1853. Erdbeben. Welch ein Schmerz durchwühlt dich, Mutter Erde, Daß du ſchüttelſt dich mit Zorngebehrde, Daß du ſtöhneſt und in ſchreckenvollen Donnertönen läßt den Unmuth rollen? Brennt im Buſen dir ſo ungeheuer Wüſten Aufruhrs nie beſänftigt Feuer? Aber weh’ uns, die wir, Friedensgäſte, Arglos trauten deiner ſichern Veſte. Blüh’ndes Antlitz hat das Herz betrogen; Weh’, nun bebſt du, wie von Sturm durchflogen! Weh’ dem Menſchen, der ſein Haus gegründet, Und der Meerfluth gleich dich falſch erfindet! H. Kletke. Erdbeben, Erderſchütterungen zeichnen ſich aus durch ſchnell auf einander folgende ſenkrechte, oder horizontale, oder rotatoriſche Schwingungen. Bei der nicht unbeträchtlichen Zahl derſelben, die ich in beiden Welttheilen, auf dem feſten Lande und zur See erlebt, haben die zwei erſten Arten der Bewegung mir ſehr oft gleichzeitig geſchienen. Die minenartige Exploſion, ſenkrechte Wirkung von unten nach oben, hat ſich am auffallendſten bei dem Umſturze der Stadt Riobamba (1797) gezeigt, wo viele Leichname der Einwohner auf den mehrere hundert Fuß hohen Hügel la Cullca, jenſeits des Flüßchens von Lican, geſchleudert wurden. Die Fortpflanzung geſchieht meiſt in lineärer Richtung wellenförmig, mit einer Geſchwindigkeit von 5 bis 7 geographiſchen Meilen in der Minute; theils in Erſchütterungskreiſen oder großen Ellipſen, in denen wie aus einem Centrum die Schwingungen ſich mit abnehmender Stärke gegen den Umfang fortpflanzen. Es giebt Gegenden, die zu zwei ſich ſchneidenden Erſchütterungskreiſen gehören. Im nördlichen Aſien habe ich den ſüdlichen metallreichen Theil des Altai-Gebirges unter dem zwiefachen Einfluſſe der Erſchütterungs-Heerde vom Baikal-See und von den Vulkanen des Himmelsgebirges (Thian-ſchan) gefunden. Wenn die Erſchütterungskreiſe ſich durchſchneiden, wenn z. B. eine Hochebene zwiſchen zwei gleichzeitig in Ausbruch begriffenen Vulkanen liegt, ſo können mehrere Wellenſyſteme gleichzeitig exiſtiren und, wie in den Flüſſigkeiten ſich gegenſeitig nicht ſtören. Die Größe der fortgepflanzten Erſchütterungswellen wird an der Oberfläche der Erde nach dem allgemeinen Geſetze der Mechanik vermehrt, nach welchem bei der Mittheilung der Bewegung in elaſtiſchen Körpern die letzte, auf einer Seite frei liegende Schicht ſich zu trennen ſtrebt. In der Stadt Quito, die am Fuß eines noch thätigen Vulkans (des Rucu-Pichincha) 8950 Fuß über der Meeresfläche liegt, und ſchöne Kuppeln, hohe Kirchengewölbe und maſſive Häuſer von mehreren Stockwerken aufzuweiſen hat, bin ich oft über die Heftigkeit nächtlicher Erdſtöße in Verwunderung gerathen, welche ſo ſelten Riſſe in dem Gemäuer verurſachen, während in den peruaniſchen Ebnen viel ſchwächer ſcheinende Oſcillationen niedrigen Rohrhäuſern ſchaden. Eingeborne, die viele hundert Erdbeben erlebt haben, glauben, daß der Unterſchied weniger in der Länge oder Kürze der Wellen, in der Langſamkeit oder Schnelligkeit der horizontalen Schwingung, als in der Gleichmäßigkeit der Bewegung in entgegengeſetzter Richtung liege. Die kreiſenden (rotatoriſchen) Erſchütterungen ſind die ſeltenſten, aber am meiſten gefahrbringend. Umwenden von Gemäuer ohne Umſturz, Krümmung von vorher parallelen Baumpflanzungen, Verdrehung von Aeckern, die mit verſchiedenen Getreidearten bedeckt waren, ſind bei dem großen Erdbeben von Riobamba, in der Provinz Quito (4. Februar 1797), wie bei dem von Calabrien (5. Februar — 28. März 1783) beobachtet worden. Mit dem letzteren Phänomen des Verdrehens oder Verſchiebens der Aecker und Culturſtücke, von welchen gleichſam eines den Platz des andern angenommen, hängt eine translatoriſche Bewegung oder Durchdringung einzelner Erdſchichten zuſammen. Als ich den Plan der zerſtörten Stadt Riobamba aufnahm, zeigte man mir die Stelle, wo das ganze Hausgeräth einer Wohnung unter den Ruinen einer anderen gefunden worden war. Das lockere Erdreich hatte ſich wie eine Flüſſigkeit in Strömen bewegt, von denen man annehmen muß, daß ſie erſt niederwärts, dann horizontal und zuletzt wieder aufwärts gerichtet waren. In Ländern, wo die Erdſtöße vergleichungsweiſe ſeltener ſind (z. B. im ſüdlichen Europa), hat ſich der ſehr allgemeine Glaube gebildet, daß Windſtille, drückende Hitze, ein dunſtiger Horizont immer Vorboten der Erſcheinung ſeien. Das Irrthümliche dieſes Volksglaubens iſt aber nicht blos durch meine eigene Erfahrung widerlegt; es iſt es auch durch das Reſultat der Beobachtungen aller derer, welche viele Jahre in Gegenden gelebt haben, wo, wie in Cumana, Quito, Peru und Chili, der Boden häufig und gewaltſam erbebt. Ich habe Erdſtöße gefühlt bei heiterer Luft und friſchem Oſtwinde, wie bei Regen und Donnerwetter. Auch die Regelmäßigkeit der ſtündlichen Veränderungen in der Abweichung der Magnetnadel und im Luftdrucke blieb zwiſchen den Wendekreiſen an dem Tage der Erdſtöße ungeſtört. Damit ſtimmen die Beobachtungen überein, welche Adolph Erman in der gemäßigten Zone bei einem Erdbeben in Irkutſk nahe am Baikal-See (8. März 1829) anſtellte. Durch den ſtarken Erdſtoß von Cumana (4. November 1799) fand ich zwar Abweichung und Intenſität der magnetiſchen Kraft gleich unverändert, aber die Neigung der Nadel war zu meinem Erſtaunen um 48′ gemindert. Wenn im allgemeinen was tief in dem Erdkörper vorgeht, durch keinen meteorologiſchen Prozeß, durch keinen beſonderen Anblick des Himmelsgewölbes vorher verkündigt wird; ſo iſt es dagegen, nicht unwahrſcheinlich, daß in gewiſſen ſehr heftigen Erderſchütterungen der Atmoſphäre etwas mitgetheilt werde, und daß daher dieſe nicht immer rein dynamiſch wirken. Während des langen Erzitterns des Bodens in den piemonteſiſchen Thälern von Pelis und Cluſſon wurden bei gewitterloſem Himmel die größten Veränderungen in der electriſchen Spannung des Luftkreiſes bemerkt. Die Stärke des dumpfen Getöſes, welches das Erdbeben größtentheils begleitet, wächſt keineswegs in gleichem Maße, als die Stärke der Oſcillationen. Ich habe genau ergründet, daß der große Stoß im Erdbeben von Riobamba (4. Februar 1797) — einem der furchtbarſten Phänomene der phyſiſchen Geſchichte unſeres Erdkörpers — von gar keinem Getöſe begleitet war. Das ungeheure Getöſe, welches unter dem Boden der Städte Quito und Ibarra, nicht aber dem Centrum der Bewegung näher in Tacunga und Hambato, vernommen wurde, entſtand 18—20 Minuten nach der eigentlichen Kataſtrophe. Bei dem berühmten Erdbeben von Lima und Callao (28. October 1746) hörte man das Getöſe wie einen unterirdiſchen Donnerſchlag in Truxillo auch erſt ¼ Stunde ſpäter und ohne Erzittern des Bodens. Eben ſo wurden lange nach dem großen von Bouſſingault beſchriebenen Erdbeben von Neu-Granada (16. November 1827) im ganzen Cauca-Thale, ohne alle Bewegung, von 30 zu 30 Secunden mit großer Regelmäßigkeit unterirdiſche Detonationen gehört. Auch die Natur des Getöſes iſt ſehr verſchieden: rollend, raſſelnd, klirrend wie bewegte Ketten, ja in der Stadt Quito bisweilen abgeſetzt wie ein naher Donner; oder hell klingend, als würden Obſidian- oder andre verglaſte Maſſen in unterirdiſchen Höhlungen zerſchlagen. Da feſte Körper vortreffliche Leiter des Schalles ſind, dieſer z. B. in gebranntem Thon 10 bis 12mal ſchneller ſich fortpflanzt als in der Luft, ſo kann das unterirdiſche Getöſe in großer Ferne von dem Orte vernommen werden, wo es verurſacht wird. In Caracas, in den Grasfluren von Calabozo und an den Ufern des Rio Apure, welcher in den Orinoco fällt, in einer Landſtrecke von 2300 Quadratmeilen, hörte man überall am 30. April, 1812, ohne alles Erdbeben, ein ungeheures donnerartiges Getöſe, als 158 Meilen davon, in Nordoſten, der Vulkan von St. Vincent in den kleinen Antillen aus ſeinem Krater einen mächtigen Lavaſtrom ergoß. Es war alſo der Entfernung nach, als wenn man einen Ausbruch des Veſuvs im nördlichen Frankreich vernähme. Im Jahr 1744, bei dem großen Ausbruch des Vulkans Cotopaxi, hörte man in Honda am Magdalenen-Strome unterirdiſchen Kanonendonner. Der Krater des Cotopaxi liegt aber nicht bloß 17,000 Fuß höher als Honda; beide Punkte ſind auch durch die coloſſalen Gebirgsmaſſen von Quito, Paſto und Popayan, wie durch zahlloſe Thäler und Klüfte, in 109 Meilen Entfernung getrennt. Der Schall ward beſtimmt nicht durch die Luft, ſondern durch die Erde aus großer Tiefe fortgepflanzt. Bei dem heftigen Erdbeben von Neu-Granada (Februar 1835) hörte man unterirdiſchen Donner gleichzeitig in Popayan, Bogota, Santa Marta und Caracas (hier 7 Stunden lang ohne alle Erſchütterung) in Haiti, Jamaica und um den See von Nicaragua. Dieſe Schall-Phänomene, wenn ſie von gar keinen fühlbaren Erſchütterungen (Erdſtößen) begleitet ſind, laſſen einen beſonders tiefen Eindruck ſelbſt bei denen, die ſchon lange einen oft erbebenden Boden bewohnt haben. Man harrt mit Bangigkeit auf das, was nach dem unterirdiſchen Krachen folgen wird. Das auffallendſte, mit nichts vergleichbare Beiſpiel von ununterbrochenem unterirdiſchem Getöſe, ohne alle Spur von Erdbeben, bietet die Erſcheinung dar, welche auf dem mexicaniſchen Hochlande unter dem Namen des Gebrülles und unterirdiſchen Donners von Guanaxuato bekannt iſt. Dieſe berühmte und reiche Bergſtadt liegt fern von allen thätigen Vulkanen. Das Getöſe dauerte ſeit Mitternacht den 9. Januar 1784 über einen Monat. Es war (vom 13. — 16. Januar), als lägen unter den Füßen der Einwohner ſchwere Gewitterwolken, in denen langſam rollender Donner mit kurzen Donnerſchlägen abwechſelte. Das Getöſe verzog ſich wie es gekommen war, mit abnehmender Stärke. Es fand ſich auf einen kleinen Raum beſchränkt; wenige Meilen davon, in einer baſaltreichen Landſtrecke, vernahm man es gar nicht. Faſt alle Einwohner verließen vor Schrecken die Stadt, in der große Maſſen Silberbarren angehäuft waren; die muthigeren, an den unterirdiſchen Donner gewöhnt, kehrten zurück und kämpften mit der Räuberbande, die ſich der Schätze bemächtigt hatte. Weder an der Oberfläche der Erde, noch in den 1500 Fuß tiefen Gruben war irgend ein leiſes Erdbeben bemerkbar. In dem ganzen mexicaniſchen Hochlande iſt nie vorher ein ähnliches Getöſe vernommen worden, auch hat in der folgenden Zeit die furchtbare Erſcheinung ſich nicht wiederholt. So öffnen und ſchließen ſich Klüfte im Innern der Erde; die Schallwellen gelangen zu uns oder werden in ihrer Fortpflanzung gehindert. Die Wirkung eines feuerſpeienden Berges, ſo furchtbar maleriſch auch das Bild iſt, welches ſie den Sinnen darbietet, iſt doch nur immer auf einen ſehr kleinen Raum eingeſchränkt. Ganz anders iſt es mit den Erdſtößen, die, dem Auge kaum bemerkbar, bisweilen gleichzeitig in tauſend Meilen Entfernung ihre Wellen fortpflanzen. Das große Erdbeben, welches am 1. November 1755 Liſſabon zerſtörte und deſſen Wirkungen der große Weltweiſe Immanuel Kant ſo trefflich nachgeſpürt hat, wurde in den Alpen, an den ſchwediſchen Küſten, in den antilliſchen Inſeln (Antigua, Barbados und Martinique), in den großen Seen von Canada, wie in Thüringen und in dem nördlichen Flachlande von Deutſchland in kleinen Binnenwaſſern der baltiſchen Ebenen, empfunden. Ferne Quellen wurden in ihrem Lauf unterbrochen, eine Erſcheinung bei Erdſtößen, auf die im Alterthume ſchon Demetrius der Kallatianer aufmerkſam gemacht hatte. Die Teplitzer Thermen verſiegten und kamen, alles überſchwemmend, mit vielem Eiſen-Ocher gefärbt, zurück. In Cadix erhob ſich das Meer zu 60 Fuß Höhe, während in den kleinen Antillen die, gewöhnlich nur 26 bis 28 Zoll hohe Fluth urplötzlich dintenſchwarz 20 Fuß hoch ſtieg. Man hat berechnet, daß am 1. November 1755 ein Erdraum gleichzeitig erbebte, welcher an Größe viermal die Oberfläche von Europa übertraf. Auch iſt noch keine andere Aeußerung einer Kraft bekannt geworden (die mörderiſchen Erfindungen unſres eignen Geſchlechts mit eingerechnet), durch welche in dem kurzen Zeitraum von wenigen Secunden oder Minuten eine größere Zahl von Menſchen (ſechzigtauſend in Sicilien 1693, dreißig- bis vierzigtauſend im Erdbeben von Riobamba 1797, vielleicht fünfmal ſo viel in Kleinaſien und Syrien unter Tiber und Juſtin dem Aelteren um die Jahre 19 und 526) getödtet wurden. Man hat Beiſpiele in der Andeskette von Südamerika, daß die Erde mehrere Tage hintereinander ununterbrochen erbebte; Erſchütterungen aber, die faſt zu jeder Stunde Monate lang gefühlt wurden, kenne ich nur fern von allen Vulkanen, am öſtlichen Abfall der Alpenkette des Mont Cenis bei Feneſtrelles und Pignerol ſeit April 1808; in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zwiſchen Neu-Madrid und Little Prairie (nördlich von Cincinnati) im December 1811 wie den ganzen Winter 1812; im Paſchalik von Aleppo in den Monaten Auguſt und September 1822. Da der Volksglaube immer große Erſcheinungen lokalen Erd- und Luftprozeſſen zuſchreibt, ſo entſteht überall, wo die Erſchütterungen lange dauern, die Beſorgniß vor dem Ausbrechen eines neuen Vulkans. In einzelnen, ſeltenen Fällen hat ſich allerdings dieſe Beſorgniß begründet gezeigt; ſo bei plötzlicher Erhebung vulkaniſcher Eilande, ſo in der Entſtehung des Vulkans von Jorullo (eines neuen Berges von 1580 Fuß Höhe über der alten benachbarten Ebene) am 29. September 1759, nach 90 Tagen Erdbebens und unterirdiſchen Donners. Wenn man Nachricht von dem täglichen Zuſtande der geſammten Erdoberfläche haben könnte, ſo würde man ſich ſehr wahrſcheinlich davon überzeugen, daß faſt immerdar, an irgend einem Punkte, dieſe Oberfläche erbebt, daß ſie ununterbrochen der Reaction des Innern gegen das Aeußere unterworfen iſt. Dieſe Frequenz und Allverbreitung einer Erſcheinung, die wahrſcheinlich durch die erhöhte Temperatur der tiefſten geſchmolzenen Schichten begründet wird, erklärt ihre Unabhängigkeit von der Natur der Gebirgsarten, in denen ſie ſich äußert. Selbſt in den lockerſten Alluvialſchichten von Holland, um Middelburg und Vlieſſingen, ſind (23. Februar 1828) Erdſtöße empfunden worden. Granit und Glimmerſchiefer werden wie Flötzkalk und Sandſtein, wie Trachyt und Mandelſtein erſchüttert. Es iſt nicht die chemiſche Natur der Beſtandtheile, ſondern die mechaniſche Struktur der Gebirgsarten, welche die Fortpflanzung der Bewegung (die Erſchütterungs-Welle) modificirt. Wo letztere längs einer Küſte oder an dem Fuß und in der Richtung einer Gebirgskette regelmäßig fortläuft, bemerkt man bisweilen, und dies ſeit Jahrhunderten, eine Unterbrechung an gewiſſen Punkten. Die Undulation ſchreitet in der Tiefe fort, wird aber an jenen Punkten an der Oberfläche nie gefühlt. Die Peruaner ſagen von dieſen unbewegten oberen Schichten, „daß ſie eine Brücke bilden.“ Da die Gebirgsketten auf Spalten erhoben ſcheinen, ſo mögen die Wände dieſer Höhlungen die Richtung der den Ketten parallelen Undulationen begünſtigen; bisweilen durchſchneiden aber auch die Erſchütterungswellen mehrere Ketten faſt ſenkrecht. So ſehen wir ſie in Südamerika die Küſten-Kette von Venezuela und die Sierra Parime gleichzeitig durchbrechen. In Aſien haben ſich die Erdſtöße von Lahore und vom Fuß des Himalaya (22. Januar 1832), quer durch die Kette des Hindou-Kho, bis Badakſchan, bis zum Oberen Oxus, ja bis Bokhara fortgepflanzt. Leider erweitern ſich auch die Erſchütterungskreiſe in Folge eines einzigen ſehr heftigen Erdbebens. Erſt ſeit der Zerſtörung von Cumana (14. December 1797) empfindet die, den Kalkhügeln der Feſtung gegenüberliegende Halbinſel Maniquarez in ihren Glimmerſchieferfelſen jeden Erdſtoß der ſüdlichen Küſte. Bei den faſt ununterbrochenen Undulationen des Bodens in den Flußthälern des Miſſiſſippi, des Arkanſaw und des Ohio von 1811 bis 1813 war das Fortſchreiten von Süden nach Norden ſehr auffallend. Es iſt, als würden unterirdiſche Hinderniſſe allmählig überwunden; und auf dem einmal geöffneten Wege pflanzt ſich dann die Wellenbewegung jedesmal fort. Wenn das Erdbeben dem erſten Anſcheine nach ein bloßes dynamiſches, räumliches Phänomen der Bewegung zu ſein ſcheint, ſo erkennt man doch nach ſehr wahrhaft bezeugten Erfahrungen, daß es nicht bloß ganze Landſtrecken über ihr altes Niveau zu erheben vermag (z. B. Ulla-Bund nach dem Erdbeben von Cutſch im Juni 1819, öſtlich von dem Delta des Indus, oder längs der Küſte von Chili im November 1822); ſondern daß auch während der Erdſtöße heißes Waſſer (bei Catania 1818), heiße Dämpfe (im Miſſiſſippi-Thale bei Neu-Madrid 1812), Mofetten (irreſpirable Gasarten), den weidenden Heerden in der Andeskette ſchädlich, Schlamm, ſchwarzer Rauch, und ſelbſt Flammen (bei Meſſina 1783, bei Cumana am 14. November 1797) ausgeſtoßen wurden. Während des großen Erdbebens von Liſſabon am 1. November 1755 ſah man nahe bei der Hauptſtadt Flammen und eine Rauchſäule aus einer neugebildeten Spalte des Felſen von Alvidras aufſteigen. Der Rauch war jedesmal um ſo dicker, als das unterirdiſche Getöſe an Stärke zunahm. Bei der Zerſtörung von Riobamba im Jahr 1797, wo die Erdſtöße von keinem Ausbruch der ſehr nahen Vulkane begleitet waren, wurde die Moya, eine ſonderbare, mit Kohle, Augit-Kryſtallen und Kieſelpanzern der Infuſionsthiere gemengte Maſſe, in zahlreichen kleinen fortſchreitenden Kegeln aus der Erde hervorgehoben. Der Ausbruch des kohlenſauren Gaſes auſ Spalten während des Erdbebens von Neu-Granada (16. November 1827) im Magdalena-Thale verurſachte das Erſticken vieler Schlangen, Ratten und anderer in Höhlen lebenden Thiere. Auch plötzliche Veränderungen der Witterung, plötzliches Eintreten der Regenzeit zu einer unter den Tropen ungewöhnlichen Epoche ſind bisweilen in Quito und Peru auf große Erdbeben gefolgt. Werden gasförmige, aus dem Innern der Erde aufſteigende Flüſſigkeiten der Atmoſphäre beigemiſcht? oder ſind dieſe meteorologiſchen Prozeſſe die Wirkung einer durch das Erdbeben geſtörten Luftelektricität? In den Gegenden des tropiſchen Amerika, wo bisweilen in zehn Monaten kein Tropfen Regen fällt, halten die Eingebornen ſich oft wiederholende Erdſtöße, die den niedrigen Rohrhütten keine Gefahr bringen, für glückliche Vorboten der Fruchtbarkeit und der Regenmenge. Der innere Zuſammenhang aller hier geſchilderten Erſcheinungen iſt noch in Dunkel gehüllt. Elaſtiſche Flüſſigkeiten ſind es gewiß, die ſowohl das leiſe, ganz unſchädliche, mehrere Tage dauernde Zittern der Erdrinde (wie 1816 zu Scaccia in Sicilien vor der vulkaniſchen Erhebung der neuen Inſel Julia) als die, ſich durch Getöſe verkündigenden, furchtbareren Exploſionen verurſachen. Der Heerd des Uebels, der Sitz der bewegenden Kraft liegt tief unter der Erdrinde; wie tief, wiſſen wir eben ſo wenig, als welches die chemiſche Natur ſo hochgeſpannter Dämpfe ſei. An zwei Kraterrändern gelagert, am Veſuv und auf dem thurmartigen Fels, welcher den ungeheuren Schlund des Pichincha bei Quito überragt, habe ich periodiſch und ſehr regelmäßig Erdſtöße empfunden, jedesmal 20—30 Secunden früher als brennende Schlacken oder Dämpfe ausgeſtoßen wurden. Die Erſchütterung war um ſo ſtärker, als die Exploſionen ſpäter eintraten und alſo die Dämpfe länger angehäuft blieben. In dieſer einfachen, von ſo vielen Reiſenden beſtätigten Erfahrung liegt die allgemeine Löſung des Phänomens. Die thätigen Vulkane ſind als Schutz- und Sicherheits-Ventile für die nächſte Umgegend zu betrachten. Die Gefahr des Erdbebens wächſt, wenn die Oeffnungen der Vulkane verſtopft, ohne freien Verkehr mit der Atmoſphäre ſind; doch lehrt der Umſturz von Liſſabon, Caracas, Lima, Caſchmir (1554), und ſo vieler Städte von Calabrien, Syrien und Kleinaſien, daß im Ganzen doch nicht in der Nähe noch brennender Vulkane die Kraft der Erdſtöße am größten iſt. Wie die gehemmte Thätigkeit der Vulkane auf die Erſchütterung des Bodens wirkt, ſo reagirt dieſe wiederum auf die vulkaniſchen Erſcheinungen ſelbſt. Eröffnung von Spalten begünſtigt das Aufſteigen der Eruptionskegel und die Prozeſſe, welche in dieſen Kegeln in freiem Contact mit dem Luftkreiſe vorgehen. Eine Rauchſäule, die man Monate lang in Südamerika aus dem Vulkan von Paſto aufſteigen ſah, verſchwand plötzlich, als 48 Meilen weit in Süden (am 4. Februar 1797) die Provinz Quito das große Erdbeben von Riobamba erlitt. Nachdem lange in ganz Syrien, in den Cykladen und in Euböa der Boden erbebt hatte, hörten die Erſchütterungen plötzlich auf, als ſich in der lelantiſchen Ebene bei Chalcis ein Strom „glühenden Schlammes (Lava aus einer Spalte) ergoß. Strabo, der uns dieſe Nachricht aufbewahrt, ſetzt hinzu: „ſeitdem die Mündungen des Aetna geöffnet ſind, durch welche das Feuer emporbläſt, und ſeitdem Glühmaſſen und Waſſer hervorſtürzen können, wird das Land am Meeresſtrande nicht mehr ſo oft erſchüttert, als zu der Zeit, wo, vor der Trennung Siciliens von Unteritalien, alle Ausgänge in der Oberfläche verſtopft waren.“ In dem Erdbeben offenbart ſich demnach eine vulkaniſch-vermittelnde Macht; aber eine ſolche Macht, allverbreitet wie die innere Wärme des Planeten, und überall ſich ſelbſt verkündend, wird ſelten und dann nur an einzelnen Punkten bis zu wirklichen Ausbruchs-Phänomenen geſteigert. Die Gangbildung, d. h. die Ausfüllung der Spalten mit kryſtalliniſchen aus dem Innern hervorquellenden Maſſen (Baſalt, Melaphyr und Grünſtein), ſtört allmählig die freie Communication der Dämpfe. Durch Spannung wirken dieſe dann auf dreierlei Weiſe: erſchütternd; oder plötzlich, d. i. ruckweiſe, hebend; oder, wie zuerſt in einem großen Theil von Schweden beobachtet worden iſt, ununterbrochen, und nur in langen Perioden bemerkbar, das Niveau-Verhältniß von Meer und Land umändernd. Ehe wir dieſe große Erſcheinung verlaſſen, die hier nicht ſowohl in ihren Einzelheiten, als in ihren allgemeinen phyſikaliſchen und geognoſtiſchen Verhältniſſen betrachtet worden iſt, müſſen wir noch die Urſache des unausſprechlich tiefen und ganz eigenthümlichen Eindrucks berühren, welchen das erſte Erdbeben, das wir empfinden, ſei es auch von keinem unterirdiſchen Getöſe begleitet, in uns zurückläßt. Ein ſolcher Eindruck, glaube ich, iſt nicht Folge der Erinnerung an die Schreckensbilder der Zerſtörung, welche unſrer Einbildungskraft aus Erzählungen hiſtoriſcher Vergangenheit vorſchweben. Was uns ſo wunderſam ergreift, iſt die Enttäuſchung von dem angeborenen Glauben an die Ruhe und Unbeweglichkeit des Starren, der feſten Erdſchichten. Von früher Kindheit ſind wir an den Contraſt zwiſchen dem beweglichen Element des Waſſers und der Unbeweglichkeit des Bodens gewöhnt, auf dem wir ſtehen. Alle Zeugniſſe unſrer Sinne haben dieſen Glauben befeſtigt. Wenn nun urplötzlich der Boden erbebt, ſo tritt geheimnißvoll eine unbekannte Naturmacht als das Starre bewegend, als etwas Handelndes auf. Ein Augenblick vernichtet die Illuſion des ganzen früheren Lebens. Enttäuſcht ſind wir über die Ruhe der Natur; wir fühlen uns in den Bereich zerſtörender unbekannter Kräfte verſetzt. Jeder Schall, die leiſeſte Regung der Lüfte ſpannt unſre Aufmerkſamkeit. Man traut gleichſam dem Boden nicht mehr, auf den man tritt. Das Ungewöhnliche der Erſcheinung bringt dieſelbe ängſtliche Unruhe bei Thieren hervor. Schweine und Hunde ſind beſonders davon ergriffen. Die Crocodile im Orinoco ſonſt ſo ſtumm als unſere kleinen Eidechſen, verlaſſen den erſchütterten Boden des Fluſſes und laufen brüllend dem Walde zu. Dem Menſchen ſtellt ſich das Erdbeben als etwas Allgegenwärtiges, Unbegrenztes dar. Von einem thätigen Ausbruch-Krater, von einem auf unſere Wohnung gerichteten Lavaſtrom kann man ſich entfernen; bei dem Erdbeben glaubt man ſich überall, wohin auch die Flucht gerichtet ſei, über dem Heerd des Verderbens. Ein ſolcher Zuſtand des Gemüths, aus unſerer innerſten Natur hervorgerufen, iſt aber nicht von langer Dauer. Folgt in einem Lande eine Reihe von ſchwachen Erdſtößen auf einander, ſo verſchwindet bei den Bewohnern faſt jegliche Spur der Furcht. An den regenloſen Küſten von Peru kennt man weder Hagel noch den rollenden Donner und die leuchtenden Exploſionen im Luftkreiſe. Den Wolken-Donner erſetzt dort das unterirdiſche Getöſe, welches die Erdſtöße begleitet. Vieljährige Gewohnheit und die ſehr verbreitete Meinung, als ſeien gefahrbringende Erſchütterungen nur zwei- oder dreimal in einem Jahrhundert zu befürchten, machen, daß in Lima ſchwache Oſcillationen des Bodens kaum mehr Aufmerkſamkeit erregen, als ein Hagelwetter in der gemäßigten Zone. A. v. Humboldt.