VORWORT VON ALEXANDER VON HUMBOLDT. Die denkwürdige geographische Entdeckungsreise des Herrn Robert Schomburgk, deren Resultate hier mitgetheilt werden, hat mir am späten Abend eines vielbewegten Lebens einen grossen Genuss verschafft. Nach einer mehr als zweihundert geographische Meilen langen, nicht immer gefahrlosen Flussreise auf dem Meta, Orinoco, Atabapo, Rio Negro und Cassiquiare (der letztere Fluss macht die Verbindung zwischen dem Wasserbecken des Orinoco und des Amazonen-Stromes), war ich an den Fuss des mächtigen Gebirgsstockes Duida gelangt, in die indische Mission der Esmeralda. Was jenseits lag im Osten gegen die Quelle des Orinoco, die Gebirgskette Pacaraima, den Essequibo und die Meeresufer der Guyana hin, war, wie eine unbekannte Welt, verschlossen. Nur vereinzelte Notizen über die Wanderungen ganz ungebildeter, unwissenschaftlicher Europäer liessen Vermuthungen über das Flussnetz wagen, welches eine weite, fast menschenleere, aber mit der üppigsten Tropen-Vegetation geschmückte Einöde durchflicht. Ich machte damals Vorschläge über die Richtungen und Wege, auf welchen jener Theil des Süd-Amerikanischen Continents aufgeschlossen werden könnte. Diese Wünsche, welche ich in meinem Reiseberichte, nach der Rückkunft aus Mexico, so lebendig ausdrückte, sind nach vierzig Jahren erfüllt, ja reichlich erfüllt worden. Mir ist noch die Freude geworden, eine so wichtige Erweiterung unseres geographischen Wissens erlebt zu haben, die Freude auch, dass ein so kühnes, wohlgeleitetes, die hingebendste Ausdauer erheischendes Unternehmen von einem jungen Manne ausgeführt worden ist, mit dem ich mich durch Gleichheit der Bestrebungen, wie durch die Bande eines gemeinsamen Vaterlandes verbunden fühle. Diese Verhältnisse haben mich allein bewegen können, die Scheu und Abneigung zu überwinden, welche ich, mit Unrecht vielleicht, vor den einleitenden Vorreden fremder Hand habe. Es war mir ein Bedürfniss, meine innige Achtung für einen talentvollen Reisenden öffentlich auszusprechen, der, von einer Idee geleitet, von dem Vorsatze, aus dem Thal des Essequibo bis zur Esmeralda, von Osten gegen Westen, vorzudringen, nach fünfjähriger Anstrengung und Leiden, deren Übermaass ich aus eigener Erfahrung theilweise kenne, das vorgesteckte Ziel erreicht hat. Muth bei der augenblicklichen Ausführung einer gewagten Handlung ist leichter zu finden und setzt weniger innere Kraft voraus, als die lange Geduld, physische Leiden zu ertragen, von einem geistigen Interesse tief angeregt, vorwärts zu gehen, unbekümmert über die Gewissheit, mit geschwächteren Kräften auf dem Rückwege dieselben Entbehrungen wieder zu finden. Heiterkeit des Gemüths, fast das erste Erforderniss für ein Unternehmen in unwirthbaren Regionen, leidenschaftliche Liebe zu irgend einer Classe wissenschaftlicher Arbeiten (seien sie naturhistorischer, astronomischer, hypsometrischer oder magnetischer Art), reiner Sinn für den Genuss, den die freie Natur gewährt, das sind die Elemente, die, wo sie in einem Individuum zusammentreffen, den Erfolg einer grossen und wichtigen Reise sichern. Fast alle Theile der Naturwissenschaften sind durch die langjährigen Arbeiten Robert Schomburgk's bereichert worden. Die botanischen und zoologischen Sammlungen haben eine grosse Zahl neuer Formen (Typen) dargeboten. Durch Lindley und Georg Bentham ist bereits ein Theil der mitgebrachten Pflanzen beschrieben worden. Riesenmässige Orchideen, baumartige Grasarten und zwei prachtvolle Gattungen, die den Namen zweier Königinnen führen, Victoria und Elisabetha regia, gehören zu den wundervollsten Bildungen der vegetabilischen Tropenwelt. Das schwimmende Blatt der Victoria hat fünf bis sechs Fuss Durchmesser, während die Blume, im heissen Strahle der Sonne geöffnet, vier Fuss im Umfange zählt. Ausser den wohlgetrockneten Pflanzen und den Sämereien, die unsere botanischen Gärten bereichert haben, hat der Reisende auch eine wichtige Sammlung von Pflanzen-Abbildungen mitgebracht, an Ort und Stelle theils von ihm selbst, theils unter seiner Direction gezeichnet. Von allen Gebirgsarten in einer Strecke von acht Längengraden sind wohlausgewählte Fragmente eingeschickt worden. Da einzelne Theile dieser Sammlungen, wie herrliche Kunstproducte von Federschmuck, durch die sorgsame Güte des Reisenden in die hiesigen öffentlichen Sammlungen niedergelegt worden sind, so kann ich den Werth und die vortreffliche Erhaltung derselben bezeugen. Aber der Hauptzweck der Unternehmung war nicht ein naturhistorischer: es war, wie ihn die königliche geographische Societät zu London im November 1834 bezeichnet hatte, die astronomische Verbindung des Littorals der britischen Guyana mit dem östlichsten Punkte des Ober-Orinoco, zu dem ich meine Instrumente gebracht hatte. Das Problem ist zur Zufriedenheit jener berühmten, um die allgemeine Erdkunde so hochverdienten Gesellschaft von Robert Schomburgk gelöst worden. Wenn ich die Map of Guayana to illustrate the route, 1840, welche dem grossen englischen Prachtwerke: Views in the Interior of Guiana beigegeben ist und die letzten Resultate des Reisenden enthält, mit meiner Karte des Orinoco vom Jahr 1814 (Atlas geogr. et phys. du Nouveau Continent no XVI.) und mit der General-Karte der Republik Colombia 1825 (Atlas no XXII.), welche meine Combinationen über die Mesopotamie zwischen dem Ober- Orinoco, Essequibo und Rio Branco darstellt, vergleiche, so ergeben sich folgende Unterschiede und Berichtigungen: Astronomische Positionen. Breite. Länge. Humboldt 1800 Schomb. 1840 Humboldt 1800 Schomb. 1840 Mission Esmeralda 3° 11' 0" 3° 11' 3" 68° 23' 19" 68° 24' Mündung des Padamo * 3° 12' 0" 2° 53' 0" 68° 8' 0" 68° 10' Mündung des Gehette * 3° 16' 0" 2° 40' 0" 67° 44' 0" 67° 25' Laguna Amucu * 3° 35' 0" 3° 40' 0" 62° 10' 0" 61° 34' San Joaquim * 3° 0' 0" 3° 1' 46" 63° 2' 0" 62° 23' San Carlos del Rio Negro 1° 53' 42" 1° 55' 0" 69° 58' 39" 69° 57' Mündung des Rio Branco * 1° 22' 0" 1° 20' 0" 64° 25' 0" 63° 33' Die Längen sind westlich vom Pariser Meridian. Die Mündung des Rio Branco (Rio de aguas blancas) in den Rio Negro hat südliche Breite. Die fünf mit Sternen bezeichneten Positionen gründen sich keinesweges auf meine eigenen astronomischen Beobachtungen; sie sind bloss das Resultat von Combinationen und Vermuthungen in einer Region, in der es, besonders nördlich von dem Parallel des dritten Breitengrades und westlich vom Essequibo, im Jahr 1800 ganz an astronomischen Bestimmungen fehlte. Die wichtige Länderstrecke im Laufe des Corentyn, Berbice, Essequibo und Rupunuri, der See Amucu am Fuss der Gebirgskette Pacaraima, wie die ganze terra incognita zwischen dem Tacutu längs dem Rio Parime (meinem Uraricuera) bis zum Einfluss des Padamo in den Orinoco, und der Berg Duida bei der Mission Esmeralda, den wir beide trigonometrisch gemessen, ist von Robert Schomburgk zuerst topographisch erforscht worden. Die Combinationen, die ich gewagt, gründeten sich auf das Reise-Journal des Chirurgus Nicolas Hortsmann aus Hildesheim (Frühjahr 1740), das ich von D'Anville selbst abgeschrieben benutzen konnte, auf Manuscripte von Antonio Santos (1778), der aus den Missionen vom Carony über die Kette Pacaraima an den Rio Branco gelangt war, und auf die vortrefflichen handschriftlichen Flussaufnahmen der portugiesischen Fregatten-Capitäne Antonio Pires de Sylva Pontes Leme und Ricardo Franco d'Almeida de Serra (1787 und 1804), deren Mittheilung ich dem Herrn Grafen von Linhares zu Paris verdankte. Auch hatte ich, durch die Güte des portugiesischen Botschafters Chevalier de Brito Kenntniss von der merkwürdigen Reise des Oberst-Lieutenants Francisco Jose Rodriguez Barata erhalten, der 1793 durch den Rio Branco, den Tacutu und Sarauru in den Rupunuri und nach Surinam gelangte, indem er den Isthmus südlich vom Berg Cunucumo überschritt. Die Gebirgskette Pacaraima, die sich von Osten gegen Westen hinzieht und deren Gestaltung und Lage der geognostische Hauptcharakter der Gegend ist, habe ich auf meinen Carten ziemlich richtig in der Breite angegeben. Der neueste Reisende findet sie in der mittleren Richtung nur um zehen Minuten nördlicher als ich. Sie theilt die Wasser zwischen den Flussgebieten des Rio Branco und Caroni. Noch genauer habe ich die Breite der kleinen Lagune Amucu errathen, welche in der Mythe des Dorado und des grossen Beckens der Laguna Parime, von dem die Geographen sich so spät und ungern getrennt haben, eine wichtige Rolle spielt. Aber meine Längen des Sees Amucu, des Laufs des Rupunuri und des Forts von San Joaquim beim Zusammenfluss des Uraricuera mit dem Rio Branco sind um 36' und 39' im Bogen zu westlich. Bei der östlichsten Mündung des Rio Branco beträgt der Fehler der portugiesischen Karten selbst einen vollen Grad. Ich bin nur für die Positionen verantwortlich, die ich durch eigene Beobachtungen bestimmt habe. Meine Länge von Esmeralda, wie alle Längen des Orinoco, des oberen Rio Negro und des Cassiquiare habe ich chronometrisch verbunden mit absoluten, d. h. auf himmlische Phänomene (Sonnenfinsternisse, Jupiters-Trabanten) gegründeten Positionen des Littorals. Die zwiefachen Bestimmungen der Länge von Atures und Maypure in den grossen Cataracten des Orinoco, bei der Hin- und Herreise, haben dazu noch den Vortheil dargeboten, den täglichen Gang des Chronometers während der Schifffahrt südlich von den Cataracten (Raudales), durch Summirung und Vertheilung der Fehler, zu verbessern. Da nun ein überaus genauer Beobachter, mein Freund Hr. Boussingault, Santa Fe de Bogota in Neu-Grenada (Cundinamarca) mit der Mündung des Meta chronometrisch verbunden und die Länge dieser Mündung genau, wie ich selbst, gefunden hat, so ist dadurch das ganze System meiner Längenbestimmungen im westlichen Theile von Süd-Amerika von Cartagena de Indias an, durch den Magdalenen-Strom bis Bogota, Quito und Guayaquil, ja bis zum Hafen Callao de Lima mit dem östlichen Längen-Systeme von Cumana, Caracas, dem Orinoco und Rio Negro verbunden, so dass jetzt durch Robert Schomburgk's, Boussingault's und meine Arbeiten die ganze Ausdehnung des Continents von dem Littoral des Atlantischen Oceans in der Guyana bis zum Littoral der Südsee astronomisch in der Länge, mittelst vieler Zwischen-Positionen, zu bestimmen versucht worden ist. Die numerischen Elemente, auf welchen diese Bestimmungen beruhen, liegen dem Publikum vollständig vor. In der messenden Geographie ist es nothwendig, bei der relativen Lage und wechselseitigen Abhängigkeit der Positionen von einander nicht aus dem Auge zu verlieren, worauf sich das gründet, was wir in jedem Zeitpuncte zu wissen glauben. Die Fortschritte, durch welche das Fehlende ersetzt, das unvollkommen Beobachtete verbessert wird, finden sich am lebhaftesten dann angeregt, wenn das Einzelne ohne Rückhalt veröffentlicht wird. Der grössere Theil der bisherigen Erforschungs-Reisen hatten sich bisher in der waldigen und menschenleeren Wildniss des tropischen Süd-Amerika's auf die Flussthäler beschränkt. Erst Robert Schomburgk's Wege haben uns zwischen den Flussthälern Hochebenen kennen gelehrt, die ein mildes Klima, eine von Mosquitos freie Atmosphäre gewähren. Viele dieser Höhen sind durch die Temperatur des siedenden Wassers bestimmt worden, ein Mittel, das auch in Persien am Hindukho und neuerlich von dem trefflichen Sir Alexander Burnes in Bactrien mit Recht da angewandt worden ist, wo die Natur der Reise den Transport und die Erhaltung der Barometer fast unmöglich machte. Die ebenen Gegenden der Guyana zwischen dem Rupunuri, dem Amucu-See und dem Tacutu tragen alle Spuren ehemaliger grosser Wasserbedeckungen an sich. Man kann hier fragen, wie am Aral-See und an dem Theil des Caspischen Meeres, den ich selbst gesehen, ob jene zusammenhängenden Wasserbedeckungen erst in der sogenannten historischen Zeit durch Verdunstung verschwunden sind oder ob sie nicht vielmehr zu den frühesten Phänomenen der Erdbildung gehören. So viel ist wenigstens gewiss, dass es, seitdem Europäer in die östliche Guyana vorgedrungen sind, kein Mar de aguas blancas, kein Mar del Dorado, keine Laguna Parime, als Quelle vieler grosser Ströme, gab. Unkenntniss der Sprache der Ureinwohner, vielseitige Bedeutung der Wörter, die Fluss, grosses Wasser und Meer gleichzeitig bezeichnen, haben die gröbsten geographischen Irrthümer veranlasst. Bei dem conservativen System der Karten-Zeichner hat sich die Laguna Parime bis zu meiner Reise auf den Karten von Süd-Amerika erhalten. Die graphischen Darstellungen bleiben immer weit hinter der bereits erlangten Länderkenntniss zurück; ja, da die Reisenden selten selbst ihre Karten zu zeichnen wissen, so sind oft diese mit der Reisebeschreibung, zu der sie gehören, im grellsten Widerspruch. Die Mythe des Dorado ist von Westen gegen Osten gewandert. Ich habe sie an einem andern Orte in ihren einzelnen Stationen verfolgt. Wie alle Mythen, ist sie an bestimmte Localitäten geheftet worden; und auch von dieser Seite ist das Licht, welches Robert Schomburgk über die Umgegend von Pirara und den See Amucu verbreitet hat, von grossem Interesse. Geschichte haben die rohen Stämme nicht, welche diese Niederung oder das angrenzende Bergland bewohnen. Ihre Sage "von ehemaligen hohen Wassern" ist nicht eine überlieferte Erinnerung aus einer chaotischen Urzeit. Soll man sie nicht vielmehr für eine der Meinungen halten, welche auch dem einfachen Naturmenschen bei dem Anblick der Erdoberfläche, bei den farbigen Streifen alter Wasserstände, zerstreuter Muscheln auf nahen Hügeln sich darbieten? Die inschriftartige Reihung nachahmender oder symbolischer Zeichen, welche man im Thale des westlichen Orinoco in beträchtlichen Höhen an schroffen Felswänden erblickt, können allerdings Erstaunen erregen. Auch über diese in Stein gehauenen Zeichen, ("Werke der Vorfahren"), Werke einer Nation, die von den jetzigen Anwohnern wohl in Betriebsamkeit und Sitte verschieden war, theilt uns der deutsche Reisende merkwürdige Beobachtungen mit. Er hat am Rio Negro Abbildungen einer spanischen Galeote gefunden, also späteren Ursprungs als das 15te Jahrhundert, und in einer Region, wo seit der Ankunft der Spanier die Eingeborenen eben so roh waren als jetzt. Die Zone der sogenannten Inschriften, auf die schon Hortsmann aufmerksam machte, geht von Osten gegen Westen, vom Gebirge Pacaraima bis Uruana, in mehr als sechs Längengraden quer durch die Wildnisse von Guyana durch. Die eingegrabenen Zeichen mögen aber sehr verschiedenen Zeiten und verschiedenen Nationen angehören. Ein weites Feld ist hier der künftigen Beobachtung geöffnet. Man vergesse nur nicht, dass Völker sehr verschiedenartiger Abstammung in gleicher Rohheit, in gleichem Hange zum Vereinfachen und Verallgemeinern der Umrisse, durch innere geistige Anlagen getrieben, ähnliche Zeichen und Symbole hervorbringen können. Siehe Einleitung. Diese wenigen Andeutungen zeigen, wie mannigfaltig die Richtungen sind, nach denen Hr. Robert Schomburgk den Erdstrich durchforscht hat, der vor seiner Reise gleichsam in Dunkel verhüllt lag. Den Muth, mit dem er sein Unternehmen vollbracht, hatte er aber, ehe er die Reise angetreten, schon auf eine andere und nicht minder edle Weise bewährt. Lange und schwer gegen die äusseren Hindernisse ankämpfend, welche dem Menschen die Welt verengen, hat er sich seine wissenschaftliche Bildung selbst gegeben. Was wir nicht aus Büchern schöpfen können, wurde ihm durch das Leben im Freien, durch den Anblick des gestirnten Himmels in der Tropenwelt, durch den unmittelbaren Contact mit der lebendigen Natur verliehen. In dem ehrenvollen Auftrage einer Landvermessung und allgemeineren naturhistorischen Erforschung von Guyana ist er am Ende des verflossenen Jahres von der britischen Regierung nach Amerika zurückgeschickt worden. Berlin, im Februar 1841.