Ueber die Hochebene von Bogota; von Alexander von Humboldt. (Aus den Berichten der K. Preuß. Academie der Wissenschaften.) Die Andeskette, wie alle großen Gebirgsketten der alten und neuen Welt, bietet mehr oder minder ausgedehnte Hochebenen dar. Sie liegen stufenweise über einander, und sind meist durch enge Schluchten (Thäler, die senkrecht die Hauptaxe des Gebirges durchschneiden) verbunden. Diese sehr bekannte Erscheinung wiederholt sich selbst am Abhange isolirt stehender Berge. Was der Andeskette aber eigenthümlich ist, und sich in gleichem Maaße nirgends in dem alten Continent wiederholt, ist der Umstand, daß dort große, reiche und wohl bevölkerte Städte in den Hochebenen selbst gegründet sind; fast reihenweise in gleichem Abstande vom Aequator, zwischen 36° nördlicher und eben so viel südlicher Breite, von Neu-Mexico bis Chili. Die Ursache dieser sonderbaren Städtegründung muß man suchen in der Richtung der frühesten Völkerwanderungen, in der Furcht aller Bergvölker, in die heißen Ebenen hinabzusteigen, in der Wahl der nährenden Pflanzen, welche früh ein Gegenstand des Ackerbaues geworden sind. Die europäischen Ansiedler folgten überall der alten Cultur: sie haben die eroberten Städte erweitert, doch ihnen selten neue Namen gegeben. Wenn man Caracas, Popayan, Mexico, Quito, La Paz und Potosi nennt, so reihet man genau in dieser Folge Stationen an einander, die sich senkrecht zu Luftschichten zwischen 2800 bis 13,000 Fuß Höhe über- die Meeresfläche erheben, meteorologische Warten, gewiß einst Sitze wissenschaftlicher Bildung, in welchen durch permanente Bewohnung die wichtigsten Aufschlüsse über den mittleren Zustand der Atmosphäre nach Verschiedenheit der Höhe und geographischen Breite erlangt werden können. Die asiatischen Bergländer zeigen uns höher bewohnte Dorfschaften und Meierhöfe am nördlichen Abhange des Himalaya, wie in West-Tübet, am Küenlun und in dem Plateau von Pamer gegen den Bolor hin, aber keineswegs eine Reihe großer Städte. Kaschmir liegt, nach Victor Jacquemont und Baron von Hügel, nur 5000 oder 5400 Par. Fuß hoch, es erreicht also noch nicht die unbedeutende Höhe der Stadt Popayan. Der Paß, auf dem Burnes zwischen Kabul und Balkh den Hindu-Kho, bei dem alten Bamiyan, überschritt, ist auf dem höchsten Punkte fast 1000 Fuß niedriger als das Straßenpflaster der oberen Stadt Potosi. In diesen allgemeinen Betrachtungen, welche der Abhandlung zum Eingange dienen, untersucht Hr. v. H. die Stellen der Alten, in denen das allgemeine Gesetz der, unabhängig von der geographischen Breite, mit der bloßen Erhebung des Bodens zunehmenden Kälte der Klimate ausgesprochen ist. Der von Herodot geläugneten Schneeberge in Afrika zwischen den Wendekreisen erwähnt zuerst die Adulische Inschrift. Im neuen Continent wurde der ewige Schnee der Tropen-Region zuerst in dem Gebirge von Citarma (jetzt Nevados de Santa Marta), neun Jahr nach Columbus erster Entdeckung, gesehen. Petrus Martyr de Anghiera, in einem für den Pabst Leo X geschriebenen Buche, bemerkte zuerst, daß die untere Gränze des ewigen Schnees mit abnehmender Breite sich erhebe. Neuere Beobachtungen lehren den Einfluß der Hochebenen auf die mittlere Temperatur. Sie ist 1°,5 bis 2°,3 größer, als in gleicher Höhe an dem ununterbrochenen Abhange der Gebirgsketten; auch bemerkt man Unterschiede zwischen der Mitte der Hochebene und den Rändern. Dem Ackerbau, besonders der Cultur des Mays und der europäischen Cerealien ist, in den Hochebenen, besonders wenn sie sich über 7800 Fuß erheben, das Erfrieren durch nächtliche Strahlung der Bodenwärme gegen einen heiteren, dunstfreien Himmel, durch unbewegte dünne und sehr trockne Luft, gefahrbringend. Jedes Plateau hat ein eigenes individuelles Klima, welches durch seinen Vegetationszustand, die Gestalt der umgebenden nächsten Felswände, ihre Stellung zu den herrschenden Winden und ihre Farbe, wie durch den periodischen Gang der Störungen im elektrischen Gleichgewicht der Atmosphäre bedingt wird. Die numerischen Resultate der mittleren Tag- und Nacht-Temperaturen geben allein, bei dem verwickelten Gange des meteorologischen Processes, kein treues Bild der localen Klimate. Auch von dieser Seite bietet, in der glücklichen Tropenzone, die kleinste Raumfläche die höchstmöglichste Mannichfaltigkeit von Naturerscheinungen dar, sey es in den meteorisch vorübergehenden oder in den durch innere Entwicklung sich ewig erneuernden des organischen Lebens. Specielle Ansicht der Hochebene von Bogota, aus noch ungedruckten Tagebüchern geschöpft. Bewohnbarkeit, Klima, Physiognomik der Vegetation, geognostische Schichtungsverhältnisse. Das Plateau, Llanura de Bogata, nach den alten Mythen der Ureinwohner vom Stamme der Muyscas, der Boden des ausgetrockneten Sees Funzha, hat die mittlere Höhe von 8130 Fuß. Die Stadt Bogata, vor dem Freiheitskriege Santa Fe de Bogota genannt, liegt 2556 Fuß höher als das mildere Popayan und 820 Fuß tiefer als Quito. Es bietet in seiner 15 bis 18 geographische Quadratmeilen großen, ganz söligen, fast baumlosen Fläche vier merkwürdige Erscheinungen dar: den prachtvollen Wasserfall des Tequendama, der von der Region immergrüner Eichen in eine Kluft stürzt, zu welcher Palmen und baumartige Farren bis an den Fuß der Cataracte hinaufgestiegen sind; das mit Mastodonten-Knochen überfüllte Riesenfeld (Campo de Gigantes) Steinkohlenflöze und mächtige Steinsalzschichten. Das Vorkommen der beiden letzteren Formationen erregt um so mehr Befremdung, als sie eine Höhe erreichen, ungefähr der gleich, welche man erhält, wenn man sich unseren Brocken auf den Gipfel der Schneekoppe gethürmt denkt. Der Charakter der ganzen Landschaft ist großartig, aber melancholisch und öde. Die Stadt, von Alleen riesenmäßiger Daturen umgeben, liegt dicht an einer fast senkrecht abgestürzten Felswand, deren östlicher Abfall über den Paramo de Chiguachi hinüber in die Ebenen des Meta und Orinoco führt. An dieser Felswand hängen, fast zwei tausend Fuß über der Stadt, nesterartig zwei Capellen, Monserrata und Guadalupe, besuchte Wallfahrtsorte, in absoluter Höhe fast dem Gipfel des Aetna gleich. Gegen Südwesten sieht man ununterbrochen eine Dampfsäule aufsteigen. Sie bezeichnet den Punkt, wo der Wasserfall von Tequendama liegt. Die Vegetation der Hochebene contrastirt mit der des Abhanges der Felswand, an der die Capellen hängen, wo unter dem Schatten von Escallonia tubar, Vallea stipularis und Weinmannien, purpurblütige Thibaudien, Passifloren und Gaulterien von ewigem Nebel getränkt werden. Die mittlere Jahrestemperatur von Bogota (bei 8130 Fuß Höhe und unter 4° 36' Breite) ist 14°,5, nach hunderttheiliger Skala, also gleich der Temperatur von Rom, aber in Rom sind die mittleren Grade der wärmsten und kältesten Monate um 16° verschieden (Jan. 7°,8; Aug. 23°,7), während daß in der Hochebene von Bogota die Wärme so gleichmäßig vertheilt ist, daß oft sieben auf einander folgende Monate nur einen Unterschied von [Formel] Grad mittlerer Wärme darbieten. Im ganzen Jahre ist der wärmste Monat 16°,6, der kälteste 14°,2. Die klimaterischen Einflüsse auf die Lebensprocesse des Organismus hängen mehr von der Vertheilung der Wärme unter die verschiedenen Jahres- und Tageszeiten, als von der mittleren Temperatur des ganzen Jahres ab. Die Bergebene von Bogota hat, wie ihr individuelles Klima, also auch ihre eigene geognostische Mythe. Die Ebene bildet, wie die Bergebene von Mexico (Tenochtitlan), ein Becken, aus dem die Wasser nur in einem einzigen Punkte einen Ausweg finden. Beide enthalten in ihrem Schuttboden die fossilen Knochen elephantenartiger Thiere, aber die Oeffnung im Thal von Mexico ist eine künstliche, durch die spanischen Ansiedler seit 1607 begonnen; der Paß, durch welchen der Rio de Bogota oder Funzha, bei Tequendama, die Wasser der Hochebene ausführt, ist ein natürlicher. Mythische Traditionen des Urvolks, der Muyscas, schreiben die Oeffnung dieses Passes und die Entstehung des großen Wasserfalles der mächtigen Hand eines Wundermannes, des Botschica (Bochica) zu, einem Heliaden, wie Manco-Capac, der die in roher Sitte lebenden Muyscas zum Ackerbau anregte, den Sonnendienst einführte, und, wie in Tübet und Japan, die Obergewalt unter einen weltlichen Herrscher (Zaque) und einen geistlichen, den Ober-Lama des Sonnentempels von Iraca (bei Sogamoso), theilte. Die Local-Fluth, Bildung und Anschwellung des Sees Funzha wurde durch eine dem Heliaden feindliche weibliche Gestalt, Huythaca, verursacht. Was von dem Menschengeschlechte, das heißt dem Stamme der Muyscas, übrig blieb, rettete sich auf die nahen Berge. Der langbärtige Wundermann Botschica öffnete die Felswand bei Tequendama und Canoas; er trocknet die nun wieder bewohnbare Ebene. Huythaca selbst wird der alle Feuchtigkeit anziehende Mond, welcher nun erst die Erde zu begleiten beginnt. Aehnlichkeit zwischen den drei mythischen Personen, Quelzalcoatl in Mexico, Botschica in Neu-Granada und Manco- Capac in Peru. Die beiden ersteren, nachdem sie ihr Missionsgeschäft vollbracht, enden auf einsamen Bergen, wie Buddha, in selbst aufgelegten strengen Büßungen. Ueberall hat sich die symbolisirende Menschheit Personificirungen, Repräsentanten der Gesittung, große historische Gestalten gedacht, um ihnen, einfach und bequem, als plötzliche Erfindung, Fortschritte der Cultur, geistliche und bürgerliche Einrichtungen, technische Künste und Verbesserung der Mondjahre zuzuschreiben. Was sich allmälig entwickelt hat, wird gedacht als simultan, wie durch fremde Wundermänner oder Ankömmlinge hervorgerufen. Der Salto de Tequendama, um dessen Ursprung sich der geognostische Theil der Mythe dreht, verdankt seinen imponirenden Anblick dem Verhältniß seiner Höhe (870 Fuß nach Roulin) zur herabstürzenden Wassermasse. Nahe bei dem Salto liegt das Steinkohlenflöz von Canoas, wohl eines der höchsten in der bekannten Welt, aber eben so wenig, als die Steinsalzmassen von Zipaquira, am entgegengesetzten nordöstlichen Endpunkte der Hochebene, ein isolirtes Phänomen. Steinkohlen und Steinsalz wiederholen sich an beiden Abhängen der Cordilleren in sehr verschiedenen Höhen. Sie zeugen, wie die Sandsteinformation, welche ununterbrochen vom Magdalenastrome auf das Plateau von Bogota hinauf-, und dann gegen Osten über dem Rücken (Paramo de Chiguachi) in die Ehenen des Meta und Orinoco hinabsteigt, für die Hebung der ganzen Andeskette. Unter dem Sandstein, der bei Bogota gelblich-weiß, feinkörnigquarzig und von thonigem Bindemittel ist, in tieferen Punkten aber mit Conglomerat-Schichten wechselt, die eckige Stücke von Lydischem Stein, Thonschiefer und Gneis einschließen, ist bis jetzt keine andere Flözformation gesehen worden. Er ruht unmittelbar bald auf Uebergangs-Thonschiefer, bald auf Gneis. Der Sandstein ist mit schwefelhaltigem Gyps, Salzthon und Steinsalz, an andern Punkten mit Schieferthon und Steinkohlenflözen bedeckt. Wenn man die Steinzalz-Niederlagen und Salzquellen auf der Hochebene von Bogota, in der smaragdreichen Provinz Muzo und am östlichen Abhange gegen die Llanos von Casanare hin in einem Blicke geographisch zusammengefaßt, so zeigen sich gangartige Spalten, die in einer eigenen, aber breiten Zone, von Westen nach Osten, die ganze mächtige östliche Andeskette durchziehen, und in sehr verschiedenen Höhen Steinsalz, gypshaltigen Salzthon und Jod führende Salzquellen an die Oberfläche gebracht haben. Neben den partiellen Bildungen, die nur von dem bedeckt sind, was ihnen selbst zugehört, unterteuft die allgemein verbreitete Sandsteinformation einen grau- und gelblich-weißen, in regelmäßige Bänke abgetheilten, dichten, bisweilen Höhlen enthaltenden Kalkstein. Die Abhandlung des Hrn. v. H., auf ältere Beobachtungen gegründet, beschreibt die Auflagerung dieser Flözformationen in bloßen Raumverhältnissen, ohne sie zu benennen nach dem Parallelismus oder der der Identität mit jetzt wohlerkannten europäischen Typen. Diese Vorsicht schien nöthig zu einer Zeit, wo das Studium zoologischen Kennzeichen und charakterisirenden Fossilien der fast einzig sichere Leiter geworden ist. Soll man jene mächtige Sandsteinformation von Bogota mit Steinkohlen und aufliegenden Gyps- und Steinsalz-Schichten für Todtes-Liegende, jenen Kalkstein an der Felswand von Tequendama für Jurakalk halten, oder hat man hier alte Kreide und Keupersandstein beschrieben? Eine sorgfältige und glückliche Bestimmung der in unseren Sammlungen sich allmälig häufenden Versteinerungen der Andeskette wird bald die Identität der Formationen mit europäischen Typen befriedigend aufklären.