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Alexander von Humboldt: „Der zweite Band des Kosmos“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1847-Der_zweite_Band_a-3-neu> [abgerufen am 19.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1847-Der_zweite_Band_a-3-neu
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Titel Der zweite Band des Kosmos
Jahr 1847
Ort Weimar
Nachweis
in: Fortschritte der Geographie und Naturgeschichte 3:15/45 (Oktober 1847), Sp. 465–467.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur; Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VI.80
Dateiname: 1847-Der_zweite_Band_a-3-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 3
Zeichenanzahl: 7262

Weitere Fassungen
Der zweite Band des Kosmos (Augsburg, 1847, Deutsch)
Alex. von Humboldt über den zweiten Theil des Kosmos (Berlin, 1847, Deutsch)
Der zweite Band des Kosmos (Weimar, 1847, Deutsch)
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Der zweite Band des Kosmos.

Dem zunächſt zu erwartenden zweiten Bande des Kosmosſchickt der berühmte Verfaſſer folgende Zeilen (in der Augsb.Allgem. Zeitung) voraus, welche wir uns nicht verſagenkönnen, unſeren Leſern mitzutheilen, um ſie ihnen auf dieſeWeiſe auch ſpäter bei der Lectüre des Werkes ſelbſt leichterzugänglich zu erhalten, als dies in den Spalten jener politi-ſchen Zeitſchrift der Fall wäre.„In dem erſten Bande des Werkes ſind die Haupt-reſultate der Beobachtung, wie ſie der reinen Objectivitätwiſſenſchaftlicher Naturbeſchreibung angehören, eng aneinandergereiht in der Form eines Naturgemäldes aufgeſtelltworden. Es umfaßt dasſelbe das Weltganze von den fern-ſten Nebelflecken bis zu den kleinſten Organismen der irdiſchenSchöpfung. Der zweite Band des Kosmos betrachtet denReflex des durch die äußeren Sinne empfangenen Bildes aufdas Gefühl und die dichteriſch geſtimmte Einbildungskraft.Wir treten aus dem Kreiſe der Objecte in den Kreis derEmpfindungen. Es eröffnet ſich uns eine innere Welt. Wirdurchforſchen ſie, nicht um in dieſem Buche von der Na-tur zu ergründen — wie es von der Philoſophie der Kunſtgefordert wird — was in der Möglichkeit äſthetiſcher Wir-kungen dem Weſen der Gemüthskräfte und den mannichfaltigenRichtungen geiſtiger Thätigkeit zukommt, ſondern um dieQuellen lebendiger Anſchauung, als Mittel jener Erhöhungeines reinen Naturgefühls, zu ſchildern; um den Urſachennachzuſpüren, welche beſonders in der neueren Zeit durchBelebung der Einbildungskraft ſo mächtig auf die Liebe zumNaturſtudium und auf den Hang zu fernen Reiſen gewirkthaben. Die Anregungsmittel ſelbſt ſind von dreierleiArt: äſthetiſche Behandlung von Naturſcenen in belebtenSchilderungen der Thier- und Pflanzenwelt, ein ſehr mo-derner Zweig der Literatur; Landſchaftmalerei, beſondersinſofern ſie angefangen hat die Phyſiognomik der Gewächſeaufzufaſſen; mehr verbreitete Cultur der Tropengewächſe undcontraſtirende Zuſammenſtellung erotiſcher Formen. Jedesder hier bezeichneten Anregungsmittel hätte ſchon ſeiner hiſto-riſchen Beziehungen wegen der Gegenſtand vielumfaſſenderErörterung werden können; aber nach dem Geiſte und demZwecke meiner Schrift ſchien es geeigneter, nur die leitendenIdeen zu entwickeln, daran zu erinnern, wie die Naturweltin verſchiedenen Zeitepochen und bei verſchiedenen Volksſtäm-men ſo ganz anders auf die Gedanken- und Empfindungs-welt eingewirkt hat, wie in einem Zuſtande allgemeiner Culturdas ernſte Wiſſen und die zarteren Anregungen der Phantaſieſich gegenſeitig zu durchdringen ſtreben. Um die Natur inihrer ganzen erhabenen Größe zu ſchildern, darf man nichtbei den äußern Erſcheinungen allein verweilen, die Natur mußauch dargeſtellt werden, wie ſie ſich im Innern des Menſchen|466| abſpiegelt, wie ſie durch dieſen Reflex bald das Nebellandphyſiſcher Mythen mit anmuthigen Geſtalten füllt, baldden edlen Keim darſtellender Kunſtthätigkeit entfaltet. Aufdie hier bezeichneten Anregungsmittel zum wiſſenſchaftlichenNaturſtudium laſſe ich die Geſchichte der phyſiſchenWeltanſchauung folgen. Es iſt dieſelbe, wie ich ſie auf-faſſe, die Geſchichte der Erkenntniß eines Naturganzen, gleich-ſam die Geſchichte des Gedankens von der Einheit der Er-ſcheinungen und von dem Zuſammenhange der Kräfte imWeltall. Sie darf in ihrer Behandlungsweiſe nicht ver-wechſelt werden mit der Geſchichte der ſpeciellen Naturwiſſen-ſchaften, wie ſie mehrere unſerer vorzüglichſten Lehrbücher derPhyſik oder der Morphologie der Pflanzen und Thiere lie-fern. Die Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung unter-ſcheidet: das ſelbſtändige Streben der Vernunft nach Er-kenntniß von Naturgeſetzen, d. h. die denkende Betrachtungder Naturerſcheinungen ſelbſt; die Weltbegebenheiten, welcheplötzlich den Horizont der Beobachtung erweitert haben; dieErfindung neuer Mittel ſinnlicher Wahrnehmung, gleichſamdie Erfindung neuer Organe, welche den Menſchen mit denirdiſchen Gegenſtänden wie mit den fernſten Welträumen innäheren Verkehr bringen. Dieſer dreifache Geſichtspunkt hatmich geleitet, um die Hauptepochen (Hauptmomente) zu be-ſtimmen, welche die Geſchichte der Lehre vom Kosmos zudurchlaufen hat. Die geſchichtliche Erkenntniß der allmäligenErweiterung des Naturwiſſens in beiden Sphären, der Erd-und Himmelskunde, iſt an beſtimmte Perioden, an gewiſſeräumlich und intellectuell wirkende Ereigniſſe gebunden, diejenen Perioden Eigenthümlichkeit und Färbung verleihen.Solche Ereigniſſe waren die Unternehmungen, welche in denPontus führten und jenſeits des Phaſis ein anderes Seeuferahnen ließen; die Expeditionen nach tropiſchen Gold- undWeihrauchländern; die Durchſchiffung der weſtlichen Meer-enge und Eröffnung der großen maritimen Völkerſtraße, aufder in langen Zeitabſtänden Cerne und die Hesperiden, dienördlichen Zinn- und Bernſteininſeln, die vulkaniſchen Azorenund der Neue Continent des Columbus, ſüdlich von den altenſcandinaviſchen Anſiedelungen, entdeckt wurden. Auf die Be-wegungen, welche aus dem Becken des Mittelmeeres und demnördlichſten Ende des nahen arabiſchen Meerbuſens ausgin-gen, auf die Pontus- und Ophirfahrten, folgen in meinerhiſtoriſchen Schilderung die Heerzüge des Macedoniers undſein Verſuch, den Weſten mit dem Oſten zu verſchmelzen;die Wirkungen des indiſchen Seehandels und der alexandri-niſchen Inſtitute unter den Lagiden; die Weltherrſchaft derRömer unter den Cäſaren; der folgenreiche Hang der Araberzum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften, zu aſtro-nomiſchem, mathematiſchem und praktiſch-chemiſchem Wiſſen.Mit der Beſitznahme einer ganzen Erdhälfte, welche verhülltlag, mit den größten Entdeckungen im Raume, welche je die|467| Menſchen gemacht, iſt für mich die Reihe der Ereigniſſe undBegebenheiten geſchloſſen, die plötzlich den Horizont der Ideenerweitert, zum Erforſchen von phyſiſchen Geſetzen angeregt,das Streben nach dem endlichen Erfaſſen des Weltganzenbelebt haben. Die Intelligenz bringt fortan Großes ohneAnregung durch Begebenheiten, als Wirkung eigener innererKraft, gleichzeitig nach allen Richtungen hervor.Ich habe in den vorliegenden Betrachtungen in allgemei-nen Umriſſen den Inhalt des neuen Bandes meines Werkesanzudeuten geſucht. Obſchon der erſte und zweite Band desKosmos gewiſſermaßen ein geſchloſſenes Ganzes bilden, ſohoffe ich doch, daß am ſpäteſten Abend meines Lebens esmir noch vergönnt ſein wird, einen dritten und letzten Bandhinzuzufügen, welcher die „Ergebniſſe wiſſenſchaftlicher For-ſchung in den ſpeciellen Theilen der phyſiſchen Weltbeſchrei-bung“ enthalten ſoll. Derſelbe wird das allgemeineNaturgemälde erläutern und, um den Gebrauch des gan-zen Werkes bequemer zu machen, eine Inhaltsüberſicht ähn-licher Art enthalten, wie ich ſie jetzt ſchon für den erſtenund zweiten Band liefere. Möge wie bisher Wohlwollenund, was dem Wohlwollen erſt ſeinen Werth giebt, mögedie Ehre ſtrenger Prüfung der Lohn meiner Arbeitſamkeitſein! Der höchſte Genuß, welchen in einer mehr als fünfzig-jährigen ſchriftſtelleriſchen Laufbahn das fortgeſetzte Strebennach freier Öffentlichkeit gewähren kann, bleibt an die Hoff-nung geknüpft, in Ideen und Gefühlen ſeiner Zeit nie fremdzu werden.

Alexander Humboldt.