|937|
|Spaltenumbruch|
Berlin, 16. April. (Oberd. Ztg.) Das Geſetz über diejüdiſchen Staatsbürger, von dem man nun beſtimmt weiß,daß es dem Staatsrathe vorliegt, regt lebhaft die Gemütheran, und mit Theilnahme ſehen wir, daß die zahlreichen ge-bildeten Mitglieder der jüdiſchen Gemeinden im ganzen Landeenergiſche Gegenvorſtellungen an die höchſte Stelle richten,und von angeſehenen Männern in ihrem Beſtreben unterſtütztwerden. Hier iſt ſeit einigen Tagen die Abſchrift eines Brie-fes in Umlauf, den der Bankier Mendelsſohn in Königsbergvon Alexander v. Humboldt erhalten hat, nebſt einem andernSchreiben des Hrn. v. Humboldt an den Miniſter v. Stoll-berg, welches die Meinung des berühmten Gelehrten überdas in Rede ſtehende Geſetz klar darlegt. „Ich hoffe,“ ſagtderſelbe im Eingang, indem er anfragt, was von den ver-breiteten Gerüchten zu halten ſey, „daß Vieles ſehr falſchund hämiſch aufgefaßt iſt; wäre es aber ſo, ſo halte ich diebeabſichtigte Einrichtung nach meiner innigſten Ueberzeugungfür höchſt aufregend, wider alle Grundſätze wahrhafter Staats-klugheit ſtreitend, zu den bösartigſten Interpretationen derMotive veranlaſſend, Rechte raubend, die durch ein menſch-licheres Geſetz des Vaters bereits erworben ſind, und derMilde unſeres jetzigen Monarchen entgegen. Es iſt gefahr-volle Anmaßung der ſchwachen Menſchheit, die uralten De-crete Gottes auslegen zu wollen; die Geſchichte finſterer Jahr-hunderte lehrt, zu welchen Abwegen ſolche Deutungen Muthgeben.“ So Hr. v. Humboldt, der ſich entſchieden erklärt,daß allerdings die Juden ein Recht zur Gleichheit haben,
|938|
|Spaltenumbruch| das ihnen nicht mehr entriſſen werden kann, und daß ihrevollſtändige Emancipation eine in Zeit und Vernunft be-gründete Nothwendigkeit ſey.