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Alexander von Humboldt: „Gutachten über die Herantreibung des Meissner Stollns in die Freiberger Erzrefier“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1838-Gutachten_ueber_die-1> [abgerufen am 29.03.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1838-Gutachten_ueber_die-1
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Titel Gutachten über die Herantreibung des Meissner Stollns in die Freiberger Erzrefier
Jahr 1838
Ort Leipzig
Nachweis
in: Siegmund August Wolfgang von Herder, Der tiefe Meissner Erbstolln. Der einzige, den Bergbau der Freyberger Refier für die fernste Zukunft sichernde Betriebsplan, Leipzig: Brockhaus 1838, Beilage (XII), S. CXVIII–CXXIV.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua; Auszeichnung: Kursivierung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: V.74
Dateiname: 1838-Gutachten_ueber_die-1
Statistiken
Seitenanzahl: 7
Zeichenanzahl: 26244
Bilddigitalisate

|CXVIII|

Alexanders von Humboldt Gutachten über die Herantreibung des Meiss-ner Stollns in die Freiberger Erzrefier.

Der ehrenvollen Aufforderung, ein bergmännisches Gutachten über die Mittel zu geben, denWohlstand des Freiberger Bergbaues, als einer bisher so ergiebigen Quelle des sächsischenNationalreichthums, auf ferne Jahrhunderte zu sichern, glaube ich am besten genügen zu kön-nen, wenn ich in wenigen Blättern die Thatsachen zusammenfasse, welche mich nach der reif-lichsten und unpartheiischsten Ueberlegung bestimmt haben, dem oberbergamtlichen Berichtevom 6. Februar 1830 vollkommen beizupflichten. Ein Schüler Werners, und als praktischer Bergmann in der Freiberger Akademie gebildet,habe ich mich tief von der Pflicht durchdrungen gefühlt, die in einem bewegten Leben gesam-melten Erfahrungen (bald den Grubenbau, freilich nur in einem engen Kreise leitend, bald dieMetallförderung in den amerikanischen Kordilleren und dem russischen Theile von Nordasienberufsmässig studierend) ernsthaft zu Rathe zu ziehen, um nicht leichtsinnig zu einem Unter-nehmen zu rathen, welches andern Theilen des Staatshaushaltes wichtige Summen entziehen,aber neue und langdauernde Quellen des Wohlstandes begründen wird. Der Hauptpunkte, welche hier zu erwägen sind, bieten sich drei dar. — Gibt es keinanderes Mittel, ein kürzeres oder wohlfeileres, als den Meissner Stolln, den Freiberger Bergbauzu retten? Ist es wahrscheinlich, dass die Erzmittel in so grosser Teufe aushalten werden?Steht dem Unternehmen nicht die Betrachtung entgegen, dass es in einem so langen Zeitraumedurch unvorhergesehene Unfälle gestört werde? — Diese drei Fragen sollen, wie ich hoffe,durch nachfolgende Betrachtungen, die sich auf die so umsichtlich von der königl. Behörde ge-sammelten Materialien gründen, eine genügende Erläuterung finden. Nichts kann der Direction, des königl. Oberberghauptmanns, Frhrn. von Herder, und deskönigl. Freiberger Oberbergamts ehrenvoller sein, als die einfache Erinnerung, die sich mir,einem Schüler der Bergakademie im Jahre 1790 jetzt nach 43 Jahren, unwiderstehlich aufdrängt,dass es durch Anwendung erhöhter intellektueller Kräfte, d. h. durch Vervollkommnung desMaschinenbaues, der Wasservertheilung, der Aufbereitung und des gesammten Hüttenprocesses,ausführbar geworden ist, in der Freiberger Refier nicht blos dieselbe Zahl der Berg- und Hüt-tenleute zu beschäftigen, sondern auch, bei so sehr abnehmendem Erzgehalte und so sehr zuneh-mender Teufe der Grubenbaue, das Quantum des Ausbringens zu vermehren. Eine solcheErhöhung intellektueller Kräfte, eine solche Vervollkommnung der praktischen Mittel haben aberihre Grenzen; wenigstens können sie nicht in dem Maasse der Schnelligkeit vermehrt werden,als die Hindernisse sich vervielfachen. Neue Wege müssen daher eingeschlagen werden, umdem drohenden Uebel, das die Verarmung einer arbeitsamen und überaus achtbaren Menschen-klasse zur unmittelbaren Folge haben wird, baldigst zu widerstehen. Meinen eigenen Ansichtenmisstrauend, habe ich mich in dieser wichtigen Untersuchung, und bei der Redaction dieses |CXIX| Gutachtens, mit einem Freunde berathen, (dem königl. preuss. Oberbergrath von Dechen) dernicht blos zu den vorzüglichsten Geognosten Deutschlands gehört, sondern auch durch Reisenin den wichtigsten Theilen von Europa und durch eigene Berufsgeschäfte innigst mit dem prak-tischen Bergbau und Hüttenwesen vertraut worden ist. Ich beginne mit der allgemeinen Bemerkung, es sei nicht zu fürchten, dass irgend eineErfindung eine wohlfeilere Erzeugung mechanischer Kräfte in der Zwischenzeit den, zum Stolln-betrieb nöthigen Geldaufwand vergeblich machen werde. Seit Jahrtausenden, seit den Arbeitender Römer und Griechen sind Stolln, wo es möglich war, sie anzusetzen, das beste undsicherste und wohlfeilste Mittel geblieben, Gruben von Wasser zu befreien. Sie sind es inEuropa, wie auf den Hochgebirgen von Mexiko, Peru und Neu-Granada, wie an dem östlichenund südlichen Abhange des Ural und Altai. Wie wenig Dampfmaschinen, das allgemeinsteHülfsmittel der Mechanik, in der Freiberger Erzrefier anwendbar sein würden (wenn man sienämlich als das Stollnunternehmen ganz ersetzend betrachtet), ergeben einfache numerische Ver-gleichungen. Eines Pferdes Kraft hebt in der Minute 33000 Pfund 1 Fuss hoch. Die 1829 inder Freiberger Refier vorhandenen 41 Kunstgezeuge und 2 Wassersäulmaschinen können inihrer Wirkung, nach Berechnung des kenntnissvollen Maschinendirectors Brendel, nur durchDampfmaschinen ersetzt werden, von zusammen 1216 Pferdekraft. Die Anlage dieser Dampf-maschine würde über eine halbe Million Thaler kosten, ihre jährliche Unterhaltung 422000 Tha-ler. Man glaubt, dass die Dampfmaschinen, welche aus einem gemeinsamen Behälter die Grund-wasser der Halsbrückner Baue aus einer Tiefe zu heben bestimmt wären, die der MeissnerStolln einbringen wird, in einem Jahre eine Unterhaltung von 2957382 Thaler kosten möchte.Nimmt man auch, nach Massgabe englischer und belgischer Erfahrungen an, dass diese Berech-nungen zu hoch seien, so bleibt es doch immer nur allzugewiss, dass bei der vorhandenenMenge der Grundwasser, bei der Entfernung und Kostbarkeit der Brennmaterialien, von einerallgemeinen Anwendung von Dampfmaschinen, um die Wasser des ganzen Freiberger Bergbaueszu Sumpfe zu halten, keine Rede sein könne. In Ländern, wo die Beschaffenheit der Oberfläche(die Thalbildung) keine Gelegenheit zum Ansetzen tiefer Stolln darbietet, hat man freilich zudem alleinigen Mittel der Dampfmaschinen seine Zuflucht nehmen müssen. Wer mit ihrer Con-struction und dem Wenigen bekannt ist, was von den zahllosen, jährlich angerühmten und ver-heissenen Verbesserungen an Kraft und Ersparniss des Brennmaterials in wirkliche, dauerndeund praktische Anwendung gekommen, wird erkennen, dass seit zwanzig bis dreissig Jahrendie im Grossen angewandten Dampfmaschinen wenig wesentliche Veränderungen erlitten haben.Die Vervollkommnung der sinnreichsten und grossartigsten Erfindungen erreicht bald gewisseGrenzen, und wie sehr dies auch bei den Dampfmaschinen der Fall gewesen, zeigen die aufenglischen Gruben noch heut gebrauchten Vorrichtungen nach Newcommen’schem Prinzip, wiedie seinsollenden Vervollkommnungen der Dampfmaschinen, von Boulton und Watts berühmtenPatente an bis auf Perkins schnell verschollene Versuche herab. Auf diesem Wege, dem derAnwendung der elastischen Kräfte des Dampfes, ist, nach dem Bisherigen zu urtheilen, keineAussicht, etwas viel Besseres (d. h. allgemein Eingreifendes) an die Stelle des Vorhandenentreten zu sehen, bevor der Meissner Stolln im Laufe ferner Zeiten seinen Zweck völlig erreichtund Segen über die Nachkommen seiner Urheber und über das Land verbreitet haben wird,welches ihn ins Dasein rief, und seit Jahrhunderten durch wissenschaftliches Fortschreiten undfreie Belebung intellectueller Kräfte einen so ausgezeichneten Platz in der Geschichte deutscherBildung eingenommen hat. Der Plan, von Meissen herauf einen Stolln (den möglich tiefsten) nach den FreibergerSilbergruben zu treiben, ist so gross, so weit aussehend, so kostbar, dass eine genaue Be-kanntschaft mit den Reichthümern der dortigen Erzniederlagen, ein inniges Vertrautsein mit den |CXX| bisherigen Betriebsverhältnissen jener Refiere, eine eigene Anschauung grossartiger, bisher imBergbaue ausgeführter Anlagen erfordert wird, um denselben nicht als chimärisch, ohne Prüfungzu verwerfen. Der Freiberger Bergbau, seit länger als sechs und einem halben Jahrhundert grosse Silber-massen liefernd, ist die Quelle des Erwerbes für einen beträchtlichen Theil der Bewohner desErzgebirges. Die gewöhnlichen Hülfsmittel des Bergmannes, um die Gruben von den Wassernzu befreien, und so eine der grössten Schwierigkeiten des Betriebes hinwegzuräumen, sind be-sonders seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts vervollkommnet, und nach grossen Plänen undmit seltener Ausdauer in der Freiberger Refier angewendet worden; sie sind nunmehr erschöpft.Voraussichtlich reichen sie nicht mehr hin, diesen Bergbau bis an das Ende unseres Jahrhun-derts zu erhalten. Neue Anlagen sind erforderlich, nicht allein um mehr als 5000 Berg- undHüttenleute der Freiberger Refier zu erhalten, sondern auch die vielen Tausende von Einwoh-nern zu retten, deren Nahrungsstand von jenen abhängt, denen kein anderer Ersatz gebotenwerden kann. Die Frage, ob der Bergbau hier noch länger bestehen soll, muss bald entschie-den werden. Bei der Langsamkeit, mit der, der Natur der Sache nach, alle Veranstaltungendes Bergbaues ausgeführt werden können, ist es jetzt hohe Zeit, die Mittel zu seinem fernerenBestehen in Erwägung zu ziehen, und glücklicherweise ist dieser Moment jetzt noch zu benutzen. Ueber die Nothwendigkeit und über den Nutzen, Bergbau so lange zu erhalten, als er inseiner Gesammtheit ohne baare Zuschüsse bestehen kann, ist kein Zweifel. Aber auch Vor-schüsse, um ihn in einer fernen Zukunft sicher zu stellen, zur rechten Zeit gegeben, selbstohne Zinsen, die indirekt vielfältig eingebracht werden, sind das wohlfeilste Mittel, der Bevöl-kerung eines grossen Theils des Erzgebirges die Existenz zu sichern. In allen Staaten werdenjetzt mit grossem Kapitalaufwande Chausséen gebaut, ohne die Zinsen, ohne Amortisation desAnlagekapitals zu berücksichtigen, und welche Chaussée wirkt so kräftig, als die Erhaltungdes Freiberger Bergbaues auf eine bestimmte Gegend zurück. Wie elend sind Gegenden, woein einst blühender Bergbau aufgehört hat! Die Mittel, welche den Bestand der Freiberger Refier auf die längste Dauer erhalten kön-nen, sind sorgfältig gegen einander abgewogen; das Resultat aller Untersuchungen ist: ein vonMeissen nach Freiberg zu treibender Stolln sei das beste, ja sogar das einzigste, welches voll-kommen zum Zwecke führt. Dasjenige Mittel, welches zunächst bei der innern grössern Ver-vollkommnung praktischer Mechanik und allein sich zur Vergleichung darbietet, ist die Anwen-dung der Dampfmaschinen. Es ist zu ermitteln nicht erforderlich, wie gross die Kraft derselbensein müsste, um das für die Freiberger Refier zu leisten, was ein Stolln ohne Unterbrechung,beinahe ohne Kosten nach seiner Vollendung thut, der den Anner Stolln bei der Halsbrücke um96 Lachter, die Moritzsohle des tiefen Fürstenstolln bei Beschertglück um 126 Lachter, denThelersberger Stolln auf Himmelsfürst um 164 Lachter seiger unterteuft. Wir haben bereitsoben zu zeigen gesucht, dass Dampfmaschinen nicht nur die Vergleichung nicht aushalten, son-dern gänzlich unanwendbar sind. Die Gänge der Freiberger Refier, welche in 307 Jahren, von 1524 bis 1830, für 95423149Thaler Erze geliefert haben, sind grossentheils durch den neuesten Betrieb so bekannt, dass mitSicherheit berechnet werden kann: die Lagerstätte der jetzt in Erzlieferung stehenden Grubenenthalten bis zu den (mit Hülfe des Meissner Stollns und der schon vorhandenen Wasserkräfte)abzubauenden Tiefen nicht unter 41800000 Thaler Erze *); dass mit grosser Wahrscheinlichkeit
*) Der Grund der Abweichung dieser und der folgenden numerischen Angabe des künftig zu erwartenden Silber-ausbringens von den im Haupttexte enthaltenen ist bereits in der Anmerkung zu Beilage No. X. 3. erläutert. Anmerkung des Herausgebers.
|CXXI| zu schätzen ist: die Gänge der, wegen nicht zu gewältigender Grundwasser ruhenden Gruben,von denen bestimmte Nachrichten vorhanden sind, liefern bis zu denselben Tiefen noch für49300000 Thaler Erze; zusammen für 91100000 Thaler Erze sind hier noch in dem Schoosse derErde enthalten, ebensoviel, als demselben in den letzten drei Jahrhunderten entzogen wor-den ist.
Der Meissner Stolln wird daher auf einen sehr genau gekannten Gegenstand gerichtet, keineUnsicherheit waltet über das, was er finden wird. Die drei, zur allgemeinen Beförderung desFreiberger Bergbaues aus landesherrlichen Kassen getriebenen Stolln, der Thalersberger, Thurm-höfer und alte tiefe Fürstenstolln liefern die besten Beweise, sie zeigen den Weg, der zu ver-folgen ist. — Der tiefe Hülfe Gottes Stolln (Treuer Sachsen Stolln, auf den die Landstände seit1826 bis 1830 28899 Thaler mit grossem Vorbedacht gewendet haben), nur 15 Lachter tieferals der Anner Stolln wird manche Vorbereitung für den grössern Plan erleichtern und einst-weilen theilweise helfen. Aber schon auf seinem Wege nach Freiberg wird der Meissner StollnNutzen schaffen, und manche Hoffnung liegt hier vor, die zu seiner Ausführung anregt. Deralte Blei- und Silberbergbau bei Munzig wird durch ein kurzes Flügelort gelöst, der Dürrwiese-ner Stolln daselbst um 39 Lachter unterteuft. Die Reinsberger Silbererzniederlage (wo die hoff-nungsreiche Emanuelgrube von 1817—1827 für 21927 Thaler Erze geliefert hat) erhält die Mit-tel sich zu entwickeln. Ein anderer Stollnflügel schafft der Alten Hoffnung Gottes, dem altenBergbau bei Siebenlehn, und selbst weiterhin dem Segen Gottes Erbstolln bei Gersdorf neueHülfe. Welche Aussichten gewährt das nächste Ziel des Stollns bei Freiberg? Der HalsbrücknerSpat (einschliesslich Churprinz in seiner abendlichen Fortsetzung) hat von 1577—1800, in 224Jahren, 783826 Mark Silber (über 10 Millionen Thaler) nur bis zur vierten Gezeugstrecke ge-liefert. Auf Churprinz (Ludwiger Spat) halten die Erze in Menge und Gehalt unverändert bisachte Gezeugstrecke *) aus; auf ein Niedersetzen bis zwölfte Gezeugstrecke ist mit Gewissheitzu rechnen. Ferner liefert der Halsbrückner Spat mit seiner morgentlichen Fortsetzung in Lo-renz Gegentrum und mit Einschluss von Churprinz wahrscheinlich noch für 27669400 ThalerErze. Dieser Schatz allein würde demnach den Stollnbetrieb von Meissen herauf rechtfertigen. Von Meissen bis Munzig wird das noch ganz unbekannte Sienit- und Thonschiefergebirgeuntersucht, bei Scharfenberg und an andern Punkten setzen reiche Silbergänge darin auf; dasFreiberger Gneusgebirge wird in möglichst tiefster Sohle aufgeschlossen, und das Erzmittel sotief abzubauen sein, als es voraussichtlich niedersetzt; über unbekannte Gebirgstheile wird inunbekannten Tiefen Belehrung erhalten, und der bergmännischen Thätigkeit noch auf Jahrhun-derte Nahrung auf diesem Zuge gegeben; das Alles leistet das neue Unternehmen. Die jetzigenFreiberger Refierstolln hatten Ende 1828 eine offene fahrbare Länge von 74412¾ Lachter (19½geographische Meilen) mehr als vier Mal reichte sie hin, von Calais trockenen Fusses unterdem Meere nach Dover zu gehen. Sie zeigt, was im Laufe der Zeit langsam durch denBergbau ausgeführt worden ist. Wer zweifelt, dass die Geldverwendungen auf diese Stollnzweckmässig waren; ohne sie wäre der Freiberger Bergbau schon seit Jahrhunderten nur nachdem Rufe ehemaligen Reichthums bekannt. Sollten wir weniger Muth als unsere Vorfahrenhaben? Liessen sich die kleinen Schweizer Kantone von dem Anblicke der Hindernisse ab-schrecken, welche die Alpenstrassen darboten? Die Länge des Meissner Stollns bis zum Lorenz-
*) Seitdem sind die Erze bei voller Gangmächtigkeit bereits bis unter die zehnte Gezeugstrecke niedergebrachtworden, und es ist hiernach alle bergmännische Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass sie bis zu 400 Lachter Saigertiefeniedersetzen werde. Anm. d. Herausg.
|CXXII| schachte auf dem Halsbrückner Spate ist zu 11360 Lachter ermittelt, beinahe drei geographischeMeilen, aber noch nicht der sechste Theil jener vorhandenen Stolln. In dem Triennio 1828—1830 sind auf den 140—150 gangbaren Gruben der Freiberger Refier, an Ortslänge 13624⅞Lachter, jährlich mehr als eine geographische Meile aufgefahren worden; wer könnte demnach,der Länge wegen, den Meissner Stolln als unausführbar, als ein leeres Projekt betrachten?
Die Dimensionen desselben sind nach der Menge des darauf abzuführenden Wassers auf2 Lachter (14 Leipziger Fuss) Höhe und 1½ Lachter (10½ Leipz. F.) Weite angenommen. DieFläche desselben verhält sich dabei zu der des Priessnitzer Elbstollns, der bald sein Ziel, denZaukeroder Kunstschacht dortiger Kohlengrube, erreichen wird *), wie 8:3; aber sie beträgtnoch nicht ⅐ der Ortsfläche des Tunnels unter der Themse bei London, und dabei steht sie imfesten Gestein, ohne Schwierigkeiten, offen erhalten zu werden. — Die Arbeit vor Ort erleich-tert der grosse Einbruch. Die 11 Lichtlöcher zu 9 Ellen Länge, 3 Ellen Weite, 10 mit Dampfmaschinen, 1 mit Kunst-gezeug zu versehen, sind zweckmässig auf die ganze Erstreckung vertheilt, in die Thäler ge-lagert, um geringere Kosten bei der Abteufung und Wasserhaltung zu haben. Die Entfernungenzwischen denselben, 800—1278 Lachter, sind zwar weit, aber mit genauer Abwägung der Vor-und Nachtheile grösserer und kleinerer Längen bestimmt. Die Versorgung mit Wetter hat auf solchen Entfernungen keine Schwierigkeit; auf englischen und niederländischen Kohlengrubenzwingt man sie acht und zehn Mal grössere zurückzulegen. Das Mundloch im Triebischthale zwischen der fünften und sechsten Mühle, oberhalb Meis-sen, ist über dem höchsten Wasserstand der Elbe (am 24. Februar 1799) angenommen; es istgleich im festen Gestein, im Porphyr anzusetzen; an Tiefe wird nichts verloren; die 350 Lach-ter lange Rösche soll wenig über der dritten Mühle münden. Zwischen dem zweiten und dritten Lichtloche und in ihrer Nähe ist Sienit und Granit-gebirge das festeste Gestein zu durchörtern. Der Priessnitzer Stolln, mit dem ebenfalls Sienitdurchfahren worden ist, hat ein genaues Anhalten zur Bestimmung des Gedinges gegeben.Weiter herauf ist Glimmerschiefer bei Munzig, dann Thonschiefer; auf ⅖ der ganzen Stolln-länge der bekannte Freiberger Gneus. Das zu verarbeitende Gestein ist bekannt, deshalb derKostenanschlag, was die Arbeitsgedinge betrifft, nicht unsicher. Das Gedinge für eine LachterAuffahren, einschliesslich Förderung, ist zu 133 Thaler angenommen, wofür 1000 C′ Gesteinwegzuschiessen, und im Mittel 250 Lachter weit zu transportiren ist. Dieselbe Sicherheit ge-währt die Zeitbestimmung. Die Lichtlöcher von 16 bis 125 Lachter Tiefe können in 1½ bis8⅗ Jahren niedergebracht werden. Die grösste Ortslänge, welche in einem Jahre herausge-schlagen werden soll, übersteigt nicht 26 Lachter (wöchentlich ½ Lachter); sie bleibt im Durch-schnitt beträchtlich darunter. Dies ist Alles nach bergmännischer Erfahrung vieler Länder sehrwohl auszuführen. Fehlen die nöthigen Geldmittel nicht zur rechten Zeit, so ist die Vollendungdes Stollns bis zum elften Lichtloche, nach dem trefflich vom königl. Ober- und Bergamte ent-wickelten Plane, in 33¼ Jahren mit Bestimmtheit zu erwarten. Der Durchschlag mit dem Hals-brückner Spat ist erst 14 Jahre später angegeben. Diese Zeit wird sich wesentlich abkürzenlassen; die Beendigung des Stollns, um zu dem Genusse der Verwendungen zu gelangen, inner-halb 40 Jahren, liegt in den Grenzen der Möglichkeit. Die jetzt aufwachsende Generationerntet die Früchte des Unternehmens im reifen Mannesalter; es wird für die nächsten Nach-kommen gesorgt. Die gesammten Kosten der Anlage sind zwar nicht mit Bestimmtheit vorauszusehen, wie dieOrtsgedinge, besonders der die Wasserhaltung betreffende Theil derselben. Diese gesammten
*) Ist bereits im Jahre 1836 erfolgt. Anm. d. Herausg.
|CXXIII| übrigen Kosten sind nicht geringe, auf 189 Thaler pro Lachter, veranschlagt. Sie sind von derBetriebszeit abhängig, vergrössern sich mit ihrer längern Dauer. Es wird um so mehr mit derangesetzten Summe auszureichen, selbst weniger erforderlich sein, je rascher das Ziel erreichtwird. Dies fordert dringend zur Beschleunigung der Arbeit auf, wenn sie einmal angefangenist. Die ganze Summe der Stollnkosten bis zum Halsbrückner Spat beläuft sich nach Abzug desWerthes der übrigbleibenden Maschinen auf 3608385 Thaler. Bei 40jährigem Betriebe werdendurchschnittlich auf ein Jahr 90000 Thaler erfordert; wahrscheinlich weniger; bei 47jährigerBetriebszeit im Durchschnitt 76775 Thaler. Die Summen vertheilen sich nicht gleichförmig überdie ganze Zeit. Die ersten Jahre erfordern mehr, wegen der Erbauung der Wasserhaltungsma-schinen. Dieser Umstand, weniger geeignet, Schwierigkeiten zu erregen, sichert das Unterneh-men. Für die nächste Zukunft ist wahrscheinlich die Herbeischaffung der Geldmittel leichter,sicherer, als für eine entferntere. Unerwartete allgemeine Störungen lassen sich alsdann leichterüberwinden, das Ganze ist nicht mehr auf das Spiel gesetzt. Nach Verlauf der ersten 10 Jahrewerden 60000 Thaler jährlich genügen, die Anlage in der vorgesetzten Zeit zu vollenden.
Von dem Halsbrückener Spat tritt der Meissner Stolln in die Reihe derjenigen Arbeiten,welche bis dahin und ferner, aus den eigenen Kräften des Bergbaues, zu seinem weitern Fort-bestehen auszuführen sind. Vom Lorenz- bis Reiche Zeche sind 1773 Lachter. Aber welcheedlen Mittel liegen hier auch nicht vor! Der Stollngang oder Rothgrübner Stehende, auf dem der tiefe Fürstenstolln getrieben ist,dessen Verumbruchung als erste Vorarbeit zu seiner Wiederaufnahme seit 1832 angefangen, nurbis dritte Gezeugstrecke gebaut, hat von 1524 bis 1800 für 173144 Thaler Erze geliefert. Beider Mächtigkeit (von ¼—1 Lachter), der bekannten Längenausdehnung von 2000 Lachter, unddem Aufschliessen benachbarter Gänge ist ein vortheilhafter Bau mindestens bis neunte Gezeug-strecke wahrscheinlich; der Erzfall ist nicht in bestimmten Zahlen nachzuweisen, sicherlichmehrere Millionen Thaler. Der Kühschacht sammt Methusalem hat von 1524 bis 1800 für2138447 Thaler Erze bis zur siebenten Gezeugstrecke hergegeben; ist der Gang nur noch zweiGezeugstrecken tiefer fortzubringen, so lässt sich mit Recht ein grosser Vortheil davon er-warten. Der Thurmhöfer Zug hat bereits für 4402427 Thaler Erze geliefert, und kann noch mehrGezeugstrecken tiefer abgebaut werden; auf dem Hohebirkner Zug kommt der Meissner Stollnzwischen sechste und siebente Gezeugstrecke ein, bis zur neunten hat derselbe für 8469622 Tha-ler Erze hergegeben; er ist dann bis zur äussersten Grenze seiner Erzführung zu verfolgen.Diese Aufschlüsse in der Meissner Stollnsohle geschehen, während der Halsbrückener Spat mitHülfe desselben bereits die Erzlieferung der Refier (auf 40 Jahre) allein sicher stellt. Hiernach ist kein Zweifel, dass die Freiberger Refier eine so tiefe Stollnlösung verdient,und die darauf gewendeten Kosten nicht vergeblich verwendet werden. In dem Triennio 1828—1830 hat dieselbe 174704 Mark Silber in den mit 1520315 Thalerbezahlten 575334 Centner 4⅞löthigen Erzen, also im Durchschnitt eine halbe Million Thaler Erzejährlich geliefert. Während der Betriebszeit des Stollns (zu 40 Jahren gerechnet) werden diesenGängen noch für 20 Millionen Thaler Erze entnommen; dann bleiben noch für 71 MillionenThaler (nur auf den durch jetzige Aufschlüsse und sichere Nachrichten bekannten Gängen) übrig,wodurch das Bestehen des Freiberger Bergbaues auf fernere 142 Jahre nach dem Einkommendes Meissner Stolln auf den Halsbrückner Spat, bei gleicher Silberproduction gesichert ist. DiesResultat zu erreichen, ist die Verwendung einer Summe von etwas über 3½ Million Thaler nichtzu gross. Dem Unglauben an der Reichhaltigkeit der Freiberger Gänge in grosser noch nicht erreich-ter Teufe stehen die bestimmtesten Erfahrungen entgegen. Der Ludwiger Spat (Churprinz), das |CXXIV| Berggebäude Kühschacht sammt Methusalem Fundgrube, der Thurmhöfer Zug, auf dem bis zehnteGezeugstrecke Tiefbaue verführt sind, der Hohebirknerzug bezeugen, dass im sächsischen Erz-gebirge die Mittel in der Tiefe ausdauern, welche der Meissner Stolln erreichen soll. Die Bauevon Valenciana (Mexiko), von Joachimsthal in Böhmen und auf dem Rohrer-Bühel im Landge-richte Kitzbühel (wie Herr Zenger in seiner lehrreichen Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg ausGrubenrissen vom Jahre 1539 beweist) haben bis 486 Lachter Teufe in Erzmitteln gebaut. Prak-tische Bergleute wissen allerdings (man mag die Metalle und Gangmassen als eine Ausfüllungvon oben, oder, wie mir wahrscheinlicher, als eine Sublimation auf Spalten von unten, aus demInnern der Erde, betrachten), dass im Allgemeinen sich über eine bauwürdige Erzteufe nichtsbestimmen lässt, und dass dieselbe in identischen Gebirgsarten (sei es Grünstein- und Sienit-Porphyr, Gneus, Glimmerschiefer, Grauwacke oder Uebergangskalk) variirt, und dass man voneinem Welttheile auf den andern nicht mit Sicherheit schliessen kann; sie erkennen aber auch,dass es in jedem Bergrefier, in jedem Systeme gleichstreichender Gänge, einen gewissen Hori-zont, eine gewisse obere und untere Grenze gibt, zwischen welchen die metallführenden Lager-stätten ergiebig bleiben. Bei dem grossartigen Unternehmen, von welchem hier die Rede ist,haben wir daher vorsichtig nur sächsische Lokalerfahrung zu Hülfe gerufen. Diese Betrachtungen können nicht würdiger geschlossen werden, als mit den Worten, derensich das Oberbergamt selbst in seinem Berichte vom 6. Februar 1830 bedient hat: „Wenn auch„mit der Einbringung des Meissner Stollns in die hiesige Bergrefier nur ein Theil der gehegten„Erwartungen in Erfüllung gehen sollte, so bleibt es doch die Pflicht des Bergmannes, hierauf„bis zu den erschöpfendsten Massregeln hinzuwirken. Denn es ist wohl nicht zu verkennen,„dass diese Unternehmung ausser der Belehrung, welche sie uns über die Natur unbekannter„Gebirgstheile und unbekannter Tiefen zuführt, auf viele Menschenalter hinaus, Tausenden von„Einwohnern mittel- und unmittelbar Beschäftigung gewähren wird, dass sie die intellectuelle„Kraft des Menschen erhebt, und den Grund zu einer Regsamkeit legt, welche die herrlichsten„Früchte tragen muss.“ Es sei mir selbst erlaubt, hinzuzufügen, dass eine unterirdische Arbeit so kühner und rie-senhafter Art einem Volke, das seinen Werth nicht in der Menschenzahl, sondern in seinemPatriotismus, d. h. in ruhmvollen historischen Erinnerungen, in der Anhänglichkeit an das an-gestammte Fürstenhaus, und in den in seiner freien Verfassung begründeten Gesetzen sucht, einerhebendes Gefühl moralischer Stärke verleiht; dass dieses Gefühl besonders zu einer Zeit wich-tig wird, in der Alles nach kleinlicher Befriedigung augenblicklicher Bedürfnisse strebt, unddass ein Unternehmen, welches im Gegensatze zu diesem Bestreben für eine ferne Zukunftschafft, sich dem Geiste gleichsam veredelt in einer höhern Beziehung darstellt.

Alexander von Humboldt.