Die Einheit des Menſchengeſchlechts . Kosmos, Entwurf einer phyſiſchen Weltbeſchreibung von Alexander von Humboldt. Bd. I. Stuttg. und Tüb. 1847. Das Hauptwerk über die Naturgeſchichte des Menſchen iſt: J. G. Prichard, Naturgeſchichte des Menſchengeſchlechtes. Aus dem Engliſchen überſetzt und herausgegeben von R. Wagner. Leipzig. 1845. 3 Bände. Gegen die Einheit des Menſchengeſchlechts: H. Burmeiſter, Geſchichte der Schöpfung (S. 562 ff. der Menſch.) 4. Auflage. Leipzig. 1851. Vergl. außerdem: J. W. Löbell, Weltgeſchichte in Umriſſen und Ausführungen. Bd. 1. Leipzig. 1846. C. G. Carus, über ungleiche Befähigung der verſchiedenen Menſchheitſtämme für höhere geiſtige Entwickelung. Leipzig. 1849. Es würde das allgemeine Naturbild, das ich zu entwerfen ſtrebe, unvollſtändig bleiben, wenn ich hier nicht auch den Muth hätte, das Menſchengeſchlecht in ſeinen phyſiſchen Abſtufungen, in der geographiſchen Verbreitung ſeiner gleichzeitig vorhandenen Typen, in dem Einfluß, welchen es von den Kräften der Erde empfangen und wechſelſeitig, wenn gleich ſchwächer, auf ſie ausgeübt hat, mit wenigen Zügen zu ſchildern. Abhängig, wenn gleich in minderem Grade als Pflanzen und Thiere, von dem Boden, und den meteorologiſchen Proceſſen des Luftkreiſes, den Naturgewalten durch Geiſtesthätigkeit und ſtufenweiſe erhöhte Intelligenz, wie durch eine wunderbare ſich allen Klimaten aneignende Biegſamkeit des Organismus leichter entgehend, nimmt das Geſchlecht weſentlich Theil an dem ganzen Erdenleben. Durch dieſe Beziehungen gehört demnach das dunkle und vielbeſtrittene Problem von der Möglichkeit gemeinſamer Abſtammung in den Ideenkreis, welchen die phyſiſche Weltbeſchreibung umfaßt. Es ſoll die Unterſuchung dieſes Problems, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, durch ein edleres und rein menſchliches Intereſſe das letzte Ziel meiner Arbeit bezeichnen. Das unermeſſene Reich der Sprachen, in deren verſchiedenartigem Organismus ſich die Geſchicke der Völker ahnungsvoll abſpiegeln, ſteht am nächſten dem Gebiet der Stammverwandſchaft; und was ſelbſt kleine Stammverſchiedenheiten hervorzurufen vermögen, lehrt uns in der Blüthe geiſtiger Kultur die helleniſche Welt. Die wichtigſten Fragen der Bildungsgeſchichte der Menſchheit knüpfen ſich an die Ideen von Abſtammung, Gemeinſchaft der Sprache, Unwandelbarkeit in einer urſprünglichen Richtung des Geiſtes und des Gemüthes. So lange man nur bei den Extremen in der Variation der Farbe und der Geſtaltung verweilte und ſich der Lebhaftigkeit der erſten ſinnlichen Eindrücke hingab, konnte man allerdings geneigt werden, die Racen nicht als bloße Abarten, ſondern als urſprünglich verſchiedene Menſchenſtämme zu betrachten. Die Feſtigkeit gewiſſer Typen mitten unter der feindlichſten Einwirkung äußerer, beſonders klimatiſcher Potenzen ſchien eine ſolche Annahme zu begünſtigen, ſo kurz auch die Zeiträume ſind, aus denen hiſtoriſche Kunde zu uns gelangt iſt. Kräftiger aber ſprechen, auch meiner Anſicht nach, für die Einheit des Menſchengeſchlechts die vielen Mittelſtufen der Hautfarbe und des Schädelbaues, welche die raſchen Fortſchritte der Länderkenntniß uns in neueren Zeiten dargeboten haben, die Analogie der Abartung in anderen wilden und zahmen Thierklaſſen die ſicheren Erfahrungen, welche über die Grenzen fruchtbarer Baſtarderzeugung haben geſammelt werden können. Der größere Theil der Contraſte, die man ehemals hatte zu finden geglaubt, iſt durch die fleißige Arbeit Tiedemann’s über das Hirn der Neger und der Europäer, durch die anatomiſchen Unterſuchungen Vrolik’s und Weber’s über die Geſtalt des Beckens hinweggeräumt. Wenn man die dunkelfarbigen afrikaniſchen Nationen, über die Prichard’s gründliches Werk ſo viel Licht verbreitet hat, in ihrer Allgemeinheit umfaßt und ſie dazu noch mit den Stämmen des ſüdindiſchen und weſtauſtraliſchen Archipels, mit den Papuas und Alfourous (Haraforen, Endamenen) vergleicht, ſo ſieht man deutlich, daß ſchwarze Hautfarbe, wolliges Haar und negerartige Geſichtszüge keineswegs immer mit einander verbunden ſind. So lange den weſtlichen Völkern nur ein kleiner Theil der Erde aufgeſchloſſen war, mußten einſeitige Anſichten ſich bilden. Sonnenhitze der Tropenwelt und ſchwarze Hautfarbe, ſchienen unzertrennlich. „Die Aethiopen,“ ſang der alte Tragiker Theodektes von Phaſelis, färbt der nahe Sonnengott in ſeinem Laufe mit des Ruſſes finſterem Glanz; die Sonnengluth kräuſelt ihnen dörrend das Haar.“ Erſt die Heerzüge Alexander’s, welche ſo viele Ideen der phyſiſchen Erdbeſchreibung anregten, fachten den Streit über den unſicheren Einfluß der Klimate auf die Volksſtämme an. „Die Geſchlechter der Thiere und Pflanzen,“ ſagt einer der größten Anatomen unſeres Zeitalters, Johannes Müller, in ſeiner alles umfaſſenden Phyſiologie des Menſchen, verändern ſich während ihrer Ausbreitung über die Oberfläche der Erde innerhalb der den Arten und Gattungen vorgeſchriebenen Grenzen. Sie pflanzen ſich als Typen der Variation der Arten organiſch fort. Aus dem Zuſammenwirken verſchiedener ſowohl innerer als äußerer, im einzelnen nicht nachweisbarer Bedingungen ſind die gegenwärtigen Racen der Thiere hervorgegangen, von welchen ſich die auffallendſten Abarten bei denen finden, die der ausgedehnteſten Verbreitung auf der Erde fähig ſind. Die Menſchenracen ſind Formen einer einzigen Art, welche ſich fruchtbar paaren und durch Zeugung fortpflanzen; ſie ſind nicht Arten eines Genus: wären ſie das letztere, ſo würden ihre Baſtarde unter ſich unfruchtbar ſein. Ob die gegebenen Menſchenracen von mehreren oder Einem Urmenſchen abſtammen, kann nicht aus der Erfahrung ermittelt werden.“ Die geographiſchen Forſchungen über den alten Sitz, die ſogenannte Wiege des Menſchengeſchlechts haben in der That einen rein mythiſchen Charakter. „Wir kennen,“ ſagt Wilhelm von Humboldt in einer noch ungedruckten Arbeit über die Verſchiedenheit der Sprachen und Völker „geſchichtlich, oder auch nur durch irgend ſichere Ueberlieferung keinen Zeitpunkt, in welchem das Menſchengeſchlecht nicht in Völkerhaufen getrennt geweſen wäre. Ob dieſer Zuſtand der urſprüngliche war oder erſt ſpäter entſtand, läßt ſich daher geſchichtlich nicht entſcheiden. Einzelne, an ſehr verſchiedenen Punkten der Erde, ohne irgend ſichtbaren Zuſammenhang, wiederkehrende Sagen verneinen die erſtere Annahme und laſſen das ganze Menſchengeſchlecht von Einem Menſchenpaare abſtammen. Die weite Verbreitung dieſer Sage hat ſie bisweilen für eine Urerinnerung der Menſchheit halten laſſen. Gerade dieſer Umſtand aber beweiſt vielmehr, daß ihr keine Ueberlieferung und nichts Geſchichtliches zum Grunde lag, ſondern nur die Gleichheit der menſchlichen Vorſtellungsweiſe zu derſelben Erklärung der gleichen Erſcheinung führte: wie gewiß viele Mythen, ohne geſchichtlichen Zuſammenhang, bloß aus der Gleichheit des menſchlichen Dichtens und Grübelns entſtanden. Jene Sage trägt auch darin ganz das Gepräge menſchlicher Erfindung, daß ſie die außer aller Erfahrung liegende Erſcheinung des erſten Entſtehens des Menſchengeſchlechts auf eine innerhalb heutiger Erfahrung liegende Weiſe, und ſo erklären will, wie in Zeiten, wo das ganze Menſchengeſchlecht ſchon Jahrtauſende hindurch beſtanden hatte, eine wüſte Inſel oder ein abgeſondertes Gebirgsthal mag bevölkert worden ſein. Vergeblich würde ſich das Nachdenken in das Problem jener erſten Entſtehung vertieft haben, da der Menſch ſo an ſein Geſchlecht und an die Zeit gebunden iſt, daß ſich ein einzelner ohne vorhandenes Geſchlecht und ohne Vergangenheit gar nicht in menſchlichem Daſein faſſen läßt. Ob alſo in dieſer weder auf dem Wege der Gedanken noch der Erfahrung zu entſcheidenden Frage wirklich jener angeblich traditionelle Zuſtand der geſchichtliche war, oder ob das Menſchengeſchlecht von ſeinem Beginnen an völkerweiſe den Erdboden bewohnte, darf die Sprachkunde weder aus ſich beſtimmen, noch, die Entſcheidung anderswoher nehmend, zum Erklärungsgrund für ſich brauchen wollen.“ Die Gliederung der Menſchheit iſt nur eine Gliederung in Abarten, die man mit dem, freilich etwas unbeſtimmten Worte Racen bezeichnet. Wie in dem Gewächsreiche, in der Naturgeſchichte der Vögel und Fiſche die Gruppirung in viele kleine Familien ſicherer als die in wenige, große Maſſen umfaſſende Abtheilungen iſt, ſo ſcheint mir auch, bei der Beſtimmung der Racen, die Aufſtellung kleinerer Völkerfamilien vorzuziehen. Man mag die alte Klaſſifikation meines Lehrers Blumenbach nach fünf Racen (der kaukaſiſchen, mongoliſchen, amerikaniſchen, äthiopiſchen und malayiſchen) befolgen oder mit Prichard ſieben Racen (die iraniſche, turaniſche, amerikaniſche, der Hottentotten und Buſchmänner, der Neger, der Papuas und der Alfourous) annehmen; immer iſt keine typiſche Schärfe, kein durchgeführtes natürliches Princip der Eintheilung in ſolchen Gruppirungen zu erkennen. Man ſondert ab, was gleichſam die Extreme der Geſtaltung und Farbe bildet: unbekümmert um die Völkerſtämme, welche nicht in jene Klaſſen einzuſchalten ſind, und welche man bald ſcythiſche, bald allophyliſche Racen hat nennen wollen. Iraniſch iſt allerdings für die europäiſchen Völker ein minder ſchlechter Name als kaukaſiſch; aber im Allgemeinen darf man behaupten, daß geographiſche Benennungen als Ausgangspunkt der Race ſehr unbeſtimmt ſind, wenn das Land, welches der Race den Namen geben ſoll, wie z. B. Turan (Mawerannahr), zu verſchiedenen Zeiten von den verſchiedenſten Volksſtämmen, — indo-germaniſchen und finniſchen, nicht aber mongoliſchen Urſprungs, — bewohnt worden iſt. Die Sprachen als geiſtige Schöpfungen der Menſchheit, als tief in ihre geiſtige Entwickelung verſchlungen, haben, indem ſie eine nationelle Form offenbaren, eine hohe Wichtigkeit für die zu erkennende Aehnlichkeit oder Verſchiedenheit der Racen. Sie haben dieſe Wichtigkeit, weil Gemeinſchaft der Abſtammung in das geheimnißvolle Labyrinth führt, in welchem die Verknüpfung der phyſiſchen (körperlichen) Anlagen mit der geiſtigen Kraft in tauſendfältig verſchiedener Geſtaltung ſich darſtellt. Die glänzenden Fortſchritte, welche das philoſophiſche Sprachſtudium im deutſchen Vaterlande ſeit noch nicht einem halben Jahrhundert gemacht, erleichtern die Unterſuchungen über den nationellen Charakter der Sprachen, über das, was die Abſtammung ſcheint herbeigeführt zu haben. Wie in allen Gebieten idealer Speculation, ſteht aber auch hier die Gefahr der Täuſchung neben der Hoffnung einer reichen und ſicheren Ausbeute. Wilhelm von Humboldt über die Verſchiedenheit menſchlichen Sprachbaues, in dem großen Werke über die Kawi-Sprache auf der Inſel Java. Bd. 1 S. XXI, XLVIII. und CCXIV. Poſitive ethnographiſche Studien, durch gründliche Kenntniß der Geſchichte unterſtützt, lehren, daß eine große Vorſicht in dieſer Vergleichung der Völker, und der Sprache, welcher die Völker ſich zu einer beſtimmten Zeitepoche bedienten, anzuwenden ſei. Unterjochung, langes Zuſammenleben, Einfluß einer fremden Religion, Vermiſchung der Stämme, wenn auch oft nur bei geringer Zahl der mächtigeren und gebildeteren Einwanderer, haben ein in beiden Continenten ſich gleichmäßig erneuerndes Phänomen hervorgerufen: daß ganz verſchiedene Sprachfamilien ſich bei einer und derſelben Race, daß bei Völkern ſehr verſchiedener Abſtammung ſich Idiome deſſelben Sprachſtammes finden. Aſiatiſche Welteroberer haben am mächtigſten auf ſolche Erſcheinungen eingewirkt. Sprache iſt aber ein Theil der Naturkunde des Geiſtes; und wenn auch die Freiheit, mit welcher der Geiſt in glücklicher Ungebundenheit die ſelbſtgewählten Richtungen, unter ganz verſchiedenartigen phyſiſchen Einflüſſen, ſtetig verfolgt, ihn der Erdgewalt mächtig zu entziehen ſtrebt, ſo wird die Entfeſſelung doch nie ganz vollbracht. Es bleibt etwas von dem, was den Naturanlagen aus Abſtammung, dem Klima, der heiteren Himmelsbläue oder einer trüben Dampfatmoſphäre der Inſelwelt zugehört. Da nun der Reichthum und die Anmuth des Sprachbaues ſich aus den Gedanken wie aus des Geiſtes zarteſter Blüthe entfalten, ſo wollen wir nicht, daß bei der Innigkeit des Bandes, welches beide Sphären, die phyſiſche und die Sphäre der Intelligenz und der Gefühle, mit einander verknüpft, unſer Naturbild des freundlichen Lichtes und der Färbung entbehre, welche ihm die, hier freilich nur angedeuteten Betrachtungen über das Verhältniß der Abſtammung zur Sprache verleihen können. Indem wir die Einheit des Menſchengeſchlechts behaupten, widerſtreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menſchenracen . Es giebt bildſamere, höher gebildete, durch geiſtige Kultur veredelte, aber keine edlere Volksſtämme. Alle ſind gleichmäßig zur Freiheit beſtimmt; zur Freiheit, welche in roheren Zuſtänden dem Einzelnen, in dem Staatenleben bei dem Genuß politiſcher Inſtitutionen der Geſammtheit als Berechtigung zukommt. „Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geſchichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung ſichtbar iſt, wenn irgend eine die vielfach beſtrittene, aber noch vielfacher mißverſtandene Vervollkommung des ganzen Geſchlechtes beweiſt, ſo iſt es die Idee der Menſchlichkeit: das Beſtreben, die Grenzen, welche Vorurtheile und einſeitige Anſichten aller Art feindſelig zwiſchen die Menſchen geſtellt, aufzuheben, und die geſammte Menſchheit, ohne Rückſicht auf Religion, Nation und Farbe, als einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung eines Zweckes, der freien Entwickelung innerlicher Kraft, beſtehendes Ganzes zu behandeln. Es iſt dies das letzte äußerſte Ziel der Geſelligkeit, und zugleich die durch ſeine Natur ſelbſt in ihn gelegte Richtung des Menſchen auf unbeſtimmte Erweiterung feines Daſeins. Er ſieht den Boden, ſo weit er ſich ausdehnt, den Himmel, ſo weit, ihm entdeckbar, er von Geſtirnen umflammt wird, als innerlich ſein, als ihm zur Betrachtung und Wirkſamkeit gegeben an. Schon das Kind ſehnt ſich über die Hügel, über die Sonne hinaus, welche ſeine enge Heimath umſchließen; es ſehnt ſich dann wieder pflanzenartig zurück: denn es iſt das Rührende und Schöne im Menſchen, daß Sehnſucht nach Erwünſchtem und nach Verlorenem ihn immer bewahrt, ausſchließlich an dem Augenblicke zu haften. So feſtgewurzelt in der innerſten Natur des Menſchen, und zugleich geboten durch ſeine höchſten Beſtrebungen, wird jene wohlwollend menſchliche Verbindung des ganzen Geſchlechts zu einer der großen leitenden Ideen in der Geſchichte der Menſchheit.“ Das Unerfreulichſte und in ſpäteren Zeiten ſo oft Wiederholte über die Berechtigung der Menſchen zur Freiheit und über Sklaverei als eine naturgemäße Einrichtung findet ſich leider! ſehr ſyſtematiſch entwickelt in Ariſtoteles Politica I. 3, 5, 6. Wilhelm v. Humboldt über die Kawiſprache Band III. S. 426. A. v. Humboldt.