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Alexander von Humboldt: „Alexander von Humboldt über die Erdbeben“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1845-Les_tremblements_de-10-neu> [abgerufen am 19.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1845-Les_tremblements_de-10-neu
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Titel Alexander von Humboldt über die Erdbeben
Jahr 1846
Ort Passau
Nachweis
in: Kourier an der Donau 56:237 (28. August 1846), [o. S.]; 56:238 (29. August 1846), [o. S.].
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur; Spaltensatz; Auszeichnung: Sperrung; Schmuck: Trennzeichen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VI.58
Dateiname: 1845-Les_tremblements_de-10-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 4
Spaltenanzahl: 6
Zeichenanzahl: 7251

Weitere Fassungen
Les tremblements de terre (Paris, 1845, Französisch)
Earthquakes (Cupar, 1845, Englisch)
First Impression Made by an Earthquake (Dundee, 1846, Englisch)
First Impression made by an Earthquake (Leeds, 1846, Englisch)
First impression made by an earthquake (Hereford, 1846, Englisch)
First Impression made by an Earthquake (Kalkutta, 1846, Englisch)
Les tremblements de terre (Sankt Petersburg, 1846, Französisch)
Alexander von Humboldt über die Erdbeben (Frankfurt am Main, 1846, Deutsch)
Erdbeben (Wien, 1846, Deutsch)
Alexander von Humboldt über die Erdbeben (Passau, 1846, Deutsch)
Alexander v. Humboldt über die Erdbeben (Leipzig, 1846, Deutsch)
Subterranean Noises (Derby, 1846, Englisch)
Earthquakes (Southampton, 1846, Englisch)
Extraordinary subterranean noises (London, 1846, Englisch)
Subterranean noises (Hereford, 1846, Englisch)
Earthquakes (London, 1846, Englisch)
Extraordinary subterranean noises (London, 1846, Englisch)
Subterranean Noises (Manchester, 1846, Englisch)
The Motion of Earthquakes (London, 1846, Englisch)
The Motion of Earthquakes (Manchester, 1846, Englisch)
Strange Phenomena of Earthquakes (New York City, New York, 1846, Englisch)
The Motion of Earthquakes (Maidstone, 1846, Englisch)
Strange phenomenon of earthquakes (Washington, District of Columbia, 1847, Englisch)
The Motion of Earthquakes (Belfast, 1847, Englisch)
Strange Phenomenon of Earthquakes (Washington, Arkansas, 1847, Englisch)
Earthquakes (London, 1847, Englisch)
De aardbevingen (Amsterdam, 1847, Niederländisch)
Os terremotos (Rio de Janeiro, 1848, Portugiesisch)
Los temblores (Santiago de Chile, 1850, Spanisch)
First impression made by an earthquake (Edinburgh, 1852, Englisch)
A Philosopher’s feelings on occasion of an Earthquake (Shanghai, 1853, Englisch)
Earthquake Under the Tropics (Port Tobacco, Maryland, 1853, Englisch)
Erdbeben (Berlin, 1853, Deutsch)
Erdbeben (Leipzig, 1853, Deutsch)
First Impression of an Earthquake (Leicester, 1854, Englisch)
Erdbeben (Leipzig, 1855, Deutsch)
Aus Humboldt’s ’Kosmos’ (New York City, New York, 1857, Deutsch)
About Earthquakes (London, 1856, Englisch)
Volcanoes are safety-valves (Bolton, 1858, Englisch)
Earth waves of commotion (Nicht ermittelt, 1858, Englisch)
The Lisbon Earthquake (Ashton-under-Lyne, 1858, Englisch)
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Alexander von Humboldt über die Erdbeben.


Wir glauben den Leſern dieſes Blattes einen Genuß zugewähren, wenn wir ihnen einige Bruchſtücke aus dem nichtganz ausſchließlich der gelehrten Welt angehörigen Werkedes berühmten obgenannten Gelehrten, dem Kosmos (Ent-wurf einer phyſiſchen Weltbeſchreibung), und zwar aus demAbſchnitte mittheilen, welcher ſeinen reichen Schatz von Be-obachtungen über Erdbeben, vulkaniſche Erruptionen undähnlichen Erſcheinungen enthält. Klarer und treffender dürftevielleicht Niemand uns die Urſache des Unbehaglichen undGrauenhaften der Empfindung erklären, die wir erſt vorkurzem gehabt haben, als es Humboldt in dem letzten hierdeßhalb ganz abgedruckten Satze gethan. Hören wir ihnselbſt. „Wenn man Nachricht von dem täglichen Zuſtandeder geſammten Erdoberfläche haben könnte, ſo würde manſich ſehr wahrſcheinlich davon überzeugen, daß faſt immer-dar an irgend einem Punkte, die Oberfläche erbebt, daß ſieununterbrochen der Reaktion des Inneren gegen das Aeu-ßere unterworfen iſt. Dieſe Frequenz und Allverbreitung ei-ner Erſcheinung, die wahrſcheinlich durch die erhöhte Tem-peratur der tiefſten geſchmolzenen Schichten begründet wird,erklärt ihre Unabhängigkeit von der Natur der Gebirgsarten,in denen ſie ſich äußert. Selbſt in den lockerſten Alluvial-ſchichten von Holland und Mittelburg und Vlieſſingen ſind(23. Februar 1828) Erdſtöße empfunden worden. Granitund Glimmerſchiefer werden wie Flozkalk und Sandſtein,wie Trachyt und Mandelſchein erſchüttert. Es iſt nicht diechemiſche Natur der Beſtandtheile, ſondern die mechaniſcheStructur der Gebirgsarten, welche die Fortpflanzung der Be- |Spaltenumbruch| wegung (die Erſchütterungs-Welle) modificirt. Wo letzterelängs einer Küſte oder an dem Fuß und in der Richtungeiner Gebirgskette regelmäßig fortläuft, bemerkt man bis-weilen, und dieß ſeit Jahrhunderten, eine Unterbrechung angewiſſen Punkten. Die Wellenbewegung ſchreitet in der Tiefefort, wird aber an jenen Punkten an der Oberfläche nie ge-fühlt. Die Peruaner ſagen von dieſen unbewegten oberenSchichten: „daß ſie eine Brücke bilden.“ — — „Der innereZuſammenhang aller hier geſchilderten Erſcheinungen (derErdbeben und damit verknüpfte Gas-, Schlamm- und Feuer-und Rauchausbrüche auf einzelnen Landſtrecken, namentlichAmerika’s iſt noch in Dunkel gehüllt. Elaſtiſche Flüſſigkei-ten ſind es gewiß, die ſowohl das leiſe, ganz unſchädliche,mehrere Tage dauernde Zittern der Erdrinde (wie 1816 inSizilien vor der vulkaniſchen Erhebung der neuen InſelJulia) als die ſich durch Getöſe verkündigenden furchtbarenExploſionen verurſachen. Der Heerd des Uebels, der Sitzder bewegenden Kraft liegt tief unter der Erdrinde; wie tiefwiſſen wir eben ſo wenig, als welches die chemiſche Naturſo hochgeſpannter Dämpfe ſey. An zwei Kraterränden ge-lagert, am Veſuv und auf dem thurmartigen Fels, welcherden ungeheuren Schlund des Pechincha bei Quito überragt,habe ich periodiſch und ſehr regelmäßig Erdſtöße empfunden,jedes Mal 20 bis 30 Sekunden früher als brennende Schla-cken oder Dämpfe ausgeſtoßen wurden. Die Erſchütterungwar um ſo ſtärker, als die Exploſionen ſpäter eintraten, undalſo die Dämpfe länger aufgehäuft blieben. In dieſer ein-fachen, von ſo vielen Reiſenden beſtätigten Erfahrung liegtdie allgemeine Löſung des Phänomens. Die thätigen Vul-kane ſind als Schutz- und Sicherheits-Ventile für die nächſte |Seitenumbruch| |Spaltenumbruch| Umgebung zu betrachten. Die Gefahr des Erdbebens wächſtwenn die Oeffnung der Vulkane verſtopft, ohne freien Ver-kehr mit der Atmoſphäre ſind; doch lehrt der Umſturz vonLiſſabon, Caraccas, Lima, Caſchmir und ſo vielen Städtenvon Kalabrien, Syrien und Kleinaſien, daß im Ganzen dochnicht in der Nähe noch brennender Vulkane die Kraft derErdſtöße am größten iſt.“ (Schluß folgt.) |Seitenumbruch| |Spaltenumbruch|

Alexander von Humboldt über die Erdbeben. (Schluß.)

„In dem Erdbeben offenbart ſich demnach eine vulkaniſchvermittelnde Macht; aber eine ſolche Macht, allverbreitet wiedie innere Wärme des Planeten, und überall ſich ſelbſt ver-kündend, wird ſelten und dann nur an einzelnen Punktenbis zu wirklichen Ausbruchs-Phänomenen geſteigert. DieGangbildung, d. h. die Ausfüllung der Spalten mit kryſtal-liniſchen, aus dem Innern hervorquellenden Maſſen (Baſalt,Melaphyr und Grünſtein) ſtört allmählig die freie Commu-nication der Dämpfe. Durch Spannung wirken dieſe dannauf dreierlei Weiſe: erſchütternd, oder plötzlich, d. h. ruck-weiſe hebend, oder wie zuerſt in einem großen Theil vonSchweden beobachtet worden iſt, ununterbrochen und nurin langen Perioden bemerkbar, das Niveau-Verhältniß vonMeer und Land umändernd. Ehe wir dieſe große Erſchei-nung verlaſſen, müſſen wir noch die Urſache des unaus-ſprechlich tiefen und ganz eigenthümlichen Eindrucks berüh-ren, welche das erſte Erdbeben, das wir empfinden, ſo esauch von keinem unterirdiſchen Getöſe begleitet, in uns zu-rückläßt. Ein ſolcher Eindruck iſt, glaube ich, nicht Folgeder Erinnerung an die Schreckensbilder der Zerſtörung, dieunſerer Einbildungskraft aus Erzählungen hiſtoriſcher Ver-gangenheit vorſchweben. Was uns ſo wunderſam ergreift,iſt die Enttäuſchung von dem angeborenen Glauben an dieRuhe und Unweglichkeit des Starren, der feſten Erdſchich-ten. Von früher Kindheit an ſind wir an den Kontraſtzwiſchen dem beweglichen Element des Waſſers und der Un-beweglichkeit des Bodens gewöhnt, auf dem wir ſtehen. AlleZeugniſſe unſerer Sinne haben dieſen Glauben befeſtigt. |Spaltenumbruch| Wenn nun plötzlich der Boden bebt, ſo tritt geheimnißvolleine unbekannte Naturmacht, als das Starre bewegend, alsetwas Handelndes auf. Ein Augenblick vernichtet die Il-luſion des ganzen früheren Lebens. Enttäuſcht ſind wir überdie Ruhe der Natur, wir fühlen uns in den Bereich zerſtö-render, unbekannter Kräfte verſetzt. Jeder Schall, die lei-ſeſte Regung der Lüfte ſpannt unſere Aufmerkſamkeit. Mantraut gleichſam dem Boden nicht mehr, auf den man tritt.Das Unmögliche der Erſcheinung bringt dieſelbe ängſtlicheUnruhe bei Thieren hervor. Schweine und Hunde ſind be-ſonders davon ergriffen. Die Crocodille am Orinocko, ſonſtſo ſtumm als unſere kleinen Eidechſen, verlaſſen den erſchüt-terten Boden des Fluſſes und laufen brüllend dem Waldezu. Dem Menſchen ſtellt ſich das Erdbeben als etwas All-gegenwärtiges, Unbegränztes dar. Von einem thätigen Aus-bruch-Krater, von einem auf unſere Wohnungen gerichtetenLavaſtrom, kann man ſich entfernen, bei dem Erdbeben glaubtman ſich überall, wohin auch die Flucht gerichtet ſey, überdem Heerd des Verderbens. Ein ſolcher Zuſtand des Ge-müths, aus unſerer innerſten Natur hervorgerufen, iſt abernicht von langer Dauer. Folgt in einem Lande eine Reihevon ſchwachen Erdſtößen auf einander, ſo verſchwindet faſtjegliche Spur von Furcht. An den regenloſen Küſten vonPeru kennt man weder Hagel noch den rollenden Donnerund die leuchtenden Exploſionen im Luftkreiſe. Den Wol-kendonner erſetzt dort das unterirdiſche Getöſe, welches dieErdſtöße begleitet. Vieljährige Gewohnheit und die ſehr ver-breitete Meinung, als ſeyen gefahrbringende Erſcheinungennur zwei oder drei Mal in einem Jahrhundert zu befürch-ten, machen, daß in Lima ſchwache Oſcillationen des Bodens |Seitenumbruch| |Spaltenumbruch| kaum mehr Aufmerkſamkeit erregen, als ein Hagelwetter dergemäßigten Zone.“