Die Fucusbank von Flores und Corvo. Aus Berghaus Almanach für das Jahr 1837. Der Reisende, welcher aus Indien oder einem südamerikanischen Hafen in die südliche Hemisphäre nach Europa zurückkehrt, segelt nicht zwischen den canarischen Inseln und den Azoren hindurch, sondern entfernt sich scheinbar von seinem Ziele, indem er die zuletzt genannte Inselgruppe auf der nordwestlichen Seite passirt. Die Ursache ist, weil er auf jenem geraden Wege in den niedern Breiten gerade gegen den Nordostpassat fahren müßte und auch in höhern Breiten mehrentheils nördliche Winde treffen würde, während er auf dem Kurse um die Azoren den Passat benutzen, und in den meisten Fällen gewiß seyn kann, jenseits seiner Polargränze den zurückströmenden Passat- oder Südwestwind zu treffen. Auf dieser Fahrt sieht sich der Reisende, wenn er den Aequator durchschnitten und den Wendekreis des Krebses erreicht hat, plötzlich von Seekraut umgeben; er befindet sich gleichsam auf einer oceanischen Wiese, die er über anderthalbtausend Meilen nicht verläßt; es ist das Mar de Sargasso der portugiesischen und spanischen Seefahrer, die Region des Gulf-weed der Engländer. Horsburg sagt, man erblicke den Seetang gewöhnlich in Lat. 24° oder 25°, und er erstrecke sich bis 40° oder 42° N. Herr v. Humboldt hat bereits in der Beschreibung seiner Reise durch die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents die Sargasso-See zum Gegenstande seiner gelehrten und scharfsinnigen Untersuchungen gemacht, neuerdings aber ihn sehr ausführlich behandelt in einer noch ungedruckten Denkschrift, aus der wir Folgendes entheben: "Es ist gegenwärtig eine allgemein verbreitete Meinung unter den Seefahrern, daß im Normalzustande des Impulses die mehr isolirten westlichen Azoren, Corvo und Flores in dem Golfstrome, Pico und Fayal aber an dem östlichen Saume desselben liegen, da der Strom von Nantucket bis zur Long. 52° W. fast ununterbrochen von W. nach O. fließt, dann plötzlich, aus noch unergründeten Ursachen, gegen Süden umsetzt und sich unter Lat. 35°, im Meridian von Pico, verliert. Dieser Strom warmen Wassers, der seinen frühesten Impuls einer Strömung in der südlichen Hemisphäre, den von Madagaskar aus über die Nadelbank und um das Vorgebirge der guten Hoffnung wirbelnden Wassern, und einem Stoß gegen die vorspringende brasilische Küste beim Kap St. Roque verdankt, nimmt erst von der Spitze von Florida bis zur Bank von Neufundland eine nordöstliche, von da bis gegen die westlichsten Azoren eine östliche und zuletzt eine südliche Richtung an. "Betrachtet man diese Gegend zwischen Long. 401/2 und 421/2 W. südlich vom 43sten Parallel gleichsam als den Auefluß, die Mündung des Golfstroms, so wird dadurch scheinbar die Meinung begünstigt, als sey die dort befindliche Anhäufung von Seetang eine lange und schmale Fucuszone, welche sich von N. gegen S., von dem Parallel von Corvo bis zu dem Parallel der capverdischen Inseln hinzieht, ein Auswurf oder eine Anschwemmung des oceanischen Flusses warmen Wassers. Man glaubt nach dieser Ansicht, der Golfstrom sammle erst (wirbelnd) in dem merikanischen Meerbusen, dann in der Bahama-Straße, den Seetang während seines Laufs, und deponire denselben da, wo er als Strom verschwinde. Es ist nach meiner eigenen Erfahrung keineswegs zu läugnen, daß besonders an seinen Rändern fast in seiner ganzen Länge das Flußbett des Golfstroms, so weit ich es auf vier Seefahrten (von der Küste von Caracas nach dem Kap S. Antonio der Insel Cuba, von Vera-Cruz längs der Küsten der Louisiana nach der Havana, von diesem Hafen durch die Bahama-Straße nach Philadelphia, und von da über den südlichen Theil der Bank von Neufundland bis in den Meridian der Outer oder False-Bank) in mehr als 5500 Seemeilen Länge beschifft habe, mit zahllosen, der Richtung des Stroms parallelen Streifen von Fucus natans gefüllt ist; aber wenn auch jener Ansicht über das allmähliche Zusammenschwemmen des Seetangs und über die Entstehung der weit ausgedehnten Fucus-Bank westlich von den Azoren, der auch Rennell (bedingungsweise) beitritt, keine physiclogisch-botanischen Gründe direkt entgegen stehen, so ist doch nicht einzusehen, warum nicht auch nahe Untiefen zu jener Anhäufung mit beitragen sollten. Der größte Theil des Tangs südwestlich von den Azoren ist frisch und in voller Vegetation, als wäre er eben erst den Felsen entrissen, und das Senkblei ist so selten in jenen tangreichen Regionen ausgeworfen worden, daß man wohl vermuthen kann, die zwei Inselgruppen der Azoren seyen nicht die einzigen vulkanischen Hebungen, welche dort der Meeresboden erfahren. Eine Gegend nördlich vom 40sten Parallel und NW. von Corvo scheint mir besonders für den Zuwachs zu zeugen, den die Tangmenge auch aus nahen Untiefen erhält. In dieser Gegend befindet sich zwischen Lat. 40° und 46°, Long. 40° und 31° W. das nördliche Ende der großen azorischen Fucus-Bank. Die Richtung des Tang-Streifen ist dort von SW. nach NO., und er durchsetzt dammartig und bleibend die südostwärts fließenden stark bewegten Wasser des Golfstroms, wie man auf Rennell's Karte deutlich sehen kann. Alle Längenbestimmungen in dieser Abhandlung des Hrn. von Humboldt beziehen sich auf den Pariser Meridian (2° 20 O. Grw.) und die Temperatur-Angaben auf die Cilsius'sche Thermometer-Skala. "Ich habe ehemals selbst, nicht auf eigene Erfahrung, sondern auf die Zeugnisse von Turner und Lamourour gestützt, die Meinung für die wahrscheinlichere gehalten, es können die Fucusarten keine neuen Zweige treiben, wenn sie von der Wurzel getrennt umherschwimmen. Aber die physiologische Betrachtung, daß alle Theile der Algen fast gleichmäßig leben, und daß der Fucus natans (Sargassum natans, Lamourour) aus dem Gestein des Seebodens mittelst seiner wurzelartigen Wulst, die ihm nur als klauenartige Stielverlängerung zum Anheften zu dienen scheint, wohl schwerlich irdische Nahrung ziehe, hat mich schon längst in meiner frühern Meinung wankend gemacht. Allerdings mögen die Sporen der Thalassiophyten, in Mucus gehüllt, von der Oberfläche des Meeres durch ihre Schwere herab zu Boden fallen, und sich dort, wie Martius und de Candolle glauben, an Felsen anheften. Neben dieser Art der Fortpflanzung und Vermehrung ist aber eine andere wahrscheinlich, und auf Analogie der Süßwasser-Algen gegründet. Meyen vermuthet, daß der Seetang frei schwimmend vegetirt, und sich in neue blattartige Lappen ausdehnt; eine Vermuthung, die schon Thunberg ausgesprochen, ohne sie physiologisch zu begründen. "Die Benennung "Mar de Sargasso," womit die alten portugiesischen und spanischen Seefahrer seit dem 15ten Jahrhundert die seetangreiche Meer-Region zwischen den Azoren und den Bermuden belegen, ist sehr unbestimmt. Rennell ist in seinem großen Werke über die atlantischen Meeresströmungen der in meiner Reise nach der Aequatorial-Region (1814) aufgestellten Meinung, daß es zwei Gruppen von zusammen gedrängtem frischem Seetang zwischen den Meridianen der Azoren und der Bahama-Inseln gebe, beigetreten. Die erste und größte dieser Gruppen ist der Längenstreifen von Flores und Corvo, dessen ich so eben erwähnt habe. Er schließt weder Corvo noch das um 51/2 Bogenminuten westlicher liegende Eiland Flores ein, wie es die bewegten warmen Wasser des Golfstroms thun. Der östliche Rand der Fucus-Bank bleibt im Mittelzustande vom Meridian von Corvo (Long. 33° 31' W.) entfernt, bei Lat. 391/2 und 41° im Westen fast vier Längengrade, bei Lat. 30° und 20°, dagegen 7°1/4 und 3°3/4. "Die zweite und kleinere Gruppe von Seetang liegt in SSW. und SW. der Bermuden. Wie mir nach neuern Untersuchungen scheint, kann man ihre Gränze im Mittelzustande also angeben: Lat. 25°--31°, Long. 68°--76°. Die Hauptachse ist ungefähr N. 60° O. gerichtet. Man durchschneidet sie, wenn man von den Bermuden nach dem Baro de Plata (Caye d'Argent) im Norden der Halbinsel Somane von Hayti, segelt. Ein sehr erfahrener spanischer Seemann, der mich von der Havana im Mai 1804 bei sehr stürmischer See durch die Bahama-Straße nach Philadelphia führte, hat mich versichert, in der kleinen Fucusbank im Westen von den lucayischen Inseln zusammenhängende Tangmassen von 3/4 bis 1 Seemeile Länge gesehen zu haben. Bei schwachem Winde hinderten sie sehr bemerkbar den Lauf des Schiffes. "Um sich ein vollständiges Bild von der Vertheilung dieser gesellschaftlich lebenden Thalassiophyten zu machen, muß man noch eine Meerzone betrachten, welche zwischen Lat. 25° und 311/2 N. die große Bank von Flores und Corvo, den schmalen, von N. gegen S. gerichteten Streifen, mit der kleinen, mehr inselförmig abgerundeten, südwestlich von den Bermuden verbindet. Diese vermittelnde Zone ist zu jeder Jahreszeit in der ungeheuern Erstreckung von mehr als 1000 Seemeilen mit parallelen, schwimmenden, aber freilich wenig angehäuften Lagen von Fucus natans in theils frischem, theils sehr veraltetem Zustande erfüllt, so daß ein Schiff nicht vom 44° bis zum 68° der Länge, von der großen Bank zur kleinern, gegen W. segeln kann, ohne nicht fast von Stunde zu Stunde Bündeln von zerstreutem Seetang zu begegnen. Bisweilen erreicht in sehr westlichen Längen das Scattered-Weed den Parallel von 34°1/2 und nähert sich dem östlichen Rande des Golfstroms. "Will man die Benennung "Mar de Sargasso" auf diese ganze Gegend von Corvo bis zu den Bermuden und dem Meridiane der lucayischen Insel Eleuthera ausdehnen, so erhält man für einen Raum, der häufig, aber nicht gleichzeitig mit Seetang gefüllt ist, über 65,000 deutsche Quadratmeilen, fast sechsmal so groß als Deutschland."