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Alexander von Humboldt: „Die Fucusbank von Flores und Corvo“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1837-xxx_Ueber_Meeresstroeme-3-neu> [abgerufen am 20.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1837-xxx_Ueber_Meeresstroeme-3-neu
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Titel Die Fucusbank von Flores und Corvo
Jahr 1836
Ort Stuttgart; Tübingen
Nachweis
in: Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker 9:345 (10. Dezember 1836), S. [1377]–1378.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: V.73
Dateiname: 1837-xxx_Ueber_Meeresstroeme-3-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 2
Zeichenanzahl: 9547

Weitere Fassungen
[Über Meeresströme] (Stuttgart, 1837, Deutsch)
Die Meeresströme (Stuttgart; Tübingen, 1836, Deutsch)
Die Fucusbank von Flores und Corvo (Stuttgart; Tübingen, 1836, Deutsch)
[Über Meeresströme] (Stuttgart, 1837, Deutsch)
|1377|

Die Fucusbank von Flores und Corvo. *)

Der Reiſende, welcher aus Indien oder einem ſüdameri-kaniſchen Hafen in die ſüdliche Hemiſphäre nach Europa zurück-kehrt, ſegelt nicht zwiſchen den canariſchen Inſeln und denAzoren hindurch, ſondern entfernt ſich ſcheinbar von ſeinemZiele, indem er die zuletzt genannte Inſelgruppe auf der nord-weſtlichen Seite paſſirt. Die Urſache iſt, weil er auf jenem ge-raden Wege in den niedern Breiten gerade gegen den Nordoſt-paſſat fahren müßte und auch in höhern Breiten mehrentheilsnördliche Winde treffen würde, während er auf dem Kurſe umdie Azoren den Paſſat benutzen, und in den meiſten Fällen ge-wiß ſeyn kann, jenſeits ſeiner Polargränze den zurückſtrömendenPaſſat- oder Südweſtwind zu treffen. Auf dieſer Fahrt ſiehtſich der Reiſende, wenn er den Aequator durchſchnitten und denWendekreis des Krebſes erreicht hat, plötzlich von Seekraut um-geben; er befindet ſich gleichſam auf einer oceaniſchen Wieſe,die er über anderthalbtauſend Meilen nicht verläßt; es iſt das Mar de Sargaſſo der portugieſiſchen und ſpaniſchen See-fahrer, die Region des Gulf-weed der Engländer. Horsburg ſagt, man erblicke den Seetang gewöhnlich inLat. 24° oder 25°, und er erſtrecke ſich bis 40° oder 42° N. Herr v. Humboldt hat bereits in der Beſchreibung ſeinerReiſe durch die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents dieSargaſſo-See zum Gegenſtande ſeiner gelehrten und ſcharfſinni-gen Unterſuchungen gemacht, neuerdings aber ihn ſehr ausführ-lich behandelt in einer noch ungedruckten Denkſchrift, aus derwir Folgendes entheben: „Es iſt gegenwärtig eine allgemein verbreitete Meinungunter den Seefahrern, daß im Normalzuſtande des Impulſesdie mehr iſolirten weſtlichen Azoren, Corvo und Flores in demGolfſtrome, Pico und Fayal aber an dem öſtlichen Saume deſſel-ben liegen, da der Strom von Nantucket bis zur Long. 52° W.faſt ununterbrochen von W. nach O. fließt, dann plötzlich, ausnoch unergründeten Urſachen, gegen Süden umſetzt und ſichunter Lat. 35°, im Meridian von Pico, verliert. Dieſer Stromwarmen Waſſers, der ſeinen früheſten Impuls einer Strömungin der ſüdlichen Hemiſphäre, den von Madagaskar aus über dieNadelbank und um das Vorgebirge der guten Hoffnung wir-belnden Waſſern, und einem Stoß gegen die vorſpringende bra-ſiliſche Küſte beim Kap St. Roque verdankt, nimmt erſt vonder Spitze von Florida bis zur Bank von Neufundland einenordöſtliche, von da bis gegen die weſtlichſten Azoren eine öſt-liche und zuletzt eine ſüdliche Richtung an. „Betrachtet man dieſe Gegend zwiſchen Long. 40½ und42½ W. *) ſüdlich vom 43ſten Parallel gleichſam als denAuefluß, die Mündung des Golfſtroms, ſo wird dadurch ſchein-bar die Meinung begünſtigt, als ſey die dort befindliche An-häufung von Seetang eine lange und ſchmale Fucuszone, welcheſich von N. gegen S., von dem Parallel von Corvo bis zu demParallel der capverdiſchen Inſeln hinzieht, ein Auswurf odereine Anſchwemmung des oceaniſchen Fluſſes warmen Waſſers.Man glaubt nach dieſer Anſicht, der Golfſtrom ſammle erſt(wirbelnd) in dem merikaniſchen Meerbuſen, dann in derBahama-Straße, den Seetang während ſeines Laufs, und de-ponire denſelben da, wo er als Strom verſchwinde. Es iſt nachmeiner eigenen Erfahrung keineswegs zu läugnen, daß beſon-ders an ſeinen Rändern faſt in ſeiner ganzen Länge das Fluß-bett des Golfſtroms, ſo weit ich es auf vier Seefahrten (vonder Küſte von Caracas nach dem Kap S. Antonio der InſelCuba, von Vera-Cruz längs der Küſten der Louiſiana nach derHavana, von dieſem Hafen durch die Bahama-Straße nach Phila-delphia, und von da über den ſüdlichen Theil der Bank vonNeufundland bis in den Meridian der Outer oder Falſe-Bank)in mehr als 5500 Seemeilen Länge beſchifft habe, mit zahlloſen,der Richtung des Stroms parallelen Streifen von Fucus na-tans gefüllt iſt; aber wenn auch jener Anſicht über das allmäh-liche Zuſammenſchwemmen des Seetangs und über die Ent-ſtehung der weit ausgedehnten Fucus-Bank weſtlich von den
*) Aus Berghaus Almanach für das Jahr 1837.*) Alle Längenbeſtimmungen in dieſer Abhandlung des Hrn. vonHumboldt beziehen ſich auf den Pariſer Meridian (2° 20 O.Grw.) und die Temperatur-Angaben auf die Cilſius’ſche Ther-mometer-Skala.
|1378| Azoren, der auch Rennell (bedingungsweiſe) beitritt, keinephyſiclogiſch-botaniſchen Gründe direkt entgegen ſtehen, ſo iſt dochnicht einzuſehen, warum nicht auch nahe Untiefen zu jener An-häufung mit beitragen ſollten. Der größte Theil des Tangs ſüd-weſtlich von den Azoren iſt friſch und in voller Vegetation, alswäre er eben erſt den Felſen entriſſen, und das Senkblei iſt ſoſelten in jenen tangreichen Regionen ausgeworfen worden, daßman wohl vermuthen kann, die zwei Inſelgruppen der Azorenſeyen nicht die einzigen vulkaniſchen Hebungen, welche dort derMeeresboden erfahren. Eine Gegend nördlich vom 40ſten Parallelund NW. von Corvo ſcheint mir beſonders für den Zuwachszu zeugen, den die Tangmenge auch aus nahen Untiefen erhält.In dieſer Gegend befindet ſich zwiſchen Lat. 40° und 46°, Long.40° und 31° W. das nördliche Ende der großen azoriſchenFucus-Bank. Die Richtung des Tang-Streifen iſt dort vonSW. nach NO., und er durchſetzt dammartig und bleibend dieſüdoſtwärts fließenden ſtark bewegten Waſſer des Golfſtroms,wie man auf Rennell’s Karte deutlich ſehen kann.
„Ich habe ehemals ſelbſt, nicht auf eigene Erfahrung, ſon-dern auf die Zeugniſſe von Turner und Lamourour geſtützt, dieMeinung für die wahrſcheinlichere gehalten, es können dieFucusarten keine neuen Zweige treiben, wenn ſie von der Wur-zel getrennt umherſchwimmen. Aber die phyſiologiſche Betrach-tung, daß alle Theile der Algen faſt gleichmäßig leben, und daßder Fucus natans (Sargassum natans, Lamourour) aus demGeſtein des Seebodens mittelſt ſeiner wurzelartigen Wulſt, dieihm nur als klauenartige Stielverlängerung zum Anheften zudienen ſcheint, wohl ſchwerlich irdiſche Nahrung ziehe, hat michſchon längſt in meiner frühern Meinung wankend gemacht.Allerdings mögen die Sporen der Thalaſſiophyten, in Mucusgehüllt, von der Oberfläche des Meeres durch ihre Schwereherab zu Boden fallen, und ſich dort, wie Martius und deCandolle glauben, an Felſen anheften. Neben dieſer Art derFortpflanzung und Vermehrung iſt aber eine andere wahrſchein-lich, und auf Analogie der Süßwaſſer-Algen gegründet. Meyenvermuthet, daß der Seetang frei ſchwimmend vegetirt, undſich in neue blattartige Lappen ausdehnt; eine Vermuthung,die ſchon Thunberg ausgeſprochen, ohne ſie phyſiologiſch zu be-gründen. „Die Benennung „Mar de Sargaſſo,“ womit die altenportugieſiſchen und ſpaniſchen Seefahrer ſeit dem 15ten Jahr-hundert die ſeetangreiche Meer-Region zwiſchen den Azorenund den Bermuden belegen, iſt ſehr unbeſtimmt. Rennell iſtin ſeinem großen Werke über die atlantiſchen Meeresſtrömungender in meiner Reiſe nach der Aequatorial-Region (1814) auf-geſtellten Meinung, daß es zwei Gruppen von zuſammen ge-drängtem friſchem Seetang zwiſchen den Meridianen der Azorenund der Bahama-Inſeln gebe, beigetreten. Die erſte und größtedieſer Gruppen iſt der Längenſtreifen von Flores und Corvo,deſſen ich ſo eben erwähnt habe. Er ſchließt weder Corvo nochdas um 5½ Bogenminuten weſtlicher liegende Eiland Floresein, wie es die bewegten warmen Waſſer des Golfſtroms thun.Der öſtliche Rand der Fucus-Bank bleibt im Mittelzuſtandevom Meridian von Corvo (Long. 33° 31′ W.) entfernt, beiLat. 39½ und 41° im Weſten faſt vier Längengrade, bei Lat.30° und 20°, dagegen 7°¼ und 3°¾. „Die zweite und kleinere Gruppe von Seetang liegt inSSW. und SW. der Bermuden. Wie mir nach neuern Unter-ſuchungen ſcheint, kann man ihre Gränze im Mittelzuſtandealſo angeben: Lat. 25°—31°, Long. 68°—76°. Die Hauptachſeiſt ungefähr N. 60° O. gerichtet. Man durchſchneidet ſie, wennman von den Bermuden nach dem Baro de Plata (Caye d’Ar-gent) im Norden der Halbinſel Somane von Hayti, ſegelt. Einſehr erfahrener ſpaniſcher Seemann, der mich von der Havanaim Mai 1804 bei ſehr ſtürmiſcher See durch die Bahama-Straßenach Philadelphia führte, hat mich verſichert, in der kleinenFucusbank im Weſten von den lucayiſchen Inſeln zuſammen-hängende Tangmaſſen von ¾ bis 1 Seemeile Länge geſehen zuhaben. Bei ſchwachem Winde hinderten ſie ſehr bemerkbar denLauf des Schiffes. „Um ſich ein vollſtändiges Bild von der Vertheilung dieſergeſellſchaftlich lebenden Thalaſſiophyten zu machen, muß mannoch eine Meerzone betrachten, welche zwiſchen Lat. 25° und31½ N. die große Bank von Flores und Corvo, den ſchmalen,von N. gegen S. gerichteten Streifen, mit der kleinen, mehrinſelförmig abgerundeten, ſüdweſtlich von den Bermuden ver-bindet. Dieſe vermittelnde Zone iſt zu jeder Jahreszeit in derungeheuern Erſtreckung von mehr als 1000 Seemeilen mitparallelen, ſchwimmenden, aber freilich wenig angehäuften Lagenvon Fucus natans in theils friſchem, theils ſehr veraltetemZuſtande erfüllt, ſo daß ein Schiff nicht vom 44° bis zum 68°der Länge, von der großen Bank zur kleinern, gegen W. ſegelnkann, ohne nicht faſt von Stunde zu Stunde Bündeln von zer-ſtreutem Seetang zu begegnen. Bisweilen erreicht in ſehr weſt-lichen Längen das Scattered-Weed den Parallel von 34°½ undnähert ſich dem öſtlichen Rande des Golfſtroms. „Will man die Benennung „Mar de Sargaſſo“ auf dieſeganze Gegend von Corvo bis zu den Bermuden und dem Meri-diane der lucayiſchen Inſel Eleuthera ausdehnen, ſo erhält manfür einen Raum, der häufig, aber nicht gleichzeitig mit Seetanggefüllt iſt, über 65,000 deutſche Quadratmeilen, faſt ſechsmal ſogroß als Deutſchland.“