die Meeresströme. Obschon die Strömungen des Oceans einen der wichtigsten Theile der Hydrographie bilden, so ist es doch, wie Rennell sehr richtig bemerkt, erst seit Einführung der Chronometer und der Vervollkommnung astronomischer Beobachtungen zur Bestimmung der Meereslänge gelungen, sich einen richtigen Begriff von ihrer Richtung und Kraft zu verschaffen. Konnte auch vor Erfindung der Zeithalter die Abweichung, welche der Kurs eines Schiffs durch den Meeresstrom in nördlicher oder südlicher Richtung erleidet, durch Vergleichung der aus der Schiffsrechnung und der unmittelbaren Beobachtung hervorgehenden Breite gefunden werden, so war es doch erst jenen unschätzbaren Maschinen vorbehalten, die Größe kennen zu lehren, um welche der Seefahrer in seiner Bahn gegen Osten oder Westen abgelenkt wird, und dadurch um so mehr zur Vervollkommnung der Schifffahrtkunst beizutragen, als in den besuchtesten Meeren, denjenigen, welche Europa von Amerika und Indien, und die neue Welt von den östlichen Gestaden des alten Kontinents trennen, die meisten Ströme in der Richtung des Untergangs und Aufgangs fließen. Die Kenntniß der Meeresströme, sagt Rennell, setzt den Seefahrer in den Stand, seinen Kurs so einzurichten, daß er in dem einen Fall von dem Strome den größten Vortheil zieht oder in dem andern den geringsten Nachtheil erfährt; die genaue Bekanntschaft mit diesem Phänomen befähigt ihn, seine Reisen zu beschleunigen und Gefahren zu vermeiden; ja von dieser Erscheinung und den sie erzeugenden Luftströmungen hängt der Weg ab, den ein Schiff nehmen muß, um in der kürzesten Zeit von einem Hafen zum andern zu gelangen; ein Weg, der nicht durch die kürzeste Entfernung oder die geodätische Linie bezeichnet wird, sondern durch eine Kurve, welche von jener oft sehr bedeutend abweicht. Raum und Zeit stehen bei der Navigation in der innigsten Wechselwirkung. Ein Schiffer, der von der Mündung des englischen Kanals nach der Havana will, darf nicht, wie es der Blick auf die Karte vermuthen läßt, den kürzesten Weg nehmen und seinen Kurs nördlich von den Azoren auf die Halbinsel Florida und die Bahamastraße setzen; sondern er wendet sich, sobald er den englischen Kanal verlassen und den atlantischen Ocean betreten hat, sofort nach Südsüdwesten, schifft zwischen den Azoren und den canarischen Inseln hindurch, sucht den Wendekreis des Krebses gegen den 20sten Grad der Länge westlich von Ferro, das ist mitten im Ocean zu schneiden, steuert von dort nach den kleinen Antillen und durch das caraibische Meer längs der südlichen Gestade der großen Antillen, und gelangt so, die westliche Spitze der Insel Cuba dublirend, nach seinem Bestimmungsort. Daß dieser scheinbare Umweg genommen wird, beruhet auf den herrschenden Luft- und Meeresströmen. Auf jener geraden Linie vom englischen Kanal nach der Bahamastraße würde der Schiffer, mit westlichen und südwestlichen Winden und östlichen Strömungen kämpfend, die größten Mühseligkeiten zu überwinden haben, und dadurch, gelänge auch die Bergfahrt in der Bahamastraße, was in den meisten Fällen sehr zweifelhaft ist, einen so großen Zeitaufwand gebrauchen, daß zu der Reise von Hamburg nach der Havana drei bis vier Monate gebraucht würden, während auf der großen Kurve die kleinen Antillen in 35 bis 40 Tagen erreicht werden, und der Anker im Hafen der Havana am 55sten oder 60sten Tage nach der Abreise von Hamburg ausgeworfen werden kann. Aber nicht bloß für die Zwecke der Navigation ist die Kenntniß der Meeresströme von der äußersten Wichtigkeit, auch ein allgemeinerer Gesichtspunkt bietet sich dar, von dem aus sie betrachtet werden können, ein Gesichtspunkt, der die Physik der Erde im Ganzen umfaßt. Hr. von Humboldt bemerkt in dieser Beziehung in einer noch ungedruckten Denkschrift Folgendes: "Die genauere Kenntniß der zwiefachen Art von Strömungen in dem Elastisch-Flüssigen (dem Luftmeere) und dem Unelastisch-tropfbar-Flüssigen (dem Ocean), der mit jenem auf ihm ruhenden Luftmeere in Wechselwirkung der Bewegung und Wärmevertheilung steht, hängt von drei veränderlichen Elementen, der Richtung, Schnelligkeit und Temperatur ab. In beiden, sonst so wesentlich von einander verschiedenen, in ihrer Contraktfläche scharf begränzten erdumhüllenden Schichten (in der Atmosphäre und in dem Ocean) wird das Letzte der eben genannten Elemente, die Temperatur, durch die zwei andern, die Richtung und die Schnelligkeit, bestimmt. Ist die Meeresströmung in der Bahamastraße durch heftige, die Barometerhöhe vermehrende und den regelmäßigen Wechsel der atmosphärischen Ebbe und Fluth störende Nordstürme in ihrem Laufe gehemmt, das heißt, in ihrer Schnelligkeit gemindert, so sinkt die Temperatur des Golfstroms 700 geogr. Meilen weit, da wo sich derselbe in nordöstlicher Richtung, gegen die westlichsten der Azorischen Inseln, Corvo und Flores, hin in eine große Wiese von Seetang verliert. Richtung der Luft- und Meeres- Ströme, je nachdem sie die Meridiane in verschiedenen Winkeln durchschneiden, aus höhern Breiten sich zu niedern oder umgekehrt bewegen, bestimmt den Temperaturunterschied zwischen der zuströmenden Luft- oder Wassermasse und der ruhenden, zu der sie sich mischt, oder die sie flußartig durchschneidet. Wie die Klimate und die wichtigsten meteorologischen Erscheinungen eben so sehr von der Richtung der Winde, in Hinsicht auf Azimuth und Neigung (von Mischung der Luftschichten, die verschiedenen Breitenzonen oder höhern und niedern Regionen der Atmosphäre zugehören), als von dem östlichen Sonnenstande, d. h. dem Einfallswinkel der Sonnenstrahlen abhängen , eben so wirken mittelbar auch die oceanischen Flüsse kalten und warmen Wassers (die Strömungen der Meere) durch ihre Ausdehnung und ihre Nähe auf die Klimate der Kontinente. Die oceanischen Flüsse, welche die wogende, aber in Hinsicht auf Translationsbewegung ruhende Meeresfläche so mannichfaltig durchschneiden, erwärmen oder erkälten zunächst die darüber liegende Meeresluft; sie erregen nicht bloß Verdampfung und Niederschläge salzhaltiger Dämpfe, sondern Sturm und plötzlichen Wechsel elektro-magnetischer Spannungen; sie theilen, dauernde und sanftere Luftströme erzeugend, nach Verschiedenheit ihrer eigenen Temperatur, bald Wärme, bald Kühlung den benachbarten Kontinenten mit."