebten Schilderungen der Thier- und Pflanzenwelt, ein ſehr moderner Zweig der Literatur; Landſchaftmalerei, beſonders inſofern ſie angefangen hat die Phyſiognomik der Gewächſe aufzufaſſen; mehr verbreitete Cultur der Tropengewächſe und contraſtirende Zuſammenſtellung erotiſcher Formen. Jedes der hier bezeichneten Anregungsmittel hätte ſchon ſeiner hiſtoriſchen Beziehungen wegen der Gegenſtand vielumfaſſender Erörterung werden können; aber nach dem Geiſte und dem Zwecke meiner Schrift ſchien es geeigneter, nur die leitenden Ideen zu entwickeln, daran zu erinnern, wie die Naturwelt in verſchiedenen Zeitepochen und bei verſchiedenen Volksſtämmen ſo ganz anders auf die Gedanken- und Empfindungswelt eingewirkt hat, wie in einem Zuſtande allgemeiner Cultur das ernſte Wiſſen und die zarteren Anregungen der Phantaſie ſich gegenſeitig zu durchdringen ſtreben. Um die Natur in ihrer ganzen erhabenen Größe zu ſchildern, darf man nicht bei den äußern Erſcheinungen allein verweilen, die Natur muß auch dargeſtellt werden, wie ſie ſich im Innern des Menſchen abſpiegelt, wie ſie durch dieſen Reflex bald das Nebelland phyſiſcher Mythen mit anmuthigen Geſtalten füllt, bald den edlen Keim darſtellender Kunſtthätigkeit entfaltet. Auf die hier bezeichneten Anregungsmittel zum wiſſenſchaftlichen Naturſtudium laſſe ich die Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung folgen. Es iſt dieſelbe, wie ich ſie auffaſſe, die Geſchichte der Erkenntniß eines Naturganzen, gleichſam die Geſchichte des Gedankens von der Einheit der Erſcheinungen und von dem Zuſammenhange der Kräfte im Weltall. Sie darf in ihrer Behandlungsweiſe nicht verwechſelt werden mit der Geſchichte der ſpeciellen Naturwiſſenſchaften, wie ſie mehrere unſerer vorzüglichſten Lehrbücher der Phyſik oder der Morphologie der Pflanzen und Thiere liefern. Die Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung unterſcheidet: das ſelbſtändige Streben der Vernunft nach Erkenntniß von Naturgeſetzen, d. h. die denkende Betrachtung der Naturerſcheinungen ſelbſt; die Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beobachtung erweitert haben; die Erfindung neuer Mittel ſinnlicher Wahrnehmung, gleichſam die Erfindung neuer Organe, welche den Menſchen mit den irdiſchen Gegenſtänden wie mit den fernſten Welträumen in näheren Verkehr bringen. Dieſer dreifache Geſichtspunkt hat mich geleitet, um die Hauptepochen (Hauptmomente) zu beſtimmen, welche die Geſchichte der Lehre vom Kosmos zu durchlaufen hat. Die geſchichtliche Erkenntniß der allmäligen Erweiterung des Naturwiſſens in beiden Sphären, der Erd- und Himmelskunde, iſt an beſtimmte Perioden, an gewiſſe räumlich und intellectuell wirkende Ereigniſſe gebunden, die jenen Perioden Eigenthümlichkeit und Färbung verleihen. Solche Ereigniſſe waren die Unternehmungen, welche in den Pontus führten und jenſeits des Phaſis ein anderes Seeufer ahnen ließen; die Expeditionen nach tropiſchen Gold- und Weihrauchländern; die Durchſchiffung der weſtlichen Meerenge und Eröffnung der großen maritimen Völkerſtraße, auf der in langen Zeitabſtänden Cerne und die Hesperiden, die nördlichen Zinn- und Bernſteininſeln, die vulkaniſchen Azoren und der Neue Continent des Columbus, ſüdlich von den alten ſcandinaviſchen Anſiedelungen, entdeckt wurden. Auf die Bewegungen, welche aus dem Becken des Mittelmeeres und dem nördlichſten Ende des nahen arabiſchen Meerbuſens ausgingen, auf die Pontus- und Ophirfahrten, folgen in meiner hiſtoriſchen Schilderung die Heerzüge des Macedoniers und ſein Verſuch, den Weſten mit dem Oſten zu verſchmelzen; die Wirkungen des indiſchen Seehandels und der alexandriniſchen Inſtitute unter den Lagiden; die Weltherrſchaft der Römer unter den Cäſaren; der folgenreiche Hang der Araber zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften, zu aſtronomiſchem, mathematiſchem und praktiſch-chemiſchem Wiſſen. Mit der Beſitznahme einer ganzen Erdhälfte, welche verhüllt lag, mit den größten Entdeckungen im Raume, welche je die Menſchen gemacht, iſt für mich die Reihe der Ereigniſſe und Begebenheiten geſchloſſen, die plötzlich den Horizont der Ideen erweitert, zum Erforſchen von phyſiſchen Geſetzen angeregt, das Streben nach dem endlichen Erfaſſen des Weltganzen belebt haben. Die Intelligenz bringt fortan Großes ohne Anregung durch Begebenheiten, als Wirkung eigener innerer Kraft, gleichzeitig nach allen Richtungen hervor. Ich habe in den vorliegenden Betrachtungen in allgemeinen Umriſſen den Inhalt des neuen Bandes meines Werkes anzudeuten geſucht. Obſchon der erſte und zweite Band des Kosmos gewiſſermaßen ein geſchloſſenes Ganzes bilden, ſo hoffe ich doch, daß am ſpäteſten Abend meines Lebens es mir noch vergönnt ſein wird, einen dritten und letzten Band hinzuzufügen, welcher die „Ergebniſſe wiſſenſchaftlicher Forſchung in den ſpeciellen Theilen der phyſiſchen Weltbeſchreibung“ enthalten ſoll. Derſelbe wird das allgemeine Naturgemälde erläutern und, um den Gebrauch des ganzen Werkes bequemer zu machen, eine Inhaltsüberſicht ähnlicher Art enthalten, wie ich ſie jetzt ſchon für den erſten und zweiten Band liefere. Möge wie bisher Wohlwollen und, was dem Wohlwollen erſt ſeinen Werth giebt, möge die Ehre ſtrenger Prüfung der Lohn meiner Arbeitſamkeit ſein! Der höchſte Genuß, welchen in einer mehr als fünfzigjährigen ſchriftſtelleriſchen Laufbahn das fortgeſetzte Streben nach freier Öffentlichkeit gewähren kann, bleibt an die Hoffnung geknüpft, in Ideen und Gefühlen ſeiner Zeit nie fremd zu werden. Berlin, den 22. September 1847. Alexander Humboldt.