Tropiſche Thiere in hohen nördlichen und ſüdlichen Breiten. „Das Studium der foſſilen Knochen“ — ſagt A. v. Humboldt in ſeinem großen Werke über Central-Aſien — „führt uns dahin, die Vertheilung verſchiedener Typen von Formen mit den Veränderungen zu vergleichen, welche die Klimate ſeit den letzten Umwälzungen des Erdballs erfahren haben können. Der Königs-Tiger, dieſelbe Gattung, welche die tropiſchen Regionen Indiens und der Inſel Ceylon bewohnt, hauſt in den zum Altai gehörenden Bergen Kuriſchum und Narym. Er zeigt ſich heutzutage nicht bloß auf den Ebenen der Dſungarei; er rückt ſogar nordwärts, zwiſchen dem Schlangenberg und der Stadt Barnaul, bis zu den Breiten von Berlin und Hamburg vor. Dies iſt ohne Zweifel eines der merkwürdigſten Phänomene, wenn man es nur aus dem Geſichtspunkt der Geographie der Thiere betrachtet, ein Phänomen, demjenigen analog, welches in Süd-Amerika der Jaguar (Amerikaniſche Tiger) bis zum 42ſten, der Puma-Löwe und der Vogel Colibri bis zum 53ſten Grade ſüdlicher Breite, d. h. bis zu den an die Magellan-Straße gränzenden Ländern zeigen. *) Im nördlichen Aſien aber wird der Süden des Altai-Gebirges während des Sommers gleichzeitig von dem Elenthier und dem Königs-Tiger, vom Rennthier und der Panther-Gattung Irbiß bewohnt. Dieſes nahe Zuſammenſeyn großer thieriſcher Bewohner der heutigen Welt, von denen man gewöhnlich annimmt, daß ſie den entgegengeſetzteſten Klimaten angehören, iſt eine der am beſten beglaubigten Thatſachen. Das Rennthier (Cervus tarandus) findet ſich im wilden Zuſtand an den Ufern des oberen Tſchuliſchman, welcher in den See Telezk mündet, wahrſcheinlich auch zwiſchen dem Jaſſaten und der Alaſcha, zwei Zuflüſſen des Argut. Nun aber iſt in Oſtſüdoſt-Weſtſüdweſtlicher Richtung nur eine Strecke von 40 — 50 Meilen von dieſen Wohnſitzen der Rennthiere und Elenthiere bis zum Narym und dem nördlichen Hange des Kurtſchum, wo der Königs-Tiger von Zeit zu Zeit erſcheint, um noch viel nördlichere Exkurſionen zu machen. Skelette dieſer ſo verſchiedenen Typen angehörenden Thiere könnten alſo unter dem Einfluſſe der klimatiſchen Umſtände der heutigen Welt auf der Oberfläche des Bodens ſehr nahe an einander liegen. Ohne das hier mitgetheilte Faktum der zoologiſchen Geographie würden foſſile Gebeine von Rennthieren neben foſſilen Gebeinen des Königs- Tigers leicht dahin führen, daß man in der Vertheilung der Temperaturen und ihrer raſchen Aufeinanderfolge eine jener großen Umwandlungen annähme, mit welchen vormals das Phänomen der im eiſigen Boden Sibiriens verſcharrten Gebeine von Pachydermen erklärt worden iſt.“