Alex. von Humboldt über den zweiten Theil des Kosmos. Der Ueberblick, den der Verfaſſer des Kosmos in einem durch die „Allgemeine Zeitung“, veröffentlichten Anzeige von dem zweiten (nächſtens erſcheinenden) Bande ſeines weltumfaſſenden Werkes giebt, gewährt ein ſo anziehendes Reſumé und führt uns auf ſo leichte und angenehme Weiſe in die Werkſtätte ſeiner Wiſſenſchaft ein, daß ein Abdruck dieſer Anzeige wohl nicht blos auf die politiſchen Zeitungen beſchränkt ſeyn ſollte. Wir rechnen auf den Dank unſerer Leſer, indem wir auch in unſerem Blatte dieſe gewiß von Jedem gern aufbewahrten Worte wiedergeben: „Das verſpätete Erſcheinen des zweiten Theils des Kosmos, deſſen Druck jetzt beendet iſt, darf nicht der Verlagshandlung, welche jedes Mittel der Beſchleunigung freundlichſt dargeboten hat, ſondern allein der individuellen Lage des Verfaſſers und ſeinem regen Wunſche zugeſchrieben werden, einem inhaltſchweren Unternehmen den Reſt aller ſeiner Kräfte zu widmen. In dem erſten Bande des Werkes ſind die Hauptreſultate der Beobachtung, wie ſie der reinen Objektivität wiſſenſchaftlicher Naturbeſchreibung angehören, eng an einander gereihet, in der Form eines Naturgemäldes aufgeſtellt worden. Es umfaßt daſſelbe das Weltganze, von den fernſten Nebelflecken bis zu den kleinſten Organismen der irdiſchen Schöpfung. Der zweite Band des Kosmos betrachtet den Reflex des durch die äußeren Sinne empfangenen Bildes auf das Gefühl und durch die dichteriſch geſtimmte Einbildungskraft. Wir treten aus dem Kreis der Objekte in den Kreis der Empfindungen. Es eröffnet ſich uns eine innere Welt. Wir durchforſchen ſie, nicht um in dieſem Buche von der Natur zu ergründen — wie es von der Philoſophie der Kunſt gefordert wird — was in der Möglichkeit äſthetiſcher Wirkungen dem Weſen der Gemüthskräfte und den mannigfaltigen Richtungen geiſtiger Thätigkeit zukommt, ſondern um die Quellen lebendiger Anſchauung, als Mittel jener Erhöhung eines reinen Naturgefühls, zu ſchildern; um den Urſachen nachzuſpüren, welche beſonders in der neueren Zeit durch Belebung der Einbildungskraft ſo mächtig auf die Liebe zum Naturſtudium und auf den Hang zu fernen Reiſen gewirkt haben. Die Anregungsmittel ſelbſt ſind von dreierlei Art: äſthetiſche Behandlung von Naturſcenen in belebten Schilderungen der Thier- und Pflanzenwelt, ein ſehr moderner Zweig der Litteratur; Landſchaftsmalerei, beſonders, inſofern ſie angefangen hat, die Phyſiognomie der Gewächſe aufzufaſſen; mehr verbreitete Kultur der Tropengewächſe und kontraſtirende Zuſammenſtellung exotiſcher Formen. Jedes der hier bezeichneten Anregungsmittel hätte, ſchon ſeiner hiſtoriſchen Beziehungen wegen, der Gegenſtand vielumfaſſender Erörterung werden können; aber nach dem Geiſte und dem Zweck meiner Schrift ſchien es geeigneter, nur die leitenden Ideen zu entwickeln, daran zu erinnern, wie die Naturwelt, in verſchiedenen Zeitepochen und bei verſchiedenen Volksſtämmen, ſo ganz anders auf die Gedanken- und Empfindungswelt eingewirkt hat, wie in einem Zuſtande allgemeiner Kultur das ernſte Wiſſen und die zarteren Anregungen der Phantaſie ſich gegenſeitig zu durchdringen ſtreben. Um die Natur in ihrer ganzen erhabenen Größe zu ſchildern, darf man nicht bei den äußeren Erſcheinungen allein verweilen; die Natur muß auch dargeſtellt werden, wie ſie ſich im Innern des Menſchen abſpiegelt, wie ſie durch dieſen Reflex bald das Nebelland phyſiſcher Mythen mit anmuthigen Geſtalten füllt, bald den edlen Keim darſtellender Kunſtthätigkeit entfaltet. Auf die hier bezeichneten Anregungsmittel zum wiſſenſchaftlichen Naturſtudium laſſe ich die Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung folgen. Es iſt dieſelbe, wie ich ſie auffaſſe, die Geſchichte der Erkenntniß eines Naturganzen, gleichſam die Geſchichte des Gedankens von der Einheit der Erſcheinungen und von dem Zuſammenhange der Kräfte im Weltall. Sie darf in ihrer Behandlungsweiſe nicht verwechſelt werden mit der Geſchichte der ſpeciellen Naturwiſſenſchaften, wie ſie mehrere unſerer vorzüglichſten Lehrbücher der Phyſik, oder der Morphologie der Pflanzen und Thiere liefern. Die Geſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung unterſcheidet: das ſelbſtändige Streben der Vernunft nach Erkenntniß von Naturgeſetzen, d. h. die denkende Betrachtung der Naturerſcheinungen ſelbſt; die Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beobachtung erweitert haben; die Erfindung neuer Mittel ſinnlicher Wahrnehmung, gleichſam die Erfindung neuer Organe, welche den Menſchen mit den irdiſchen Gegenſtänden, wie mit den fernſten Welträumen, in näheren Verkehr bringen. Dieſer dreifache Geſichtspunkt hat mich geleitet, um die Hauptepochen (Hauptmomente) zu beſtimmen, welche die Geſchichte der Lehre vom Kosmos zu durchlaufen hat. Die geſchichtliche Erkenntniß der allmäligen Erweiterung des Naturwiſſens in beiden Sphären, der Erd- und Himmelskunde, iſt an beſtimmte Perioden, an gewiſſe räumlich und intellektuell wirkende Ereigniſſe gebunden, die jenen Perioden Eigenthümlichkeit und Färbung verleihen. Solche Ereigniſſe waren die Unternehmungen, welche in den Pontus führten und jenſeits des Phaſis ein anderes Seeufer ahnen ließen; die Expeditionen nach tropiſchen Gold- und Weihrauchländern; die Durchſchiffung der weſtlichen Meerenge und Eröffnung der großen maritimen Völkerſtraße, auf der in langen Zeitabſtänden Cerne und die Heſperiden, die nördlichen Zinn- und Bernſteininſeln, die vulkaniſchen Azoren und der neue Kontinent des Columbus, ſüdlich von den alten ſkandinaviſchen Anſiedelungen, entdeckt wurden. Auf die Bewegungen, welche aus dem Becken des Mittelmeeres und dem nördlichen Ende des nahen arabiſchen Meerbuſens ausgingen, auf die Pontus- und Ophirfahrten folgen in meiner hiſtoriſchen Schilderung die Heerzüge des Macedoniers und ſein Verſuch, den Weſten mit dem Oſten zu verſchmelzen; die Wirkungen des indiſchen Seehandels und der alexandriniſchen Inſtitute unter den Lagiden; die Weltherrſchaft der Römer unter den Cäſaren; der folgenreiche Hang der Araber zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften, zu aſtronomiſchem, mathematiſchem und praktiſch-chemiſchem Wiſſen. Mit der Beſitznahme einer ganzen Erdhälfte, welche verhüllt lag, mit den größten Entdeckungen im Raume, welche je die Menſchen gemacht, iſt für mich die Reihe der Ereigniſſe und Begebenheiten geſchloſſen, die plötzlich den Horizont der Ideen erweitert, zum Erforſchen von phyſiſchen Geſetzen angeregt, das Streben nach dem endlichen Erfaſſen des Weltganzen belebt haben. Die Intelligenz bringt fortan Großes ohne Anregung durch Begebenheiten, als Wirkung eigener inneren Kraft, gleichzeitig nach allen Richtungen hervor. Ich habe in den vorliegenden Betrachtungen in allgemeinen Umriſſen den Inhalt des neuen Bandes meines Werkes anzudeuten geſucht. Obſchon der erſte und zweite Band des Kosmos gewiſſermaßen ein geſchloſſenes Ganze bilden, ſo hoffe ich doch, daß am ſpäteſten Abend meines Lebens es mir vergönnt ſeyn wird, einen dritten und letzten Band hinzuzufügen, welcher die „Ergebniſſe wiſſenſchaftlicher Forſchung in den ſpeciellen Theilen der phyſiſchen Weltbeſchreibung“ enthalten ſoll. Derſelbe wird das allgemeine Naturgemälde erläutern und, um den Gebrauch des ganzen Werkes bequemer zu machen, eine Inhaltsüberſicht ähnlicher Art enthalten, wie ich ſie jetzt ſchon für den erſten und zweiten Band liefere. Möge, wie bisher, Wohlwollen und, was dem Wohlwollen erſt ſeinen Werth giebt, möge die Ehre ſtrenger Prüfung der Lohn meiner Arbeitſamkeit ſeyn! Der höchſte Genuß, welchen in einer mehr als funfzigjährigen ſchriftſtelleriſchen Laufbahn das fortgeſetzte Streben nach freier Oeffentlichkeit gewähren kann, bleibt an die Hoffnung geknüpft, in Ideen und Gefühlen ſeiner Zeit nie fremd zu werden. Berlin, den 22. September 1847. Alexander v. Humboldt.“