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Alexander von Humboldt: „Ueber die Höhe des ewigen Schnees an den beiden Abhängen des Himálaya-Gebirges“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1844-Ueber_die_Hoehe-2> [abgerufen am 25.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1844-Ueber_die_Hoehe-2
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Titel Ueber die Höhe des ewigen Schnees an den beiden Abhängen des Himálaya-Gebirges
Jahr 1844
Ort Leipzig
Nachweis
in: Annalen der Physik und Chemie 62:2 [= 138:2] (1844), S. 277–282.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua (mit lang-s); Auszeichnung: Kursivierung, Sperrung; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VI.46
Dateiname: 1844-Ueber_die_Hoehe-2
Statistiken
Seitenanzahl: 6
Zeichenanzahl: 9710

Weitere Fassungen
Ueber die Höhe des ewigen Schnees an den beiden Abhängen des Himálaya-Gebirges (Berlin, 1844, Deutsch)
Ueber die Höhe des ewigen Schnees an den beiden Abhängen des Himálaya-Gebirges (Leipzig, 1844, Deutsch)
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Ueber die Höhe des ewigen Schnees an denbeiden Abhängen des Himálaya-Gebirges.


Ein neu angekommenes Stück des ostindischen Journalsfür Naturgeschichte von Mac Clelland und Griffith(Calcutta Journal, January 1844) enthält eine sehrentscheidende und für die physikalische Erdbeschreibung|278| wichtige Erläuterung über die Gränze des ewigen Schneesan beiden Abhängen des Himálaya, dem nördlichen tü-betanischen und dem südlichen indischen.Als man im Jahre 1820 zuerst erfuhr, daß der Ca-pitän Webb in dem Paß von Niti und in der tübetani-schen Hochebene von Daba, wie früher Moorcroft andem Heiligen See (Manassarovar) das Erdreich, zwischen30° und 32° nördlicher Breite auf Höhen schneefrei ge-funden hatte, wo in der Andes-Kette von Quito, unterdem Aequator, 1800 bis 2000 Fuß tiefer, schon Allesim ewigen Schnee vergraben liegt, schien diese Thatsa-che mit den bisher erkannten Gesetzen der abnehmen-den Wärme in Höhe und Polarabstand in vollem Wi-derspruche zu stehen. Weizenfelder wurden in der tü-betanischen Hochebene bis 11300 Par. Fuß, Gerstenfel-der bis 13800 Fuß Höhe gesehen. Durch Pentland’serste geognostische Reise nach Bolivia (dem oberen Peru)im Jahr 1827 wurden ähnliche Verhältnisse bekannt. Aufder westlichen Andeskette von Bolivia fand Pentlanddie Gränze des ewigen Schnees unter 14° \( \frac{1}{2} \) und 18°südlicher Breite erst 17400 Par. Fuß hoch über derMeeresfläche, wenn diese Gränze unter der Linie beiQuito nur 14850 Fuß hoch liegt. In dem dritten Theileseines neueren Werkes: Asie centrale (p. 233—327)hat Alexander v. Humboldt die physischen Ursachen,welche diese scheinbaren Widersprüche bedingen, weit-läufig entwickelt und den Gegenstand unter einem all-gemeineren Gesichtspunkte behandelt, als er es in zweifrüheren Abhandlungen: sur les Montagnes de l’Inde(Annales de chimie et de physique, T. XIV p. 5—55)wegen Mangel vollständiger Beobachtungen hatte thunkönnen. Hr. v. Humboldt sucht zu beweisen, daß mandie Höhe, in welcher Schnee sporadisch fällt, mit derGränze des ewigen Schnees, daß man, hypsometrisch,die Abhänge von Bergen bei tiefen Durchbrüchen derFlüsse durch die Himálaya-Kette mit den Gipfeln ver-|279| wechselt habe, die aus dem tübetanischen Plateau auf-steigen, oder, mit dem eigentlichen nördlichsten Abhangedes Himálaya selbst. Humboldt hält die mittlere Höheder tübetanischen Hochebene zwischen 71° und 83° öst-licher Länge (also zwischen dem N.—S. streichendenBolor und dem großen, einst mit dem Buramputer ver-wechselten Flusse Yaru-Dzangbo-Tchou) für nicht grö-ßer, als 10,800 Par. Fuß; sie erreicht also kaum diekornreiche Ebene von Caxamarca im nördlichen Peru;sie ist 1200 Fuß niedriger als die Hochebene von Titi-caca, der Ursitz der Incas-Cultur, eben so viel niedri-ger als das Straßenpflaster der Stadt Potosi. Hum-boldt zieht aus vielen Messungen das Resultat, daß dieewige Schneegränze am Himálaya an dem nördlichen Ab-hange 15,600, an dem südlichen 12,200 Fuß hoch liegt.Wenn die Schneeberge nicht in Ketten vereinigt, nichttheilweise an Hochebenen angelehnt wären, sondern überdie Oberfläche des Meeres als isolirte Kegel aufstiegenund eine ganz gleiche Breiten-Dimension hätten, so würdedie Schneegränze vom Aequator gegen beide Pole hinsich ununterbrochen und regelmäßig erniedrigen, und un-ter verschiedenen Meridianen würde sie eine gleiche Höheüber einer Linie gleicher Sommerwärme (Isothere) be-haupten, die im Niveau des Meeres gezogen wird. Danun die Isotheren im Inneren der Continente einen con-vexen Scheitel haben, so erhebt sich die Schneegränze,wegen der geringeren Sommerwärme der Küsten, vondiesen gegen den Continent hin. Die Himálaya-Kette,wie schon längst mit vielem Scharfsinn Leopold v.Buch bemerkt hat, setzt eine Gränze dem Klima vonHindostan. Sie hindert, wie eine große Mauer, dasVordringen der Mussons, und macht einen wichtigenAbschnitt in der südasiatischen Meteorologie. Auf dengroßen Höhen des Tübet fällt nur sehr wenig Schnee:eben so ist es, nach Hugi, in den Schweizer Alpen,wenn man die Masse des jährlich gefallenen Schnees|280| in 7000 und 10000 F. Höhe vergleicht. Die mittlere Höheder Schneegränze hängt nicht von der mittleren Tempe-ratur des ganzen Jahres, sondern von der der Sommer-monate ab. Sie ist die Höhe, in der der Schnee sichin den heißesten Monaten ungeschmolzen erhält, und alsein sehr verwickeltes Phänomen wird sie gleichzeitig mo-dificirt durch die Temperatur der Ebenen, über welchesie sich unter verschiedenen Breiten erhebt, durch dieGröße und Dauer der Sommerwärme, durch die Quan-tität Schnee, welche im Laufe des ganzen Jahres gefal-len ist, durch die Richtung schneeschmelzender hoherWinde, durch die mehr oder minder continentale Lagedes Gebirges (seine Entfernung von einer östlichen oderwestlichen Küste), durch die Ausdehnung und Höhe derHochebenen, an welche das Gebirge von einer oder vonzwei Seiten angelehnt ist, durch die Trockenheit der um-gebenden Atmosphäre, ihre Durchsichtigkeit (heiterenoder nebeligen Zustand), welche die Wirkung der Sonneund den Wärmeverlust durch Strahlung bestimmen, end-lich durch den Grad der Steilheit der Abhänge und dieNähe oder Entfernung anderer erkältenden Schneegipfel.Hr. v. Humboldt hat in seinem neuesten Werke überCentral-Asien gezeigt, daß in den neuesten Zeiten, be-sonders durch den Lieutenant Thomas Hutton, vom37. Regimente (Assistant Surveyor of the Agra Divi-sion), in Indien selbst wieder Zweifel über den Unter-schied der Schneehöhe an beiden Himálaya-Abhängenerregt worden sind, nachdem der vortreffliche Cole-brooke, Webb und Hodgson, Jacquemont, For-bes Royle und Dr. Lord, die auch alle jene Gegen-den aus eigener Anschauung kannten, einstimmig denSchneemangel und die größere Höhe der Schneegränzeam tübetanischen Abfall bekräftigt haben. Diese That-sache aber gewährt mehr als ein bloß meteorologischesInteresse, sie hat einen Einfluß auf das Leben der Völ-ker ausgeübt. Meteorologische Processe des Luftkreises|281| gestatten oder entziehen dem Ackerbau oder dem Hir-tenleben weite Erdstriche des asiatischen Hochlandes.Hrn. v. Humboldt’s Werk über Central-Asien hat denStreit über den Himálaya-Schnee, der nun schon einViertel-Jahrhundert dauert, von Neuem angefacht. Derindische Geognost Mac Clelland, Herausgeber des Cal-cutta-Journal, hatte die vom Lieutenant Hutton undfrüher von John Gerard erregten Zweifel lebhaft ver-stärkt. So war die Lage der Dinge, oder vielmehr dieLage unseres Wissens im Anfange des Jahres 1844. —Ein Mann von großer Erfahrung tritt nun im Calcutta-Journal (Januar 1844) sehr unwillig auf, und redetder älteren Meinung von der höheren tübetanischen Schnee-gränze das Wort. Wir wollen Einiges aus dem Briefemittheilen, den Hr. Batten (Bengal service) aus demLager von Semulka, am Cosillah River, in der ProvinzKumaon, an Hrn. Mac Clelland (23. Decemb. 1843)richtet: »Erst spät, aber mit Verwunderung,« sagt er,»lese ich die Behauptungen des Hrn. Hutton über dieSchneegränze, und ich bin es der Wissenschaft um somehr schuldig, öffentlich solchen Behauptungen zu wi-dersprechen, als Hr. Mac Clelland so weit geht, vondem Verdienst zu sprechen, daß sich der Lieutenant,jetzt Capitän, Hutton, dadurch erworben haben soll,daß er einen weit verbreiteten Irrthum aufgedeckt habe.Es wird sogar behauptet, daß Jeder, welcher das Hi-málaya-Gebirge besucht hat, Hutton’s Zweifel theilenmüsse. Ich bin einer von Denen, die den westlichenTheil unser mächtigen Gebirgskette am meisten durch-strichen haben. Ich war durch den Borendo-Paß in dasBuspathal und das untere Kunawur-Land gekommen, undkehrte durch den hohen Rupin-Paß in die Rewaien-Berge von Gurwal zurück. Ich drang zu den Quellendes Jumna bis Jumnotri vor, wandte mich von da zuden Ganges-Zweigen (Branches) von Mundakni undVischnu-Aluknunda nach Kadarnath und dem berühm-|282| ten Schneegipfel von Nundidevi. Mehrmals wanderteich über den Niti-Paß nach dem tübetanischen Hoch-lande. Das settlement von Bhote Mehals in Kumaonhabe ich selbst gestiftet. Mein Wohnsitz mitten im Ge-birge hat mich seit sechs Jahren ununterbrochen mit euro-päischen und eingeborenen Reisenden in Verkehr gesetzt,die ich auf das Sorgfältigste über den Anblick des Lan-des habe befragen können, und nach allen, auf dieseWeise eingesammelten Erfahrungen bin ich zu der Ueber-zeugung gelangt, und bereit dieselbe überall zu verthei-digen, daß in dem Himálaya die Gränze des ewigenSchnees an dem nördlichen (tübetanischen) Abhangehöher liegt, als an dem südlichen (indischen). Capi-tän Hutton, indem er Humboldt’s allgemeine An-sicht des Phänomens zu widerlegen glaubt, verunstaltetdas Problem und ficht gegen ein von ihm selbst geschaf-fenes Phantasiebild. Er sucht zu beweisen, was ich ihmgern zugebe, daß in einzelnen Bergen der Schnee län-ger auf der nördlichen, als auf der südlichen Seite lie-gen bleibt. Was man nach Webb’s Messungen bisherbehauptet hat, und was ich hier wieder bekräftige, ist:daß in derselben Zeit, z. B. an einem Septembertage,wo in Tübet oder dem Hochlande der chinesischen Tar-tarei in 17000 oder 18000 engl. Fuß Höhe von einemReisenden wenig oder gar kein Schnee gesehen wird,ein anderer Reisende an der südlichen Seite der hohenPiks tiefen Schnee schon in 14000 Fuß Höhe über demMeere findet. Ich rede hier nur von den Thatsachenselbst: über die wahre Ursache der Erscheinung bin ichweit entfernt, meinen Glauben auf Humboldt’s Mei-nungen ganz zu beschränken. (I am far from pinningmy faith to even Humboldt in this point of the cau-ses of the phenomena.) Ueber die Ursachen läßt sichviel hin und her streiten.« (Aus den Berlinischen Nach-richten etc. vom 14. Juni 1844.)