Digitale Ausgabe

Download
TEI-XML (Ansicht)
Text (Ansicht)
Text normalisiert (Ansicht)
Ansicht
Textgröße
Originalzeilenfall ein/aus
Zeichen original/normiert
Zitierempfehlung

Alexander von Humboldt: „Die Meeresströme“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1837-xxx_Ueber_Meeresstroeme-2-neu> [abgerufen am 29.03.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1837-xxx_Ueber_Meeresstroeme-2-neu
Die Versionsgeschichte zu diesem Text finden Sie auf github.
Titel Die Meeresströme
Jahr 1836
Ort Stuttgart; Tübingen
Nachweis
in: Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker 9:323 (18. November 1836), S. [1289]–1290.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Fußnoten mit Asterisken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: V.73
Dateiname: 1837-xxx_Ueber_Meeresstroeme-2-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 2
Zeichenanzahl: 6315

Weitere Fassungen
[Über Meeresströme] (Stuttgart, 1837, Deutsch)
Die Meeresströme (Stuttgart; Tübingen, 1836, Deutsch)
Die Fucusbank von Flores und Corvo (Stuttgart; Tübingen, 1836, Deutsch)
[Über Meeresströme] (Stuttgart, 1837, Deutsch)
|1289|

die Meeresströme.

Obſchon die Strömungen des Oceans einen der wichtigſtenTheile der Hydrographie bilden, ſo iſt es doch, wie Rennellſehr richtig bemerkt, erſt ſeit Einführung der Chronometer undder Vervollkommnung aſtronomiſcher Beobachtungen zur Be-ſtimmung der Meereslänge gelungen, ſich einen richtigen Be-griff von ihrer Richtung und Kraft zu verſchaffen. Konnteauch vor Erfindung der Zeithalter die Abweichung, welche derKurs eines Schiffs durch den Meeresſtrom in nördlicher oderſüdlicher Richtung erleidet, durch Vergleichung der aus derSchiffsrechnung und der unmittelbaren Beobachtung hervor-gehenden Breite gefunden werden, ſo war es doch erſt jenenunſchätzbaren Maſchinen vorbehalten, die Größe kennen zu leh-ren, um welche der Seefahrer in ſeiner Bahn gegen Oſten oderWeſten abgelenkt wird, und dadurch um ſo mehr zur Vervoll-kommnung der Schifffahrtkunſt beizutragen, als in den beſuchte-ſten Meeren, denjenigen, welche Europa von Amerika und In-dien, und die neue Welt von den öſtlichen Geſtaden des altenKontinents trennen, die meiſten Ströme in der Richtung desUntergangs und Aufgangs fließen. Die Kenntniß der Meeres-ſtröme, ſagt Rennell, ſetzt den Seefahrer in den Stand, ſeinenKurs ſo einzurichten, daß er in dem einen Fall von dem Stromeden größten Vortheil zieht oder in dem andern den geringſtenNachtheil erfährt; die genaue Bekanntſchaft mit dieſem Phä-nomen befähigt ihn, ſeine Reiſen zu beſchleunigen und Gefahrenzu vermeiden; ja von dieſer Erſcheinung und den ſie erzeugen-den Luftſtrömungen hängt der Weg ab, den ein Schiff nehmenmuß, um in der kürzeſten Zeit von einem Hafen zum andernzu gelangen; ein Weg, der nicht durch die kürzeſte Entfernungoder die geodätiſche Linie bezeichnet wird, ſondern durch eineKurve, welche von jener oft ſehr bedeutend abweicht. Raumund Zeit ſtehen bei der Navigation in der innigſten Wechſel-wirkung. Ein Schiffer, der von der Mündung des engliſchenKanals nach der Havana will, darf nicht, wie es der Blick aufdie Karte vermuthen läßt, den kürzeſten Weg nehmen undſeinen Kurs nördlich von den Azoren auf die Halbinſel Floridaund die Bahamaſtraße ſetzen; ſondern er wendet ſich, ſobald erden engliſchen Kanal verlaſſen und den atlantiſchen Ocean betretenhat, ſofort nach Südſüdweſten, ſchifft zwiſchen den Azoren undden canariſchen Inſeln hindurch, ſucht den Wendekreis desKrebſes gegen den 20ſten Grad der Länge weſtlich von Ferro,das iſt mitten im Ocean zu ſchneiden, ſteuert von dort nachden kleinen Antillen und durch das caraibiſche Meer längs derſüdlichen Geſtade der großen Antillen, und gelangt ſo, die weſt-liche Spitze der Inſel Cuba dublirend, nach ſeinem Beſtimmungs-ort. Daß dieſer ſcheinbare Umweg genommen wird, beruhetauf den herrſchenden Luft- und Meeresſtrömen. Auf jener |1290| geraden Linie vom engliſchen Kanal nach der Bahamaſtraßewürde der Schiffer, mit weſtlichen und ſüdweſtlichen Windenund öſtlichen Strömungen kämpfend, die größten Mühſelig-keiten zu überwinden haben, und dadurch, gelänge auch dieBergfahrt in der Bahamaſtraße, was in den meiſten Fällen ſehrzweifelhaft iſt, einen ſo großen Zeitaufwand gebrauchen, daß zuder Reiſe von Hamburg nach der Havana drei bis vier Monategebraucht würden, während auf der großen Kurve die kleinenAntillen in 35 bis 40 Tagen erreicht werden, und der Ankerim Hafen der Havana am 55ſten oder 60ſten Tage nach derAbreiſe von Hamburg ausgeworfen werden kann. Aber nicht bloß für die Zwecke der Navigation iſt dieKenntniß der Meeresſtröme von der äußerſten Wichtigkeit, auchein allgemeinerer Geſichtspunkt bietet ſich dar, von dem aus ſiebetrachtet werden können, ein Geſichtspunkt, der die Phyſik derErde im Ganzen umfaßt. Hr. von Humboldt bemerkt in dieſerBeziehung in einer noch ungedruckten Denkſchrift Folgendes: „Die genauere Kenntniß der zwiefachen Art von Strömun-gen in dem Elaſtiſch-Flüſſigen (dem Luftmeere) und dem Un-elaſtiſch-tropfbar-Flüſſigen (dem Ocean), der mit jenem auf ihmruhenden Luftmeere in Wechſelwirkung der Bewegung undWärmevertheilung ſteht, hängt von drei veränderlichen Elemen-ten, der Richtung, Schnelligkeit und Temperatur ab. In bei-den, ſonſt ſo weſentlich von einander verſchiedenen, in ihrerContraktfläche ſcharf begränzten erdumhüllenden Schichten (inder Atmoſphäre und in dem Ocean) wird das Letzte der ebengenannten Elemente, die Temperatur, durch die zwei andern,die Richtung und die Schnelligkeit, beſtimmt. Iſt die Meeres-ſtrömung in der Bahamaſtraße durch heftige, die Barometer-höhe vermehrende und den regelmäßigen Wechſel der atmoſphä-riſchen Ebbe und Fluth ſtörende Nordſtürme in ihrem Laufegehemmt, das heißt, in ihrer Schnelligkeit gemindert, ſo ſinktdie Temperatur des Golfſtroms 700 geogr. Meilen weit, dawo ſich derſelbe in nordöſtlicher Richtung, gegen die weſtlichſtender Azoriſchen Inſeln, Corvo und Flores, hin in eine großeWieſe von Seetang verliert. Richtung der Luft- und Meeres-Ströme, je nachdem ſie die Meridiane in verſchiedenen Winkelndurchſchneiden, aus höhern Breiten ſich zu niedern oder um-gekehrt bewegen, beſtimmt den Temperaturunterſchied zwiſchender zuſtrömenden Luft- oder Waſſermaſſe und der ruhenden, zuder ſie ſich miſcht, oder die ſie flußartig durchſchneidet. Wiedie Klimate und die wichtigſten meteorologiſchen Erſcheinungeneben ſo ſehr von der Richtung der Winde, in Hinſicht aufAzimuth und Neigung (von Miſchung der Luftſchichten, die ver-ſchiedenen Breitenzonen oder höhern und niedern Regionen derAtmoſphäre zugehören), als von dem öſtlichen Sonnenſtande,d. h. dem Einfallswinkel der Sonnenſtrahlen abhängen, eben ſowirken mittelbar auch die oceaniſchen Flüſſe kalten und warmenWaſſers (die Strömungen der Meere) durch ihre Ausdehnungund ihre Nähe auf die Klimate der Kontinente. Die oceani-ſchen Flüſſe, welche die wogende, aber in Hinſicht auf Trans-lationsbewegung ruhende Meeresfläche ſo mannichfaltig durch-ſchneiden, erwärmen oder erkälten zunächſt die darüber liegendeMeeresluft; ſie erregen nicht bloß Verdampfung und Nieder-ſchläge ſalzhaltiger Dämpfe, ſondern Sturm und plötzlichenWechſel elektro-magnetiſcher Spannungen; ſie theilen, dauerndeund ſanftere Luftſtröme erzeugend, nach Verſchiedenheit ihrereigenen Temperatur, bald Wärme, bald Kühlung den benach-barten Kontinenten mit.“