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Alexander von Humboldt: „[Über die Emanzipation der Juden]“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1842-xxx_Ueber_die_Emanzipation-8-neu> [abgerufen am 29.03.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1842-xxx_Ueber_die_Emanzipation-8-neu
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Titel [Über die Emanzipation der Juden]
Jahr 1843
Ort Leipzig
Nachweis
in: Allgemeine Zeitung des Judenthums. Ein unpartheiisches Organ für alles jüdische Interesse 7:34 (21. August 1843), S. 505–509.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: VI.27
Dateiname: 1842-xxx_Ueber_die_Emanzipation-8-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 5
Spaltenanzahl: 8
Zeichenanzahl: 17005

Weitere Fassungen
[Über die Emanzipation der Juden] (Frankfurt am Main, 1842, Deutsch)
[Über die Emanzipation der Juden] (Paris, 1842, Französisch)
[Über die Emanzipation der Juden] (Speyer, 1842, Deutsch)
[Über die Emanzipation der Juden] (Paris, 1842, Französisch)
[Über die Emanzipation der Juden] (Leipzig, 1842, Deutsch)
[Über die Emanzipation der Juden] (Leipzig, 1842, Deutsch)
[Über die Emanzipation der Juden] (Leipzig, 1842, Deutsch)
[Über die Emanzipation der Juden] (Leipzig, 1843, Deutsch)
|505| |Spaltenumbruch| Düſſeldorf, 13. Juli. (46ſte Plenar-Sitzung.Fortſetzung.) Als bald darauf Preußens König dasVolk zu den Waffen rief, da folgten auch ſeinejüdiſchen Unterthanen freudig dem Rufe zum Kampfefür’s Vaterland, daß auch ſie nun das Ihrigenennen konnten, und nach beendigtem Kriege wid-meten ſich viele Iſraeliten, da das Geſetz ihnennunmehr die Bahn zu einer Wirkſamkeit im öf-fentlichen Unterricht eröffnet hatte, mit Fleiß undLiebe der Vorbereitung zu dieſem ehrenvollen Be-rufe. Allein eine Verfügung vom Jahre 1823zerſtörte ihre gerechten Lebenshoffnungen, indem ſiedie Juden von Schul- und Lehr-Aemtern entfernte;ſie wurden faktiſch von den Offizierſtellen in der Ar-mee, die ihnen im Befreiungskriege vielfach verliehenworden waren, ausgeſchloſſen, und ſahen nach undnach ihre durch das Geſetz von 1812 begründeten unddurch treue Hingebung gegen den Staat wohlerwor-benen Rechte aufgehoben. Sechstauſend Iſraelitenſind in dem Befreiungskriege gefallen, und noch dür-fen den vaterländiſchen Boden, den ſie mit ihremBlute tränkten, ihre Glaubensgenoſſen nur mit demGefühl verſtoßener Fremdlinge betreten, noch ſprichtder Staat zu ſeinen jüdiſchen Unterthanen: Haſt duTalente, ſo magſt du ſie brach liegen laſſen, ichkann ſie nicht brauchen; haſt du Ehrgefühl, ſo magſtdu es in dir erſticken, ich werde es nicht befriedigen;haſt du dir Wiſſen erworben, ſo magſt du es ver-ſcharren, ich werde ihm keinen nützlichen Wirkungs-kreis anweiſen. Das Referat hat bereits der Ver-heißungen erwähnt, welche den Juden der deutſchen |506| |Spaltenumbruch| Bundesſtaaten in der Bundesakte gegeben wurden;ſo wenig aber ihr gegenwärtiger Rechtszuſtand den-ſelben entſpricht, ſo wenig dürfte auch damit dieAnordnung in Einklang zu bringen ſein, welche demVernehmen nach in Bezug auf die Juden in Preu-ßen vorgeſchlagen wurde. Nach dieſer Anordnungwürden die Juden in beſonderen, von den Staats-bürgern getrennten Korporationen organiſirt, nichtnur von allen Aemtern, ſondern auch gegen Erle-gung einer Rekruten-Steuer von der Militärpflich-tigkeit ausgeſchloſſen, ſo aber aus der allgemeinenNationalität des Volks förmlich ausgeſtoßen undzwiſchen ihnen und den Chriſten eine ſchroffe, un-überſteigliche Kluft geſchaffen werden. Ich enthaltemich jeder Aeußerung über dieſe Maßregel, ſo wieder Frage, wie ſie mit dem Geſetz von 1812, mitder Treue, der Hingebung des jüdiſchen Volkes ge-gen den Staat, mit der Verheißung der Bundesaktein Einklang zu bringen ſein würde; ich erlaube miraber, Ihnen ein Schreiben mitzutheilen, welchesnach öffentlichen Blättern A. von Humboldt überdieſen Gegenſtand an den Grafen von Stolberg rich-tete: „Ich habe, theurer Graf, mit einem Schmerze,deſſen Motive und Richtung Sie mit mir theilen,die Anlage (Journal des Débats vom 10. März1842), die geſtern angekommen iſt, geleſen. Ichhoffe, daß Vieles ſehr falſch und hämiſch aufgefaßtiſt — wäre es nicht, ſo halte ich die beabſichtigtenNeuerungen nach meiner innigſten Ueberzeugung fürhöchſt aufregend, mit allen Grundſätzen der Staats-klugheit ſtreitend, zu den bösartigſten Interpretatio-nen der Motive veranlaſſend, Rechte beraubend, diedurch ein menſchlicheres Geſetz des Vaters bereits er-worben ſind, und der Milde unſeres jetzigen theurenMonarchen entgegen. Es iſt eine gefahrvolle An-maßung der ſchwachen Menſchheit, die alten DekreteGottes auslegen zu wollen. Die Geſchichte finſtererJahrhunderte lehrt, zu welchen Abwegen ſolche Deu-tungen den Muth geben. Die Beſorgniß, mir zuſchaden, muß Sie nicht abhalten, von dieſen ZeilenGebrauch zu machen; man muß vor allen Dingenden Muth haben, ſeine Meinung zu ſagen.“ Wirdürfen vertrauen, meine Herren, daß dem hier inRede ſtehenden Plane keine Folge gegeben werdenwird, aber wenn auch nur der Gedanke an einenſolchen Rückſchritt, an eine ſolche Verkennung allernatürlichen und erworbenen Rechte aufkommen kann, |Spaltenumbruch| ſo iſt es um ſo mehr an der Zeit, daß ſich Stim-men zur Vertheidigung der Sache der Menſchheit er-heben. Verweilen wir noch einen Augenblick bei derbeſonderen Lage, in welcher ſich die Juden der Rhein-provinz befinden. Es iſt Ihnen bekannt, daß außerdem Juden-Dekrete vom 17. März 1808 in derRheinprovinz geſetzlich keine Beſchränkungen der Iſ-raeliten beſtehen. Faktiſch befinden ſie ſich aber indemſelben Zuſtande wie ihre Glaubensgenoſſen inden alten Provinzen, und die Aufhebung des er-wähnten Dekrets würde daher nur einen kleinenTheil des Druckes wegnehmen, der auf ihnen laſtet.Wie ſehr aber die jüdiſchen Bewohner der Provinzes verdienen, daß derſelbe ganz verſchwinde, gehtdaraus hervor, daß dem Vernehmen nach von denbeiläufig 500 Legitimationsſcheinen, welche in denKreiſen Kleve, Geldern, Kempen, Gladbach, Kre-feld, Neuß und Grevenbroich jährlich ausgefertigtwerden, kaum einer verweigert, und von den ſeitacht Jahren ertheilten jüdiſchen Handels-Patentennicht ein einziges vom rheiniſchen Appellhof wider-rufen worden iſt. Nicht allein aber verdienen daherdie Juden eine gänzliche bürgerliche Gleichſtellung,ſondern auch die Provinz muß ſie in ihrem eigenenIntereſſe dringend wünſchen. Die unbeſchränkteſtaatsbürgerliche Stellung der Juden fließt her ausdem Grundſatze der Gleichheit vor dem Geſetze, ſiebildet einen Theil der Baſis, auf welcher unſereGeſetzgebung, unſere bürgerliche Freiheit beruht;wird ein Steinchen aus dem wohlgefugten Getäfelgenommen, ſo iſt das Ganze verletzt und in Fragegeſtellt. Meine Herren! Je tiefer wir uns von derGöttlichkeit des chriſtlichen Glaubens durchdrungenfühlen, deſto mehr müſſen wir es für ein Unglückhalten, ſeiner Segnungen nicht theilhaftig zu ſein.Wollen wir denn diejenigen, die dieſe Wohlfahrt ent-behren, durch Bedrückung und Kränkungen nochunglücklicher machen? wollen wir nicht vielmehr durchein gerechtes, liebevolles Benehmen die höheren Vor-züge unſerer Religion an den Tag legen? Im Na-men der Menſchheit, gegen die eine heilige Schuldabzutragen iſt, im Namen des Chriſtenthums, dasalle Menſchen mit göttlicher Liebe umfaßt, im Na-men des Geſetzes, vor dem alle Menſchen gleich ſeinſollen, im Namen unſeres hohen Berufes beſchwöreich Sie, meine Herren, verſagen Sie dem vorliegen-den Antrage Ihre Zuſtimmung nicht! Laſſen Sie |507| |Spaltenumbruch| uns durch unſern Ausſpruch den Weg dazu anbah-nen, daß wir in unſerem ſchönen Vaterlande keinemMenſchen mehr begegnen, der im Gefühl des Drucksund ungerechter Kränkung den Blick traurig nieder-ſenkt; laſſen Sie uns keinen, den Gott als unſerenBruder hat geboren werden laſſen, lieblos verſtoßen,geben wir ihm Raum, jedes Talent, jede Kraft,welche der Schöpfer ihm verliehen hat, unbeengtzum Heile der Menſchheit zu entwickeln! Einer vonIhnen, meine Herren, hat mir geäußert, er habedas Vertrauen zu mir gefaßt, daß ich ſtets nachmeiner Ueberzeugung rede; ich habe mich dieſes Lo-bes, des einzigen, das ein Deputirter annehmendarf, mit dem Bewußtſein gefreut, daß ich es ver-diene; wenn ich aber je nach meiner Ueberzeugunggeſprochen habe, ſo geſchah es heute, und wennauch mir nicht mit der innigſten Ueberzeugung zu-gleich die Kraft gegeben iſt, ſie Ihnen einzuhauchen,ſo weiß ich doch, daß auch das ſchwache Wort, wennder Geiſt der Wahrheit es durchdringt, den Ein-gang in die Herzen zu finden vermag. Ein Abgeordneter der Ritterſchaft: Die Frageder Juden-Emanzipation oder ihrer gänzlichen Gleich-ſtellung mit den Chriſten iſt in neuerer Zeit vielfach inAnregung gebracht und der Gegenſtand weitläufigerErörterungen geworden. Ich will verſuchen, dieſelbeauf einige Hauptmomente zurückzuführen und dieſedann zum Gegenſtand einer kurzen Erörterung zumachen. Was ein durch Form und Geiſt eng ver-bundenes, keine Opfer und Entbehrungen ſcheuendesund nur das Eine Ziel verfolgendes Ganzes denungünſtigſten Konjunkturen zum Trotz zu erreichenim Stande iſt, dafür liefert das Volk Iſrael einenmerkwürdigen Beweis. Während daſſelbe Jahrhun-derte lang und in der tiefſten Erniedrigung einekümmerliche Exiſtenz friſtete, deren Erhaltung es nurſeiner Iſolirung und Eigenthümlichkeit verdankte, er-blicken wir daſſelbe jetzt im Beſitz der größten Macht,der Geldmacht, als den Inhaber vielleicht des vier-ten Theils des beweglichen Kapital-Vermögens un-ſerer Staaten, als den Buchführer und Gläubigerder Fürſten, als den großen Säckelträger und Wech-ſelzieher der Völker, als den Autokraten im Börſen-,Papier- und Aktienweſen in den Staaten, und alsden Herrſcher über Gut und Blut in ganzen Stri-chen des platten Landes. Wer hierin eine Ueber-ſchätzung der Bedeutung der Juden und des Juden- |Spaltenumbruch| thums erblickt, deſſen Verblendung iſt nur zu bekla-gen, die allein die großen Vorzüge überſehen kann,mit denen das Volk der Juden ausgeſtattet iſt, unddie ihm durch ſeine traditionellen Vorſtellungen undSitten dem verflachenden Indifferentismus und Kos-mopolitismus gegenüber geſichert ſind. Das Volkder Juden bildet den Zentralſtamm des menſchlichenGeſchlechts, und alles, was dem Menſchen an Ga-ben, wie an Fehlern und Mängeln, von der erſtenSchöpfung und dem Falle her zukommt, iſt darumin reicherem Maße und in größerer Fülle bei ihmvereinigt als bei irgend einem anderen. Daher wares von jeher, auch vor der chriſtlichen Zeit, Gegen-ſtand des Haſſes und der Verfolgung der übrigenVölker, darum aber war es auch das auserwählteVolk des Herrn, und darum bleibt es uns, ſelbſtin dem Zuſtande der Erniedrigung, wann und woſie auf ihm laſtet, ehrwürdig und ein Gegenſtandder innigſten Theilnahme. Handelte es ſich blosum den Genuß der bürgerlichen Rechte, ich würdekeinen Anſtand nehmen, ihnen denſelben, da, wo ſieſind, in reichlichem Maße zu gewähren. Ich ſage:da, wo ſie ſind, denn die Gewährung unbedingterFreizügigkeit müßte ſtets den größten Bedenken un-terliegen, da die Juden überall als heterogenes Ele-ment auftreten, deſſen Abwehr nach ſo vielen undlangen Erfahrungen Niemandem verdacht werdenkann. Eine ganz andere Frage aber iſt die, ob derStaat durch Gewährung aller politiſchen Rechte ſichſeines bisherigen chriſtlichen Charakters vollends undbis auf das Letzte entkleiden ſoll. Er wird dadurchnothwendig auf die einzige Grundlage der materiel-len Intereſſen und der rohen Gewalt zurückgeführt,eine Grundlage, die keinem Weiterdenkenden zuſagendürfte. Ich weiß ſehr wohl, daß man jene chriſt-liche Grundlage durch das Wort Humanität erſetzenmöchte, doch kann dieſer Ausdruck immer nur diebeiden Beſtandtheile des Menſchen, das geiſtige unddas ſinnliche Element, bezeichnen. Das Erſterewird uns ſtets auf das Chriſtenthum und das Letz-tere auf die Herrſchaft der materiellen Intereſſenoder der rohen Gewalt zurückführen. Ein merkwür-diges Beiſpiel hierfür liefert Frankreich, wo, umnur einer der handgreiflichen äußeren Erſcheinungenzu gedenken, in allen Gerichtshöfen ohne Ausnahme,nicht das Bildniß des lorbeerbekränzten Regenten,ſondern das Bildniß des mit Dornen gekrönten ge- |508| |Spaltenumbruch| kreuzigten Erlöſers hängt und hinreichend beweiſt, inweſſen Namen hier in letzter Inſtanz Recht geſpro-chen wird. Kann aber der Jude in dieſem NamenRecht ſprechen, kann er als Verwaltungs-Beamterchriſtliche Zuſtände auffaſſen, ſchützen und fördern,kann er z. B. Schulrath, kann er Kultus-Miniſterwerden? und er muß es können, wenn die Eman-zipation zur Wahrheit werden ſoll. Ich weiß ſehrwohl, daß ein großer Theil der Juden dem Glau-ben und den Sitten ihrer Vorfahren entſagt undauf diesem Wege zur Emanzipation zu gelangenhofft, aber ich weiß auch, daß dieſes nur eben ſoviell Gegner des Chriſtenthums mehr ſind, die indas Lager des mächtigeren und gefährlicheren Fein-des, des Indifferentismus, übergegangen ſind, wasdie Erfahrungen der neueſten Zeit hinreichend bewie-ſen haben, wenn es noch eines ſolchen Beweiſes be-dürfen konnte. Einer der früheren Redner hat ge-äußert, daß er es nicht unternehmen wolle, dieSache vom religiöſen Standpunkte aus zu betrach-ten, wie es der Herr Referent wegen ſeines geiſt-lichen Charakters gethan habe; ich aber will es un-ternehmen, und zwar von demſelben Standpunkteaus, den jener bezeichnet. Wenn aber der HerrReferent die Emanzipation der Juden als einenothwendige Folge der Grundſätze des Chriſtenthumsdarſtellen zu können glaubt, ſo ſtelle ich dem Refe-renten von meinem Standpunkte aus eine höhereAutorität entgegen. Es iſt die Autorität der katho-liſchen Kirche, die dieſe Folge nirgends und zu kei-ner Zeit ausgeſprochen hat, während ſie zu allenZeiten die Sklaverei als mit den Grundſätzen desChriſtenthums unverträglich erklärt hat. So langeaber dieſe Autorität nicht geſprochen, ſo lange ichmich nicht von meiner irrigen Auffaſſungsweiſe über-zeugt, kann und darf ich, trotz dem Referenten,der Emanzipation der Juden, als mit den chriſt-lichen ſozialen Zuſtänden unverträglich, ſtets undlaut widerſprechen. Ein Abgeordneter der Städte: Nach den Vorträgen, die wir vom verehrtenReferenten und von einem Abgeordneten der Städtegehört, bleibt mir nichts mehr zu ſagen übrig, alsdaß wir entweder dieſe herrlichen Produkte der geiſt-reichſten Humanität verbrennen oder durch denDruck der Unſterblichkeit überliefern müßten. Ver-modern oder verſchimmeln dürfen ſie in unſeren Ar- |Spaltenumbruch| chiven nicht. Es handelt ſich zunächſt um die Auf-hebung eines verſchollenen Geſetzes, desjenigen vom17. März 1808. Dieſes Geſetz war ein Strafediktfür die Dauer von zehn Jahren; es galt für dasElſaß und kam nur par bricole nach dem jetzigenRhein-Baiern, Rhein-Heſſen und Rhein-Preußen,und zwar nur ins halbe Rhein-Preußen. Seit25 Jahren 3 Monaten und 13 Tagen iſt die Straf-zeit vorüber, und es iſt verſäumt worden, und zwarvon den Ständen verſäumt worden, darauf auf-merkſam zu machen, daß im Elſaß, in Rhein-Baiernund Rhein-Heſſen die Wirkung des Strafediktsaufgehört hat, daß ſie nirgendwo mehr beſtehet, alsim halben Rhein-Preußen. Hier aber beſteht ſieohne Fug, Grund und Recht, denn es hat ſich indem Vierteljahrhundert nichts zugetragen, was dieFortdauer der Strafe auch nur dem Scheine nachrechtfertigen könnte. Wir bitten unſere Brüder vomrechten Ufer, uns zu helfen. Dieſe Bitte iſt ſo bil-lig und gerecht, daß ſie uns gar nicht abgeſchlagenwerden kann. Was würden wol unſere Nachbars-leute von unſerer Einigkeit und Einheit ſagen, wennunſere Bitte, die wir an die rechte Rheinſeite rich-ten, und zwar in einer Sache, die wir eine Ehren-ſache nennen, eine vergebliche Bitte wäre? Es iſtdergeſtalt eine Ehrenſache, daß ganz Deutſchland,Belgien, Holland und Frankreich auf uns ſehen,und daß dabei der Ruhm des ſiebenten rheiniſchenLandtags auf dem Spiel ſteht. Meinen verehrtenMitſtänden lege ich dieſen Ruhm warm an’s Herz! Ein Abgeordneter der Ritterſchaft: Unter der Ju-den-Emanzipationsfrage werden wir die Frage ver-ſtehen, ob und inwiefern eine Gleichſtellung der Ju-den mit den übrigen Staatsbürgern in politiſcherBeziehung möglich ſei. Es wird nicht verkannt wer-den, daß für die Beantwortung dieſer Frage dieFeſtſtellung des Begriffs vom Judenthume vor Al-lem erforderlich und daß die nöthigen Anhaltspunktefür die Feſtſtellung dieſes Begriffes nur aus der Ge-ſchichte und aus der Art, wie in derſelben das Ju-denthum zur Darſtellung gekommen, gewonnen wer-den können. Hiernach gelangen wir aber zu demReſultate, daß das Judenthum zunächſt etwas An-deres als eine Religion, d. h. eine Glaubensgemein-ſchaft über die letzten Gründe der Dinge ſei. Wowäre auch der gemeinſchaftliche Glaubensverband zwi-ſchen dem meſſiasgläubigen Volke des alten Teſta- |509| |Spaltenumbruch| ments, dem Juden des Talmud und dem aufgeklär-ten, nach Emanzipation verlangenden Juden desneunzehnten Jahrhunderts? Die Geſchichte lehrt unsmit der nämlichen Beſtimmtheit, daß von jeher undzu allen Zeiten das Judenthum durch die Abſtam-mung und nur durch die Abſtammung fortgepflanztworden, und daß ausſchließlich ſie es geweſen, welchein faſt allen Staaten der Welt jene fremde Natio-nalität bis auf unſere Tage hat fortleben laſſen. Esiſt daher für uns die ſo bezeichnete Genoſſenſchaftvon Stammesverwandten nicht zu verwechſeln mitirgend einer anderen Gemeinſchaft von Glaubensge-noſſen, eine Verwechſelung, welche gerade am häu-figſten vorgekommen und den meiſten Anlaß zu un-richtiger Beurtheilung der vorliegenden Frage gege-ben hat. Nachdem wir hiermit den Geſichtspunktausgeſprochen, von welchem bei dieſer Beurtheilungausgegangen werden muß, iſt die Einrede zu beſeiti-gen, als ſei dieſes Jahrhunderte lang fortgeſetzte Zu-ſammenhalten von den unter ſich durch Abſtammungzu einer Gemeinſchaft Verbundenen nicht aus demWeſen dieſer Gemeinſchaft entſprungen, ſondern durchdie Unduldſamkeit und die Verfolgungsſucht frühererJahrhunderte verurſacht worden. Es lehrt uns aberdie Geſchichte auf jeder Seite, daß nach den blutig-ſten und verfolgungsſüchtigſten Zeiten der unterdrückteStamm mit dem ſiegenden ſich ſtets zu einem Gan-zen verſchmolzen habe, während gerade nur die jüdi-ſche Nationalität es war, die unter allen Umſtändender Vereinigung mit jedem fremden Elemente dauerndwiderſtrebte.