1853. Erdbeben. Welch ein Schmerz durchwühlt dich, Mutter Erde, Daß du schüttelst dich mit Zorngebehrde, Daß du stöhnest und in schreckenvollen Donnertönen läßt den Unmuth rollen? Brennt im Busen dir so ungeheuer Wüsten Aufruhrs nie besänftigt Feuer? Aber weh' uns, die wir, Friedensgäste, Arglos trauten deiner sichern Veste. Blüh'ndes Antlitz hat das Herz betrogen; Weh', nun bebst du, wie von Sturm durchflogen! Weh' dem Menschen, der sein Haus gegründet, Und der Meerfluth gleich dich falsch erfindet! H. Kletke. Erdbeben, Erderschütterungen zeichnen sich aus durch schnell auf einander folgende senkrechte, oder horizontale, oder rotatorische Schwingungen. Bei der nicht unbeträchtlichen Zahl derselben, die ich in beiden Welttheilen, auf dem festen Lande und zur See erlebt, haben die zwei ersten Arten der Bewegung mir sehr oft gleichzeitig geschienen. Die minenartige Explosion, senkrechte Wirkung von unten nach oben, hat sich am auffallendsten bei dem Umsturze der Stadt Riobamba (1797) gezeigt, wo viele Leichname der Einwohner auf den mehrere hundert Fuß hohen Hügel la Cullca, jenseits des Flüßchens von Lican, geschleudert wurden. Die Fortpflanzung geschieht meist in lineärer Richtung wellenförmig, mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 7 geographischen Meilen in der Minute; theils in Erschütterungskreisen oder großen Ellipsen, in denen wie aus einem Centrum die Schwingungen sich mit abnehmender Stärke gegen den Umfang fortpflanzen. Es giebt Gegenden, die zu zwei sich schneidenden Erschütterungskreisen gehören. Im nördlichen Asien habe ich den südlichen metallreichen Theil des Altai-Gebirges unter dem zwiefachen Einflusse der Erschütterungs-Heerde vom Baikal-See und von den Vulkanen des Himmelsgebirges (Thian-schan) gefunden. Wenn die Erschütterungskreise sich durchschneiden, wenn z. B. eine Hochebene zwischen zwei gleichzeitig in Ausbruch begriffenen Vulkanen liegt, so können mehrere Wellensysteme gleichzeitig existiren und, wie in den Flüssigkeiten sich gegenseitig nicht stören. Die Größe der fortgepflanzten Erschütterungswellen wird an der Oberfläche der Erde nach dem allgemeinen Gesetze der Mechanik vermehrt, nach welchem bei der Mittheilung der Bewegung in elastischen Körpern die letzte, auf einer Seite frei liegende Schicht sich zu trennen strebt. In der Stadt Quito, die am Fuß eines noch thätigen Vulkans (des Rucu-Pichincha) 8950 Fuß über der Meeresfläche liegt, und schöne Kuppeln, hohe Kirchengewölbe und massive Häuser von mehreren Stockwerken aufzuweisen hat, bin ich oft über die Heftigkeit nächtlicher Erdstöße in Verwunderung gerathen, welche so selten Risse in dem Gemäuer verursachen, während in den peruanischen Ebnen viel schwächer scheinende Oscillationen niedrigen Rohrhäusern schaden. Eingeborne, die viele hundert Erdbeben erlebt haben, glauben, daß der Unterschied weniger in der Länge oder Kürze der Wellen, in der Langsamkeit oder Schnelligkeit der horizontalen Schwingung, als in der Gleichmäßigkeit der Bewegung in entgegengesetzter Richtung liege. Die kreisenden (rotatorischen) Erschütterungen sind die seltensten, aber am meisten gefahrbringend. Umwenden von Gemäuer ohne Umsturz, Krümmung von vorher parallelen Baumpflanzungen, Verdrehung von Aeckern, die mit verschiedenen Getreidearten bedeckt waren, sind bei dem großen Erdbeben von Riobamba, in der Provinz Quito (4. Februar 1797), wie bei dem von Calabrien (5. Februar -- 28. März 1783) beobachtet worden. Mit dem letzteren Phänomen des Verdrehens oder Verschiebens der Aecker und Culturstücke, von welchen gleichsam eines den Platz des andern angenommen, hängt eine translatorische Bewegung oder Durchdringung einzelner Erdschichten zusammen. Als ich den Plan der zerstörten Stadt Riobamba aufnahm, zeigte man mir die Stelle, wo das ganze Hausgeräth einer Wohnung unter den Ruinen einer anderen gefunden worden war. Das lockere Erdreich hatte sich wie eine Flüssigkeit in Strömen bewegt, von denen man annehmen muß, daß sie erst niederwärts, dann horizontal und zuletzt wieder aufwärts gerichtet waren. In Ländern, wo die Erdstöße vergleichungsweise seltener sind (z. B. im südlichen Europa), hat sich der sehr allgemeine Glaube gebildet, daß Windstille, drückende Hitze, ein dunstiger Horizont immer Vorboten der Erscheinung seien. Das Irrthümliche dieses Volksglaubens ist aber nicht blos durch meine eigene Erfahrung widerlegt; es ist es auch durch das Resultat der Beobachtungen aller derer, welche viele Jahre in Gegenden gelebt haben, wo, wie in Cumana, Quito, Peru und Chili, der Boden häufig und gewaltsam erbebt. Ich habe Erdstöße gefühlt bei heiterer Luft und frischem Ostwinde, wie bei Regen und Donnerwetter. Auch die Regelmäßigkeit der stündlichen Veränderungen in der Abweichung der Magnetnadel und im Luftdrucke blieb zwischen den Wendekreisen an dem Tage der Erdstöße ungestört. Damit stimmen die Beobachtungen überein, welche Adolph Erman in der gemäßigten Zone bei einem Erdbeben in Irkutsk nahe am Baikal-See (8. März 1829) anstellte. Durch den starken Erdstoß von Cumana (4. November 1799) fand ich zwar Abweichung und Intensität der magnetischen Kraft gleich unverändert, aber die Neigung der Nadel war zu meinem Erstaunen um 48' gemindert. Wenn im allgemeinen was tief in dem Erdkörper vorgeht, durch keinen meteorologischen Prozeß, durch keinen besonderen Anblick des Himmelsgewölbes vorher verkündigt wird; so ist es dagegen, nicht unwahrscheinlich, daß in gewissen sehr heftigen Erderschütterungen der Atmosphäre etwas mitgetheilt werde, und daß daher diese nicht immer rein dynamisch wirken. Während des langen Erzitterns des Bodens in den piemontesischen Thälern von Pelis und Clusson wurden bei gewitterlosem Himmel die größten Veränderungen in der electrischen Spannung des Luftkreises bemerkt. Die Stärke des dumpfen Getöses, welches das Erdbeben größtentheils begleitet, wächst keineswegs in gleichem Maße, als die Stärke der Oscillationen. Ich habe genau ergründet, daß der große Stoß im Erdbeben von Riobamba (4. Februar 1797) -- einem der furchtbarsten Phänomene der physischen Geschichte unseres Erdkörpers -- von gar keinem Getöse begleitet war. Das ungeheure Getöse, welches unter dem Boden der Städte Quito und Ibarra, nicht aber dem Centrum der Bewegung näher in Tacunga und Hambato, vernommen wurde, entstand 18--20 Minuten nach der eigentlichen Katastrophe. Bei dem berühmten Erdbeben von Lima und Callao (28. October 1746) hörte man das Getöse wie einen unterirdischen Donnerschlag in Truxillo auch erst 1/4 Stunde später und ohne Erzittern des Bodens. Eben so wurden lange nach dem großen von Boussingault beschriebenen Erdbeben von Neu-Granada (16. November 1827) im ganzen Cauca-Thale, ohne alle Bewegung, von 30 zu 30 Secunden mit großer Regelmäßigkeit unterirdische Detonationen gehört. Auch die Natur des Getöses ist sehr verschieden: rollend, rasselnd, klirrend wie bewegte Ketten, ja in der Stadt Quito bisweilen abgesetzt wie ein naher Donner; oder hell klingend, als würden Obsidian- oder andre verglaste Massen in unterirdischen Höhlungen zerschlagen. Da feste Körper vortreffliche Leiter des Schalles sind, dieser z. B. in gebranntem Thon 10 bis 12mal schneller sich fortpflanzt als in der Luft, so kann das unterirdische Getöse in großer Ferne von dem Orte vernommen werden, wo es verursacht wird. In Caracas, in den Grasfluren von Calabozo und an den Ufern des Rio Apure, welcher in den Orinoco fällt, in einer Landstrecke von 2300 Quadratmeilen, hörte man überall am 30. April, 1812, ohne alles Erdbeben, ein ungeheures donnerartiges Getöse, als 158 Meilen davon, in Nordosten, der Vulkan von St. Vincent in den kleinen Antillen aus seinem Krater einen mächtigen Lavastrom ergoß. Es war also der Entfernung nach, als wenn man einen Ausbruch des Vesuvs im nördlichen Frankreich vernähme. Im Jahr 1744, bei dem großen Ausbruch des Vulkans Cotopaxi, hörte man in Honda am Magdalenen-Strome unterirdischen Kanonendonner. Der Krater des Cotopaxi liegt aber nicht bloß 17,000 Fuß höher als Honda; beide Punkte sind auch durch die colossalen Gebirgsmassen von Quito, Pasto und Popayan, wie durch zahllose Thäler und Klüfte, in 109 Meilen Entfernung getrennt. Der Schall ward bestimmt nicht durch die Luft, sondern durch die Erde aus großer Tiefe fortgepflanzt. Bei dem heftigen Erdbeben von Neu-Granada (Februar 1835) hörte man unterirdischen Donner gleichzeitig in Popayan, Bogota, Santa Marta und Caracas (hier 7 Stunden lang ohne alle Erschütterung) in Haiti, Jamaica und um den See von Nicaragua. Diese Schall-Phänomene, wenn sie von gar keinen fühlbaren Erschütterungen (Erdstößen) begleitet sind, lassen einen besonders tiefen Eindruck selbst bei denen, die schon lange einen oft erbebenden Boden bewohnt haben. Man harrt mit Bangigkeit auf das, was nach dem unterirdischen Krachen folgen wird. Das auffallendste, mit nichts vergleichbare Beispiel von ununterbrochenem unterirdischem Getöse, ohne alle Spur von Erdbeben, bietet die Erscheinung dar, welche auf dem mexicanischen Hochlande unter dem Namen des Gebrülles und unterirdischen Donners von Guanaxuato bekannt ist. Diese berühmte und reiche Bergstadt liegt fern von allen thätigen Vulkanen. Das Getöse dauerte seit Mitternacht den 9. Januar 1784 über einen Monat. Es war (vom 13. -- 16. Januar), als lägen unter den Füßen der Einwohner schwere Gewitterwolken, in denen langsam rollender Donner mit kurzen Donnerschlägen abwechselte. Das Getöse verzog sich wie es gekommen war, mit abnehmender Stärke. Es fand sich auf einen kleinen Raum beschränkt; wenige Meilen davon, in einer basaltreichen Landstrecke, vernahm man es gar nicht. Fast alle Einwohner verließen vor Schrecken die Stadt, in der große Massen Silberbarren angehäuft waren; die muthigeren, an den unterirdischen Donner gewöhnt, kehrten zurück und kämpften mit der Räuberbande, die sich der Schätze bemächtigt hatte. Weder an der Oberfläche der Erde, noch in den 1500 Fuß tiefen Gruben war irgend ein leises Erdbeben bemerkbar. In dem ganzen mexicanischen Hochlande ist nie vorher ein ähnliches Getöse vernommen worden, auch hat in der folgenden Zeit die furchtbare Erscheinung sich nicht wiederholt. So öffnen und schließen sich Klüfte im Innern der Erde; die Schallwellen gelangen zu uns oder werden in ihrer Fortpflanzung gehindert. Die Wirkung eines feuerspeienden Berges, so furchtbar malerisch auch das Bild ist, welches sie den Sinnen darbietet, ist doch nur immer auf einen sehr kleinen Raum eingeschränkt. Ganz anders ist es mit den Erdstößen, die, dem Auge kaum bemerkbar, bisweilen gleichzeitig in tausend Meilen Entfernung ihre Wellen fortpflanzen. Das große Erdbeben, welches am 1. November 1755 Lissabon zerstörte und dessen Wirkungen der große Weltweise Immanuel Kant so trefflich nachgespürt hat, wurde in den Alpen, an den schwedischen Küsten, in den antillischen Inseln (Antigua, Barbados und Martinique), in den großen Seen von Canada, wie in Thüringen und in dem nördlichen Flachlande von Deutschland in kleinen Binnenwassern der baltischen Ebenen, empfunden. Ferne Quellen wurden in ihrem Lauf unterbrochen, eine Erscheinung bei Erdstößen, auf die im Alterthume schon Demetrius der Kallatianer aufmerksam gemacht hatte. Die Teplitzer Thermen versiegten und kamen, alles überschwemmend, mit vielem Eisen-Ocher gefärbt, zurück. In Cadix erhob sich das Meer zu 60 Fuß Höhe, während in den kleinen Antillen die, gewöhnlich nur 26 bis 28 Zoll hohe Fluth urplötzlich dintenschwarz 20 Fuß hoch stieg. Man hat berechnet, daß am 1. November 1755 ein Erdraum gleichzeitig erbebte, welcher an Größe viermal die Oberfläche von Europa übertraf. Auch ist noch keine andere Aeußerung einer Kraft bekannt geworden (die mörderischen Erfindungen unsres eignen Geschlechts mit eingerechnet), durch welche in dem kurzen Zeitraum von wenigen Secunden oder Minuten eine größere Zahl von Menschen (sechzigtausend in Sicilien 1693, dreißig- bis vierzigtausend im Erdbeben von Riobamba 1797, vielleicht fünfmal so viel in Kleinasien und Syrien unter Tiber und Justin dem Aelteren um die Jahre 19 und 526) getödtet wurden. Man hat Beispiele in der Andeskette von Südamerika, daß die Erde mehrere Tage hintereinander ununterbrochen erbebte; Erschütterungen aber, die fast zu jeder Stunde Monate lang gefühlt wurden, kenne ich nur fern von allen Vulkanen, am östlichen Abfall der Alpenkette des Mont Cenis bei Fenestrelles und Pignerol seit April 1808; in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zwischen Neu-Madrid und Little Prairie (nördlich von Cincinnati) im December 1811 wie den ganzen Winter 1812; im Paschalik von Aleppo in den Monaten August und September 1822. Da der Volksglaube immer große Erscheinungen lokalen Erd- und Luftprozessen zuschreibt, so entsteht überall, wo die Erschütterungen lange dauern, die Besorgniß vor dem Ausbrechen eines neuen Vulkans. In einzelnen, seltenen Fällen hat sich allerdings diese Besorgniß begründet gezeigt; so bei plötzlicher Erhebung vulkanischer Eilande, so in der Entstehung des Vulkans von Jorullo (eines neuen Berges von 1580 Fuß Höhe über der alten benachbarten Ebene) am 29. September 1759, nach 90 Tagen Erdbebens und unterirdischen Donners. Wenn man Nachricht von dem täglichen Zustande der gesammten Erdoberfläche haben könnte, so würde man sich sehr wahrscheinlich davon überzeugen, daß fast immerdar, an irgend einem Punkte, diese Oberfläche erbebt, daß sie ununterbrochen der Reaction des Innern gegen das Aeußere unterworfen ist. Diese Frequenz und Allverbreitung einer Erscheinung, die wahrscheinlich durch die erhöhte Temperatur der tiefsten geschmolzenen Schichten begründet wird, erklärt ihre Unabhängigkeit von der Natur der Gebirgsarten, in denen sie sich äußert. Selbst in den lockersten Alluvialschichten von Holland, um Middelburg und Vliessingen, sind (23. Februar 1828) Erdstöße empfunden worden. Granit und Glimmerschiefer werden wie Flötzkalk und Sandstein, wie Trachyt und Mandelstein erschüttert. Es ist nicht die chemische Natur der Bestandtheile, sondern die mechanische Struktur der Gebirgsarten, welche die Fortpflanzung der Bewegung (die Erschütterungs-Welle) modificirt. Wo letztere längs einer Küste oder an dem Fuß und in der Richtung einer Gebirgskette regelmäßig fortläuft, bemerkt man bisweilen, und dies seit Jahrhunderten, eine Unterbrechung an gewissen Punkten. Die Undulation schreitet in der Tiefe fort, wird aber an jenen Punkten an der Oberfläche nie gefühlt. Die Peruaner sagen von diesen unbewegten oberen Schichten, "daß sie eine Brücke bilden." Da die Gebirgsketten auf Spalten erhoben scheinen, so mögen die Wände dieser Höhlungen die Richtung der den Ketten parallelen Undulationen begünstigen; bisweilen durchschneiden aber auch die Erschütterungswellen mehrere Ketten fast senkrecht. So sehen wir sie in Südamerika die Küsten-Kette von Venezuela und die Sierra Parime gleichzeitig durchbrechen. In Asien haben sich die Erdstöße von Lahore und vom Fuß des Himalaya (22. Januar 1832), quer durch die Kette des Hindou-Kho, bis Badakschan, bis zum Oberen Oxus, ja bis Bokhara fortgepflanzt. Leider erweitern sich auch die Erschütterungskreise in Folge eines einzigen sehr heftigen Erdbebens. Erst seit der Zerstörung von Cumana (14. December 1797) empfindet die, den Kalkhügeln der Festung gegenüberliegende Halbinsel Maniquarez in ihren Glimmerschieferfelsen jeden Erdstoß der südlichen Küste. Bei den fast ununterbrochenen Undulationen des Bodens in den Flußthälern des Mississippi, des Arkansaw und des Ohio von 1811 bis 1813 war das Fortschreiten von Süden nach Norden sehr auffallend. Es ist, als würden unterirdische Hindernisse allmählig überwunden; und auf dem einmal geöffneten Wege pflanzt sich dann die Wellenbewegung jedesmal fort. Wenn das Erdbeben dem ersten Anscheine nach ein bloßes dynamisches, räumliches Phänomen der Bewegung zu sein scheint, so erkennt man doch nach sehr wahrhaft bezeugten Erfahrungen, daß es nicht bloß ganze Landstrecken über ihr altes Niveau zu erheben vermag (z. B. Ulla-Bund nach dem Erdbeben von Cutsch im Juni 1819, östlich von dem Delta des Indus, oder längs der Küste von Chili im November 1822); sondern daß auch während der Erdstöße heißes Wasser (bei Catania 1818), heiße Dämpfe (im Mississippi-Thale bei Neu-Madrid 1812), Mofetten (irrespirable Gasarten), den weidenden Heerden in der Andeskette schädlich, Schlamm, schwarzer Rauch, und selbst Flammen (bei Messina 1783, bei Cumana am 14. November 1797) ausgestoßen wurden. Während des großen Erdbebens von Lissabon am 1. November 1755 sah man nahe bei der Hauptstadt Flammen und eine Rauchsäule aus einer neugebildeten Spalte des Felsen von Alvidras aufsteigen. Der Rauch war jedesmal um so dicker, als das unterirdische Getöse an Stärke zunahm. Bei der Zerstörung von Riobamba im Jahr 1797, wo die Erdstöße von keinem Ausbruch der sehr nahen Vulkane begleitet waren, wurde die Moya, eine sonderbare, mit Kohle, Augit-Krystallen und Kieselpanzern der Infusionsthiere gemengte Masse, in zahlreichen kleinen fortschreitenden Kegeln aus der Erde hervorgehoben. Der Ausbruch des kohlensauren Gases aus Spalten während des Erdbebens von Neu-Granada (16. November 1827) im Magdalena-Thale verursachte das Ersticken vieler Schlangen, Ratten und anderer in Höhlen lebenden Thiere. Auch plötzliche Veränderungen der Witterung, plötzliches Eintreten der Regenzeit zu einer unter den Tropen ungewöhnlichen Epoche sind bisweilen in Quito und Peru auf große Erdbeben gefolgt. Werden gasförmige, aus dem Innern der Erde aufsteigende Flüssigkeiten der Atmosphäre beigemischt? oder sind diese meteorologischen Prozesse die Wirkung einer durch das Erdbeben gestörten Luftelektricität? In den Gegenden des tropischen Amerika, wo bisweilen in zehn Monaten kein Tropfen Regen fällt, halten die Eingebornen sich oft wiederholende Erdstöße, die den niedrigen Rohrhütten keine Gefahr bringen, für glückliche Vorboten der Fruchtbarkeit und der Regenmenge. Der innere Zusammenhang aller hier geschilderten Erscheinungen ist noch in Dunkel gehüllt. Elastische Flüssigkeiten sind es gewiß, die sowohl das leise, ganz unschädliche, mehrere Tage dauernde Zittern der Erdrinde (wie 1816 zu Scaccia in Sicilien vor der vulkanischen Erhebung der neuen Insel Julia) als die, sich durch Getöse verkündigenden, furchtbareren Explosionen verursachen. Der Heerd des Uebels, der Sitz der bewegenden Kraft liegt tief unter der Erdrinde; wie tief, wissen wir eben so wenig, als welches die chemische Natur so hochgespannter Dämpfe sei. An zwei Kraterrändern gelagert, am Vesuv und auf dem thurmartigen Fels, welcher den ungeheuren Schlund des Pichincha bei Quito überragt, habe ich periodisch und sehr regelmäßig Erdstöße empfunden, jedesmal 20--30 Secunden früher als brennende Schlacken oder Dämpfe ausgestoßen wurden. Die Erschütterung war um so stärker, als die Explosionen später eintraten und also die Dämpfe länger angehäuft blieben. In dieser einfachen, von so vielen Reisenden bestätigten Erfahrung liegt die allgemeine Lösung des Phänomens. Die thätigen Vulkane sind als Schutz- und Sicherheits-Ventile für die nächste Umgegend zu betrachten. Die Gefahr des Erdbebens wächst, wenn die Oeffnungen der Vulkane verstopft, ohne freien Verkehr mit der Atmosphäre sind; doch lehrt der Umsturz von Lissabon, Caracas, Lima, Caschmir (1554), und so vieler Städte von Calabrien, Syrien und Kleinasien, daß im Ganzen doch nicht in der Nähe noch brennender Vulkane die Kraft der Erdstöße am größten ist. Wie die gehemmte Thätigkeit der Vulkane auf die Erschütterung des Bodens wirkt, so reagirt diese wiederum auf die vulkanischen Erscheinungen selbst. Eröffnung von Spalten begünstigt das Aufsteigen der Eruptionskegel und die Prozesse, welche in diesen Kegeln in freiem Contact mit dem Luftkreise vorgehen. Eine Rauchsäule, die man Monate lang in Südamerika aus dem Vulkan von Pasto aufsteigen sah, verschwand plötzlich, als 48 Meilen weit in Süden (am 4. Februar 1797) die Provinz Quito das große Erdbeben von Riobamba erlitt. Nachdem lange in ganz Syrien, in den Cykladen und in Euböa der Boden erbebt hatte, hörten die Erschütterungen plötzlich auf, als sich in der lelantischen Ebene bei Chalcis ein Strom "glühenden Schlammes (Lava aus einer Spalte) ergoß. Strabo, der uns diese Nachricht aufbewahrt, setzt hinzu: "seitdem die Mündungen des Aetna geöffnet sind, durch welche das Feuer emporbläst, und seitdem Glühmassen und Wasser hervorstürzen können, wird das Land am Meeresstrande nicht mehr so oft erschüttert, als zu der Zeit, wo, vor der Trennung Siciliens von Unteritalien, alle Ausgänge in der Oberfläche verstopft waren." In dem Erdbeben offenbart sich demnach eine vulkanisch-vermittelnde Macht; aber eine solche Macht, allverbreitet wie die innere Wärme des Planeten, und überall sich selbst verkündend, wird selten und dann nur an einzelnen Punkten bis zu wirklichen Ausbruchs-Phänomenen gesteigert. Die Gangbildung, d. h. die Ausfüllung der Spalten mit krystallinischen aus dem Innern hervorquellenden Massen (Basalt, Melaphyr und Grünstein), stört allmählig die freie Communication der Dämpfe. Durch Spannung wirken diese dann auf dreierlei Weise: erschütternd; oder plötzlich, d. i. ruckweise, hebend; oder, wie zuerst in einem großen Theil von Schweden beobachtet worden ist, ununterbrochen, und nur in langen Perioden bemerkbar, das Niveau-Verhältniß von Meer und Land umändernd. Ehe wir diese große Erscheinung verlassen, die hier nicht sowohl in ihren Einzelheiten, als in ihren allgemeinen physikalischen und geognostischen Verhältnissen betrachtet worden ist, müssen wir noch die Ursache des unaussprechlich tiefen und ganz eigenthümlichen Eindrucks berühren, welchen das erste Erdbeben, das wir empfinden, sei es auch von keinem unterirdischen Getöse begleitet, in uns zurückläßt. Ein solcher Eindruck, glaube ich, ist nicht Folge der Erinnerung an die Schreckensbilder der Zerstörung, welche unsrer Einbildungskraft aus Erzählungen historischer Vergangenheit vorschweben. Was uns so wundersam ergreift, ist die Enttäuschung von dem angeborenen Glauben an die Ruhe und Unbeweglichkeit des Starren, der festen Erdschichten. Von früher Kindheit sind wir an den Contrast zwischen dem beweglichen Element des Wassers und der Unbeweglichkeit des Bodens gewöhnt, auf dem wir stehen. Alle Zeugnisse unsrer Sinne haben diesen Glauben befestigt. Wenn nun urplötzlich der Boden erbebt, so tritt geheimnißvoll eine unbekannte Naturmacht als das Starre bewegend, als etwas Handelndes auf. Ein Augenblick vernichtet die Illusion des ganzen früheren Lebens. Enttäuscht sind wir über die Ruhe der Natur; wir fühlen uns in den Bereich zerstörender unbekannter Kräfte versetzt. Jeder Schall, die leiseste Regung der Lüfte spannt unsre Aufmerksamkeit. Man traut gleichsam dem Boden nicht mehr, auf den man tritt. Das Ungewöhnliche der Erscheinung bringt dieselbe ängstliche Unruhe bei Thieren hervor. Schweine und Hunde sind besonders davon ergriffen. Die Crocodile im Orinoco sonst so stumm als unsere kleinen Eidechsen, verlassen den erschütterten Boden des Flusses und laufen brüllend dem Walde zu. Dem Menschen stellt sich das Erdbeben als etwas Allgegenwärtiges, Unbegrenztes dar. Von einem thätigen Ausbruch-Krater, von einem auf unsere Wohnung gerichteten Lavastrom kann man sich entfernen; bei dem Erdbeben glaubt man sich überall, wohin auch die Flucht gerichtet sei, über dem Heerd des Verderbens. Ein solcher Zustand des Gemüths, aus unserer innersten Natur hervorgerufen, ist aber nicht von langer Dauer. Folgt in einem Lande eine Reihe von schwachen Erdstößen auf einander, so verschwindet bei den Bewohnern fast jegliche Spur der Furcht. An den regenlosen Küsten von Peru kennt man weder Hagel noch den rollenden Donner und die leuchtenden Explosionen im Luftkreise. Den Wolken-Donner ersetzt dort das unterirdische Getöse, welches die Erdstöße begleitet. Vieljährige Gewohnheit und die sehr verbreitete Meinung, als seien gefahrbringende Erschütterungen nur zwei- oder dreimal in einem Jahrhundert zu befürchten, machen, daß in Lima schwache Oscillationen des Bodens kaum mehr Aufmerksamkeit erregen, als ein Hagelwetter in der gemäßigten Zone. A. v. Humboldt.