Digitale Ausgabe

Download
TEI-XML (Ansicht)
Text (Ansicht)
Text normalisiert (Ansicht)
Ansicht
Textgröße
Originalzeilenfall ein/aus
Zeichen original/normiert
Zitierempfehlung

Alexander von Humboldt: „Alex. von Humboldt über den zweiten Theil des Kosmos“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1847-Der_zweite_Band_a-2-neu> [abgerufen am 19.04.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1847-Der_zweite_Band_a-2-neu
Die Versionsgeschichte zu diesem Text finden Sie auf github.
Titel Alex. von Humboldt über den zweiten Theil des Kosmos
Jahr 1847
Ort Berlin
Nachweis
in: Magazin für die Literatur des Auslandes 31:121 (9. Oktober 1847), S. [483–484].
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur; Spaltensatz; Auszeichnung: Sperrung; Schmuck: Absatzmarken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VI.80
Dateiname: 1847-Der_zweite_Band_a-2-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 2
Zeichenanzahl: 7839

Weitere Fassungen
Der zweite Band des Kosmos (Augsburg, 1847, Deutsch)
Alex. von Humboldt über den zweiten Theil des Kosmos (Berlin, 1847, Deutsch)
Der zweite Band des Kosmos (Weimar, 1847, Deutsch)
|483|

Alex. von Humboldt über den zweiten Theil des Kosmos.

Der Ueberblick, den der Verfaſſer des Kosmos in einem durch die „AllgemeineZeitung“, veröffentlichten Anzeige von dem zweiten (nächſtens erſcheinenden)Bande ſeines weltumfaſſenden Werkes giebt, gewährt ein ſo anziehendesReſumé und führt uns auf ſo leichte und angenehme Weiſe in die Werk-ſtätte ſeiner Wiſſenſchaft ein, daß ein Abdruck dieſer Anzeige wohl nicht blosauf die politiſchen Zeitungen beſchränkt ſeyn ſollte. Wir rechnen auf denDank unſerer Leſer, indem wir auch in unſerem Blatte dieſe gewiß von Jedemgern aufbewahrten Worte wiedergeben: „Das verſpätete Erſcheinen des zweiten Theils des Kosmos, deſſenDruck jetzt beendet iſt, darf nicht der Verlagshandlung, welche jedes Mittelder Beſchleunigung freundlichſt dargeboten hat, ſondern allein der individuellenLage des Verfaſſers und ſeinem regen Wunſche zugeſchrieben werden, einem in-haltſchweren Unternehmen den Reſt aller ſeiner Kräfte zu widmen. In demerſten Bande des Werkes ſind die Hauptreſultate der Beobachtung, wie ſie derreinen Objektivität wiſſenſchaftlicher Naturbeſchreibung angehören, eng an ein-ander gereihet, in der Form eines Naturgemäldes aufgeſtellt worden. Es um-faßt daſſelbe das Weltganze, von den fernſten Nebelflecken bis zu den kleinſtenOrganismen der irdiſchen Schöpfung. Der zweite Band des Kosmos betrach-tet den Reflex des durch die äußeren Sinne empfangenen Bildes auf das Ge-fühl und durch die dichteriſch geſtimmte Einbildungskraft. Wir treten ausdem Kreis der Objekte in den Kreis der Empfindungen. Es eröffnet ſich unseine innere Welt. Wir durchforſchen ſie, nicht um in dieſem Buche von der |484| Natur zu ergründen — wie es von der Philoſophie der Kunſt gefordert wird— was in der Möglichkeit äſthetiſcher Wirkungen dem Weſen der Gemüths-kräfte und den mannigfaltigen Richtungen geiſtiger Thätigkeit zukommt, ſon-dern um die Quellen lebendiger Anſchauung, als Mittel jener Erhöhung einesreinen Naturgefühls, zu ſchildern; um den Urſachen nachzuſpüren, welche be-ſonders in der neueren Zeit durch Belebung der Einbildungskraft ſo mächtigauf die Liebe zum Naturſtudium und auf den Hang zu fernen Reiſen gewirkthaben. Die Anregungsmittel ſelbſt ſind von dreierlei Art: äſthetiſche Behand-lung von Naturſcenen in belebten Schilderungen der Thier- und Pflanzenwelt,ein ſehr moderner Zweig der Litteratur; Landſchaftsmalerei, beſonders, inſo-fern ſie angefangen hat, die Phyſiognomie der Gewächſe aufzufaſſen; mehrverbreitete Kultur der Tropengewächſe und kontraſtirende Zuſammenſtellungexotiſcher Formen. Jedes der hier bezeichneten Anregungsmittel hätte, ſchonſeiner hiſtoriſchen Beziehungen wegen, der Gegenſtand vielumfaſſender Erörte-rung werden können; aber nach dem Geiſte und dem Zweck meiner Schriftſchien es geeigneter, nur die leitenden Ideen zu entwickeln, daran zu erinnern,wie die Naturwelt, in verſchiedenen Zeitepochen und bei verſchiedenen Volks-ſtämmen, ſo ganz anders auf die Gedanken- und Empfindungswelt eingewirkthat, wie in einem Zuſtande allgemeiner Kultur das ernſte Wiſſen und die zar-teren Anregungen der Phantaſie ſich gegenſeitig zu durchdringen ſtreben. Umdie Natur in ihrer ganzen erhabenen Größe zu ſchildern, darf man nicht beiden äußeren Erſcheinungen allein verweilen; die Natur muß auch dargeſtelltwerden, wie ſie ſich im Innern des Menſchen abſpiegelt, wie ſie durch dieſenReflex bald das Nebelland phyſiſcher Mythen mit anmuthigen Geſtalten füllt,bald den edlen Keim darſtellender Kunſtthätigkeit entfaltet. Auf die hier be-zeichneten Anregungsmittel zum wiſſenſchaftlichen Naturſtudium laſſe ich dieGeſchichte der phyſiſchen Weltanſchauung folgen. Es iſt dieſelbe, wie ich ſieauffaſſe, die Geſchichte der Erkenntniß eines Naturganzen, gleichſam die Ge-ſchichte des Gedankens von der Einheit der Erſcheinungen und von dem Zu-ſammenhange der Kräfte im Weltall. Sie darf in ihrer Behandlungsweiſenicht verwechſelt werden mit der Geſchichte der ſpeciellen Naturwiſſenſchaften,wie ſie mehrere unſerer vorzüglichſten Lehrbücher der Phyſik, oder der Morpho-logie der Pflanzen und Thiere liefern. Die Geſchichte der phyſiſchen Welt-anſchauung unterſcheidet: das ſelbſtändige Streben der Vernunft nach Er-kenntniß von Naturgeſetzen, d. h. die denkende Betrachtung der Naturerſchei-nungen ſelbſt; die Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beob-achtung erweitert haben; die Erfindung neuer Mittel ſinnlicher Wahrnehmung,gleichſam die Erfindung neuer Organe, welche den Menſchen mit den irdiſchenGegenſtänden, wie mit den fernſten Welträumen, in näheren Verkehr bringen.Dieſer dreifache Geſichtspunkt hat mich geleitet, um die Hauptepochen (Haupt-momente) zu beſtimmen, welche die Geſchichte der Lehre vom Kosmos zu durch-laufen hat. Die geſchichtliche Erkenntniß der allmäligen Erweiterung des Na-turwiſſens in beiden Sphären, der Erd- und Himmelskunde, iſt an beſtimmtePerioden, an gewiſſe räumlich und intellektuell wirkende Ereigniſſe gebunden,die jenen Perioden Eigenthümlichkeit und Färbung verleihen. Solche Ereig-niſſe waren die Unternehmungen, welche in den Pontus führten und jenſeitsdes Phaſis ein anderes Seeufer ahnen ließen; die Expeditionen nach tropi-ſchen Gold- und Weihrauchländern; die Durchſchiffung der weſtlichen Meer-enge und Eröffnung der großen maritimen Völkerſtraße, auf der in langenZeitabſtänden Cerne und die Heſperiden, die nördlichen Zinn- und Bern-ſteininſeln, die vulkaniſchen Azoren und der neue Kontinent des Columbus,ſüdlich von den alten ſkandinaviſchen Anſiedelungen, entdeckt wurden. Auf dieBewegungen, welche aus dem Becken des Mittelmeeres und dem nördlichenEnde des nahen arabiſchen Meerbuſens ausgingen, auf die Pontus- undOphirfahrten folgen in meiner hiſtoriſchen Schilderung die Heerzüge desMacedoniers und ſein Verſuch, den Weſten mit dem Oſten zu verſchmelzen;die Wirkungen des indiſchen Seehandels und der alexandriniſchen Inſtituteunter den Lagiden; die Weltherrſchaft der Römer unter den Cäſaren; derfolgenreiche Hang der Araber zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften,zu aſtronomiſchem, mathematiſchem und praktiſch-chemiſchem Wiſſen. Mit derBeſitznahme einer ganzen Erdhälfte, welche verhüllt lag, mit den größten Ent-deckungen im Raume, welche je die Menſchen gemacht, iſt für mich die Reihe derEreigniſſe und Begebenheiten geſchloſſen, die plötzlich den Horizont der Ideen er-weitert, zum Erforſchen von phyſiſchen Geſetzen angeregt, das Streben nach demendlichen Erfaſſen des Weltganzen belebt haben. Die Intelligenz bringt fortanGroßes ohne Anregung durch Begebenheiten, als Wirkung eigener innerenKraft, gleichzeitig nach allen Richtungen hervor. Ich habe in den vorliegen-den Betrachtungen in allgemeinen Umriſſen den Inhalt des neuen Bandesmeines Werkes anzudeuten geſucht. Obſchon der erſte und zweite Band desKosmos gewiſſermaßen ein geſchloſſenes Ganze bilden, ſo hoffe ich doch, daßam ſpäteſten Abend meines Lebens es mir vergönnt ſeyn wird, einen drittenund letzten Band hinzuzufügen, welcher die „Ergebniſſe wiſſenſchaftlicherForſchung in den ſpeciellen Theilen der phyſiſchen Weltbeſchreibung“ enthaltenſoll. Derſelbe wird das allgemeine Naturgemälde erläutern und, um denGebrauch des ganzen Werkes bequemer zu machen, eine Inhaltsüberſicht ähn-licher Art enthalten, wie ich ſie jetzt ſchon für den erſten und zweiten Bandliefere. Möge, wie bisher, Wohlwollen und, was dem Wohlwollen erſt ſeinenWerth giebt, möge die Ehre ſtrenger Prüfung der Lohn meiner Arbeitſam-keit ſeyn! Der höchſte Genuß, welchen in einer mehr als funfzigjährigenſchriftſtelleriſchen Laufbahn das fortgeſetzte Streben nach freier Oeffentlichkeitgewähren kann, bleibt an die Hoffnung geknüpft, in Ideen und Gefühlen ſeinerZeit nie fremd zu werden.

Alexander v. Humboldt.