Ueber die Höhe des ewigen Schnees an den beiden Abhängen des Himálaya-Gebirges. Ein neu angekommenes Stück des ostindischen Journals für Naturgeschichte von Mac Clelland und Griffith (Calcutta Journal, January 1844) enthält eine sehr entscheidende und für die physikalische Erdbeschreibung wichtige Erläuterung über die Gränze des ewigen Schnees an beiden Abhängen des Himálaya, dem nördlichen tübetanischen und dem südlichen indischen. Als man im Jahre 1820 zuerst erfuhr, daß der Capitän Webb in dem Paß von Niti und in der tübetanischen Hochebene von Daba, wie früher Moorcroft an dem Heiligen See (Manassarovar) das Erdreich, zwischen 30° und 32° nördlicher Breite auf Höhen schneefrei gefunden hatte, wo in der Andes-Kette von Quito, unter dem Aequator, 1800 bis 2000 Fuß tiefer, schon Alles im ewigen Schnee vergraben liegt, schien diese Thatsache mit den bisher erkannten Gesetzen der abnehmenden Wärme in Höhe und Polarabstand in vollem Widerspruche zu stehen. Weizenfelder wurden in der tübetanischen Hochebene bis 11300 Par. Fuß, Gerstenfelder bis 13800 Fuß Höhe gesehen. Durch Pentland’s erste geognostische Reise nach Bolivia (dem oberen Peru) im Jahr 1827 wurden ähnliche Verhältnisse bekannt. Auf der westlichen Andeskette von Bolivia fand Pentland die Gränze des ewigen Schnees unter 14° [Formel] und 18° südlicher Breite erst 17400 Par. Fuß hoch über der Meeresfläche, wenn diese Gränze unter der Linie bei Quito nur 14850 Fuß hoch liegt. In dem dritten Theile seines neueren Werkes: Asie centrale (p. 233—327) hat Alexander v. Humboldt die physischen Ursachen, welche diese scheinbaren Widersprüche bedingen, weitläufig entwickelt und den Gegenstand unter einem allgemeineren Gesichtspunkte behandelt, als er es in zwei früheren Abhandlungen: sur les Montagnes de l’Inde (Annales de chimie et de physique, T. XIV p. 5—55) wegen Mangel vollständiger Beobachtungen hatte thun können. Hr. v. Humboldt sucht zu beweisen, daß man die Höhe, in welcher Schnee sporadisch fällt, mit der Gränze des ewigen Schnees, daß man, hypsometrisch, die Abhänge von Bergen bei tiefen Durchbrüchen der Flüsse durch die Himálaya-Kette mit den Gipfeln verwechselt habe, die aus dem tübetanischen Plateau aufsteigen, oder, mit dem eigentlichen nördlichsten Abhange des Himálaya selbst. Humboldt hält die mittlere Höhe der tübetanischen Hochebene zwischen 71° und 83° östlicher Länge (also zwischen dem N.—S. streichenden Bolor und dem großen, einst mit dem Buramputer verwechselten Flusse Yaru-Dzangbo-Tchou) für nicht größer, als 10,800 Par. Fuß; sie erreicht also kaum die kornreiche Ebene von Caxamarca im nördlichen Peru; sie ist 1200 Fuß niedriger als die Hochebene von Titicaca, der Ursitz der Incas-Cultur, eben so viel niedriger als das Straßenpflaster der Stadt Potosi. Humboldt zieht aus vielen Messungen das Resultat, daß die ewige Schneegränze am Himálaya an dem nördlichen Abhange 15,600, an dem südlichen 12,200 Fuß hoch liegt. Wenn die Schneeberge nicht in Ketten vereinigt, nicht theilweise an Hochebenen angelehnt wären, sondern über die Oberfläche des Meeres als isolirte Kegel aufstiegen und eine ganz gleiche Breiten-Dimension hätten, so würde die Schneegränze vom Aequator gegen beide Pole hin sich ununterbrochen und regelmäßig erniedrigen, und unter verschiedenen Meridianen würde sie eine gleiche Höhe über einer Linie gleicher Sommerwärme (Isothere) behaupten, die im Niveau des Meeres gezogen wird. Da nun die Isotheren im Inneren der Continente einen convexen Scheitel haben, so erhebt sich die Schneegränze, wegen der geringeren Sommerwärme der Küsten, von diesen gegen den Continent hin. Die Himálaya-Kette, wie schon längst mit vielem Scharfsinn Leopold v. Buch bemerkt hat, setzt eine Gränze dem Klima von Hindostan. Sie hindert, wie eine große Mauer, das Vordringen der Mussons, und macht einen wichtigen Abschnitt in der südasiatischen Meteorologie. Auf den großen Höhen des Tübet fällt nur sehr wenig Schnee: eben so ist es, nach Hugi, in den Schweizer Alpen, wenn man die Masse des jährlich gefallenen Schnees in 7000 und 10000 F. Höhe vergleicht. Die mittlere Höhe der Schneegränze hängt nicht von der mittleren Temperatur des ganzen Jahres, sondern von der der Sommermonate ab. Sie ist die Höhe, in der der Schnee sich in den heißesten Monaten ungeschmolzen erhält, und als ein sehr verwickeltes Phänomen wird sie gleichzeitig modificirt durch die Temperatur der Ebenen, über welche sie sich unter verschiedenen Breiten erhebt, durch die Größe und Dauer der Sommerwärme, durch die Quantität Schnee, welche im Laufe des ganzen Jahres gefallen ist, durch die Richtung schneeschmelzender hoher Winde, durch die mehr oder minder continentale Lage des Gebirges (seine Entfernung von einer östlichen oder westlichen Küste), durch die Ausdehnung und Höhe der Hochebenen, an welche das Gebirge von einer oder von zwei Seiten angelehnt ist, durch die Trockenheit der umgebenden Atmosphäre, ihre Durchsichtigkeit (heiteren oder nebeligen Zustand), welche die Wirkung der Sonne und den Wärmeverlust durch Strahlung bestimmen, endlich durch den Grad der Steilheit der Abhänge und die Nähe oder Entfernung anderer erkältenden Schneegipfel. Hr. v. Humboldt hat in seinem neuesten Werke über Central-Asien gezeigt, daß in den neuesten Zeiten, besonders durch den Lieutenant Thomas Hutton, vom 37. Regimente (Assistant Surveyor of the Agra Division), in Indien selbst wieder Zweifel über den Unterschied der Schneehöhe an beiden Himálaya-Abhängen erregt worden sind, nachdem der vortreffliche Colebrooke, Webb und Hodgson, Jacquemont, Forbes Royle und Dr. Lord, die auch alle jene Gegenden aus eigener Anschauung kannten, einstimmig den Schneemangel und die größere Höhe der Schneegränze am tübetanischen Abfall bekräftigt haben. Diese Thatsache aber gewährt mehr als ein bloß meteorologisches Interesse, sie hat einen Einfluß auf das Leben der Völker ausgeübt. Meteorologische Processe des Luftkreises gestatten oder entziehen dem Ackerbau oder dem Hirtenleben weite Erdstriche des asiatischen Hochlandes. Hrn. v. Humboldt’s Werk über Central-Asien hat den Streit über den Himálaya-Schnee, der nun schon ein Viertel-Jahrhundert dauert, von Neuem angefacht. Der indische Geognost Mac Clelland, Herausgeber des Calcutta-Journal, hatte die vom Lieutenant Hutton und früher von John Gerard erregten Zweifel lebhaft verstärkt. So war die Lage der Dinge, oder vielmehr die Lage unseres Wissens im Anfange des Jahres 1844. — Ein Mann von großer Erfahrung tritt nun im Calcutta- Journal (Januar 1844) sehr unwillig auf, und redet der älteren Meinung von der höheren tübetanischen Schneegränze das Wort. Wir wollen Einiges aus dem Briefe mittheilen, den Hr. Batten (Bengal service) aus dem Lager von Semulka, am Cosillah River, in der Provinz Kumaon, an Hrn. Mac Clelland (23. Decemb. 1843) richtet: »Erst spät, aber mit Verwunderung,« sagt er, lese ich die Behauptungen des Hrn. Hutton über die Schneegränze, und ich bin es der Wissenschaft um so mehr schuldig, öffentlich solchen Behauptungen zu widersprechen, als Hr. Mac Clelland so weit geht, von dem Verdienst zu sprechen, daß sich der Lieutenant, jetzt Capitän, Hutton, dadurch erworben haben soll, daß er einen weit verbreiteten Irrthum aufgedeckt habe. Es wird sogar behauptet, daß Jeder, welcher das Himálaya-Gebirge besucht hat, Hutton’s Zweifel theilen müsse. Ich bin einer von Denen, die den westlichen Theil unser mächtigen Gebirgskette am meisten durchstrichen haben. Ich war durch den Borendo-Paß in das Buspathal und das untere Kunawur-Land gekommen, und kehrte durch den hohen Rupin-Paß in die Rewaien- Berge von Gurwal zurück. Ich drang zu den Quellen des Jumna bis Jumnotri vor, wandte mich von da zu den Ganges-Zweigen (Branches) von Mundakni und Vischnu-Aluknunda nach Kadarnath und dem berühmten Schneegipfel von Nundidevi. Mehrmals wanderte ich über den Niti-Paß nach dem tübetanischen Hochlande. Das settlement von Bhote Mehals in Kumaon habe ich selbst gestiftet. Mein Wohnsitz mitten im Gebirge hat mich seit sechs Jahren ununterbrochen mit europäischen und eingeborenen Reisenden in Verkehr gesetzt, die ich auf das Sorgfältigste über den Anblick des Landes habe befragen können, und nach allen, auf diese Weise eingesammelten Erfahrungen bin ich zu der Ueberzeugung gelangt, und bereit dieselbe überall zu vertheidigen, daß in dem Himálaya die Gränze des ewigen Schnees an dem nördlichen (tübetanischen) Abhange höher liegt, als an dem südlichen (indischen). Capitän Hutton, indem er Humboldt’s allgemeine Ansicht des Phänomens zu widerlegen glaubt, verunstaltet das Problem und ficht gegen ein von ihm selbst geschaffenes Phantasiebild. Er sucht zu beweisen, was ich ihm gern zugebe, daß in einzelnen Bergen der Schnee länger auf der nördlichen, als auf der südlichen Seite liegen bleibt. Was man nach Webb’s Messungen bisher behauptet hat, und was ich hier wieder bekräftige, ist: daß in derselben Zeit, z. B. an einem Septembertage, wo in Tübet oder dem Hochlande der chinesischen Tartarei in 17000 oder 18000 engl. Fuß Höhe von einem Reisenden wenig oder gar kein Schnee gesehen wird, ein anderer Reisende an der südlichen Seite der hohen Piks tiefen Schnee schon in 14000 Fuß Höhe über dem Meere findet. Ich rede hier nur von den Thatsachen selbst: über die wahre Ursache der Erscheinung bin ich weit entfernt, meinen Glauben auf Humboldt’s Meinungen ganz zu beschränken. (I am far from pinning my faith to even Humboldt in this point of the causes of the phenomena.) Ueber die Ursachen läßt sich viel hin und her streiten.« (Aus den Berlinischen Nachrichten etc. vom 14. Juni 1844.)